Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeit eines gemeinschaftlichen Testaments

 

Leitsatz (amtlich)

Der erbvertraglich oder durch gemeinschaftliches Testament gebundene Erblasser mißbraucht die ihm verbliebene Befugnis zu lebzeitigen Verfügungen nicht, wenn er Schenkungen an Dritte in dem Bestreben vornimmt, damit gerade die Interessen und Vorteile des begünstigten Vertrags- oder Schlußerben wahrzunehmen.

 

Normenkette

BGB § 2287

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 1979 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der 54 Jahre alte Kläger steht wegen Debilität unter Vermögenspflegschaft. Seine Eltern, die 1971 vorverstorbene Mutter und der am 27. Februar 1975 verstorbene Vater (Erblasser), hatten sich durch gemeinschaftliches Testament von 1955 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und außerdem bestimmt, daß der Gesamtnachlaß, falls der überlebende Ehegatte wieder heirate, nach dessen Tod an den Kläger fallen solle. Am 30. Oktober 1969 errichteten die Eltern ein weiteres gemeinschaftliches Testament, in dem es heißt:

"Wir ... setzen uns gegenseitig zu unbeschränkten Alleinerben ein.

Nach dem Tode des Längstlebenden von uns soll unser beiderseitiger Nachlaß an unseren Sohn ... (Kläger) fallen, der Erbe des überlebenden Teils, nicht etwa Nacherbe des Erstversterbenden von uns beiden sein soll.

Zum Testamentsvollstrecker nach dem Tode des Längstlebenden von uns beiden ernennen wir ... (den Streithelfer), dem die Verwaltung des Nachlasses bis zum Tode des ... (Klägers) übertragen wird. Damit soll Gewähr dafür gegeben sein, daß bis zum Tode unseres Sohnes ... unser ... (Stammhaus) nicht verkauft wird und nur in Notfällen belastet wird. Der Testamentsvollstrecker soll den Lebensunterhalt unseres Sohnes durch entsprechende Vermietung und Verpachtung unseres Anwesens sicherstellen ....

Unsere früheren letztwilligen Verfügungen sind durch dieses gemeinschaftliche Testament widerrufen."

Nach dem Tode der Mutter des Klägers heiratete der Erblasser am 23. August 1972 die Beklagte. Er schenkte ihr aufgrund notariellen Vertrages vom 31. Januar 1973 einen 5/8-Miteigentumsanteil an dem "Stammhaus" unter Nießbrauchsvorbehalt. Dieses Stammhaus hatte bis zum Tode der Mutter des Klägers anscheinend je zur Hälfte im Miteigentum seiner Eltern gestanden.

Seit dem Tode des Erblassers wird der debile und alkoholsüchtige Kläger von der Beklagten versorgt.

Mit der 1978 erhobenen Klage verlangt der Kläger, im Rechtsstreit vertreten durch den Pfleger, von der Beklagten im Wege der Teilklage Übertragung eines 1/8-Miteigentumsanteils des ihr geschenkten Anteils an dem genannten Anwesen. Der Testamentsvollstrecker ist dem Rechtsstreit als Streithelfer auf seiten des Klägers beigetreten.

Der Kläger und der Streithelfer machen geltend, das gemeinschaftliche Testament von 1969 sei nur ein Scheintestament und schon aus diesem Grunde nichtig. Sie stützen sich ferner darauf, daß der Kläger das Testament wegen Irrtums seiner Mutter bei der Testamentserrichtung angefochten habe. Die Beklagte habe das Geschenk aber auch deshalb herauszugeben, weil der Erblasser die Stellung des Klägers durch die Schenkung ohne lebzeitiges Eigeninteresse beeinträchtigt habe.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Erblasser habe seine Verfügungsfreiheit durch die Schenkung nicht mißbraucht. Er habe vielmehr auf diese Weise sicherstellen wollen, daß sie den Kläger auch nach dem Tode des Erblassers versorgen und betreuen werde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichteten Berufungen des Klägers und des Streithelfers zurückgewiesen und ihnen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte auferlegt. Dagegen haben der Kläger und sein Streithelfer Revision eingelegt; sie verfolgen den Klageantrag weiter. Hilfsweise beantragt der Kläger festzustellen, daß der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt sei.

 

Entscheidungsgründe

I.

Zu entscheiden ist nicht über zwei Revisionen, sondern nur über eine einzige, nämlich über diejenige des Klägers.

