Leitsatz (amtlich)
In der Zwangsvollstreckung steht dem Schuldner ein Tilgungsbestimmungsrecht nach § 366 Abs. 1 BGB nicht zu.
Normenkette
BGB § 366 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Aktenzeichen 3 U 94/97) |
LG Aachen (Aktenzeichen 11 O 315/96) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Januar 1998 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus einer Grundschuldbestellungsurkunde. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Zur Finanzierung einer Betriebsgründung gewährte die Kreissparkasse A., deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, dem Neffen der Klägerin, B. M., sowie dessen Ehefrau in den Jahren 1984 und 1985 vier Darlehen in Höhe von insgesamt 533.000 DM. Aus diesem Anlaß bestellte die Klägerin mit vollstreckbarer notarieller Urkunde vom 27. Dezember 1994 eine Grundschuld im Betrag von 170.000 DM an ihrem Grundstück in Mü. zugunsten der Kreissparkasse A.. Nach Ziffer 6 der Urkunde sowie nach einer später abgegebenen Zweckerklärung der Klägerin sollte die Grundschuld zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen der Kreissparkasse A. aus der Geschäftsverbindung mit den Eheleuten M. dienen. Die Eheleute M. stellten der Kreissparkasse A. verschiedene weitere Sicherheiten, darunter eine Grundschuld von 400.000 DM an ihrem Betriebsgrundstück in R., und nahmen über die genannten vier Darlehen hinaus weiteren Kredit in Anspruch.
Im Jahre 1996 gerieten die Eheleute M. mit ihren Zins- und Tilgungsleistungen in Verzug. Die Beklagte kündigte die Darlehen und erwirkte die Zwangsversteigerung des Betriebsgrundstücks der Eheleute M. in R.. Mit einem sowohl an die Beklagte als auch an das Amtsgericht A. gerichteten Schreiben vom 21. April 1997 erklärte der Schuldner M., daß der Versteigerungserlös sowie der Wert einer von der Beklagten als Ersteherin übernommenen Grundschuld vorrangig auf die Restsalden der vier Darlehen aus den Jahren 1984 und 1985 verrechnet werden solle. Die Beklagte teilte dem Schuldner M. schriftlich mit, daß sie den ihr verbleibenden Teil des Versteigerungserlöses auf die Restschulden aus anderen Darlehen M.s verrechne. Die Zwangsvollstreckung in das Grundstück der Klägerin betreibt die Beklagte wegen Restsalden der oben genannten vier Darlehen in Höhe von insgesamt 263.582,56 DM.
Die Klägerin hält die weite Umschreibung des Sicherungszwecks der von ihr bestellten Grundschuld in der Grundschuldbestellungsurkunde sowie in der gesonderten Zweckerklärung wegen Verstoßes gegen § 3 AGBG für unwirksam und behauptet, ihr gegenüber sei nur von einem Kreditvolumen von 450.000 DM die Rede gewesen. Außerdem macht sie geltend, die Restschulden der Eheleute M. aus den oben genannten vier Darlehen seien infolge der Erklärung des B. M. vom 21. April 1997 aus dem Versteigerungserlös des Betriebsgrundstücks in R. beglichen worden und damit erloschen.
Das Landgericht hat der Vollstreckungsgegenklage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat die Vollstreckungsgegenklage für unbegründet gehalten und im wesentlichen ausgeführt:
Der Beklagten stehe als Rechtsnachfolgerin der Kreissparkasse A. gegen die Eheleute M. eine von der dinglichen Haftung der Klägerin umfaßte restliche Darlehensforderung von mindestens 170.000 DM zu. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob Ziffer 6 der Grundschuldbestellungsurkunde sowie die spätere Zweckerklärung insoweit wirksam seien, als in ihnen eine dingliche Haftung der Klägerin auch für künftige Forderungen gegen die Eheleute M. vorgesehen gewesen sei. Die Klägerin hafte mit ihrer Grundschuld jedenfalls in Höhe von mindestens 170.000 DM für die Restsalden der vier Darlehen aus den Jahren 1984 und 1985, weil diese vier zur Finanzierung der Betriebsgründung vergebenen Darlehen zumindest im Umfang von insgesamt 450.000 DM durch den Sicherungszweck gedeckt seien, dem die Grundschuld nach der ursprünglichen und unstreitigen Sicherungsabrede habe dienen sollen.
Die Forderungen aus den genannten Restsalden, deren Richtigkeit im übrigen nicht mehr umstritten sei, seien nicht durch Verrechnung mit dem Zwangsversteigerungserlös des Betriebsgrundstücks in R. erfüllt worden. Die Tilgungsbestimmung des Darlehensschuldners M. sei unwirksam gewesen, weil die Befugnis nach § 366 Abs. 1 BGB dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung nicht zustehe. Stattdessen sei der genannte Versteigerungserlös aufgrund der mit den Grundsätzen des § 366 Abs. 2 BGB übereinstimmenden Erklärung der Beklagten auf andere Darlehensforderungen gegen die Schuldner M. verrechnet worden.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
1. Soweit das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, daß jedenfalls bis zu der umstrittenen Tilgungsbestimmung des Schuldners M. Darlehensrestsalden im Umfang von mindestens 170.000 DM durch den Sicherungszweck der Grundschuld gedeckt waren, greift die Revision das Berufungsurteil nicht an. Rechtsfehler sind auch insoweit nicht ersichtlich.
