Leitsatz (amtlich)
Der geschäftsführende Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft muß in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben.
Orientierungssatz
Hier: Nutzung der Chance zum Erwerb des Geschäftsgrundstücks des Gesellschaftsunternehmens nicht für die Gesellschaft, sondern für die Ehefrau des geschäftsführenden Gesellschafters.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. Oktober 1984 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Paderborn vom 12. April 1983 wird zurückgewiesen, soweit es den Feststellungsantrag betrifft.
Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung gesellschaftsvertraglicher Pflichten und begehrt die Feststellung, daß er das ursprünglich gemeinsame Gesellschaftsunternehmen zu Recht übernommen habe. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien waren Gesellschafter einer OHG, die unter der Firma Gebrüder H. Textileinzelhandelsgeschäfte in P. und Bad L. betrieb. Die Gesellschaft war mit Wirkung vom 1. Januar 1959 aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Brüder H. (bestehend aus dem Beklagten, dem Vater des Klägers und F. H.) hervorgegangen. Nach dem Ausscheiden ihres Bruders F. im Jahre 1965 führten der Beklagte und der Vater des Klägers die Gesellschaft zunächst fort. Noch im Jahre 1965 übertrug der Vater des Klägers seinen Gesellschaftsanteil mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung auf den am 26. Dezember 1964 geborenen Kläger.
In dem neu gestalteten Gesellschaftsvertrag vom 1. August 1965 wurde festgelegt, daß die Parteien die beiden Textilgeschäfte in P. und Bad L. fortführen; die Geschäftsführung wurde dem Beklagten übertragen. Die Gesellschaft wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen und konnte von jedem Gesellschafter unter Einhaltung einer Frist von drei Jahren zum 31. Dezember eines Jahres gekündigt werden (§ 4). Der kündigende Gesellschafter sollte aus der Gesellschaft ausscheiden und sein Abfindungsguthaben in fünf gleichen Jahresraten, beginnend mit dem Tage des Ausscheidens, ausgezahlt erhalten (§§ 9, 10).
Den wichtigsten Teil des Gesellschaftsunternehmens bildete das im Haus W.-straße in P. betriebene Textileinzelhandelsgeschäft. Das Anwesen stand im Eigentum der Erbengemeinschaft S. Seit 1956 bestand darüber ein notarieller Pachtvertrag, der mit Wirkung vom 1. Juli 1967 durch einen notariellen Mietvertrag ersetzt wurde. Als Pächter und Mieter war der Beklagte benannt; den Pacht- und Mietzins (von zuletzt 5.000 DM monatlich) zahlte die OHG. Der Mietvertrag war auf die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen und verpflichtete den Vermieter, das Geschäftsgrundstück im Falle des Verkaufs dem Mieter vorher schriftlich anzubieten; dasselbe sollte für den Fall gelten, daß der Vermieter beabsichtigte, das Mietobjekt nach Ablauf des Vertrages weiterzuvermieten.
Die Erbengemeinschaft bot im Jahre 1976 dem Beklagten das Grundstück zum Kauf an. Durch notariellen Kaufvertrag vom 16. Dezember 1976 erwarb die Ehefrau des Beklagten das Grundstück; den Kaufpreis von 500.000 DM und Nebenkosten von rund 50.000 DM zahlte der Beklagte. Die am 27. Februar 1978 als Eigentümerin eingetragene Ehefrau des Beklagten kündigte den Mietvertrag gegenüber der OHG zum 31. Dezember 1978, setzte ihn dann aber doch (gegen einen höheren Mietzins von 7.000 DM monatlich) bis zum Ausscheiden des Beklagten Ende 1982 fort.
Im Dezember 1979 kündigte der Beklagte das Gesellschaftsverhältnis und zusammen mit seiner Ehefrau das Mietverhältnis über das Geschäftsgrundstück W.-straße 32 jeweils zum 31. Dezember 1982. Seit April 1983 wird in diesen Räumen von einer Gesellschaft, an der der Beklagte und seine Familienangehörigen beteiligt sind, das „Modehaus H.” betrieben.
