Entscheidungsstichwort (Thema)
Möglichkeit des Vorliegens eines Berliner Testaments bei gegenseitiger Erbeinsetzung von Ehegatten mit Wiederverheiratungsklausel und der Einsetzung eines alleinigen Sohnes als Nacherben
Leitsatz (amtlich)
- Setzen Ehegatten einander in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen sie, daß "Nacherbe beim Tode des Letztlebenden" ein gemeinschaftlicher Sohn sein soll, dann kann es sich um ein Berliner Testament handeln. Das gilt auch dann, wenn im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten Nacherbfolge (§§ 2100 ff. BGB) eintreten soll.
- Soll der übergangene Sohn der Ehegatten eine Abfindung erhalten, deren Höhe der Überlebende bestimmen soll, dann kann es sich um ein Zweckvermächtnis i.S.v. § 2156 BGB handeln.
- Zur Auslegung des Begriffs "Abfindung" in diesem Fall.
Normenkette
BGB §§ 2156, 2069, 2269, 2271 Abs. 1-2, § 2174
Tenor
Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. November 1980 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Am 15. Mai 1953 errichteten die Eltern des Klägers (Schwiegereltern der Beklagten zu 1) und Großeltern der Beklagten zu 2) und 3)), nämlich der am 13. Februar 1978 verstorbene Vater und die am 24. Januar 1954 verstorbene Mutter, ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem es heißt:
"Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Nacherbe beim Tode des Letztlebenden ist unser gemeinschaftlicher Sohn Ludwig. Die Nacherbfolge soll außer beim Tode auch schon eintreten, wenn der Ehemann als Überlebender sich wieder verheiratet. Im Falle der Wiederverheiratung des Ehemannes soll dieser dann Nießbrauch und Verwaltung erhalten.
Außer dem Nacherben ist aus unserer Ehe noch unser Sohn Karl Heinz hervorgegangen. Der Nacherbe ist verpflichtet, beim Eintreten des Nacherbenrechts seinem Bruder als Abfindung vom elterlichen Vermögen eine Summe auszuzahlen, deren Höhe dem Überlebenden von uns vorbehalten bleiben soll. ..."
1958 vereinbarten der Kläger (Sohn Karl Heinz) und sein Vater, daß der Kläger eine Abfindung von 11.200,- DM erhalten sollte; diese Vereinbarung hoben sie 1975 durch notariellen Vertrag wieder auf.
Durch notarielles Testament vom 14. September 1964 setzte der Vater die Abfindung des Klägers auf 40.000,- DM, zahlbar in Monatsraten von 700,- DM, fest; dieses Testament wurde dem Vater 1971 aus der amtlichen Verwahrung zurückgegeben (§ 2256 BGB).
Der als "Nacherbe" vorgesehene Bruder des Klägers Ludwig D. jr. starb im Jahre 1971; er wurde von seiner Ehefrau (Beklagte zu 1) und seinen Kindern (Beklagte zu 2) und 3) beerbt. Danach errichtete der Vater des Klägers am 4. September 1971 ein weiteres notarielles Testament, in dem er den Kläger zu seinem Erben bestimmte und für den Fall der Unwirksamkeit dieser Erbeinsetzung anordnete, daß der Kläger eine Abfindung von 350.000,- DM erhalten solle.
