Leitsatz (amtlich)
Zur Verpflichtung eines freien Mitarbeiters, dem Dienstberechtigten Verstöße Dritter gegen ein vertragliches Wettbewerbsverbot anzuzeigen.
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Urteil vom 06.11.1986) |
LG Kaiserslautern |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 6. November 1986 wird zurückgewiesen.
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit es zum Nachteil des Beklagten erkannt hat, und das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 23. Mai 1984 weiterhin abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin stellt wehrtechnische Güter her und vertreibt sie. Der Beklagte war bei ihr von Oktober 1976 bis August 1979 als Werkleiter (Betriebsdirektor) angestellt. Nachdem er das Arbeitsverhältnis gekündigt und sich als freiberuflicher Ingenieur für Betriebsorganisation niedergelassen hatte, wurde er aufgrund mündlicher Vereinbarung weiterhin bis zum 30. Juni 1983 als freier Mitarbeiter für die Klägerin tätig. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte unter anderem die Fertigung einer Faltschwimmbrücke und der dazu notwendigen Arbeitsunterlagen.
Vertreter der Klägerin für Südostasien war seit 1977 G. Hin Sh. (im folgenden: G.), der sich für seine Geschäftstätigkeiten verschiedener von ihm beherrschter Gesellschaften bediente, die unter dem Dach einer in Luxemburg ansässigen Holding-Gesellschaft zusammengefaßt waren. Im März 1978 vermittelte G. der Klägerin einen Auftrag über die Lieferung von militärischen Amphibienfahrzeugen für das Verteidigungsministerium von Singapur. Aus diesem Anlaß schloß die Klägerin am 21. Juli 1978 mit Goh einen förmlichen Vertretervertrag; dabei trat auf Vorschlag G.s als Vertragspartnerin der Klägerin die Firma E. Ltd. (im folgenden: Firma E.) auf, eine zur G.-Organisation gehörende Untergesellschaft mit Sitz in Großbritannien. Durch den Vertrag übertrug die Klägerin der Firma E. die Alleinvertretung für die Länder Singapur, Malaysia, Indonesien, Thailand und Philippinen und sagte ihr die Zahlung von Provision für den bereits vermittelten Auftrag über die Lieferung von Amphibienfahrzeugen sowie für alle künftigen während der Vertragsdauer in dem Vertretungsgebiet abgeschlossenen Geschäfte zu. Die Firma E. verpflichtete sich, während der Dauer der Vereinbarung keinen Wettbewerb zum Nachteil der Klägerin zu treiben und innerhalb des Vertretungsgebiets keine Firmen zu vertreten, die gleiche oder gleichartige Erzeugnisse herstellen oder vertreiben.
Nach dem Vertragsschluß über die Amphibienfahrzeuge verhandelte die Klägerin mit dem Verteidigungsministerium von Singapur über die Lieferung von Faltschwimmbrücken. Dabei wurde sie von ihrem damaligen Geschäftsführer Theodor Ec. vertreten. Dieser schied Ende September 1980 als Geschäftsführer aus, blieb aber aufgrund eines Beratervertrages weiterhin für die Klägerin tätig; zu seinen vertraglichen Aufgaben gehörte insbesondere die Verkaufsförderung und die Auftragsvermittlung für die wehrtechnischen Produkte der Klägerin im Ausland. Auch er unterlag während der Laufzeit des Beratervertrages einem Wettbewerbsverbot.
Bereits 1979 hatten die Ehefrau Ec., G. und eine Verwandte von G. in Singapur die Firma D. Er. W. Pte. Ltd. (im folgenden: DEW) gegründet; Ec. wurde ohne Wissen der Klägerin zum Substitutsdirektor und später zum Direktor dieser Gesellschaft bestellt. Die DEW ihrerseits ist neben einer zum Einflußbereich des singapurischen Verteidigungsministeriums gehörenden Gesellschaft, der Singapore Shipping & Engineering Ltd., als Mitgesellschafterin an der S. D. En. Pte. Ltd. (im folgenden: SDE) in Singapur beteiligt, zu deren Direktoren G. gehört.
