Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. November 2003 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate) und wegen Körperverletzung mit Todesfolge (Einzelfreiheitsstrafe ein Jahr und zehn Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft hat ihre dagegen zum Nachteil der Angeklagten zunächst unbeschränkt eingelegte Revision wirksam auf die wegen der Körperverletzung mit Todesfolge verhängte Strafe beschränkt. Dem Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt der Erfolg versagt.
I.
Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die 25 Jahre alte Angeklagte wuchs unter schwierigen Lebensbedingungen ohne eine Halt gebende feste Bezugsperson auf und war nur vermindert fähig, sozialen Belastungssituationen in der allgemein üblichen Weise zu begegnen. Im Februar 2002 lernte die Angeklagte ihren jetzigen Lebensgefährten kennen, während sich ihr Zuhälter in Haft befand. Drei Monate später wurde die Angeklagte schwanger. Am 2. März 2003 wurde ihr Sohn M. – drei Wochen zu früh – geboren. Obwohl er sich normal entwickelte, schrie er viel. Von ihrem Lebensgefährten erfuhr die Angeklagte bei der Betreuung ihres Kindes keine Unterstützung.
Am 23. Mai 2003 ertrug die Angeklagte das Schreien ihres Sohnes nicht mehr. „Um das Kind zur Ruhe zu bringen, entschied sie sich spontan, einen Schmerz zu setzen. Sie packte M am linken Bein und drehte es so grob nach außen, daß der Körper des auf dem Wickeltisch liegenden Kindes herumgeschleudert wurde” (UA S. 11 f.). Durch die heftige Drehung erlitt M einen Spiralbruch des linken Oberschenkelknochens, der bis zum 6. Juni 2003 im Krankenhaus versorgt wurde. Die Angeklagte hegte Schuldgefühle gegenüber ihrem Sohn und vereinbarte beim Jugendgesundheitsdienst einen Hausbesuch. Eine Kinderärztin und eine Sozialarbeiterin erklärten der Angeklagten am 11. Juni 2003, daß der kleine M durch sein Schreien die Mutter nicht ärgern wolle. Ihr Sohn könne sich noch nicht anders ausdrücken.
Am 13. Juni 2003 wollte die Angeklagte ihren schreienden und die Nahrung verweigernden Sohn mit einer Spazierfahrt beruhigen. M. schrie weitere 20 Minuten, während derer sich die Angeklagte auf die Ausfahrt vorbereitete. „Die Angeklagte verstand erneut nicht, warum das Kind immer schrie, warum es nicht mit dem zufrieden war, was sie ihm bot, warum es sich nicht endlich anpaßte und aufhörte, seinen Unwillen zu zeigen. Sie war der Meinung, doch alles für ihr Kind zu tun, es gut zu versorgen und zu pflegen, und wußte nicht, was sie darüber hinaus noch tun sollte. Weil es ihr persönlichkeitsbedingt an Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse des Kindes mangelte, fühlte sie sich durch das als Kritik empfundene Schreien in ihrer Lebenssituation als Hausfrau und Mutter, mit der sie sich ohnehin nur bedingt identifizieren konnte, irritiert und überfordert. Sie wollte, daß ihr Sohn aufhören möge zu schreien, und wollte ihn ‚zur Raison’ bringen. Spontan und unbeherrscht faßte sie das im Wagen liegende Kind an den Oberarmen und schüttelte es dort zwei- bis dreimal heftig vor und zurück (…). Durch die ruckartigen Bewegungen des Kopfes, der durch die noch nicht ausgebildete Muskulatur des Säuglings bei den Schüttelbewegungen keinen Halt fand, rissen zahlreiche Brückenvenen im Gehirn” (UA S. 13 f.). Es kam zu inneren Einblutungen und wahrscheinlich zu einer Quetschung des Rückenmarks, wodurch das Atemzentrum geschädigt wurde. M wurde sofort bewußtlos und röchelte. Trotz sofortiger ärztlicher Hilfe verstarb das Kind am 20. Juni 2003.
Das Landgericht hat für die vorsätzliche Körperverletzung vom 23. Mai 2003 auf eine – inzwischen rechtskräftig gewordene – Freiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt und die Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Körperverletzung mit Todesfolge dem Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB entnommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung des Strafrahmens und die Bemessung der Strafe halten rechtlicher Prüfung stand.