Durch Erbschein des Amtsgerichts M. vom 24. Juli 1978 sind die Beklagten nach dem Tode des Vaters des Klägers als Erben der Mutter des Klägers ausgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagten Klage auf Zahlung von 350.000,- DM nebst Zinsen erhoben. Das Landgericht hält die Festsetzung der Abfindung des Klägers auf einen solchen Betrag für sittenwidrig, weil dieser den Wert des Nachlasses übersteige; deshalb hat es dem Kläger nur einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 85.330,77 DM nebst Zinsen zugebilligt. Mit der Berufung hat der Kläger eine Abfindung von insgesamt 261.870,77 DM nebst Zinsen verlangt; die Beklagten haben ebenfalls Berufung eingelegt und Klageabweisung beantragt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und hat auf die Berufung der Beklagten auf eine Abfindung in Höhe von 23.100,- DM nebst Zinsen erkannt. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Klage in Höhe seines Berufungsantrages weiter. Die Beklagten erstreben mit ihrer Anschlußrevision weiterhin die Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Abfindung vom Vermögen seiner Eltern, die der Kläger nach dem gemeinschaftlichen Testament von 1953 erhalten soll, sieht das Berufungsgericht als ein Vermächtnis an, mit dem Ludwig D. jr. bzw. nach dessen Tod die Beklagten als seine Erben belastet seien. Bei der Festsetzung der Höhe dieses Vermächtnisses sei der Vater des Klägers aber nicht völlig frei gewesen. Nach dem Tode der Mutter des Klägers sei der Vater des Klägers in seiner Testierfreiheit durch das bindende gemeinschaftliche Testament beschränkt gewesen. Da Ludwig D. jr. als Nacherbe eingesetzt gewesen sei und da der Kläger lediglich eine Abfindung habe erhalten sollen, sei der Vater gehindert gewesen, das Vermächtnis des Klägers auf einen Betrag festzusetzen, der über dem Wert des zur Zeit der Festsetzung vorhandenen elterlichen Vermögens gelegen habe. Diese Grenze habe der Vater erheblich überschritten. Infolgedessen sei die Festsetzung auf 350.000,- DM gemäß § 2271 BGB völlig unwirksam. Das Berufungsgericht hält sich auch nicht für berechtigt, die Höhe der Abfindung gem. §§ 2156, 315 BGB selbst zu bestimmen; daran sei das Gericht gemäß § 319 Abs. 2 BGB gehindert, weil der Vater die Höhe nicht nach billigem Ermessen, sondern nach seinem Belieben habe festsetzen sollen. Aus der Unwirksamkeit der Bestimmung durch das Testament vom 4. September 1971 folge, daß das dort widerrufene Testament vom 14. September 1964 noch wirksam sei, so daß der Kläger eine Abfindung in Höhe von 40.000,- DM zu beanspruchen habe, von der allerdings erst 23.100,- DM fällig seien.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a)
Der Vater des Klägers hat diesen in dem Testament vom 4. September 1971 in erster Linie zu seinem Alleinerben eingesetzt und hat die Höhe der Abfindung nur für den Fall der Unwirksamkeit dieser Erbeinsetzung bestimmt. Darauf ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Indessen ist das im Ergebnis unschädlich; denn die Erbeinsetzung des Klägers durch seinen Vater ist nicht wirksam. Erben des Vaters des Klägers sind vielmehr aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Eltern in Verbindung mit § 2069 BGB anstelle des in erster Linie eingesetzten verstorbenen Sohnes Ludwig D. jr. dessen Abkömmlinge, die Beklagten zu 2) und 3). Die Erbeinsetzung des Vaters durch die Mutter einerseits und die Einsetzung von Ludwig D. jr. (und seiner Abkömmlinge) andererseits sind wechselbezügliche Verfügungen i.S. von § 2270 Abs. 2 BGB. Von der Einsetzung der Beklagten zu 2) und 3) durch den Vater des Klägers konnte dieser daher nach dem Tode der Mutter des Klägers gemäß § 2271 Abs. 2 nicht mehr wirksam abgehen. Auch die Parteien ziehen das nicht in Zweifel.
b)
Dennoch kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Es leidet darunter, daß das Berufungsgericht die Erbfolge nach der Mutter des Klägers und diejenige nach dem Vater des Klägers nicht deutlich auseinander hält.
