Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 22.03.2019; Aktenzeichen 8 Js 186/18 22 Ks 41/18 5 Ss 139/19) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. März 2019 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Sachbeschädigung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachbeschwerde gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet, dass das Landgericht im Fall A.II.1. der Urteilsgründe keinen Tötungsvorsatz angenommen hat. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
Rz. 2
I. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 3
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie die Auslegung der Begründung ergibt, wirksam auf die Tat vom 5. April 2018 (Fall A.II.1. der Urteilsgründe) beschränkt. Sie ist unbegründet, denn die insoweit gebotene sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils deckt keinen Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten auf. Insbesondere begegnet die beanstandete Beweiswürdigung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 4
1. Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 5
Am Abend des Tattages half der Angeklagte, der im Tatzeitraum täglich bis zu einem Gramm Heroin und sieben bis zehn Halbliterflaschen Bier konsumierte, einem ihm aus der K. Obdachlosen- und Drogenszene bekannten betäubungsmittelabhängigen und auf eine Gehhilfe angewiesenen Zeugen, Einkäufe in dessen Wohnung zu bringen. Diese befand sich im Dachgeschoss eines zweieinhalbgeschossigen Mehrparteienwohnhauses. Der aus Haupt- und Hinterhaus bestehende Gebäudekomplex wurde von insgesamt 16 Personen bewohnt, außerdem verkehrten dort regelmäßig weitere Personen aus der Drogen- und Obdachlosenszene. In der Wohnung entwickelte sich zwischen beiden nach dem Genuss je einer Flasche Bier ein Streitgespräch, weil der Zeuge den Angeklagten auf Schulden ansprach. Verärgert schlug der in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkte Angeklagte das Angebot des Zeugen, bei ihm zu übernachten, aus und verließ zwischen 20:00 und 21:00 Uhr die Wohnung. Er begab sich über das hölzerne Treppenhaus in das Erdgeschoss zur Nische vor dem Treppenabgang, in der der Zeuge seinen Rollator abgestellt hatte. Mit seinem Feuerzeug setzte der Angeklagte entweder dort befindliche Gegenstände oder den an der Wand angebrachten Teppichbelag in Brand und verließ das Gebäude.
Rz. 6
Das so entzündete Feuer ergriff die Holzverkleidung der Wände im Treppenraum und die Holztreppe, sodass schließlich das gesamte Treppenhaus – und damit der einzige Fluchtweg für die Personen im Obergeschoss – bis in das Dachgeschoss selbständig brannte. Diese Ausbreitung des Brandes hielt der Angeklagte für möglich und nahm sie ebenso wie eine Gesundheitsbeschädigung der im Haus aufhältigen Personen billigend in Kauf. Während sich ein Teil der Bewohner auf das Dach des Wohnhauses und andere über die Fenster nach draußen retten konnten, verharrte der Zeuge, der nicht in der Lage war, die Wohnung über ein Fenster zu verlassen, mit seinem Sauerstoffgerät am Fenster in seiner Wohnung. Er wurde ebenso wie die Personen auf dem Dach von der alarmierten Feuerwehr gerettet. Drei Hausbewohner erlitten infolge des Brandes leichte Rauchgasvergiftungen. Das Wohnhaus wurde aufgrund erheblicher Brandschäden unbewohnbar.
Rz. 7
2. Das Landgericht hat sich nicht von einem – auch nur bedingten – Tötungsvorsatz des Angeklagten zu überzeugen vermocht. Zwar spreche für einen Tötungsvorsatz namentlich die hohe objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und das Wissen des Angeklagten darum. Die Baumaterialien des Hauses seien im Bereich der Brandlegung leicht entflammbar gewesen, und die Nische, in welcher der Angeklagte das Feuer entzündet habe, habe unter der Holztreppe gelegen, die den einzigen Fluchtweg für die im Obergeschoss anwesenden Personen gebildet habe. Als gegen den Tötungsvorsatz sprechende Umstände hat das Landgericht demgegenüber gewertet, dass er den Brand zu einer Zeit gelegt habe, zu der noch nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass die Bewohner bereits schliefen, und er keinen Brandbeschleuniger verwendet habe. Überdies habe er die Brandlegung nicht geplant, sondern spontan in affektiver Erregung über den vorangegangenen Streit mit dem Zeugen gehandelt. Die weiteren ausgeurteilten Sachbeschädigungen mittels Brandlegung belegten, dass der Angeklagte generell eine niedrige Hemmschwelle zur Legung von Bränden zeige, die er ohne größere Reflektion ins Werk setze, wenn sich die Gelegenheit dazu biete. Schließlich sei kein nachvollziehbares Motiv ersichtlich, den Zeugen zu töten, nachdem dieser ihm vor dem Verlassen der Wohnung noch angeboten habe, dort zu übernachten. Erst Recht sei kein Motiv zur Tötung der weiteren im Haus anwesenden Personen zu erkennen. In einer Gesamtschau der Beweisanzeichen hat die Strafkammer Zweifel hinsichtlich des Vorliegens des kognitiven Vorsatzelementes – Erkennen der möglichen Verursachung des Todes von Hausbewohnern als Folge der Brandlegung – und (jedenfalls) bezüglich einer billigenden Inkaufnahme eines solchen Erfolges durch den Angeklagten nicht überwinden können.
