Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wissenszurechnung bei einem Versicherungsmakler nach der Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Normenkette
VVG § 44
Verfahrensgang
OLG Hamm (Aktenzeichen 20 U 105/98) |
LG Essen (Aktenzeichen 12 O 456/97) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. November 1998 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Konkursverwalter über das Vermögen der Sch. GmbH, die ihre Geschäftsräume in dem in ihrem Eigentum stehenden Gebäude K. in R. hatte. Die Gemeinschuldnerin betrieb ein Immobilienbüro und Vermögensverwaltung. Der Kläger führte den Geschäftsbetrieb nach Konkurseröffnung nicht weiter, sondern war mit der Abwicklung des Unternehmens befaßt.
Am 19. November 1996 beantragte er für die Sch. GmbH, vertreten durch ihn – ohne Hinweis auf seine Konkursverwalterstellung – für das Risiko Einbruchdiebstahl bei der Beklagten den Abschluß einer Geschäftsversicherung mit einer Gesamtversicherungssumme von 250.000 DM. Der Vertrag wurde durch die Firma B. Assekuranzmakler, die seinerzeit ihre Geschäftsräume im Obergeschoß des Gebäudes der Gemeinschuldnerin hatte, vermittelt. Der Mitinhaber des Maklerunternehmens, der Zeuge W., unterzeichnete den Antrag als Vermittler und leitete ihn an die Beklagte weiter. Auf dem am 16. Dezember 1996 ausgestellten Versicherungsschein ist darauf hingewiesen, daß die Firma B. Assekuranzmakler den Vertrag betreue.
Der Kläger hat mit der Klage Entschädigung für entwendete Gegenstände verlangt. Er hat im Berufungsverfahren dazu behauptet, am 15. Februar 1997 seien aus einem im Erdgeschoß gelegenen Büroraum der Gemeinschuldnerin zwei Orientteppiche, zwei Bronzestatuen sowie ein Uhrwerk und Gewichte einer Westminsteruhr gestohlen worden. Bei dem Diebstahl hätten die Täter sowohl die hintere Eingangstür zum Gebäude als auch die Tür zu dem Büroraum aufgebrochen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 73.878,57 DM nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat den Einbruchdiebstahl bestritten und sich im übrigen auf die Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten berufen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger hätte als gefahrerheblichen Umstand angeben müssen, daß die Sch. GmbH in Konkurs geraten und der Geschäftsbetrieb eingestellt sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung der Berufung im übrigen die Beklagte zur Zahlung von 60.100 DM nebst Zinsen verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung in vollem Umfang.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat die Tatsachen für das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls als vom Kläger bewiesen angesehen. Anhaltspunkte für einen vorgetäuschten Diebstahl ergäben sich weder aus dem Sachvortrag der Beklagten noch aus den beigezogenen Ermittlungsakten. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu enthalten keine Rechtsfehler und werden von der Revision auch nicht angegriffen.
Ebenso sind die Ausführungen des Berufungsgerichts rechtsfehlerfrei, die sich mit der Feststellung befassen, die entwendeten Gegenstände würden von der Geschäftsversicherung umfaßt.
2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, das Wissen des Zeugen W. über etwa gefahrerhebliche Umstände bei Vertragsschluß sei hier dem Versicherer zuzurechnen, auch wenn es sich bei der Firma B. Assekuranz um einen Makler handele.