Ohne Rechtsverstoß versteht das Berufungsgericht die für den Kläger vorgesehene Abfindung als ein Vermächtnis. Ob es sich dabei um ein Vermächtnis der Mutter des Klägers oder um ein solches des Vaters des Klägers handeln soll, läßt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen. Es betont einerseits, die Testierfreiheit des Vaters sei durch das gemeinschaftliche Testament eingeschränkt gewesen, was für die Annahme eines Vermächtnisses des Vaters spricht. Andererseits hält das Berufungsgericht möglicherweise einen Fall von § 2156 BGB, also ein der Höhe nach zu bestimmendes Zweckvermächtnis der Mutter für gegeben. Einer Klärung dieser Frage hätte es - jedenfalls vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus - aber schon deshalb bedurft, weil der Vermächtnisanspruch gemäß § 2174 BGB sich gegen den oder die Beschwerten (§§ 2147 f BGB), also im Zweifel gegen die Erben, richtet und weil die Beklagten, die das Berufungsgericht anscheinend als die Erben der Mutter des Klägers ansieht (§ 2108 BGB), nicht sämtlich auch Erben des Vaters des Klägers sind (§ 2069 BGB). Überdies wäre, wenn es sich um ein Vermächtnis des Vaters handelt, die von den Beklagten insoweit erhobene Dürftigkeitseinrede zu beachten gewesen.
c)
Bei der erneuten Prüfung durch das Berufungsgericht wird die für das sog. Berliner Testament geltende Vorschrift des § 2269 Abs. 2 BGB zu beachten sein. Haben Ehegatten in einem Berliner Testament ein Vermächtnis angeordnet, das nach dem Tode des Überlebenden erfüllt werden soll, dann ist nach dieser Auslegungsregel im Zweifel anzunehmen, daß das Vermächtnis dem Bedachten erst mit dem Tode des Längstlebenden anfallen soll, und zwar im Zweifel als dessen Vermächtnis (RGRK-Johannsen, 12. Aufl. § 2269 BGB Rdnr. 37; MK-Musielak, § 2269 BGB Rdnr. 65).
Allerdings will anscheinend das Berufungsgericht hier ebenso wie das Landgericht in der vorliegenden Sache und auch im Erbscheinsverfahren kein Berliner Testament annehmen, weil Ludwig D. jr. als Nacherbe des Erstversterbenden und nicht als (einheitlicher) Schlußerbe des Überlebenden eingesetzt worden sei. Indessen ist eine solche Auslegung nicht bedenkenfrei und vom Berufungsgericht auch nicht näher begründet.
Der Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments läßt erkennen, daß die Eltern des Klägers ihr Vermögen als ein einheitliches Ganzes (das "elterliche Vermögen") behandeln und auf ihren Sohn Ludwig D. jr. weiterleiten wollten. Dementsprechend sollte der Kläger lediglich einen - einheitlichen - Abfindungsanspruch erlangen. Diese Umstände legen eine Auslegung als Berliner Testament ebenso nahe wie dessen übriger Wortlaut eine Auslegung im Sinne von Vor- und Nacherbschaft. Die Bezeichnung Nacherbe kann für sich allein keine entscheidende Bedeutung haben. Maßgebend ist auch insoweit selbstverständlich der Wille beider Erblasser (vgl. MK-Musielak, § 2269 BGB Rdnr. 17; Erman/Hense, 7. Aufl. § 2269 BGB Rdnr. 4). Die in dem gemeinschaftlichen Testament ebenfalls enthaltene Wiederverheiratungsklausel steht einer Auslegung als Berliner Testament nicht entgegen (RGRK-Johannsen, 12. Aufl. § 2269 BGB Rdnr, 19; MK-Musielak, § 2269 BGB Rdnr. 46 ff.). Selbst wenn die Widerverheiratungsklausel dazu bestimmt gewesen sein sollte, das Hauptvermögensstück, das der Mutter gehörige Grundstück in Minden, für Ludwig D. jr. zu sichern, hindert das die Auslegung als Berliner Testament nicht, solange kein Anhalt dafür besteht, daß die Mutter des Klägers die Möglichkeit der Veräußerung des Grundstücks durch den Vater in Betracht gezogen und zugleich einer solchen Möglichkeit hätte vorbeugen wollen.