Ec. und G. benutzten die Kontakte zum singapurischen Verteidigungsministerium, um von diesem unter Ausschaltung der Klägerin den Auftrag zur Herstellung der Faltschwimmbrücke für die von ihnen gegründeten Gesellschaften zu erhalten. Das Verteidigungsministerium beauftragte im August 1980 die SDE mit der Herstellung eines ersten Versuchssatzes der Faltschwimmbrücke und stellte für den Fall einer erfolgreichen Erprobung einen Lieferauftrag für weitere 17 Geräte in Aussicht. Die SDE wiederum beauftragte die DEW am 27. Oktober 1980 mit der Lieferung von Vorrichtungen sowie eines technischen Datenpakets zum Bau der Faltschwimmbrücke; die Herstellung der dazu notwendigen Konstruktionsunterlagen übernahm ein von Ec. gegründetes Ingenieurbüro, das dazu – nach der Behauptung der Klägerin vom Beklagten gelieferte – Fertigungsunterlagen der Klägerin benutzte. Ebenfalls am 27. Oktober 1980 schloß die SDE mit G., Ec. und dem Beklagten eine Vereinbarung, durch die diese gesamtschuldnerisch die Garantie für die Tauglichkeit der von der DEW zu liefernden Vorrichtungen sowie des technischen Datenpakets übernahmen.
Nach ihrer Darstellung zahlte die Klägerin in Unkenntnis dieser Vorgänge in der Zeit vom 12. November 1980 bis 2. Juli 1981 an die Firma E. Provisionen in Höhe von insgesamt 348.897,35 DM, davon 125.000 DM als Vorauszahlung für einen erst noch zu vermittelnden Auftrag. Die Klägerin ist der Auffassung, daß sie diese Zahlungen nicht mehr geschuldet habe, weil die Provisionsansprüche der Firma E. infolge der ihr zuzurechnenden Wettbewerbsverstöße G.s verwirkt gewesen seien. Der Beklagte, der von diesen Wettbewerbsverstößen spätestens seit dem 27. Oktober 1980 Kenntnis gehabt habe, sei verpflichtet gewesen, sie unverzüglich darüber zu unterrichten. Wegen Verletzung seiner Mitteilungspflicht sei er ihr in Höhe der gezahlten Provisionen schadensersatzpflichtig.
Ihrer Klage auf Zahlung von 348.897,35 DM nebst gestaffelten Zinsen gab das Landgericht bis auf einen Teil des Zinsanspruchs statt; den außerdem gestellten Antrag auf Feststellung einer weitergehenden Schadensersatzpflicht des Beklagten wies es als unbegründet ab. Auf die Berufung des Beklagten erhielt das Berufungsgericht die Verurteilung nur in Höhe von 125.000 DM nebst Zinsen aufrecht und wies im übrigen die Klage ab.
Mit der Revision erstrebt der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage, während die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet, die der Klägerin dagegen unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht führt aus, der Beklagte habe schuldhaft die vertragliche Treuepflicht verletzt, die ihm aufgrund seiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter der Klägerin obgelegen habe. Er habe es spätestens Ende Oktober 1980 pflichtwidrig unterlassen, die Klägerin davon zu unterrichten, daß Ec. und G. über die Firmen DEW und SDE wettbewerbswidrige Aktivitäten entfalteten. Der Beklagte habe davon spätestens bei Unterzeichnung des Garantievertrages vom 27. Oktober 1980 Kenntnis erlangt. Als der für die Fertigung einer Faltschwimmbrücke verantwortliche Mitarbeiter der Klägerin habe er von deren Bemühungen gewußt, mit dem Staate Singapur einen Vertrag über die Lieferung dieser Brücke abzuschließen; er habe deshalb bei Unterzeichnung des Garantievertrages erkennen müssen, daß Ec. und G. treuwidrig zwei Wettbewerber der Klägerin um diesen Auftrag unterstützten. Die leitende Funktion, die er auch als freier Mitarbeiter ausgeübt habe, habe ihn im besonderen Maße verpflichtet, die Interessen der Klägerin wahrzunehmen und sich ihr gegenüber loyal zu verhalten; deshalb hätte er die Unterzeichnung des Garantievertrages ablehnen und der Klägerin die Wettbewerbsverstöße offenbaren müssen.
Durch die Treuepflichtverletzung des Beklagten sei der Klägerin ein Schaden entstanden. Dieser bestehe darin, daß sie nach dem 27. Oktober 1980 noch Provisionsvorauszahlungen von insgesamt 125.000 DM an die Firma E. geleistet habe, die sie bei Kenntnis des wettbewerbswidrigen Verhaltens G.s nicht mehr erbracht hätte. Soweit sie dagegen Provisionszahlungen in Höhe von weiteren 223.897,35 DM für bereits vermittelte und abgewickelte Lieferverträge an die Firma Eurasco geleistet habe, sei ihr kein Schaden entstanden. Denn den Anspruch auf diese bereits verdienten Provisionen habe die Firma E. nicht durch das treuwidrige Verhalten G.s verwirkt.
