Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzanfechtung: Anfechtbarkeit der Ausschüttung von Dividenden und Übergewinnbeteiligungen
Normenkette
InsO § 129 Abs. 1, § 134 Abs. 1, § 143; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, §§ 814, 817 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 6. März 2020 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 13.462,43 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG, vormals F. AG (nachfolgend Schuldnerin). Vorstand war B.. Die Schuldnerin war auf dem unregulierten Kapitalmarkt tätig. Der Beklagte zeichnete bei der Schuldnerin zu einem nicht näher benannten Zeitpunkt Genussrechte, welchen deren Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde lagen, wonach an die Genussrechtsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen und abhängig von Jahresüberschüssen jährlich eine Basisdividende und eine Übergewinnbeteiligung ausgeschüttet werden sollten (vgl. zum Wortlaut der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 1). Die durch die Schuldnerin erstellten und von einem Wirtschaftsprüfer geprüften Jahresabschlüsse zum 31. März 2010, zum 31. März 2011, zum 31. März 2012 und zum 31. März 2013 wiesen Jahresüberschüsse aus. Dementsprechend erhielt der Beklagte von der Schuldnerin auf seine Genussrechte am 24. September 2010 eine Auszahlung in Höhe von 3.042,77 €, am 25. August 2011 eine Auszahlung in Höhe von 3.016,22 €, am 26. September 2012 eine Auszahlung in Höhe von 3.371,44 € und am 26. September 2013 eine Auszahlung in Höhe von 4.032,00 €, insgesamt 13.462,43 €. Auf am 13. November 2013 beim Insolvenzgericht eingegangenen Antrag wurde am 1. April 2014 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet.
Rz. 2
Der Kläger verlangt mit der Behauptung, die vertraglichen Voraussetzungen der Ausschüttung von Dividende und Übergewinnbeteiligung hätten in den maßgeblichen Jahren nicht vorgelegen, die von der Schuldnerin an den Beklagten erbrachten Ausschüttungen aufgrund von Schenkungsanfechtung, hilfsweise bereicherungsrechtlich, zurück. Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Verurteilung des Beklagten erreichen.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg.
I.
Rz. 4
Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. Der Entscheidungssatz des Berufungsurteils enthält keine Beschränkung der Revisionszulassung; die bloße Angabe des Grundes für die Zulassung der Revision reicht nicht, um von einer nur beschränkten Zulassung des Rechtsmittels auszugehen. Im Übrigen wäre eine Beschränkung der Zulassung auf die einzelne Rechtsfrage, wie die Genussrechtsbedingungen auszulegen sind, nicht möglich. Es handelt sich um eine Rechtsfrage, die für den gesamten Rechtsstreit entscheidungserheblich ist. Bei einer unzulässigen Beschränkung der Revisionszulassung müsste das angefochtene Urteil in vollem Umfang überprüft werden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 6).
II.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die streitgegenständlichen Auszahlungen der Schuldnerin stellten keine unentgeltliche Leistung im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO dar, weil der bereicherungsrechtliche Rückgewähranspruch aus § 812 Abs. 1 BGB keiner Kondiktionssperre unterliege, weder gemäß § 814 BGB noch nach § 817 Satz 2 BGB. Es hat sich dabei ausdrücklich - unter ausführlicher Zitierung der Entscheidungen - der im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 25. September 2019 (9 U 26/19, nachfolgend BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234) und im Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 31. Oktober 2019 (5 U 546/19) geäußerten Rechtsansicht angeschlossen. Der Bereicherungsanspruch sei verjährt.