a) Das Berufungsgericht hat dahinstehen lassen, ob der Kläger als gefahrerheblich im Antrag hätte angeben müssen, daß er als Konkursverwalter handele und daß der Betrieb der Gemeinschuldnerin eingestellt war. Es hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei schon deshalb nicht wirksam vom Vertrag zurückgetreten, weil der Zeuge W. diese Umstände kannte. Der Zeuge sei zwar nicht Agent der Beklagten. Er betreibe vielmehr zusammen mit seinem Partner ein selbständiges Maklerbüro. Dennoch stehe sein Wissen hier dem eines Agenten der Beklagten gleich. Deshalb sei sein Wissen der Beklagten zuzurechnen. Ein Versicherer bediene sich eines Dritten wie eines Agenten, wenn er dem Dritten Antragsformulare zur Verfügung stelle und die ihm zugeleiteten Anträge ohne weitere Klärung entgegen- und annehme. Damit würden auch Makler in die Vertriebsorganisation des Versicherers eingegliedert. Es komme entscheidend darauf an, ob der Dritte, wenn er nicht in vertraglicher Beziehung zum Versicherungsnehmer stehe, mit Wissen und Wollen des Versicherers eingeschaltet werde. Die Beklagte habe die agentenähnliche Stellung des Zeugen W. auch auf dem Versicherungsschein dokumentiert, indem sie die Firma des Zeugen W. als Betreuer des Versicherungsvertrages angegeben habe. Ebenso habe sie dem Kläger die vorläufige Deckungszusage über den Zeugen W. erteilt. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich der Versicherer die Kenntnis eines Angestellten oder Vermittlungsagenten, die diese in Ausübung der Stellvertretung bei der Entgegennahme des Antrags auf Abschluß eines Versicherungsvertrages erlangen, zurechnen zu lassen (sogenannte Auge-und-Ohr-Rechtsprechung, BGHZ 102, 194 ff. und ständig). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Zeuge W. aber weder Angestellter noch Vermittlungsagent der Beklagten. Vielmehr betrieb er zusammen mit einem Partner unter der Firma „B. Assekuranzmakler” ein selbständiges Maklerbüro. Damit sind die Grundsätze zur Wissenszurechnung, wie sie sich aus der oben genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergeben, auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anzuwenden.
c) Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kann offenbleiben, ob in Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Ausnahmefällen auch das Wissen eines Maklers dem Versicherer zuzurechnen ist. Eine solche Ausnahme käme jedenfalls nur in Betracht, wenn Tatsachen vorlägen, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit eine Wissenszurechnung rechtfertigen können. Solche Tatsachen liegen auch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.
Das Berufungsgericht stellt bei seiner Beurteilung, der Zeuge W. sei in die Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden gewesen, darauf ab, daß die Beklagte dem Zeugen Antragsformulare zur Verfügung gestellt habe. Diese Tatsache ist indessen kein ausreichender indizieller Umstand für die Annahme, der Zeuge habe wie ein Agent der Beklagten deren Interessen vertreten; er habe „im Lager” der Beklagten gestanden. Auch ein vom Versicherungsinteressenten beauftragter Makler hat häufig, wenn nicht in der Regel, Antragsformulare zur Verfügung, wobei es nicht darauf ankommt, ob er diese angefordert oder unaufgefordert zugesandt bekommen hat. Die Verwendung eines Antragsformulars eines Versicherers gehört zur Tätigkeit eines jeden Agenten wie auch eines Maklers. Sie dient der organisatorischen Abwicklung beim Zustandekommen des Versicherungsvertrages in jedem Falle, ohne daß daraus geschlossen werden könnte, der Vermittler des Vertrages stehe auf der einen oder anderen Seite. Voraussetzung einer Zurechnung von Wissen, das der Vermittler bei dem Zustandekommen des Vertrages vom Versicherungsinteressenten erhält, ist, daß er vom Versicherer zur Entgegennahme von Erklärungen bevollmächtigt, zumindest vom Versicherer damit betraut ist im Sinne des § 43 Satz 1 VVG (vgl. BGH aaO 197 f.). Diese Voraussetzung ergibt sich nicht schon aus der Tatsache, daß der Vermittler Antragsformulare des Versicherers zur Verfügung hat und von ihnen bei der Vermittlung des Vertrages Gebrauch macht.
Ebensowenig läßt der Vermerk auf dem Versicherungsschein „Sie werden betreut von: B. Assekuranz …” allein oder in Verbindung mit der Verfügung über die Antragsformulare den Schluß zu, die Beklagte habe den Zeugen W. mit der Entgegennahme von Antragserklärungen betraut. Ein solcher Vermerk ist auch dann im Interesse des Versicherungsnehmers wie auch des Vermittlers zweckmäßig, wenn dieser keine agentenähnliche Stellung innehat, sondern Makler ist. Die von einem Makler einmal hergestellte Geschäftsverbindung soll durch einen solchen Vermerk als weiterbestehend gekennzeichnet werden. Der Versicherungsnehmer soll wissen, an wen er sich bei Fragen zu diesem Vertrag oder bei anderen, Versicherungen allgemein betreffenden Fragen wenden kann.
