Leitsatz (amtlich)
›Zur Zulässigkeit eines Teilurteils, wenn der Tatrichter einen bestimmten Betrag gemäß § 287 ZPO als Mindestschaden schätzt und zugleich Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Höhe des diesen Betrag übersteigenden Schadens anordnet.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagten sind aufgrund rechtskräftigen Urteils des Berufungsgerichts vom 17. September 1990 verpflichtet, dem Kläger sämtliche Schäden aus einer ärztlichen Behandlung (arterielle Karotisangiographie) vom 21. November 1986 zu ersetzen.
Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger, der früher selbständiger Bäckermeister war, u.a. Ansprüche auf Ersatz von Erwerbsschaden für die Zeit ab 1987 bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres im Jahr 2000 sowie auf Ersatz weiteren materiellen Schadens (insbesondere Fahrtkosten) in Höhe von 20.365, 16 DM sowie eine Pflegegeldverzinsung von 876, 37 DM geltend gemacht.
Der Kläger hat für die Zeit von 1987 bis einschließlich 1991 seinen Erwerbsschaden auf der Grundlage eines für die Jahre 1985 und 1986 errechneten Gewinns von jeweils ca. 70.000 DM mit insgesamt 307.705, 90 DM beziffert und in dieser Höhe eingeklagt. Er hat ferner auf der Grundlage eines von ihm für das Jahr 1991 errechneten Erstattungsanspruchs von 59.614,48 DM für die Zeit ab 1. Januar 1992 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eine monatliche Verdienstausfallrente in Höhe von 4.967, 87 DM begehrt.
Das Landgericht hat zur Höhe des Erwerbsschadens Einholung eines Sachverständigengutachtens beschlossen und zugleich ein Teilurteil erlassen, mit welchem es unter Schätzung eines Mindestschadens von jährlich 30.000 DM netto der Klage in Höhe eines Teilbetrags von 150.000 DM abzüglich am 3. März 1992 gezahlter 50.000 DM sowie hinsichtlich einer Schadensersatzrente von monatlich 2.500 DM vom 1. Januar 1992 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers stattgegeben hat. Die in erster Linie auf Unzulässigkeit des Teilurteils gestützte Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der Revision rügen die Beklagten weiterhin Unzulässigkeit des Teilurteils und erheben Einwendungen gegen die Zuerkennung des Mindestschadens.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hält das Teilurteil für zulässig. Bei konkreter Betrachtung und Auswertung der bereits vorgelegten Unterlagen bestehe nicht die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, auch nicht infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht. Grundlage des Teilurteils und der dortigen Schätzung des Erwerbsschadens seien nämlich die Jahresabschlüsse 1985 und 1986, wonach der Kläger in den beiden Jahren vor dem Schadensereignis jeweils einen von den Beklagten in der Höhe nicht beanstandeten Gewinn von ca. 70.000 DM erzielt habe. Hiervon seien lediglich Erwerbsunfähigkeitsrenten von monatlich 452, 34 DM für 1988, in den Folgejahren steigend bis auf 965, 36 DM für 1994, in Abzug zu bringen, so daß sich für 1991 und 1992 ein Schaden von jeweils durchschnittlich 60.000 DM errechne. Es sei kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß sich diese Entwicklung nach 1992 für den Bäckereibetrieb des Klägers nachteilig verändert habe und der vom Landgericht auf die Hälfte geschätzte Mindestbetrag von 30.000 DM unterschritten werde.
Soweit die Beklagten geltend machten, der Kläger hätte wegen seines schon vor dem Eingriff bestehenden Gesundheitszustandes niemals, jedenfalls nicht vor Mitte 1987 den Bäckereibetrieb wieder aufnehmen können, sei diese Auffassung durch die medizinische Begutachtung in der Vergangenheit widerlegt. Es sei bloße Spekulation der Beklagten, daß der Kläger niemals wieder hätte erwerbstätig sein können. Nach dem Gutachten des Dr. K. habe sich der Verdacht auf eine (hämodynamisch wirksame) Stenose nicht bestätigt, so daß die Möglichkeit einer konservativen Medikamentenbehandlung bestanden habe, wenn auch mit offenem Ergebnis und dem bleibenden Risiko eines Schlaganfalls in der Zukunft. Ob sich dieses Risiko ohne den rechtswidrigen Eingriff jemals verwirklicht hätte, stehe gewissermaßen in den Sternen, wobei die Unaufklärbarkeit zu Lasten der Beklagten gehe. Eine rehabilitationsbedingte Abwesenheit des Klägers bis Mitte März 1987 hätte sich auf den Geschäftsgewinn nicht ausgewirkt, da eine vorübergehende Abwesenheit regelmäßig zu verkraften sei.
