Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Urteil vom 24.03.1998) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 24. März 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger leistete Mitte der achtziger Jahre in der damaligen Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) als Finanzoffizier Dienst. Im Sommer 1986 traten bei ihm Gehbeschwerden auf. Auch therapeutische Maßnahmen führten nicht zu einer Besserung des Zustandes. Nach Prüfung der Beschwerden durch eine Gutachterkommission wurde der Kläger als dienstuntauglich und erwerbsunfähig eingestuft und die bei ihm festgestellte Krankheit – nach Feststellung der Gutachter eine Polymyositis – als Diensterkrankung von der NVA anerkannt. Mit Schreiben vom 16. Februar 1988 teilte die Staatliche Versicherung der DDR dem Kläger mit, daß er dem Grunde nach einen Anspruch auf Schadensersatz sowie Ausgleich für die eingeschränkte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gemäß § 338 ZGB habe. Mit Bescheid vom 3. Mai 1989 bewilligte die NVA dem Kläger eine Rente.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz des durch die gezahlte Rente nicht abgedeckten Verdienstausfallschadens in Anspruch. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 42.820,77 DM nebst 4 % Zinsen zu zahlen. Ferner möchte er festgestellt haben, daß die Beklagte ihm zum Ersatz allen materiellen und immateriellen Schadens – soweit nicht auf Sozialversicherer oder sonstige Dritte übergegangen – verpflichtet ist, der ihm aus der Teilnahme an der Truppenübung der NVA im Sommer 1986 entstehen wird.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Die Klage scheitert nicht daran, daß der Kläger sie unmittelbar gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung gerichtet hat.
Diese ist für etwaige weitere Ansprüche des Klägers die richtige Beklagte.
1. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keinen Direktanspruch gegen die Beklagte. Gemäß § 264 Abs. 1 ZGB sei die Beklagte als Haftpflichtversicherer der NVA dieser als ihrem Versicherungsnehmer gegenüber verpflichtet gewesen, durch Zahlung an den Kläger die ihr obliegende Versicherungsleistung zu erbringen. Ein direkter Anspruch des Klägers als Geschädigten sei nicht vorgesehen gewesen. Ein solcher direkter Anspruch sei auch durch das Regulierungsverhalten der Beklagten und der Deutschen Versicherungs-AG A. in der Folgezeit nicht entstanden. Auch sei – anders als das Landgericht gemeint habe – eine Haftung der Beklagten nicht aus einem Vertrauenstatbestand herzuleiten. Diesen Ausführungen des Berufungsgerichts kann nicht beigetreten werden.
2. a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger könne einen etwaigen Anspruch nicht unmittelbar gegen die Beklagte richten, steht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen, wie sie in dem Urteil vom 25. September 1996 (IV ZR 288/95 – VersR 1997, 49) zum Ausdruck gekommen ist. Auch in dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Falle hat der Anspruchsteller seine Klage unmittelbar gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung gerichtet, ohne daß ihm deshalb der Erfolg zu versagen war. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof keinen Anlaß, die Möglichkeit eines unmittelbaren Anspruchs gegen die Beklagte näher zu begründen, weil die Parteien jenes Rechtsstreits darum nicht stritten.
b) Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Haftpflichtversicherer der NVA gewesen sei und die Beklagte deshalb auch als Haftpflichtversicherer vom Kläger in Anspruch genommen werde. Das ist indessen nicht richtig. Es geht hier um die Inanspruchnahme der Beklagten als Träger einer Personenversicherung, so daß ein unmittelbarer Anspruch nicht ausgeschlossen ist.
Der Anspruch des Klägers auf Versicherungsleistungen ergibt sich aus § 5 der Anweisung Nr. 12/80 des Ministeriums der Finanzen vom 29. Juli 1950, die gemäß Art. 232 EGBGB § 1 maßgebend bleibt. Die Haftung für den geltend gemachten Versicherungsanspruch wurde im Zuge der deutschen Einigung auf die Beklagte übergeleitet. Durch § 2 des Gesetzes über die Errichtung der „Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik in Abwicklung” sind die Rechte und Pflichten des Versicherers aus den privaten Versicherungsverhältnissen, die bis zum 30. Juni 1990 entstanden sind, auf die Beklagte übertragen worden.
Nach § 5 der Anweisung wird Versicherungsschutz gewährt für materielle Nachteile, die Angehörige der Dienststellen aufgrund eines durch einen Dienstunfall oder eine Diensterkrankung eingetretenen Personenschadens erleiden, für den keine materielle Verantwortlichkeit der Dienststellen für die Zufügung des Schadens besteht. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das ergibt sich aus der „Dienstbeschädigungsliste bei Unfall/bei Erkrankung” vom 9. Oktober 1987. Auf deren Rückseite hat die NVA unter dem 23. Dezember 1987 die Polymyositis, eine Autoimmunerkrankung mit Manifestation an der Muskulatur, als Diensterkrankung anerkannt. Für diese Erkrankung besteht keine materielle Verantwortlichkeit der NVA. Damit steht aber auch fest, daß die Beklagte nicht als Haftpflichtversicherer der NVA für die Diensterkrankung des Klägers einzutreten hat, so daß sich die Frage nicht stellt, ob der Kläger einen Anspruch unmittelbar gegen einen Haftpflichtversicherer richten kann.
Nach § 264 ZGB wird die Versicherungseinrichtung durch eine Haftpflichtversicherung verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, für den der Versicherungsnehmer oder der Versicherte nach den Rechtsvorschriften verantwortlich ist. Dem entspricht § 3 der Anordnung über die Bedingungen für die Pflichtversicherung der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. November 1969 (Gesetzblatt der DDR vom 20. Dezember 1969, Teil II Nr. 101 S. 679, 682). § 3 Abs. 1 der Anordnung besagt unter der Überschrift „Haftpflichtversicherung”, daß der Versicherungsschutz die Befriedigung berechtigter und die Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche umfaßt, die aufgrund von Rechtsvorschriften über die materielle Verantwortlichkeit gegen die Staatsorgane erhoben werden.
Der Kläger nimmt die Beklagte als Versicherer einer Personenversicherung in Anspruch, die seine Ansprüche als versicherte Person unmittelbar deckt. Nach § 265 Abs. 1 ZGB wird durch eine Personenversicherung die Versicherungseinrichtung verpflichtet, die durch Vertrag oder Rechtsvorschriften bestimmte Leistung zu zahlen. Gemäß § 265 Abs. 2 ZGB hat der Versicherte den Anspruch auf die Leistung. Versicherter des sich aus § 5 der Anweisung Nr. 12/80 ergebenden Anspruchs ist nach § 1 Abs. 2 lit. a der Anweisung der Angehörige und zivile Mitarbeiter der Dienststellen, für die die Anweisung gilt. Das ist nach § 1 Abs. 1 lit. e auch das Ministerium für nationale Verteidigung. Damit steht einem unmittelbaren Anspruch des Klägers als Versicherter gegen die Beklagte als Personenversicherer nichts entgegen.
Da die Beklagte den Anspruch des Klägers auch der Höhe nach bestritten hat, muß die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Römer, Dr. Schlichting, Seiffert, Ambrosius
Fundstellen
Haufe-Index 1398925 |
VIZ 2000, 179 |
NVersZ 1999, 589 |
VersR 1999, 1091 |