Der Kläger erklärte unter Bezugnahme auf die §§ 9, 10 des Gesellschaftsvertrages die Übernahme des Unternehmens. Der Beklagte hat sich damit einverstanden erklärt, daß der Kläger die Firma fortführt und die Aktivwerte aus der Liquidationsmasse übernimmt. Er hat jedoch bestritten, daß dem Kläger ein Übernahmerecht zustehe. Der Kläger hat deshalb beantragt festzustellen, daß er das Unternehmen „Firma Gebrüder H.” zu Recht übernommen habe. Im Hinblick auf den Verlust des Geschäftsgrundstücks W.-straße hält er den Beklagten wegen schuldhafter Verletzung seiner Gesellschafterpflichten für schadensersatzpflichtig. Er sei verpflichtet gewesen. das Verkaufsangebot der Erbengemeinschaft S. an die OHG weiterzuleiten und für diese anzunehmen; diese sei zum Kauf bereit und in der Lage gewesen.
Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben und den Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 900.000 DM nebst Zinsen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Klage in vollem Umfange abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Das Berufungsgericht hält den Feststellungsantrag wegen fehlenden Feststellungsinteresses für unzulässig, weil der Beklagte mit der Zustimmung zur Firmenfortführung deutlich gemacht habe, daß er auch mit der Übernahme des Unternehmens einverstanden sei. Darauf, daß zwischen den Parteien keine Einigkeit darüber bestehe, in welcher Rechtsform die Wirtschaftsgüter der OHG auf den Kläger übergegangen seien, komme es nicht an, weil es sich hierbei um eine Rechtsfrage handele, die der Feststellungsklage nicht zugänglich sei.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Es ist zwar richtig, daß eine bloße Rechtsfrage nicht zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn mit der Rechtsfrage unmittelbar Art und Inhalt der dem Kläger zukommenden Rechte und Pflichten bestimmt wird. So liegt es hier. Der Kläger entnimmt dem Gesellschaftsvertrag vom 1. August 1965, daß die Gesellschaft im Falle der Kündigung nicht aufgelöst und liquidiert wird, sondern daß das Unternehmen von dem verbleibenden Gesellschafter ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven übernommen werden kann. Er ist demgemäß der Auffassung – und will dies festgestellt haben –, das Gesellschaftsunternehmen zu Recht übernommen zu haben. Mit der Entscheidung dieser Rechtsfrage wird damit zugleich klargestellt, daß der Kläger (automatisch oder aufgrund seiner Übernahmeerklärung) nach dem Ausscheiden des Beklagten durch Gesamtrechtsnachfolge unter Umwandlung des Gesamthandvermögens Alleineigentümer geworden ist und die dingliche Berechtigung des Beklagten mit dessen Ausscheiden erloschen ist. Demgegenüber geht der Beklagte davon aus, daß die Gesellschaft durch seine Kündigung aufgelöst worden und in das Liquidationsstadium getreten ist und dem Kläger die einzelnen Werte aus der Liquidationsmasse übertragen worden sind. Das Gesellschaftsvermögen wäre danach nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Kläger übergegangen. Die einzelnen Vermögenswerte wären vielmehr im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf ihn übertragen worden mit der Folge, daß im Einzelfalle Unklarheiten bestehen könnten, ob ein Übertragungsakt stattgefunden hat. Die von dem Kläger beantragte Feststellung ist demgemäß geeignet, die damit verbundenen Unsicherheiten über die Rechtsstellung des Klägers zu beseitigen. Es wird verbindlich ausgesprochen, daß er alle ursprünglich der OHG zustehenden Rechte – auch den hier in Frage stehenden Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten – erworben hat.
