Entscheidungsstichwort (Thema)
Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 27. Januar 2000 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen (Ka., Kar. und Ki.) und zwei Mitangeklagte (N. und C. B.) zu Jugendstrafen verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er macht insbesondere geltend, dem Urteil liege eine unzulässige Absprache zugrunde. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Verfahrensrügen
Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Sie beruhen auf folgenden Verfahrensvorgängen:
Der Hauptverhandlungstermin war auf den 27. Januar 2000, 9.00 Uhr und zwei weitere Tage bestimmt worden. Die Hauptverhandlung begann jedoch erst um 13.15 Uhr und endete nach der Urteilsverkündung um 17.15 Uhr.
Am Vormittag fand auf Initiative des Gerichts ab 9.00 Uhr im Beratungszimmer ein Gespräch mit den Verteidigern und dem Staatsanwalt darüber statt, ob mit Geständnissen der Angeklagten zu rechnen sei und welche Strafen zu erwarten seien. Bei diesem Gespräch waren, wie die dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter und des Staatsanwalts belegen, auch die Schöffen anwesend. Nachdem geklärt war, daß mit Geständnissen der Angeklagten zu rechnen sei, teilte der Staatsanwalt zunächst mit, welche Strafen er unter diesen Umständen beantragen werde. Die Verteidiger hatten Gelegenheit, ihre Vorstellungen darzulegen. Danach äußerte auch das Gericht seine Vorstellungen zum Strafmaß. Hierauf entstand eine Diskussion über die Strafen, die Strafzumessungskriterien, den Schuldumfang und Rechtsfragen für die einzelnen Angeklagten. Dabei ermäßigte der Staatsanwalt das von ihm zunächst genannte Strafmaß deutlich. Da die Vorstellungen der Verteidiger noch immer zugunsten der Angeklagten hiervon abwichen, kam es zu einem „regelrechten Feilschen” um die Höhe der Strafen. Dabei nahm das Gericht eine vermittelnde Position zwischen den Verteidigern und dem Staatsanwalt ein. Für den Angeklagten Ka., der bei dem Heroingeschäft ein Stilett mitgeführt hatte und auch noch wegen eines zweiten Heroinverkaufs angeklagt war, wurde nach einer Begründung gesucht, den als bewaffnetes Handeltreiben (§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) angeklagten Fall als minder schwer nach § 30 a Abs. 3 BtMG zu werten, um die angestrebte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren zu ermöglichen.
Das Gericht zog sich daraufhin zu einer Vorberatung zurück. Die Verteidiger konnten inzwischen mit den Angeklagten den bisherigen Sachstand erörtern. Nach der Vorberatung teilte der Vorsitzende die für den Fall von Geständnissen zu erwartenden Strafen mit: für den Angeklagten Ka. eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, für die Angeklagten Kar. und K. jeweils vier Jahre und für den Angeklagten Ki. drei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe sowie jeweils zwei Jahre Jugendstrafe für die beiden Angeklagten B.. Die Strafe für den Angeklagten Ki. wurde auf Verlangen des Staatsanwalts noch um drei Monate heraufgesetzt. Die Verteidigerin des Angeklagten K. war auch nach erneuter Diskussion mit dem für ihn vorgesehenen Verfahrensausgang nicht einverstanden. Die übrigen Verteidiger dagegen billigten das in Aussicht gestellte Ergebnis und sagten Rechtsmittelverzicht zu.
Die Hauptverhandlung begann mit dem Aufruf der Sache um 13.15 Uhr. Das Vorgespräch im Beratungszimmer wurde in der Hauptverhandlung nicht erwähnt. Die Angeklagten wurden zur Person und Sache vernommen. Die Angeklagten K. und Ki. trugen ihre Einlassungen persönlich vor, die übrigen Angeklagten ließen ihre Einlassung durch ihre Verteidiger vortragen. Der Beschwerdeführer legte ein Teilgeständnis ab. Er räumte zwar ein, als Kurier 500–600 g Heroinzubereitung zum Weiterverkauf aus den Niederlanden nach Gießen gebracht zu haben, er bestritt jedoch, in der Wohnung der Angeklagten Kar. am Strecken und Portionieren des Rauschgifts mitgewirkt und eine Teilmenge in der Wohnung versteckt zu haben. Die übrigen Angeklagten räumten den Anklagevorwurf ein. Alle Angeklagten äußerten sich auf Fragen ergänzend zur Sache. Außerdem wurde Beweis erhoben u.a. durch Verlesen von Behördengutachten und des Berichts einer Justizvollzugsanstalt. Die Jugendgerichtshilfe wurde gehört. Der Staatsanwalt beantragte die bei dem Vorgespräch zuletzt genannten Strafen. Die Verteidigerin des Beschwerdeführers beantragte hiervon abweichend eine niedrigere Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verteidiger der Angeklagten Kar. beantragte ebenfalls eine gegenüber dem Antrag des Staatsanwalts geringere Strafe von drei Jahren und sechs Monaten. Im übrigen schlossen sich die Verteidiger dem Antrag des Staatsanwalts an oder stellten keinen ausdrücklichen Antrag. Das Landgericht verhängte die von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafen. Mit Ausnahme des Beschwerdeführers verzichteten alle Angeklagten auf Rechtsmittel.