Zur Vermeidung von Unklarheiten ist weiter darauf hinzuweisen, daß das Berufungsgericht bei der erneut vorzunehmenden Auslegung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 47, 58, 67; BGH Urteil vom 13.11.1968 - IV ZR 507/68 = VersR 1969, 49, 51) nicht an die Ansicht gebunden ist, die der Nachlaßrichter im Erbscheinsverfahren vertreten hat.
d)
Sollte das Berufungsgericht nunmehr zu dem Ergebnis gelangen, daß das gemeinschaftliche Testament der Eltern als ein Berliner Testament anzusehen ist, und sollte es sich demgemäß nach § 2269 Abs. 2 BGB um ein Vermächtnis des Vaters des Klägers handeln, dann stellt sich die Frage, ob der Vater des Klägers für diesen ein Vermächtnis in Höhe von 350.000,- DM aussetzen konnte. Wie bereits ausgeführt ist, war das gemeinschaftliche Testament der Eltern des Klägers für den Vater bindend. Er konnte deshalb seine Erben mit einem Vermächtnis zugunsten des Klägers wirksam nur noch in dem Umfang beschweren, wie ihm dies in dem gemeinschaftlichen Testament vorbehalten war, nämlich mit einer "Abfindung" zugunsten des Klägers. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, war dem Vater des Klägers damit für die Zuwendungen an den Kläger eine Grenze gesetzt. Wo diese Grenze liegt, wird das Berufungsgericht durch Auslegung zu ermitteln haben. Dabei wird davon auszugehen sein, daß es sich um eine Abfindung für den gesetzlichen Erbteil handelt, der dem Kläger entgangen ist. Deshalb wird das Berufungsgericht sich an dem Wert des Gesamtvermögens zur Zeit des Todes des Vaters des Klägers orientieren und etwaige Vor- und sonstige Empfänge der Beteiligten außerhalb des Erbganges zu berücksichtigen haben. Die Auslegung kann darauf hinauslaufen, daß dem Kläger kein höheres Vermächtnis hätte zugewendet werden dürfen, als der Hälfte des so ermittelten "Gesamtvermögens" entspricht. Der Begriff "Abfindung" legt die Auslegung nahe, daß der Vater des Klägers nicht so weit gehen durfte, daß den Erben weniger als der Wert ihres gesetzlichen Erbteils verblieb.
Sollte der Erblasser den ihm verbliebenen Spielraum mit der Festsetzung der Abfindung auf 350.000,- DM überschritten haben, dann ist das Vermächtnis zugunsten des Klägers nur bis zu der ermittelten Grenze wirksam, wegen der erbrechtlichen Bindung aber nicht hinsichtlich des übersteigenden Betrages (vgl. §§ 2084, 2085 BGB).
e)
Falls das Berufungsgericht trotz der angesprochenen Bedenken wiederum zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß es sich nicht um ein Berliner Testament und demgemäß um ein Vermächtnis der Mutter des Klägers handelt, das von den Beklagten zu erfüllen sei, käme § 2156 BGB zur Anwendung. Da der Zweck des dem Kläger zugedachten Vermächtnisses als "Abfindung" in dem gemeinschaftlichen Testament hinreichend bestimmt ist, konnte die Erblasserin die nähere Festsetzung der Höhe den Beschwerten oder einem Dritten, also auch dem Vater des Klägers überlassen, allerdings nicht dessen freiem Belieben, sondern nur seinem billigen Ermessen, was gemäß § 317 Abs. 1 BGB im Zweifel anzunehmen ist. Sollte die Bestimmung durch den Vater des Klägers offenbar unbillig sein, dann wird das Berufungsgericht sie gemäß § 319 Abs. 1 BGB durch Urteil zu treffen haben.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Rassow
Dr. Zopfs
Fundstellen
Haufe-Index 1456448 |
JZ 1983, 147 |