2. Ebenfalls mit Recht hat das Berufungsgericht die Tilgungsbestimmung des Schuldners M. für unwirksam und die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung des Erlöses aus der Zwangsversteigerung des Betriebsgrundstücks in R. mit anderen Schulden der Eheleute M. für wirksam gehalten. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung eine Befugnis zur Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB nicht zusteht.
a) Die Frage, ob § 366 Abs. 1 BGB auch in der Zwangsvollstreckung anwendbar ist, ist umstritten. Überwiegend wird sie verneint (OLG Köln JR 1962, 340; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate 2. Aufl. § 7 I 3 b; MünchKomm-Heinrichs, 3. Aufl. § 366 BGB Rdn. 5; Palandt/Heinrichs, BGB 58. Aufl. § 366 Rdn. 9; RGRK-Weber, BGB 12. Aufl. § 366 Rdn. 3). Einige Stimmen billigen dem Schuldner dagegen auch in der Zwangsvollstreckung das Recht zur Tilgungsbestimmung zu (Clemente, Recht der Sicherungsgrundschuld 2. Aufl. Rdn. 570; Staudinger/Olzen, BGB 13. Bearb. § 366 Rdn. 5, 6).
b) Der erkennende Senat verneint mit der herrschenden Meinung ein Tilgungsbestimmungsrecht des Schuldners in der Zwangsvollstreckung. Bereits der Wortlaut des § 366 Abs. 1 BGB läßt erkennen, daß die Befugnis zur Tilgungsbestimmung nur dem Schuldner zustehen soll, der zur Erfüllung seiner Pflichten tätig wird, wobei der Zeitpunkt der Ausübung grundsätzlich mit dem Zeitpunkt dieser Tätigkeit („bei der Leistung”) übereinstimmen muß. Diese Auslegung der Vorschrift erscheint auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten angemessen. Es wäre schwer verständlich, wenn die in dem Tilgungsbestimmungsrecht liegende Vergünstigung nicht nur dem Schuldner zugute käme, der wenigstens einen Teil der geschuldeten Leistungen erbringt, sondern auch demjenigen, der pflichtwidrig nicht leistet und daher im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen werden muß.
Die Vorschriften der §§ 815 Abs. 3, 819 ZPO rechtfertigen entgegen der Ansicht der Revision eine andere Auslegung nicht. Nach diesen Vorschriften „gilt” in der Mobiliarzwangsvollstreckung die Wegnahme von Geld und die Empfangnahme von Versteigerungserlösen durch den Gerichtsvollzieher „als Zahlung von seiten des Schuldners”. Die Reichweite der genannten Fiktionen, die im einzelnen umstritten ist (MünchKomm ZPO-Schilken § 815 Rdn. 9 ff. m.w.Nachw.), dürfte über die Bestimmung des Zeitpunkts für den Gefahrübergang (Schilken aaO) und für den Eintritt der Erfüllungswirkung (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1983 - VIII ZR 169/82, WM 1983, 1337, 1338) kaum hinauszugehen. Für die Auslegung des § 366 Abs. 1 BGB, der erkennbar auf eigene Aktivitäten des Schuldners abstellt, haben sie keine Bedeutung.
Einem Tilgungsbestimmungsrecht des Schuldners in der Zwangsvollstreckung stehen auch die unhaltbaren Auswirkungen entgegen, zu denen ein solches Recht führen kann. Das zeigt der vorliegende Fall besonders deutlich. Hier wäre es dem Schuldner M., der seiner Kreditgeberin mit Grundschulden an einem eigenen Grundstück und an dem Grundstück der Klägerin zwei dingliche Sicherheiten verschafft hatte, im Falle der Anerkennung seiner Tilgungsbestimmung möglich gewesen, der Gläubigerin eine der beiden Sicherheiten ersatzlos aus der Hand zu schlagen. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur unbillig gegenüber der Gläubigerin. Es hätte auch die unerwünschte Folge, daß Banken und Sparkassen zur Vermeidung derartiger Nachteile in vergleichbaren Fällen, in denen von Dritten gestellte Sicherheiten für einen Teil der notleidenden Verbindlichkeiten eines Kreditnehmers bestehen, künftig in aller Regel von der rechtlichen Möglichkeit (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1997 - XI ZR 176/96, WM 1997, 1247, 1249) Gebrauch machen, zuerst die Drittsicherungsgeber – bei denen es sich häufig um aus altruistischen Motiven eingetretene Verwandte handeln wird – in Anspruch zu nehmen und erst danach gegen den Kreditnehmer vorzugehen.
Unterschriften
Schimansky, Dr. Bungeroth, Nobbe, Dr. van Gelder, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.02.1999 durch Bartholomäus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539502 |
BGHZ |
BGHZ, 391 |
BB 1999, 762 |
DB 1999, 1059 |
DStR 1999, 602 |
NJW 1999, 1704 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 684 |
WuB 1999, 853 |
ZAP 1999, 339 |
ZIP 1999, 550 |
DNotZ 1999, 636 |
InVo 1999, 148 |
JA 1999, 915 |
MDR 1999, 701 |
Rpfleger 1999, 286 |
VuR 1999, 208 |
ZInsO 1999, 229 |
ZBB 1999, 96 |