Der Streithelfer kann gemäß § 67 ZPO alle Prozeßhandlungen vornehmen und also auch Rechtsmittel einlegen und begründen, soweit er sich damit nicht in Widerspruch zu den Erklärungen und Handlungen der von ihm unterstützten Partei setzt. Er wird dadurch aber nicht selbst Partei oder Rechtsmittelkläger; vielmehr gilt das Rechtsmittel nach den Grundsätzen der §§ 66, 67 ZPO als für die unterstützte Partei eingelegt (BGHZ 49, 183, 196). Daher handelt es sich, wenn sowohl der Streithelfer als auch die unterstützte Partei Berufung einlegen, nicht um zwei verschiedene Rechtsmittel, sondern um ein einziges (nämlich um dasjenige der Hauptpartei), über das nur einmal entschieden werden kann (BGH, Urteil vom 26.03.1982 - V ZR 87/81 - NJW 1982, 2069; Beschluß vom 20.03.1985 - IVa ZB 1/85 - VersR 1985, 551; Beschluß vom 27.06.1985 - III ZB 12/85 - VersR 1985, 1088). Bei der Revision ist das nicht anders.

Einer Entscheidung über die Revision ist der Senat nicht etwa dadurch enthoben, daß die Parteien sich über den Streitgegenstand verglichen hätten. Die Parteien haben zwar über einen Vergleich verhandelt; ein solcher ist aber nicht zustandegekommen.

Den mit Schriftsatz der Beklagten vom 2. Oktober 1981 unterbreiteten und nach Darstellung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch am 8. Januar 1985 wiederholten Vergleichsvorschlag hat der Kläger erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Traunstein vom 17. April 1985 angenommen. Zu dieser Zeit konnte der Vergleichsvorschlag aber nicht mehr angenommen werden (§ 147 Abs. 2 BGB). Die verspätete Annahme gilt gemäß § 150 Abs. 1 BGB als neuer Vertragsantrag; diesen hat die Beklagte am 17. April 1985 sogleich abgelehnt.

II.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Das Oberlandesgericht geht in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. Mai 1976 (FamRZ 1977, 347) davon aus, die Erbfolge nach dem Erblasser richte sich nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 30. Oktober 1969. Es hält die Anfechtung dieses Testaments für nicht durchgreifend. Zwar sei der Kläger anfechtungsberechtigt. Es sieht aber nicht als nachgewiesen an, daß der Mutter des Klägers bei der Errichtung des Testaments von 1969 entgangen sei, daß dieses - anders als das vorangegangene gemeinschaftliche Testament von 1955 - keine Wiederverheiratungsklausel enthielt. Insoweit ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Zutreffend ist aber gerügt, daß das Berufungsgericht das Vorbringen zur Anfechtung damit nicht vollständig gewürdigt hat. Die Anfechtung war auch darauf gestützt, daß beide Ehegatten von dem Erstableben des Vaters des Klägers ausgegangen seien jedenfalls aber davon, daß dieser nicht wieder heiraten werde. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat dieses Vorbringen als nicht bewiesen angesehen. Der Kläger und der Nebenintervenient haben ihren Vortrag aber auch im vorliegenden Verfahren (Bl. 6, 10 d.A.) aufgegriffen und im Berufungsverfahren wiederholt (Bl. 137 f. d.A.). Es bestand daher Anlaß, auch auf diesen Vortrag im Berufungsurteil einzugehen. Das Berufungsgericht wird das nachzuholen haben. Dabei wird besonders zu prüfen sein, ob die Mutter des Klägers durch den behaupteten Irrtum zu der Verfügung von Todes wegen von 1969 bestimmt worden ist. Die Aussage der Zeugin F. im Erbscheinsverfahren, auf die die Revision sich hierzu stützt, reicht für eine derartige Feststellung möglicherweise nicht aus. Die Revision scheint in diesem Zusammenhang nicht genügend zu berücksichtigen, daß die Eltern des Klägers bereits 1955 über ihren Nachlaß verfügt und damals den Kläger nur für den Fall zum Nacherben bestimmt hatten, daß der überlebende Elternteil sich wiederverheiratete. Wenn es richtig ist, daß der Vater des Klägers erklärt hatte, keinesfalls wieder heiraten zu wollen, und daß die Mutter den Kläger unter allen Umständen besser stellen wollte, bestand durchaus Anlaß, den Kläger in einem neuen gemeinschaftlichen Testament unbedingt zum Erben oder Nacherben einzusetzen. So gesehen brachte das gemeinschaftliche Testament von 1969 durchaus eine Besserstellung für den Kläger mit sich. Ob sich klären läßt, wie die Mutter des Klägers sich verhalten hätte, wenn sie sich nicht in dem behaupteten Irrtum befunden hätte, liegt in der Verantwortung des Tatrichters.

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung gibt der Senat folgende Hinweise:

1.

Sollte sich ergeben, daß die Mutter des Klägers nicht nach dem gemeinschaftlichen Testament von 1969, sondern nach demjenigen von 1955 beerbt worden ist, der Vater des Klägers infolge seiner Heirat mit der Beklagten also nur Vorerbe seiner ersten Ehefrau war, dann könnte die Übertragung des Miteigentumsanteils an dem "Stammhaus" an die Beklagte gemäß § 2113 BGB unwirksam sein, soweit der Anteil zur Vorerbschaft gehörte. Jedenfalls wäre insoweit ein Rückübertragungsanspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung in Betracht zu ziehen, gegen den die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht durchgreifen könnte.