II.
Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht eine Treuepflichtverletzung des Beklagten begründet, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist nach ihrem eigenen Tatsachenvortrag nicht begründet.
1. Der behauptete Schaden ist nicht dadurch verursacht worden, daß der Beklagte selbst gegen ein vertragliches Wettbewerbsverbot verstoßen oder Betriebsgeheimnisse der Klägerin verraten hat. Einen Schaden, der der Klägerin dadurch entstanden sein könnte, hat sie im vorliegenden Rechtsstreit nicht geltend gemacht. Ihr Schadensersatzanspruch gründet sich darauf, daß der Beklagte ihr pflichtwidrig die Verletzung des mit der Firma E. vereinbarten Wettbewerbsverbots durch G. nicht mitgeteilt und sie deshalb nicht mehr geschuldete Provisionszahlungen an die Firma E. geleistet habe. Die Entscheidung hängt mithin davon ab, ob der Beklagte zu dieser Mitteilung an die Klägerin verpflichtet war.
2. Eine ausdrückliche Bestimmung, die dem Beklagten die Mitteilungspflicht auferlegte, ergibt sich weder aus Gesetz noch aus Vertrag.
a) Der Beklagte stand während der hier maßgebenden Zeit (Oktober 1980 bis April 1982) als freier Mitarbeiter in einem Dienstverhältnis zur Klägerin. Die Vorschriften über den Dienstvertrag (§§ 611 ff BGB) normieren keine Mitteilungspflicht des Dienstverpflichteten. Dasselbe gilt für die Sondervorschriften für kaufmännische (§§ 59 ff HGB) oder gewerbliche Arbeitnehmer (§§ 105 ff GewO), so daß offenbleiben kann, ob der Beklagte als freier Mitarbeiter überhaupt einer dieser Arbeitnehmergruppen zugeordnet werden konnte.
Aus § 666 BGB läßt sich die Mitteilungspflicht ebenfalls nicht herleiten. Nach dieser Vorschrift ist der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen. Auch wenn die Bestimmung gemäß § 675 BGB oder nach dem Grundsatz, daß auskunfts- und rechenschaftspflichtig jeder ist, der fremde Angelegenheiten oder solche, die zugleich fremde und eigene sind, besorgt (vgl. dazu BAG AP Nr. 12 zu § 242 BGB Auskunftspflicht), grundsätzlich für das Dienstverhältnis des Beklagten gegolten haben sollte, kann sie für die hier zu entscheidende Frage nicht herangezogen werden. Die Pflichten aus § 666 BGB beziehen sich auf die dem Verpflichteten übertragenen oder von ihm wahrgenommenen Aufgaben aus dem Geschäftskreis des Geschäftsherrn (vgl. BGHZ 41, 318, 321). Nach dem Vortrag der Klägerin hatte sie den Beklagten auch während seiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter mit den Aufgaben eines Werkleiters beauftragt. Daraus lassen sich Überwachungs- und Mitteilungspflichten nur in bezug auf den Produktionsbereich des von der Klägerin betriebenen Unternehmens ableiten. Dagegen ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß der Beklagte auch Vertriebsaufgaben wahrgenommen hat und daß ihm insbesondere die Beaufsichtigung von Handelsvertretern der Klägerin oblag. Der Tatsachenvortrag der Klägerin genügt mithin nicht, um eine Pflicht des Beklagten aus § 666 BGB zu begründen, ihr eine Verletzung des vertraglichen Wettbewerbsverbots durch die Firma E. oder deren Repräsentanten G. mitzuteilen.
