Leitsatz (amtlich)
›In der Unfallversicherung muß der Versicherungsnehmer den Vollbeweis nur für das Unfallereignis und die dadurch entstandene Gesundheitsbeschädigung führen. Ob sein Tod oder seine Invalidität auf dieses Geschehen zurückzuführen ist, ist dagegen gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen.‹
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger eine Invaliditätsentschädigung zu zahlen hat. Ihrem Vertragsverhältnis liegen die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen - AUB - zugrunde.
Am 22. April 1983 stürzte der Kläger, der bereits damals erbbedingt an sogenannten Cystennieren litt, auf einer Treppe und zog sich eine Nierenprellung und eine (dem Umfang nach umstrittene) Verletzung des rechten Kniegelenks zu. Aufgrund seiner Unfallanzeige vom 28. April 1983 veranlaßte die Beklagte ein urologisches und ein orthopädisches Gutachten, die unter dem 5. Dezember 1985 bzw. dem 4. Februar 1985 erstellt wurden. Gestützt auf diese Gutachten, in denen ausgeführt wird, daß sich das Nierenleiden des Klägers durch die sturzbedingte Kontusion nicht wesentlich verschlimmert und der Sturz auch nur zu einer folgenlos gebliebenen Prellung und Zerrung des rechten Kniegelenks geführt habe, verneinte die Beklagte ihre Leistungspflicht. Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, der Grad seiner unfallbedingten Invalidität liege bei 60 bis 80% und verlangt die Zahlung von 800.000 DM nebst Zinsen. Er vertritt die Ansicht, infolge des Sturzes sei er sieben Jahre früher dialysepflichtig geworden als dies bei unbeeinflußter Weiterentwicklung seines Nierenleidens der Fall gewesen wäre. Ferner habe er als Unfallfolge eine schwere Funktionsstörung des rechten Kniegelenks mit Bewegungseinschränkungen und Muskelschwund an Ober- und Unterschenkel davongetragen.
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt er sein Klageziel unverändert weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Berechtigt rügt die Revision, das Berufungsgericht habe bei der Beurteilung, ob der Kläger unfallbedingt invalide geworden, d.h. dauernd in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist, den Maßstab des § 286 ZPO angelegt und damit zu Unrecht einen Vollbeweis gefordert.
Diesen hat der Versicherungsnehmer nur für den Eintritt des Versicherungsfalles zu führen, nämlich für das Unfallereignis und die dadurch entstandene Gesundheitsbeschädigung. Daß der Versicherungsfall in der von dem Kläger bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung eingetreten ist, ist indessen unstreitig: Der Kläger ist gestürzt und hat hierdurch - d.h. durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (den Aufprall seines Körpers) - unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erlitten, nämlich eine Nierenprellung und eine Knieverletzung, § 21 AUB.
Der Eintritt dieses Versicherungsfalles (vgl. dazu auch BGHZ 16, 37, 43f.; 32, 44, 48) mußte allerdings noch nicht zwangsläufig die Pflicht der Beklagten auslösen, dem Kläger eine Invaliditätsentschädigung zu zahlen. Das hängt vielmehr gemäß § 8 AUB davon ab, ob es zu bestimmten Unfallfolgen gekommen ist. Hierbei handelt es sich aber nicht mehr um eine Frage der haftungsbegründenden, sondern bereits der haftungsausfüllenden Kausalität, da es in der Unfallversicherung für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht auch des Eintritts des Todes oder der Invalidität des Versicherten als Unfallfolge bedarf. Den Maßstab liefert dann aber nicht mehr § 286 ZPO, sondern § 287 ZPO.
2. Das Beweisergebnis, zu dem das Berufungsgericht in Auswertung der Gutachten gelangt ist, trägt seine getroffene Entscheidung nicht, weil nicht auszuschließen ist, daß es bei Anwendung des § 287 ZPO zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Bislang hat das Berufungsgericht bei der Auftragserteilung an die medizinischen Sachverständigen wie bei seiner Beweiswürdigung auch nicht beachtet, daß eine Leistungspflicht der Beklagten bedingungsgemäß von
a) dem Eintritt unfallbedingter dauernder Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers in dem Jahreszeitraum vom 22. April 1983 bis 22. April 1984, § 8 II 1 Satz 1 1. Halbsatz AUB,
b) der Entwicklung dieser Invalidität bis zum 22. April 1986 abhängt, § 13 3a AUB, und daß schließlich
c) zur Ermittlung einer auf die Knieverletzung zurückzuführenden Invalidität die Gliedertaxe des § 8 II 2b, Nr. 3 AUB heranzuziehen ist.
§ 13 3 a AUB verbietet es auch, bei der Invaliditätsbeurteilung Tatsachen zu berücksichtigen, die innerhalb von drei Jahren vom Unfalltag an gerechnet noch nicht erkennbar waren (siehe Senatsurteil vom 8. Juli 1981 - IVa ZR 192/80 - VersR 1981, 1151). Auch das muß den zu beauftragenden Sachverständigen unmißverständlich vor Augen geführt werden. So dürfen z.B. Kreatininwerte nicht berücksichtigt werden, die bei dem Kläger erst nach dem 22. April 1986 gemessen worden sind. Problematisch kann in diesem Zusammenhang auch sein, daß die Dialysepflichtigkeit des Klägers erst im April 1987 eingetreten ist. Jedenfalls wegen dieser Gesichtspunkte mag es sachgerecht sein, daß das Berufungsgericht die Einschaltung neuer Sachverständiger in seine Überlegungen miteinbezieht.
3. Bislang ist unerörtert geblieben, ob der Kläger die Ausschlußfrist gewahrt hat, die § 8 II 2 Satz 1 2. Halbsatz AUB für die ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität bestimmt (vgl. Senatsurteile vom 28. Juni 1978 - IV ZR 7/77 - VersR 1978, 1036 unter 1 a) und vom 16. Dezember 1987 - IVa ZR 195/86 - VersR 1988, 286). Zwar hatte es die Beklagte auf die Unfallanzeige des Klägers hin übernommen, ärztliche Feststellungen dazu herbeizuführen, ob der Kläger unfallbedingt invalide im Sinne der AUB geworden ist. Die von ihr veranlaßten Gutachten verneinen dies jedoch; sie kommen demnach nicht als Feststellungen im Sinne der genannten AUB-Klausel in Betracht.
Den Parteien ist jedoch gemäß § 278 Abs. 3 ZPO Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Anschließend wird das Berufungsgericht zunächst zu prüfen haben, ob es eine fristgerecht getroffene, ärztliche Invaliditätsfeststellung gibt oder ob die Beklagte nach Sachlage mit einer Berufung auf den Fristablauf gegen Treu und Glauben verstößt (siehe auch dazu Senatsurteil vom 28. Juni 1978 aaO. unter 2).
Fundstellen
Haufe-Index 2993681 |
NJW 1993, 201 |
BGHR AVB Unfallversicherung (AUB) § 13 Abs. 3a, Dreijahresfrist 1 |
BGHR AVB Unfallversicherung (AUB) § 2 Nr. 1 Kausalität 1 |
BGHR AVB Unfallversicherung (AUB) § 8 Kausalität 1 |
BGHR ZPO § 287 Kausalität 6 |
MDR 1993, 31 |
VersR 1992, 1503 |