Rz. 8
3. Die Beweiswürdigung, auf deren Grundlage die Strafkammer den Tötungsvorsatz verneint hat, weist nach den Maßstäben sachlichrechtlicher Überprüfung durch das Revisionsgericht keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Insoweit gilt:
Rz. 9
a) Bei der Prüfung des (bedingten) Tötungsvorsatzes ist es aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalls in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2012 – 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524 Rn. 26; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Kann das Tatgericht auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Gleichermaßen Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatgerichts eingreifen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies gilt auch dann, wenn das Tatgericht im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Handlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind (BGH, Urteil vom 20. September 2012 – 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Handlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbstständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145; Beschluss vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91; jeweils mwN).
Rz. 10
b) Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des Landgerichts auch zur subjektiven Tatseite revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
Rz. 11
Die Strafkammer hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die sich aus seiner Persönlichkeit ergebenden Besonderheiten bedacht. Bei seiner Bewertung der Beweistatsachen hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung, es seien lediglich der Brandstiftungsvorsatz und der subjektive Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB feststellbar, mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet. Dabei hat das Landgericht die als wesentlich erachteten Indizien einer auf den Einzelfall bezogenen Gesamtabwägung unterzogen und durchweg mögliche Schlüsse daraus gezogen. Dass die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung dabei als wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes von Bedeutung ist, hat das Tatgericht erkannt; dass es ihr bei der Prüfung der subjektiven Tatseite nicht eine ausschlaggebende indizielle Bedeutung beigemessen hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden (BGH, Urteil vom 20. September 2012 – 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77), zumal es an einem einsichtigen Grund dafür fehlt, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation den Tod der durch den Brand gefährdeten Personen billigend in Kauf genommen hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Wenn auch die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, nicht notwendigerweise von dem Motiv abhing, das ihn zur Tat veranlasste, so kann die Art der Beweggründe für die Prüfung von Bedeutung sein, ob der Angeklagte nach der Stärke des ihn zur Tat treibenden Handlungsimpulses bei seinem Vorgehen den Tod der im Haus befindlichen Personen billigend in Kauf nahm (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22).
Rz. 12
Entgegen der Revisionsbegründung stellt es nach den dargelegten Maßstäben keinen den Bestand des Urteils gefährdenden Widerspruch dar, dass die Strafkammer einerseits das Wissen des Angeklagten um die Möglichkeit einer Gesundheitsbeschädigung angenommen, andererseits aber verneint hat, dass er darüber hinaus auch die Möglichkeit des Todeseintritts erkannte und billigte.
Rz. 13
Die Beweiswürdigung weist schließlich keine revisionsrechtlich bedeutsame Lücke auf. Dass die Strafkammer bei der Gesamtwürdigung aus dem Blick verloren hat, dass zwei Hausbewohner gehbehindert waren und die überwiegende Zahl der Bewohner aus dem Drogen- und Obdachlosenmilieu mit dem aus dem übermäßigen Konsum von Drogen und Alkohol folgenden Lebens- und Schlafgewohnheiten stammte, ist angesichts der detaillierten Darlegungen dazu in den Feststellungen auszuschließen.
Unterschriften
Schäfer, Gericke, Hoch, Anstötz, Ri'inBGH Dr. Erbguth befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer
Fundstellen
Haufe-Index 13792070 |
NStZ 2020, 349 |
NStZ-RR 2020, 314 |
NStZ-RR 2020, 6 |
StV 2020, 588 |