b) Der zwischen den Parteien abgeschlossene Dienstvertrag enthielt nach dem Vortrag der Klägerin ebenfalls keine Bestimmung, die den Beklagten ausdrücklich zur Mitteilung von Vertragsverletzungen der Firma E. oder ihres Vertreters G. verpflichtete. Die Klägerin behauptet unter Bezugnahme auf eine Aktennotiz vom 13. September 1979 und eine vom Beklagten gegengezeichnete Aktennotiz vom 30. April 1982, bei der Umwandlung des Anstellungsvertrages in ein freies Mitarbeiterverhältnis seien lediglich die Arbeitspflicht des Beklagten, die Vergütung und die Beendigung des Vertragsverhältnisses neu geregelt worden. Bezüglich der sonstigen Pflichten, wie der Treue-, Sorgfalts- und Geheimhaltungspflichten sowie des Konkurrenzverbots, hätten dagegen die Bestimmungen des Anstellungsvertrages vom 1. September 1976 weitergegolten. Der Anstellungsvertrag enthält keine Vereinbarung einer hier einschlägigen Mitteilungspflicht. Diese läßt sich auch nicht als Nebenpflicht aus der Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots (§ 4 des Anstellungsvertrages) oder der Verpflichtung zur Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 5 des Vertrages) herleiten. Eine Verletzung dieser Vertragspflichten, wie die Klägerin sie behauptet, mag den Beklagten zwar verpflichten, der Klägerin gemäß § 242 BGB auf Verlangen Auskunft über die von ihm getätigten Geschäfte zu erteilen, um sie in die Lage zu versetzen, die durch die Verletzung des Wettbewerbsverbots oder der Verschwiegenheitspflicht gegen ihn begründeten Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz oder Herausgabe des Erlangten geltend zu machen (vgl. BAG AP Nr. 12 und 13 zu § 242 BGB Auskunftspflicht). Eine Verpflichtung des Beklagten, die Klägerin auf eine Verletzung des vertraglichen Wettbewerbsverbots durch die Firma E. oder deren Vertreter G. hinzuweisen, läßt sich jedoch auch auf diesem Wege nicht begründen.
3. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ergibt sich diese Mitteilungspflicht auch nicht aus einer allgemeinen vertraglichen Treuepflicht des Beklagten.
a) In Rechtsprechung und Schrifttum ist allgemein anerkannt, daß den Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages auch ohne ausdrückliche Vereinbarung eine Reihe von Nebenpflichten, insbesondere Obhuts-, Rücksichts- und Informationspflichten treffen, die unter dem Begriff der Treuepflicht zusammengefaßt werden. Rechtsgrundlage und Grenzen dieser Treuepflicht sind jedoch umstritten. Während früher die Auffassung vorherrschte, die Treuepflicht ergebe sich aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses als eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts 7. Aufl. § 37 I; Nikisch, Arbeitsrecht 3. Aufl. § 34 I 1), werden heute die unter dem Begriff „Treuepflicht” zusammengefaßten Nebenpflichten zunehmend aus allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem alle Schuldverhältnisse beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), abgeleitet (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972; MünchKomm/Söllner, 2. Aufl. § 611 BGB Rdnr. 376; Soergel/Kraft, BGB 11. Aufl. vor § 611 Rdnr. 21; Palandt/Putzo BGB 48. Aufl. § 611 Anm. 4; vgl. auch Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch 5. Aufl. § 53 I 1). Folgt man der Auffassung, die die Treuepflicht aus der besonderen Natur des Arbeitsverhältnisses ableitet, so bedarf die Übertragung der für die arbeitsrechtliche Treuepflicht entwickelten Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Dienstvertrag eines freien Mitarbeiters besonderer Rechtfertigung. Mit dieser Frage hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Sie bedarf auch im Revisionsverfahren keiner Entscheidung. Denn auch wenn man die Grundsätze über die arbeitsvertragliche Treuepflicht auf den hier zu beurteilenden Dienstvertrag anwendet, folgt daraus nicht, daß der Beklagte die Klägerin auf die Verletzung des mit der Firma E. vereinbarten Wettbewerbsverbots durch G. hätte hinweisen müssen.
b) Der Inhalt der Treuepflicht wird in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach dahin umschrieben, der Arbeitnehmer habe die Interessen seines Arbeitgebers zu wahren, alles zu unterlassen, was diesen schädigen könne, und ihm drohende Gefahren abzuwenden (vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 1953 – 4 StR 483/53, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Treuepflicht; BAG AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972; RAG ARS 15, 561, 565; Hueck/Nipperdey a.a.O.; Erman/Küchenhoff, BGB 7. Aufl. § 611 Rdnr. 120). Aus der Schadensabwendungspflicht wird allgemein auch eine Verpflichtung des Arbeitnehmers abgeleitet, dem Arbeitgeber drohende Schäden, auch wenn sie von anderen Dienstverpflichteten ausgehen, anzuzeigen (vgl. Soergel/Kraft, § 611 BGB Rdnr. 78; MünchKomm/Söllner, § 611 BGB Rdnr. 399; Palandt/Putzo, § 611 BGB Anm. 4 a; Jauernig/Schlechtriem, BGB 4. Aufl. § 611 Anm. I 5 b; Hueck/Nipperdey a.a.O.; Schaub a.a.O. § 53 I 4 und II 3; Motzer, Die positive Vertragsverletzung des Arbeitnehmers S. 92 ff). Diese Anzeigepflicht hat jedoch Grenzen. Die vereinzelt vertretene Auffassung, der Arbeitnehmer habe dem Arbeitgeber jeden Schadenseintritt und jede Schadensdrohung zu melden, auch jede ihm bekannt gewordene Unredlichkeit von Arbeitskollegen nach Kräften zu verhindern (vgl. Erman/Küchenhoff, § 611 BGB Rdnr. 120), dehnt die Anzeigepflicht zu weit aus und entspricht nicht der herrschenden Ansicht (vgl. die vorstehenden Rechtsprechungs- und Schrifttumshinweise).