Der Kläger müsse sich entgegen der Auffassung der Beklagten den Erlös seines 1989 veräußerten Betriebs nicht anrechnen lassen, weil er ohne den rechtswidrigen Eingriff sowohl den Betrieb als auch den hieraus erzielten Gewinn behalten hätte. Ob er sich Zinserträge aus dem Erlös anrechnen lassen müsse, könne dahinstehen, weil nicht ersichtlich sei, daß er nach Wegfall seiner Existenzgrundlage überhaupt solche Vorteile erzielt habe. Auch Steuerersparnisse bzw. Steuervorteile müsse er sich nicht anrechnen lassen. Selbst wenn dies der Fall sei, wären diese nicht geeignet, den nach Abzug der Renten verbleibenden jährlichen Durchschnittsschaden von ca. 61.000 DM auf weniger als den zuerkannten Mindestbetrag von 30.000 DM zu reduzieren. Das gelte auch für die etwaige Anrechnung ersparter Verpflegungskosten.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Erfolglos bekämpft die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Voraussetzungen für den Erlaß eines Teilurteils gemäß § 301 ZPO vorgelegen hätten. Sie macht zwar mit Recht geltend, daß ein solches Urteil nur dann erlassen werden darf, wenn die Entscheidung durch das über den Rest ergehende Schlußurteil unter keinen Umständen mehr berührt werden kann, so daß die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, auch durch das Rechtsmittelgericht, ausgeschlossen ist (Senatsurteil BGHZ 120, 376, 380; st. Rspr. des BGH, vgl. BGHZ 107, 236, 242; 108, 256, 260, jeweils m.w.N.).
Das wird vom Berufungsgericht auch nicht verkannt. Dessen Auffassung, daß vorliegend die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht bestanden habe, erweist sich unter den besonderen Umständen des Streitfalls als zutreffend. Zwar meint die Revision, es sei bei Erlaß des Teilurteils nicht auszuschließen gewesen, daß die vom Landgericht angeordnete Beweiserhebung über die tatsächliche Höhe des Erwerbsschadens zu einem niedrigeren Betrag als dem geschätzten Mindestschaden führen würde. Indessen sind die Ausführungen des Berufungsgerichts, daß diese Gefahr bei konkreter Betrachtung und Bewertung der bereits vorgelegten Unterlagen ausscheide, dahin zu verstehen, daß das Landgericht sich die Überzeugung verschafft hat, der Schaden betrage zumindestens 30.000 DM jährlich, und daß nur hinsichtlich des übersteigenden Betrags Beweiserhebung angeordnet worden ist. Bei diesem Verständnis ist die der Sache nach auf § 287 ZPO gestützte Ermittlung des Mindestschadens durch den Tatrichter aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, zumal die Revision nicht aufzeigt, daß hierbei Verfahrensfehler unterlaufen wären, und das inzwischen vorliegende Sachverständigengutachten tatsächlich zu einem höheren als dem vom Landgericht geschätzten Mindestschaden gelangt, wie der Kläger auch geltend gemacht hat.
2. Auch die übrigen Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
a) Soweit das Berufungsgericht den Einwand der Beklagten für widerlegt hält, der Kläger hätte wegen seines schon vor dem Eingriff bestehenden Gesundheitsschadens den Bäckereibetrieb niemals, jedenfalls aber nicht vor Mitte März 1987 wieder aufnehmen können, rügt die Revision, das Berufungsgericht sei zu Unrecht den Beweisangeboten der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Auswertung der Krankenunterlagen nicht nachgegangen. Indessen liegt entgegen der Auffassung der Revision keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung darin, daß das Berufungsgericht insoweit auf das Gutachten des Dr. K. verweist, wonach - wenn auch mit offenem Ergebnis - die Möglichkeit einer konservativen Medikamentenbehandlung bestanden habe. Wenn die Revision meint, es sei unter Berücksichtigung der Krankengeschichte nicht ausgeschlossen, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeitsprognose über Veränderungen hätte gestellt werden können, aus denen sich für die Zukunft die Gefahr eines Schlaganfalls hätte ergeben können, erkennt sie selbst, daß sich der Tatrichter in diesem Bereich der Schadensermittlung nach § 287 ZPO mit einem mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeitsgrad begnügen kann. Durchgreifende Verfahrensfehler hat sie insoweit nicht aufgezeigt, zumal die Beklagten die Möglichkeit einer solchen Prognose nicht in einer Weise konkretisiert haben, die eine weitere Begutachtung erforderlich gemacht hätte, und auch die Revision nicht geltend macht, daß eine ungünstige Prognose wahrscheinlich sei.
