Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 26.03.1997)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 26. März 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen

Arzt, auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte war als Mitglied dar Kassenärztlichen Vereinigung B. aufgrund einer Vereinbarung zwischen dieser und der Klägerin vom 11. Juli 1985 berechtigt, einen gegenständlich bezeichneten Teil seines Praxisbedarfs als sog. pro-statione-Bedarf für jeweils drei Monats unmittelbar bei der Klägerin anzufordern. Dieser Bedarf wurde im Auftrag und auf Kosten der Klägerin von der inzwischen in Konkurs gefallenen Firma Dr. R. W. unmittelbar an den Beklagten geliefert. Der übrige, von der Vereinbarung nicht betroffene Praxisbedarf mußte vom Beklagten ebenso wie von den anderen Kassenärzten selbst beschafft und bezahlt werden und galt für die Anspruchsberechtigten der Klägerin durch die Abrechnung der Krankenscheine als abgegolten.

Die Klägerin legt dem Beklagten zur Last, er habe vom 20. Januar 1986 bis 1. August 1989 in deliktischem Zusammenwirken mit der Firma Dr. R. W. in einem unzulässigen „Umrechnungsverfahren” aufgrund fingierter Bedarfsanforderungen anstelle von pro-statione-Bedarf auf ihre Rechnung andere Waren durch Direktlieferung der Firma Dr. R. W. bezogen, wofür diese eine Gewinnbeteiligung von 10 bis 20 % erhalten habe. Der Beklagte oder seine Mitarbeiter hätten jeweils durch Unterschrift den ordnungsgemäßen Erhalt von genehmigtem prostatione-Bedarf bestätigt, obwohl tatsächlich in Höhe von insgesamt 75.155,20 DM auf Kosten der Klägerin sonstiger Praxisbedarf geliefert worden sei. Insoweit sei dem Beklagten jedenfalls als positive Vertragsverletzung anzulasten, daß er nicht den ordnungsgemäßen Erhalt des Sprechstundenmaterials kontrolliert und die Lieferscheine ungeprüft unterschrieben habe.

Den genannten Betrag nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 66.129,18 DM seit dem 19. Januar 1993 (Zustellung des Mahnbescheids) sowie von 9.026,02 DM seit dem 10. Oktober 1995 macht die Klägerin als Schadensersatzforderung gegen den Beklagten geltend.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat unter Hinweis auf § 17 a Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 GVG die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs bejaht, den geltend gemachten Anspruch jedoch verneint. Soweit der Anspruch auf deliktisches Verhalten des Beklagten nach § 823 BGB gestützt werde, stehe ihm die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen, weil die Klägerin schon bei Erstattung der Strafanzeige vom 16. Oktober 1989 bis auf die Schadenshöhe alle anspruchsbegründenden Tatsachen gekannt habe, so daß ihr Antrag vom 28. Dezember 1992 auf Erlaß eines Mahnbescheides die bereits eingetretene Verjährung nicht mehr habe unterbrechen können.

Soweit vertragliche Ansprüche in Betracht kämen, handele es sich bei der Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Kassenärztlichen Vereinigung B. vom 11. Juli 1985 um einen Gesamtvertrag nach § 83 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der nach § 95 Abs. 3 und 4 SGB V für die beteiligten Vertragsärzte und mithin auch für den Beklagten unmittelbar verbindlich sei. Inwieweit sich hieraus für den Beklagten eine vertragliche Nebenpflicht auf Eingangskontrolle ergeben habe, wie sie vom Landgericht als Grundlage der Haftung bejaht worden sei, könne dahinstehen. Zwar sei eine „blinde” Empfangsbestätigung der geltend gemachten Art grundsätzlich geeignet, Schadensersatzansprüche auszulösen. Indessen sei ein Schaden der Klägerin nicht ersichtlich, weil die Kassenpatienten insgesamt ordnungsgemäß mit den typischerweise anfallenden Verbandmitteln und Materialien versorgt worden seien und die Klägerin diese Patienten ohnehin auf ihre Kosten habe versorgen müssen. Deshalb sei nicht verständlich, wieso der Beklagte entsprechend dem Vortrag der Klägerin im Umfang der Klageforderung „doppelt kassiert” haben solle.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Vortrag der Klägerin lasse nicht erkennen, daß ihr ein Schaden entstanden sei.