1. Rüge nach § 261 StPO, Verstoß gegen die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Hauptverhandlung sowie des fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens.
Die Revision macht geltend, es liege eine unzulässige Absprache vor. Dem Gericht sei es untersagt, sich auf einen „Vergleich im Gewand eines Urteils” sowie auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit” einzulassen. Insbesondere hätte im Rahmen der Absprache die zu verhängende Strafe nicht fest zugesagt werden dürfen. Das sei hier aber geschehen. Das informelle Vorgespräch habe – nicht zuletzt aufgrund seiner Länge – die eigentliche Hauptverhandlung vorweggenommen. Die am Nachmittag „nachgeholte” Hauptverhandlung sei durch die Absprache und das bereits festgelegte Ergebnis geprägt gewesen. Für den Angeklagten und seine Verteidigerin habe keine Möglichkeit mehr bestanden, Einfluß auf das Ergebnis des Verfahrens zu nehmen. Die Beweisaufnahme habe nur noch der Form, aber nicht der eigentlichen Urteilsfindung gedient. Die Verurteilung des Angeklagten K. beruhe auf der unzulässigen Absprache und der darin liegenden Verletzung der genannten Prozeßmaximen.
Die Revision beanstandet zwar zu Recht den in den dienstlichen Äußerungen bestätigten Verlauf des Vorgesprächs, das wegen seiner Intensität und Dauer, insbesondere wegen des „Feilschens” um die Höhe der Strafen, durchaus an einen „Handel mit der Gerechtigkeit” denken läßt. Unzulässig war es auch, den Verteidigern bestimmte Strafen und nicht nur eine Strafobergrenze in Aussicht zu stellen. Von Seiten der Verteidiger der Mitangeklagten war es zudem unzulässig, im voraus einen Rechtsmittelverzicht zuzusagen (vgl. BGHSt 43, 195, 205, 207). Die Strafkammer und auch der Staatsanwalt wären verpflichtet gewesen, ein Ausufern des Gesprächs zu verhindern und es gegebenenfalls abzubrechen.
Trotz des nicht unbedenklichen Gesprächsverlaufs ist die Rüge im Ergebnis insgesamt unbegründet. Denn das Zustandekommen einer Absprache über den Verfahrensausgang und ein daraus folgender Verfahrensfehler sind nicht nachgewiesen. Das Landgericht hat weder gegen die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Hauptverhandlung verstoßen, noch hat es die Prinzipien eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens mißachtet.
Mit dem Angeklagten K. und seiner Verteidigerin ist schon nach dem eigenen Vorbringen der Revision eine Absprache nicht zustande gekommen. Die Verteidigerin war bereits bei dem „Vorgespräch” mit dem in Aussicht gestellten Verfahrensergebnis nicht einverstanden, weil sie für ihren Mandanten eine noch geringere Strafe erreichen wollte. Grundlage dieses Gesprächs war zudem, daß der Angeklagte den Tatvorwurf umfassend einräumt. Das hat er in der Hauptverhandlung jedoch nicht getan. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hat er lediglich ein Teilgeständnis abgelegt.