aa) Das Bundesarbeitsgericht hat eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber eine diesen schädigende Handlung eines anderen Dienstverpflichteten anzuzeigen, nur für den Fall bejaht, daß dem Arbeitnehmer entweder allgemein die Überwachung des anderen Dienstverpflichteten übertragen war oder daß ihn wenigstens insoweit eine sogenannte aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht traf (BAGE 6, 82, 83 ff; BAG AP Nr. 57 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Letztere Verpflichtung ist angenommen worden, wenn sich die schädigende Handlung in dem Aufgabenbereich abspielte, mit dem der Arbeitnehmer betraut war, und eine Wiederholungsgefahr bestand.
Im vorliegenden Fall oblag dem Beklagten weder eine allgemeine noch eine aktualisierte Überwachungspflicht in bezug auf die Firma E. und deren Repräsentanten G.. Wie bereits oben ausgeführt wurde, gehörte die Kontrolle der Handelsvertreter der Klägerin nicht zu dem Aufgabenbereich des Beklagen als Werkleiter. Aus der betrieblichen Stellung des Beklagten ergibt sich mithin keine Verpflichtung, eine Verletzung des vertraglichen Wettbewerbsverbots durch die Firma Eurasco und deren Repräsentanten G. anzuzeigen.
bb) Ob ein Arbeitnehmer darüber hinaus in jedem Fall verpflichtet ist, eine den Arbeitgeber schädigende Handlung zu melden, hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offengelassen. Im Schrifttum wird eine allgemeine Verpflichtung, andere Dienstverpflichtete dem Arbeitgeber anzuzeigen, überwiegend abgelehnt, eine Anzeigepflicht jedoch auch über die vorstehend dargestellten Fälle einer vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinaus für solche Fälle bejaht, in denen dem Arbeitgeber erkennbar durch einen anderen Dienstverpflichteten erheblicher Schaden droht (vgl. AK-BGB/Derleder, § 611 Rdnr. 34; MünchKomm/Söllner, § 611 BGB Rdnr. 399; Schaub a.a.O. § 53 II 3; Hueck/Nipperdey a.a.O. § 37 I Fußn. 12; vgl. auch Motzer a.a.O.). Ob dieser Auffassung grundsätzlich gefolgt werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Auch wenn man den der Klägerin durch das Verhalten G.s drohenden Schaden als erheblich ansieht, traf den Beklagten bei dem hier zu beurteilenden Sachverhalt keine Anzeigepflicht.
Nach dem Vortrag der Klägerin beruhte die Kenntnis des Beklagten von der Konkurrenztätigkeit G.s darauf, daß er sich selbst unter Verletzung seiner vertraglichen Verschwiegenheitspflicht und des auch mit ihm vereinbarten Wettbewerbsverbots an dem von G. und Ec. betriebenen Konkurrenzunternehmen beteiligte. Durch eine Anzeige der Konkurrenztätigkeit G.s hätte er mithin der Klägerin sein eigenes vertragswidriges Verhalten offenbaren müssen. Eine Pflicht, sich selbst zu bezichtigen, kann aber aus der Treuepflicht nicht hergeleitet werden (RAG ARS 15, 561, 565 ff; Soergel/Kraft § 611 BGB Rdnr. 78; Hueck/Nipperdey a.a.O. § 37 I Fußn. 12 a.E.). Eine Pflicht zur Selbstbezichtigung wäre für den Dienstverpflichteten unzumutbar und würde daher die der Treuepflicht als vertraglicher Nebenpflicht durch § 242 BGB gezogenen Grenzen überschreiten.
4. Da das dem Beklagten vorgeworfene Unterlassen einer Anzeige mithin nicht pflichtwidrig war, fehlt dem von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch die Grundlage. Die Klage muß in vollem Umfang abgewiesen werden, ohne daß es noch auf die von beiden Revisionen ebenfalls aufgeworfene Frage des Schadensumfangs ankäme.
Unterschriften
Merz, Henkel, Winter, Schmitz, Kreft
Fundstellen
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1989, 528 |
JZ 1989, 402 |