Rz. 6
Von einer Kenntnis der Nichtschuld im Sinne von § 814 BGB seitens des Vorstands der Schuldnerin könne nur dann ausgegangen werden, wenn dieser im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre aus der Kenntnis der vom Kläger behaupteten Tatsachen die erforderlichen rechtlichen Schlüsse - kein Anspruch der Genussrechtsinhaber auf Ausschüttungen - gezogen habe, mithin zum Zeitpunkt der Auszahlungen gewusst habe, dass erstens die Jahresabschlüsse unter Verstoß gegen Regeln der Bilanzierung zustande gekommen seien, also zulässige Gestaltungsspielräume überschritten worden seien, dass zweitens diese Fehler die Jahresabschlüsse nicht nur falsch, sondern nichtig gemacht hätten und dass drittens die Genussrechtsvereinbarung dahingehend auszulegen sei, dass in einer solchen Situation die Genussrechtsinhaber trotz förmlich festgestellter und testierter Jahresabschlüsse mit positivem Ergebnis keine Auszahlung verlangen könnten. Dass der Vorstand der Schuldnerin von einer Nichtigkeit der Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die Geschäftsjahre 2009/2010 bis 2012/2013 und deshalb von nicht bestehenden Auszahlungsansprüchen der Genussrechtsinhaber ausgegangen sei, sei nicht feststellbar.
III.
Rz. 7
Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 8
1. Allerdings trifft die Begründung des Berufungsgerichts im Ausgangspunkt zu. Die Ausschüttungen der Dividenden und des Übergewinns sind nicht nach § 134 InsO anfechtbar, wenn die Schuldnerin diese Zahlungen ohne Rechtsgrund vorgenommen und ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten zugestanden hat, wenn also der Beklagte keinen Anspruch auf die Ausschüttungen gegen die Schuldnerin gehabt hat und er einem Bereicherungsanspruch der Schuldnerin nicht § 814 BGB entgegenhalten könnte. Denn es handelt sich bei der Bezahlung einer tatsächlich nicht bestehenden Schuld im Zwei-Personen-Verhältnis nicht um eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, wenn dieser irrtümlich annimmt, zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet zu sein. Auch ohne eine vertragliche Vereinbarung einer Gegenleistung fehlt es an einer für die Unentgeltlichkeit erforderlichen kompensationslosen Minderung des schuldnerischen Vermögens, wenn der Empfänger die Leistung des Schuldners auf andere Art und Weise auszugleichen hat. Leistet der Schuldner, weil er sich irrtümlich hierzu verpflichtet hält, steht ihm hinsichtlich der Leistung ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu. Der Empfänger ist von vornherein diesem Bereicherungsanspruch ausgesetzt. Insoweit fehlt es bei einer solchen Leistung an einem endgültigen, vom Empfänger nicht auszugleichenden, freigiebigen Vermögensverlust des Schuldners. Daher ist eine Leistung des Schuldners, wenn dieser irrtümlich annimmt, zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet zu sein, nicht nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Entsprechendes gilt, wenn die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB nicht eingreift (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 10 f).
Rz. 9
2. Soweit das Berufungsgericht einen Rückgewähranspruch gemäß §§ 143, 134 InsO verneint hat, weil die Kondiktionssperre der § 814 BGB nicht eingreife, hat die Revision Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch des Klägers gegen den Beklagten nicht verneinen.
Rz. 10
a) Die zugunsten des Beklagten geleisteten Überweisungen stellen Leistungen der Schuldnerin dar. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) bewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, aaO Rn. 13). Sie erfolgten innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung.
Rz. 11
b) Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt ist nicht auszuschließen, dass die Ausschüttungen unentgeltlich erfolgten, weil sie nach den getroffenen Vereinbarungen nicht geschuldet waren und die Schuldnerin dies wusste. Zur Begründung wird insoweit auf die Entscheidung des Senats vom 1. Oktober 2020 verwiesen (aaO Rn. 15 ff), mit welcher die vom Berufungsgericht in Bezug genommene Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 25. September 2019 (9 U 26/19) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist. Zutreffend ist das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang von den dem Vertrag zugrundeliegenden Genussrechtsbedingungen ausgegangen, um festzustellen, ob dem Beklagten ein Anspruch auf die streitgegenständlichen Ausschüttungen zustand. Die Genussrechtsbedingungen stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen dar; ihre Auslegung kann deswegen unbeschränkt durch das Revisionsgericht überprüft werden (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, aaO Rn. 18 f). Ausgehend von dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Frage stehenden Klausel ist diese von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise dahin auszulegen, dass die materiellen Voraussetzungen der Ausschüttungen sich nach der objektiven (wahren) Ertragslage der Schuldnerin bestimmen, nicht nach den endgültig festgestellten Jahresabschlüssen und ihrer Wirksamkeit nach dem Aktiengesetz (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, aaO Rn. 21-28).