2.

Mit guten Gründen hebt die Revision hervor, daß es nahelag, das gemeinschaftliche Testament von 1969 ergänzend dahin auszulegen, daß dem Längstlebenden eine Verfügung über das der besonderen Sicherung des Klägers zugedachte Anwesen untersagt war. Eine derartige Auslegung würde der Klage aber trotzdem nicht zum Erfolg verhelfen können. Dem Kläger ist als Alleinerbe seines Vaters dessen etwaige Pflichtverletzung selbst zuzurechnen; die Beklagte kann er insoweit nicht in Anspruch nehmen.

3.

Sollte es dabei bleiben, daß die vom Kläger erklärte Testamentsanfechtung nicht durchgreift und daß die Erbfolge daher weiterhin nach dem gemeinschaftlichen Testament von 1969 zu beurteilen ist, dann wird es darauf ankommen, ob dem Kläger ein Anspruch gemäß § 2287 BGB zusteht.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dem Erblasser sei es bei der genannten Schenkung an die Beklagte vor allem darum zu tun gewesen sicherzustellen, daß die Beklagte in Zukunft (gemeint ist: nach seinem Tode) die Pflege und Betreuung des Klägers übernehme; dieser könne nicht ohne eine solche persönliche Wartung und Beaufsichtigung sein. Dieses Motiv hat das Berufungsgericht als lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt und demgemäß einen Anspruch gemäß § 2287 BGB verneint. Das läßt die Revision nicht gelten.

Es bedarf hier keiner Entscheidung darüber, ob das vom Berufungsgericht festgestellte Motiv als ein sogenanntes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers anerkannt werden könnte, oder ob es sich nicht eher um ein postmortales Interesse, und zwar ein primär fremdes Interesse handelt. Die vom Bundesgerichtshof seit BGHZ 59, 343 in ständiger Rechtsprechung verwendete Formel vom lebzeitigen Eigeninteresse dient der Abgrenzung derjenigen Verfügungen des erbvertraglich oder durch gemeinschaftliches Testament gebundenen Erblassers, die der Vertrags- oder Schlußerbe hinnehmen muß, von solchen, die einen Bereicherungsanspruch gemäß § 2287 BGB auslösen. Diese Grenze verläuft dort, wo der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen (§ 2286 BGB) mißbraucht (BGHZ 59, 343, 350; 77, 264, 266; 82, 274, 282; 83, 44, 45, 51). Ein derartiger Mißbrauch liegt nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung hatte. Das schließt aber nicht aus, daß ein Mißbrauch der dem Erblasser verbliebenen Befugnis zu lebzeitigen Verfügungen im Einzelfall auch sonst verneint werden muß. Das gilt vor allem dann, wenn der Erblasser - wie es hier festgestellt ist - die Schenkung vorgenommen hat aus dem Bestreben, gerade den Vorteil des begünstigten Vertrags- oder Schlußerben wahrzunehmen. Die Bedenken der Revision dagegen, daß der Übertragungsvertrag vom 31. Januar 1973 keinerlei Hinweis auf die von der Beklagten übernommene Versorgung des Klägers enthält, sind unbegründet. Wenn die Beklagte die Versorgung des Klägers ohne triftigen Grund einstellen sollte, läge es nicht fern anzunehmen, daß die Geschäftsgrundlage für den Vertrag vom 31. Januar 1973 damit entfallen wäre.

Auf die gegen die angeführte Feststellung des Berufungsgerichts gerichteten Verfahrensrügen der Revision kommt es nicht an. Das Berufungsgericht hat Gelegenheit, bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu prüfen, ob die Feststellung auch unter Berücksichtigung der genannten Rügen getroffen werden kann. Die Beweislast hat nach den in BGHZ 66, 8 entwickelten Grundsätzen insoweit der Kläger zu tragen.

Ob die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede gegenüber einem Anspruch aus § 2287 BGB durchgreift, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls zu prüfen haben.

4.

Das Berufungsgericht hat nicht nur die Berufung des Klägers, sondern auch diejenige seines Streithelfers zurückgewiesen. Das ist rechtlich bedenklich. Insoweit wird auf Abschnitt I der Entscheidungsgründe verwiesen.

Nicht rechtsfehlerfrei ist es aber auch, wenn das Berufungsgericht die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte des Kläger und seinem Streithelfer auferlegt hat. Die Kosten des von einem unselbständigen Nebenintervenienten eingelegten erfolglosen Rechtsmittels sind vielmehr, wenn die unterstützte Hauptpartei am Rechtsmittelverfahren teilgenommen hat, dieser selbst aufzuerlegen (BGHZ 49, 184, 195). Ein Streithelfer hat in einem solchen Falle nach § 101 ZPO nur die durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.

 

Unterschriften

Rottmüller

Dr. Lang

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456459

DNotZ 1987, 115

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