2. Die danach zulässige Feststellungsklage ist auch begründet.
Wie schon das Landgericht annimmt, hat der Gesellschaftsvertrag die gesetzliche Regelung, wonach die offene Handelsgesellschaft durch die Kündigung eines Gesellschafters aufgelöst wird, abbedungen und in Anlehnung an die Bestimmungen der §§ 138, 142 HGB festgelegt, daß der Kündigende ausscheidet und der Verbleibende – da das Gesellschaftsverhältnis nur fortgesetzt werden kann, wenn wenigstens zwei Gesellschafter vorhanden sind – das Gesellschaftsunternehmen ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven übernimmt und den Ausscheidenden in der im Gesellschaftsvertrag näher beschriebenen Weise (§§ 9, 10) abfindet. Ob die Übernahme nach dem Gesellschaftsvertrag automatisch mit dem Ausscheiden des Kündigenden eintreten oder zusätzlich eine Gestaltungserklärung (eine besondere Übernahmeerklärung) notwendig sein sollte, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn eine solche Übernahmeerklärung wurde abgegeben. Ob diese schon mit dem Schreiben des Rechtsanwalts W. M. K. vom 10. Dezember 1982 wirksam abgegeben worden ist (oder hierfür noch eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich gewesen wäre), kann hier offen bleiben; denn der am 26. Dezember 1982 volljährig gewordene Kläger hat diese Übernahmeerklärung bestätigt.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil in diesem Punkt keinen Bestand haben. Das landgerichtliche Urteil ist insoweit wieder herzustellen.
II. Einen Schadensersatzanspruch des Klägers hat das Berufungsgericht in erster Linie mit der Begründung verneint, dem Beklagten könne eine Verletzung seiner gesellschaftsvertraglichen Pflichten nicht vorgeworfen werden; er sei nicht verpflichtet gewesen, das Grundstück W.-straße zu erwerben, sondern habe nur sicherstellen müssen, daß das Geschäftsgrundstück – wie bisher – der OHG als Mietgrundstück erhalten blieb. Diese Verpflichtung habe er nicht verletzt, als er es zuließ, daß seine Ehefrau das Grundstück erworben habe; durch den Verkauf des Grundstücks an seine Ehefrau sei die Rechtsposition der OHG als Mieterin unmittelbar nicht berührt worden.
Diese Begründung trägt die Entscheidung nicht. Beim gegenwärtigen Prozeßstand ist davon auszugehen, daß der Beklagte seine gesellschaftliche Treuepflicht und zugleich seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verletzt hat.
1. Der geschäftsführende Gesellschafter muß in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben. Er darf Erwerbschancen nicht für sich, sondern nur für die Gesellschaft ausnutzen und hat ihr, wenn er hiergegen verstößt, einen dadurch entstanden Schaden zu ersetzen. Bei der Übertragung der Geschäftsführungsbefugnis dürfen die übrigen Gesellschafter darauf vertrauen, daß der geschäftsführende Gesellschafter getreu seinem Versprechen seine Tätigkeit dem Gesellschaftszweck widmen und sich uneigennützig für das gemeinsame Ziel einsetzen werde; dieser muß sich deshalb bei der Geschäftsführung nur von dem Gesellschaftsinteresse leiten lassen und muß seine eigenen Interessen hintansetzen (vgl. Hueck, OHG 4. Aufl. § 13 Nr. I 3; das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats zu den Geschäftsführungspflichten in der GmbH: Sen.Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, LM BGB § 626 Nr. 14 u.v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, LM GmbHG § 46 Nr. 17).