Für die Mitangeklagten des Beschwerdeführers ist das Zustandekommen einer Absprache nicht erwiesen. Eine Verständigung war zwar nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich der Beschwerdeführer als einer von mehreren Angeklagten weigerte, sich daran zu beteiligen (vgl. BGHSt 37, 99, 103). Das Landgericht hat aber den Verlauf des „Vorgesprächs” dahin gewertet, daß eine Verständigung über den Verfahrensausgang nicht zustande gekommen war. Es hat deshalb die Hauptverhandlung unabhängig von diesem Gespräch durchgeführt. Dies ergibt sich aus den dienstlichen Erklärungen der beteiligten Berufsrichter, insbesondere der Richterin am Landgericht Br. und des Richters am Amtsgericht Dr. N., in Verbindung mit dem Verlauf der Hauptverhandlung. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich, daß eine vierstündige Hauptverhandlung stattfand, in der die Angeklagten vernommen, Beweise erhoben und die Jugendgerichtshilfe gehört wurden. Es fehlt an jedem Anhalt dafür, daß dabei die strafprozessualen Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit mißachtet wurden und unter Verstoß gegen § 261 StPO Verfahrensstoff bei der Urteilsfindung verwendet wurde, der nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war. Allerdings war die Hauptverhandlung gegenüber dem ursprünglichen Terminplan des Landgerichts erheblich dadurch erleichtert, daß die Mitangeklagten nunmehr den Anklagevorwurf durchweg einräumten, während sie ihre Tatbeteiligung bis dahin – mit Ausnahme der Mitangeklagten Kar. – bestritten hatten. Der Angeklagte K. räumte wie schon im Zwischenverfahren ein, das Heroin aus den Niederlanden eingeführt zu haben, bestritt aber, in der Wohnung der Mitangeklagten Kar. beim Strecken und Portionieren mitgewirkt zu haben. Soweit einige der Mitangeklagten zunächst durch ihre Verteidiger eine Erklärung zur Sache abgeben ließen und erst danach ergänzend befragt wurden, war dies nicht unzulässig. Erklärungen des Verteidigers für den anwesenden Angeklagten, denen der Angeklagte nicht widerspricht, können dem Angeklagten selbst zugerechnet werden (vgl. BGH NStZ 1994, 449 = StV 1994, 468). In der Hauptverhandlung hatten der Beschwerdeführer und seine Verteidigerin Gelegenheit, die Mitangeklagten zu befragen und Beweisanträge zu stellen. Beweisanträge wurden in der Hauptverhandlung jedoch auch von dem Angeklagten K. und seiner Verteidigerin nicht gestellt. Fragen an die Mitangeklagten lassen sich dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht entnehmen und werden auch von der Revision nicht behauptet. Warum für den Angeklagten und seine Verteidigerin unter diesen Umständen keine Möglichkeit mehr bestanden haben soll, auf das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen und daß die Beweisaufnahme nur noch der Form, aber nicht der eigentlichen Urteilsfindung gedient habe, ist eine unbewiesene Behauptung, die auch in der Revisionsbegründung nicht näher konkretisiert wird. Das Teilgeständnis des Angeklagten K. in der Hauptverhandlung entsprach im wesentlichen der Einlassung, die er über seine Verteidigerin bereits im Zwischenverfahren gegeben hatte. Soweit er bestritt, am Strecken und Portionieren des Heroins in der Wohnung der Mitangeklagten Kar. mitgewirkt zu haben, widersprach das der Einlassung, die diese Mitangeklagte bereits unmittelbar nach ihrer Festnahme bei der polizeilichen Vernehmung am 10. Juni 1999 gegeben hatte und die sie auch in der Hauptverhandlung bestätigte. Das angefochtene Urteil setzt sich hinreichend mit den abweichenden Einlassungen der Angeklagten K. und Kar. auseinander und begründet, warum es der Einlassung der Mitangeklagten Kar. folgt. Danach besteht kein Anlaß anzunehmen, die Beweisaufnahme habe nur der Form, aber nicht der eigentlichen Urteilsfindung gedient. Da sich in der Hauptverhandlung keine gegenüber dem Vorgespräch und der Vorberatung neuen dem Angeklagten günstigen Umstände ergaben, war das Vorgehen des Landgerichts auch nicht im Nachhinein deshalb bedenklich, weil das schließlich gefundene Ergebnis des Urteils der Prognose entsprach (vgl. BGHSt 42, 46, 50; 43, 195, 208) und die Mitangeklagten auf Rechtsmittel verzichteten.
Da eine Absprache nicht zustande gekommen war, erübrigte es sich auch, das Ergebnis des „informellen Vorgesprächs” in die Hauptverhandlung einzuführen und ins Protokoll aufzunehmen, wie dies beim Zustandekommen einer Verständigung geboten gewesen wäre (vgl. hierzu BGHSt 43, 195, 206).
2. Rügen nach § 338 Nr. 1, 5 und 6 und § 33 StPO, § 169 GVG.
Diese Rügen sind gegenstandslos, weil das Zustandekommen einer Absprache über den Verfahrensausgang nicht erwiesen ist.
II. Sachrüge
Die aufgrund der nicht näher ausgeführten Sachrüge gebotene Prüfung des angefochtenen Urteils läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Die Begründung, mit der das Landgericht die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten Ki. belastenden Einlassung der Mitangeklagten Kar. bejaht hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Bemessung der bei dem festgestellten Unrechts- und Schuldgehalt milden Freiheitsstrafe. Es ist auszuschließen, daß sie zum Nachteil des Angeklagten von dem vor der Hauptverhandlung geführten Gespräch beeinflußt wurde.
Unterschriften
Jähnke, RiBGH Detter ist infolge Urlaubs verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Jähnke, Bode, Rothfuß, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 584447 |
StV 2001, 554 |