a) Das Berufungsgericht hat die Entstehung eines Schadens in erster Linie mit der Erwägung verneint, angesichts der bei den Bestellungen von pro-statione-Bedarf jeweils erfolgten Bedarfsprüfung durch die Klägerin sei davon auszugehen, daß der betreffende, an den Beklagten gelieferte Bedarf vom Umfang her der Zahl der von ihm behandelten Kassenpatienten entsprochen habe, die von der Klägerin ohnehin auf ihre Kosten zu versorgen gewesen seien. Dem hält die Revision jedoch entgegen, daß tatsächlich keine Überprüfung der Anforderungen nach den Werten der konkreten Arztpraxis erfolgt, sondern vielmehr ein Durchschnittsverbrauch zugrunde gelegt worden sei, so daß der vom Berufungsgericht unterstellte konkrete Bezug zur Versorgung der zu Lasten der Klägerin gehenden Kassenpatienten nicht gegeben sei. Eine zahlenmäßige Entsprechung scheide auch deshalb aus, weil der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag den über die Klägerin bezogenen pro-statione-Bedarf auch für andere Patienten, z.B. solche der Ersatzkassen, verwendet habe. Jedenfalls sei es aufgrund der Bewilligung von pro-statione-Bedarf nach Durchschnittssätzen möglich gewesen, daß der Beklagte größere Zuteilungen erhalten habe, als für die Versorgung der AOK-Patienten benötigt worden sei. Dies hat der Beklagte sowohl in den Tatsacheninstanzen wie auch in der Revisionserwiderung ausdrücklich eingeräumt.

b) Bei dieser Sachlage kann die Entstehung eines Schadens bei der Klägerin jedenfalls nicht mit der Argumentation des Berufungsgerichts verneint werden, daß von einer zahlenmäßigen Entsprechung zwischen dem genehmigten pro-statione-Bedarf und den Anspruchsberechtigten der Klägerin auszugehen sei. Die Revision verweist insoweit auf den Klägervortrag, wonach der Beklagte im Zusammenwirken mit der Lieferfirma mehr pro-statione-Bedarf angefordert habe, als für die Behandlung der von der Klägerin zu versorgenden Patienten erforderlich gewesen sei, im Umfang der Differenz aber sonstigen Praxisbedarf bezogen habe, den er andernfalls selbst auf seine Kosten hätte beschaffen müssen. Bei dieser Handhabung kann der Klägerin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein Schaden entstanden sein. Zutreffend weist die Revision nämlich darauf hin, daß die in der Vereinbarung vom 11. Juli 1985 gegenständlich bezeichneten Materialien des pro-statione-Bedarfs nach Nr. 1 Satz 2 der Vereinbarung ausschließlich zur Verwendung für die ambulante Behandlung von Anspruchsberechtigten der Klägerin zu verwenden sind und daß nach Nr. 1 Satz 3 die Verwendung für andere Patienten und nach Nr. 12 auch der ersatzweise Bezug anderer Mittel oder Artikel unzulässig ist. Damit waren die Direktlieferungen des pro-statione-Bedarfs vom Gegenstand wie auch vom Umfang her – nämlich entsprechend der Zahl der vom Beklagten behandelten Anspruchsberechtigten der Klägerin – festgelegt. Unter diesen Voraussetzungen kann ein Schaden der Klägerin sowohl darin liegen, daß im Rahmen der Direktlieferungen anderer, von der Vereinbarung nicht erfaßter und mithin vom Beklagten selbst zu finanzierender Praxisbedarf geliefert worden ist, als auch darin, daß pro-statione-Bedarf in größerem Umfang geliefert worden ist, als es der Zahl der AOK-Patienten entsprach, weil nur diese auf Kosten der Klägerin zu versorgen waren.