Rz. 12
c) Wenn es aber für die Frage des Anspruchs des Beklagten auf die Ausschüttungen nicht auf die festgestellten Jahresabschlüsse und § 256 AktG, sondern auf die objektive Ertragslage der Schuldnerin ankam, tragen auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 814 BGB nicht.
Rz. 13
aa) Allerdings trifft auch hier der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zu. Nach § 814 Fall 1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung. Zur Kenntnis der Nichtschuld genügt es nicht, dass dem Leistenden die Tatsachen bekannt sind, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt; der Leistende muss vielmehr aus diesen Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben. Wird die Leistung, deren Rückabwicklung im Streit steht, durch einen Vertreter erbracht, so kommt es für die Kenntnis des Nichtbestehens eines Rechtsgrundes auf das Wissen des die Leistung bewirkenden Vertreters an. Scheitert ein Bereicherungsanspruch des Schuldners an § 814 BGB, ist auch dem Insolvenzverwalter ein solcher abzusprechen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, aaO Rn. 30).
Rz. 14
bb) Nach diesen Maßstäben hat ein Schuldner Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund, wenn er weiß, dass er keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, er also weiß, dass er an die Genussrechtsinhaber lediglich Scheingewinne und Scheindividenden aus den Einzahlungen von ihm getäuschter Geldgeber auszahlt. Denn dann weiß er, dass die vereinbarten Voraussetzungen für die Ausschüttung von Gewinnbeteiligung und Dividende nicht vorliegen und die Genussrechtsinhaber keine Ansprüche auf die Ausschüttungen gegen ihn haben. Dagegen spricht nicht, dass die festgestellten Jahresabschlüsse fälschlich Gewinne und keine Jahresfehlbeträge ausweisen und von einem Wirtschaftsprüfer bestätigt worden sind. Denn der Schuldner hat aufgrund seiner Kenntnis, dass er nur noch Verluste erwirtschaftet und das eingeworbene Kapital ganz oder aber zu einem großen Teil benutzen muss, um die alten Genussrechtsinhaber zu bezahlen, auch Kenntnis davon, dass die streitgegenständlichen Jahresabschlüsse fehlerhaft sind und keine Grundlage für die vereinbarten Ausschüttungen darstellen können (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, aaO Rn. 31).
Rz. 15
3. Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB nicht eingreift. Auch insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen im Urteil vom 1. Oktober 2020 verwiesen (aaO Rn. 33 f).
Rz. 16
4. Einen Bereicherungsanspruch des Klägers nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB hätte das Berufungsgericht nicht mit der von ihm gewählten Begründung wegen Verjährung abweisen dürfen. Auch insoweit wird zur Begründung auf die Ausführungen im Urteil vom 1. Oktober 2020 (aaO Rn. 35 ff) Bezug genommen.
IV.
Rz. 17
Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO), ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 18
Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die Ausschüttungen an den Beklagten ohne Rechtsgrund erfolgt sind, die Jahresabschlüsse also fehlerhaft waren und die Schuldnerin keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet hat und somit die Bedingungen für die Auszahlungen der Basisdividenden und der Überschussbeteiligungen nicht vorlagen, und die Schuldnerin davon positiv im Zeitpunkt der Leistung wusste, sie also aus den ihr bekannten Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre gefolgert hat, dass die Jahresabschlüsse fehlerhaft waren und sie tatsächlich keine Gewinne, sondern nur Fehlbeträge erwirtschaftet hat und die Genussrechtsinhaber deswegen keinen Anspruch auf die Ausschüttungen hatten. Wegen der Maßstäbe wird auf das ebenfalls am 22. Juli 2021 verkündete Urteil des Senats in der Rechtssache IX ZR 26/20 Bezug genommen.
Grupp |
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Lohmann |
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Möhring |
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Röhl |
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Schultz |
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Fundstellen
BBK 2021, 1049 |
AG 2021, 844 |
BC 2021, 498 |
BC 2021, 511 |
ZInsO 2021, 2154 |
KoR 2021, 519 |