Bestand – wie hier – die Aussicht, das Geschäftsgrundstück, das die wesentliche Grundlage des Gesellschaftsunternehmens bildete, zu erwerben und damit die Unsicherheit, die mit einem – wenn auch langfristigen – Mietvertrag verbunden ist, zu beseitigen, so hatte er sich darum zu bemühen und mußte alle Maßnahmen ergreifen, um den Erwerb zu erreichen, und alles unterlassen, was den Erwerb gefährden konnte. Er durfte nur dann davon absehen, wenn sein Mitgesellschafter sich nach erschöpfender Unterrichtung dagegen ausgesprochen hätte oder beide zusammen keine Möglichkeit der Realisierung gefunden hätten. Für den vorliegenden Fall gilt dies um so mehr als der für den Bestand des Gesellschaftsunternehmens entscheidende Mietvertrag demnächst auslief. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann deshalb nicht angenommen werden, daß der Beklagte die ihn treffenden Verpflichtungen schon dadurch erfüllt hat, daß er über das Geschäftsgrundstück einen Mietvertrag geschlossen hat, der – wie sich gezeigt hat – eine nur kurzfristige Weiterführung des Geschäftsbetriebs ermöglichte und offenbar jederzeit kündbar war.
Selbst wenn die Gesellschaft – wie der Beklagte geltend macht, der Kläger aber bestreitet – nicht hinreichende Mittel für den Erwerb des Grundstücks gehabt hätte und deshalb eine Erhöhung der Gesellschafterbeiträge erforderlich gewesen wäre, mußte sich der Beklagte um das Grundstück bemühen. Er mußte prüfen, ob der Erwerb über Kredite sichergestellt werden konnte; unter Umständen hätte die gesellschaftliche Treuepflicht gebieten können, einen kapitalkräftigen Partner – möglicherweise als stillen Gesellschafter – aufzunehmen. In jedem Falle mußte er zunächst die Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeiführen. Keinesfalls durfte er hinter dem Rücken seines Mitgesellschafters das Grundstück seiner Ehefrau zuschieben, um dann, wie geschehen, mit dieser und anderen Angehörigen nach seinem Ausscheiden aus der OHG ein Konkurrenzgeschäft in dem ursprünglich von der OHG betriebenen Geschäftslokal zu eröffnen und deren Kundenstamm an sich zu ziehen.
2. Auf die von der Revision in den Vordergrund gestellte Frage, ob der Beklagte mit seinem Verhalten auch gegen eine wirksame Vereinbarung der Gesellschafter verstoßen hat, nach der das in Frage stehende Grundstück hätte angeschafft werden sollen, kommt es deshalb nicht an. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang allerdings weiter ausgeführt, der Kläger könne sich auf eine solche Vereinbarung nicht berufen, weil er damit mißbräuchlich handeln würde; der Vater und damalige gesetzliche Vertreter des Klägers habe schon im Jahre 1974 von den Verkaufsabsichten der Erbengemeinschaft erfahren, aber nichts unternommen, um das Grundstück für die Gesellschaft zu erwerben. Dieser Einwand könnte auch auf die Ausführungen zu 1 zu beziehen sein. Er ist jedoch unbegründet. Der Umstand, daß ein Gesellschafter pflichtwidrig gehandelt hat, kann für die übrigen Gesellschafter oder die Gesellschaft selbst besondere Ansprüche begründen. Damit können jedoch grundsätzlich weder Pflichtverletzungen anderer Gesellschafter, noch der Einwand des Rechtsmißbrauchs bei solchen Pflichtverletzungen gerechtfertigt werden. Das gilt um so mehr, wenn sich die angeblichen Pflichtverletzungen – wie hier – erheblich voneinander unterscheiden. Der Vorwurf gegenüber dem Beklagten – nicht aber der gegenüber dem Kläger – folgt aus dessen Stellung als geschäftsführender Gesellschafter, durch die besondere Pflichten begründet werden. Im übrigen rügt die Revision zu Recht, daß das Berufungsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt hat, wonach sich sein Vater immer wieder um den Kauf des Grundstücks bemüht hat.
3. Das angefochtene Urteil kann somit auch nicht aufrechterhalten werden, soweit es den Anspruch des Klägers auf Schadensersatz zum Gegenstand hat. Insoweit sind jedoch weitere tatsächliche Feststellungen geboten, insbesondere zu der Frage, ob das Grundstück für die Gesellschaft hätte erworben werden können. Zu diesem Zwecke ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 649056 |
NJW 1986, 584 |
ZIP 1985, 1482 |