b) Als unbedenklich erweist sich jedenfalls im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagten seien darlegungs- und beweisbelastet dafür, daß der Kläger auch ohne das Schadensereignis nicht mehr berufsfähig gewesen wäre. Die Revision will insoweit eine sog. Reserveursache geltend machen, wobei sie nicht verkennt, daß hierfür grundsätzlich der Schädiger beweispflichtig ist (Senatsurteil vom 23. Oktober 1984 - VI ZR 24/83 - VersR 1985, 60, 61 f.). Sie sucht indes aus dem Senatsurteil vom 25. April 1972 - VI ZR 134/71 - VersR 1972, 834, 835 eine andere Beweislastverteilung herzuleiten, weil nach dieser Entscheidung die Anwendung der genannten Grundsätze voraussetze, daß die Erwerbsfähigkeit des Geschädigten im Schadenszeitpunkt der Substanz nach noch erhalten gewesen sei. Dabei verkennt sie aber, daß zwar dem Geschädigten der Beweis dafür obliegt, daß ohne das Schadensereignis seine Arbeitsfähigkeit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wiederhergestellt worden wäre. Davon konnte das Berufungsgericht vorliegend jedoch ausgehen, da der Vortrag der Beklagten nicht ausreicht, um demgegenüber einen ungewöhnlichen Verlauf als wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Auch die Revision zeigt das nicht auf, wenn sie lediglich meint, daß unter Berücksichtigung der Krankengeschichte des Klägers eine gewisse Wahrscheinlichkeitsprognose über Veränderungen hätte gestellt werden können, aus der sich für die Zukunft die Gefahr eines Schlaganfalls hätte ergeben können. Das reicht für die insoweit den Beklagten obliegende Darlegung der Wahrscheinlichkeit einer ungünstigen Veränderung nicht aus.
c) Soweit sie die Auffassung des Berufungsgerichts beanstandet, daß eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis Mitte März 1987 gewiß keine nennenswerten Auswirkungen auf den Gewinn gehabt hätte, zeigt die Revision nicht auf, daß der Tatrichter bei seiner insoweit abweichenden Beurteilung erhebliche Gesichtspunkte nicht gewürdigt habe.
d) Die Revision nimmt hin, daß die Vorinstanzen den Verkaufserlös für den Betrieb nicht auf den Erwerbsschaden angerechnet haben, will aber Zinserträge hieraus in Anrechnung bringen. Sie hält die Auffassung des Berufungsgerichts, die Erwirtschaftung solcher Erträge sei nicht ersichtlich, für rechtsfehlerhaft, weil der Kläger den Vortrag der Beklagten, wonach ihm Zinserträge zugeflossen seien, nicht bestritten habe. Indessen hat das Berufungsgericht den Vortrag der Parteien insoweit zutreffend gewürdigt. Die Beklagten haben nämlich lediglich zur Unterstützung ihrer damaligen Auffassung, der Kläger müsse sich den Verkaufserlös anrechnen lassen, Erwägungen darüber angestellt, daß er sich jedenfalls Zinserträge anrechnen lassen müsse, und sind dabei von einem fiktiven Verkaufserlös von 200.000 DM ausgegangen. Demgegenüber stellt die Erwiderung des Klägers, Erträge aus dem Verkaufserlös seien nicht auf den Erwerbsschaden anzurechnen, lediglich eine Rechtsansicht dar und kann unter Berücksichtigung von § 138 Abs. 3 ZPO entgegen der Auffassung der Revision nicht dahin verstanden werden, daß der Kläger die Erzielung solcher Erträge tatsächlich einräume. Im übrigen weist das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, es sei nicht ersichtlich, daß der Kläger überhaupt Zinserträge habe erwirtschaften können, nachdem ihm seine Existenzgrundlage entzogen sei. Dem setzt die Revision nichts entgegen.
e) Soweit die Revision auch im Hinblick auf die von 1992 bis 1994 vom Kläger bezogenen Erwerbsunfähigkeitsrenten und zu erwartende weitere Renten die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen sieht, dürfte dem ein Mißverständnis des angefochtenen Urteils zugrundeliegen. Diesem kann nämlich nicht entnommen werden, daß die von 1992 - 1994 erzielten Renten nicht zu berücksichtigen seien. Die Revision zeigt auch nicht konkret auf, daß der im Teilurteil zuerkannte Rentenanspruch im Hinblick auf abzugsfähige Renten und Ersparnisse des Klägers etwa zu hoch bemessen worden sei. Bei dieser Sachlage war das Rechtsmittel zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993379 |
NJW 1996, 1478 |
BGHR ZPO § 301 Abs. 1 Sschadensersatz 6 |
JZ 1996, 1188 |
MDR 1996, 520 |
VersR 1996, 779 |