Da es mithin schon an diesen Voraussetzungen einer Wissenszurechnung fehlt, braucht weiter nicht darauf eingegangen zu werden, ob der Zeuge W. sein Wissen über den Konkurs der Sch. GmbH und die Einstellung deren Geschäftsbetriebes bei der Erstellung des Versicherungsantrages (BGH aaO 195) erlangt hat oder ob der Zeuge außerhalb seiner Vertragsvermittlung, etwa weil das von ihm mit einem Dritten betriebene Maklerunternehmen Mieter im Hause der Gemeinschuldnerin war, von dem Konkurs erfahren hatte.
3. Gleichwohl hat das Berufungsurteil Bestand, denn die Beklagte ist aus anderen Gründen nicht wirksam vom Vertrag zurückgetreten.
a) Es ist schon zweifelhaft, ob der Konkurs der Sch. GmbH und die Einstellung des Geschäftsbetriebes gefahrerhebliche Umstände sind, die bei Vertragsschluß anzuzeigen waren. Zwar soll nach § 6 Nr. 4 d der Allgemeinen Bedingungen für die Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung (AERB 87) eine Gefahrerhöhung vorliegen, wenn der Betrieb dauernd oder vorübergehend stillgelegt wird. Damit steht die Gefahrerheblichkeit aber noch nicht fest, wenn es sich bei dem Betrieb ausschließlich um ein mit Möbeln und sonstigen Gegenständen ausgestattetes Büro handelt. Jedenfalls bleibt diese Regelung hier außer Betracht, weil die Geltung der AERB noch nicht vereinbart war, als der Kläger oder der Zeuge W. das Antragsformular ausfüllten. In diesem Formular findet sich eine vorgedruckte Zeile „Geschäfts-/Betriebsart”. Die Beklagte meint, damit habe sie auch Auskunft über den konkreten Geschäftsbetrieb verlangt und mithin auch darüber, ob überhaupt noch geschäftliche Aktivitäten stattfänden. Dieser Auslegung kann nicht zugestimmt werden. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es ankommt (vgl. BGHZ 123, 83, 85), versteht vor dem Hintergrund, daß eine Einbruchdiebstahlversicherung abgeschlossen werden soll, unter diesem vorgedruckten Wortlaut nicht die Frage, ob die Büroräume regelmäßig noch von Kunden aufgesucht und ob in den Räumen noch Geschäfte aktiv betrieben werden. § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG, wonach ein Umstand im Zweifel als gefahrerheblich gilt, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, hilft der Beklagten hier nicht.
b) Im übrigen kann offenbleiben, ob der Konkurs und die Einstellung des Geschäftsbetriebs nach Abwägung aller damit verbundenen Vor- und Nachteile für das versicherte Risiko gefahrerhebliche Umstände sind. Denn selbst wenn man von einer objektiven Gefahrerheblichkeit ausgehen wollte, fehlt es für einen wirksamen Rücktritt an einem Verschulden des Klägers (§ 16 Abs. 3 VVG). Er hat unwidersprochen vorgetragen, bei der Übernahme von Konkursverwaltungen stets neue Versicherungsverträge abgeschlossen zu haben, ohne daß der Konkurs oder das Ruhen des Geschäftsbetriebes zu Risikozuschlägen geführt habe. Ferner hatte der Kläger im vorliegenden Fall einen Dritten mit der regelmäßigen Kontrolle der Geschäftsräume beauftragt. Unter diesen Umständen ist dem Kläger kein Schuldvorwurf daraus zu machen, daß er eine etwaige Gefahrerheblichkeit nicht erkannt hat.
4. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden. Weiterer Sachvortrag der Parteien ist nicht mehr zu erwarten. Die Höhe des in der Berufung noch geltend gemachten Schadens ist nicht angegriffen.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Römer, Dr. Schlichting, Seiffert, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.09.1999 durch Bartelmus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538825 |
DB 2000, 212 |
NJW-RR 2000, 316 |
KTS 2000, 89 |
Nachschlagewerk BGH |
ZMR 2000, 309 |
MDR 1999, 1506 |
NVersZ 2000, 124 |
VersR 1999, 1481 |
ZfS 2000, 67 |