1. Die Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimißt, ist im wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 3, 179; 24, 268; BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 2 m.w.N.). Das Revisionsgericht darf die Gesamtwürdigung nicht selbst vornehmen, sondern nur nachprüfen, ob dem Tatrichter bei seiner Entscheidung ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. BGHSt 29, 319, 320; BGH StV 2002, 20; BGH, Urt. vom 20. April 2004 – 5 StR 87/04). Das ist hier nicht der Fall.
2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei zahlreiche gewichtige Strafmilderungsgründe dargelegt und zu Gunsten der unbestraften Angeklagten ihr Geständnis, ihre Betroffenheit und Erschütterung und den Charakter der Tat als eine spontane, aus einer Überforderungssituation entstandene kurzzeitige Überreaktion herangezogen, was die Revision auch nicht beanstandet.
Das Schwurgericht hat zum Vorteil der Angeklagten keinen Erfahrungssatz mißachtet. Solches sieht die Revision darin, daß das Landgericht als Motiv der Angeklagten deren Willen festgestellt hat, ihr Kind durch Schmerzen dazu zu bringen, mit dem Schreien aufzuhören. Dies widerspreche der Lebenserfahrung, und es sei absolut fernliegend, daß eine Mutter so handle, weil ein Säugling noch nicht durch Einsicht zu einem Verhalten veranlaßt werden könne. Mit dieser Wertung vermag die Revision aber keinen allgemeinen Erfahrungssatz zu begründen, der keine Ausnahmen zuläßt und schlechthin zwingende Folgerungen ergibt (vgl. BGHSt 31, 86, 89; BGH NStZ 2002, 656, 658). Vor dem Hintergrund vielfältiger, auf Fehleinschätzungen beruhender menschlicher Verhaltensweisen handelt es sich bei dem von der Revision aufgezeigten Verhalten der – die weitverbreiteten medizinischen Erkenntnisse beachtenden – Mütter lediglich um Wahrscheinlichkeitsbewertungen (vgl. BGH NStZ aaO), die das Landgericht aber ersichtlich in die Gesamtbewertung der Beweise zur Feststellung der Motivation der Angeklagten einbezogen hat.
Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind auch nicht lückenhaft. Zwar hat das Landgericht den Umfang der Gewaltanwendung beim Festhalten des Kleinkindes an dessen Oberarmen und dem heftigen Schütteln des Körpers im Kinderwagen nicht ausdrücklich erwogen. Dazu war das Landgericht vor dem Hintergrund der ausführlichen Tatschilderung aber auch nicht verpflichtet, weil für die Tathandlung der Angeklagten kein die Tat prägender übermäßiger Kraftaufwand erforderlich war.
Das Landgericht hat sich auch ausreichend und nachvollziehbar mit der zu Lasten der Angeklagten zu berücksichtigenden Besonderheit auseinandergesetzt, daß es sich bereits um den zweiten Übergriff der Angeklagten gegen ihren Sohn handelte und sie die mit der Verletzung und der Behandlung des Kindes im Krankenhaus und der Intervention des Jugendgesundheitsdienstes verbundene Appellfunktion mißachtet hatte. Die Schwurgerichtskammer erachtet diesen Gesichtspunkt als dadurch relativiert, daß die Angeklagte persönlichkeitsbedingt in ihrer Fähigkeit, Konflikte zu erkennen und zu lösen, eingeschränkt gewesen sei. An der problematischen Grundsituation, nämlich ihrem unterentwickelten Einfühlungsvermögen, ihrer Unbeholfenheit und Unsicherheit im Umgang mit einem Kind und ihrer Verschlossenheit anderen gegenüber habe sich in der kurzen Zeitspanne nichts geändert. Soweit die Revision gegen diese – ersichtlich auch von dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Tänzer (UA S. 6 f., 17) getragenen – Ausführungen einwendet, das Landgericht habe die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten nicht berücksichtigen dürfen, handelt es sich um einen im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, die Wertung des Tatrichters durch eine eigene zu ersetzen.
Schließlich zeigt die Revision auch keine Erörterungslücke auf, soweit sie weitergehende Erwägungen über die mißglückte Aufarbeitung der ersten Körperverletzung vermißt. Die Wertung des Landgerichts, die Erfahrungen der Angeklagten im Zusammenhang mit der Verletzung ihres Sohnes vom 23. Mai 2003 hätte noch zu keiner nachhaltigen Veränderung ihrer Persönlichkeit geführt, ist vor dem Hintergrund der ausführlich dargestellten Akzentuierung ihrer Persönlichkeit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die so gefundene sehr maßvolle Strafe hat sich auch noch nicht von ihrer Bestimmung gelöst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 34, 345, 349).
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Raum, Brause
Fundstellen