Ausgehend vom Vorbringen der Klägerin liegt der Schaden jedenfalls darin begründet, daß sie – infolge der zu unterstellenden Vertragsverletzung des Beklagten – für die Lieferung von Waren gezahlt hat, auf die der Beklagte ihr gegenüber keiner Anspruch hatte. Wenn dieser demgegenüber einwendet, die Zählungen hätten dem Wert des pro-statione-Bedarfs entsprechen, der benötigt worden sei und den die Klägerin hätte bezahlen müssen, so muß – was das Berufungsgericht verkannt hat – der Beklagte dies im einzelnen darlegen und notfalls beweisen.

2. Hierauf kann es jedoch nur ankommen, wenn ein auf Vertragsverletzung gestützter Anspruch nicht ebenfalls mit der vom Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung behaftet ist, wobei die insoweit beanstandungsfreien Ausführungen des Berufungsgerichts zur Verjährung eines deliktischen Anspruchs von der Revision nicht in Zweifel gezogen Werden. Ob auch vertragliche Ansprüche verjährt sind, vermag der erkennende Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend zu beurteilen.

Zwar würde die regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 195 BGB auch beim Zusammentreffen von Ansprüchen aus Delikt und Vertrag (vgl. hierzu BGHZ 66, 315, 319) und insoweit auch bei Ansprüchen aus der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten Geltung haben, wie das Berufungsgericht sie für den Streitfall in Erwägung gezogen hat. Indessen erscheint die Anwendbarkeit von Verjährungsvorschriften des BGB für den vorliegenden Anspruch schon im Ansatz zweifelhaft, weil es sich nach den rechtsfehlerfreien und von der Revision ebenfalls nicht angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts um einen sozialrechtlichen Vertrag handelt. Bei solchen Verträgen kann nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf die Vorschriften des BGB, die im Sozialrecht bei fehlender oder unvollständiger Regelung analog angewendet werden können, nur insoweit zurückgegriffen werden, als näher stehende Regelungen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 27. Januar 1987 – 6 Rka 27/86 – MedR 1988, 47, 49 m.w.N.; BSGE 76, 117, 118 und 79, 97, 100 f.). Da es im Sozialrecht an einer speziellen Verjährungsvorschrift für einen Schadensersatzanspruch der geltend gemachten Art fehlt, könnte nach den Grundsätzen, die das Bundessozialgericht für einen dem Streitfall vergleichbaren Regreßanspruch der Krankenkasse gegen einen Arzt aufgestellt hat (BSGE 79, 97, 100 f.), in analoger Anwendung von Verjährungsvorschriften des SGB eine vierjährige Verjährungsfrist in Betracht kommen. Dies setzt jedoch nach der genannten Entscheidung voraus, daß im jeweiligen Einzelfall die Voraussetzungen einer Analogie gegeben sind und insbesondere keine speziellen vertraglichen Regelungen über die Verjährung vorliegen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Januar 1987, a.a.O.). Insoweit könnten im Streitfall etwaige Vereinbarungen über Verjährungsfristen zwischen der Klägerin und der Kassenärztlichen Vereinigung B. vorrangig sein, zu denen bisher keine Feststellungen getroffen worden sind und zu deren Vortrag durch die Parteien bisher auch keine Veranlassung bestanden hat.

III.

Sollte sich der geltend gemachte Anspruch hiernach als ganz oder teilweise nicht verjährt erweisen, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob und ggf. in welcher Höhe den Beklagten eine Verpflichtung zum Schadensersatz trifft, wobei zur Klarstellung darauf hinzuweisen ist, daß der von der Klägerin in den Tatsacheninstanzen erhobene Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens des Beklagten mit der Lieferfirma nicht schon deshalb entfällt, weil einem auf Delikt gestützten Anspruch die Verjährungseinrede entgegensteht, sondern daß ein solches Verhalten auch im Rahmen vertraglicher Beziehungen eine haftungsbegründende Pflichtverletzung darstellen kann. Bei dieser Prüfung wird das Berufungsgericht ggf. auch auf den vom Beklagten erhobenen Einwand eines Mitverschuldens der Klägerin einzugehen haben.

 

Unterschriften

Groß, Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler

 

Fundstellen

Haufe-Index 1398939

VersR 1998, 1163

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