Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.01.1982)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Januar 1982 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision (einschließlich der Streithilfe), an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Reitunfall in Anspruch, der sich am 31. Juli 1979 während einer Reitstunde in der Reithalle der Streithelferin V., die Inhaberin des Reitbetriebes war, ereignet hat.

Die damals 35 Jahre alte Klägerin nahm seit über einem Jahr im Reitstall der Streithelferin Reitstunden, so auch am 31. Juli 1979. Die aus mehreren Schülern bestehende Abteilung ging unter Aufsicht des Reitlehrers Sch., und zwar die Klägerin auf einem ausgebildeten Schulpferd. Die damals 11 3/4 Jahre alte Beklagte war zur Zeit des Unfalls Feriengast desselben Reitinstituts. Sie brachte das Fahrrad ihrer Mutter, das zunächst vor der Reithalle abgestellt worden war, mit blockiertem Hinterrad in den dafür vorgesehenen Abstellraum, der direkt an die hölzerne Bande der vorderen Schmalseite der Reitbahn angrenzt. In diesem Raum wurden auch Hindernisse aufbewahrt. Als die Klägerin das Fahrrad gegen die Bande abstellte, scheuten mehrere Pferde durch das dabei verursachte Geräusch, darunter auch das Pferd, das die Klägerin ritt. Diese stürzte und zog sich einen Oberarmrollentrümmerbruch links zu. Sie war vom 12. bis 28. November 1979 und vom 14. bis 21. Oktober 1980 in stationärer Behandlung. Ihr Arbeitsverhältnis (sie war Chefsekretärin) wurde ihr zum 1. Juli 1980 gekündigt.

Die Klägerin hat behauptet, das Scheuen sei darauf zurückzuführen, daß die Beklagte das Pferd mit dem klappernden Geräusch des gegen die Bande geworfenen Fahrrades erschreckt habe; sie habe das Fahrrad geradezu "hingeschmissen". Durch die Verletzung sei eine dauernde erhebliche Bewegungseinschränkung am linken Ellenbogengelenk eingetreten, die sie - die Klägerin - unfähig mache, ihren Beruf weiter auszuüben. Sie hat beantragt:

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr allen Schaden zu ersetzen, den sie aus Anlaß des Reitunfalls vom 31. Juli 1979 erleide.

Die Beklagte hat sich darauf berufen, sie sei nicht ausreichend auf die Gefahren, hingewiesen worden, die durch das Abstellen von Fahrrädern und die damit verbundenen Geräusche für den Reitbetrieb entstehen; sie habe darum nicht fahrlässig gehandelt. Im übrigen hat sie sich darauf berufen, wegen ihres jugendlichen Alters nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gehabt zu haben.

Die Beklagte hat der Inhaberin des Reitbetriebes den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Klage aus § 823 Abs. 1 BGB begründet ist. Es stellt fest, die Beklagte habe während der Reitstunde das von ihr geschobene Fahrrad dergestalt gegen die Wand der die Reitbahn umfassenden Bande geworfen, daß das von der Klägerin gerittene Pferd - durch dieses Geräusch erschreckt - gescheut und die Klägerin abgeworfen habe. Das Verhalten der Beklagten sei trotz ihres jugendlichen Alters fahrlässig gewesen. Zwar könne ihr nicht als Verschulden angelastet werden, daß sie das Fahrrad überhaupt während der Reitstunde hereingeholt habe. Den Kindern sei aber ganz allgemein untersagt gewesen, während der Reitstunde zu lärmen. Dies habe die Beklagte auch beim Abstellen des Fahrrades beachten müssen. Das Berufungsgericht hält für erwiesen, daß die Streithelferin V. gerade die Beklagte darauf hingewiesen hatte, daß Lärm in der Reithalle für ältere Reiter gefährlich werden könne. Diese Zusammenhänge seien für Kinder im Alter der Beklagten durchaus verständlich, insbesondere wenn sie, wie die Beklagte, schon über reiterliche Erfahrungen verfügten. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Beklagte zur Zeit des Unfalls noch nicht die zur Erkenntnis ihrer Verantwortlichkeit erforderliche Einsichtsfähigkeit (§ 828 Abs. 2 BGB) gehabt habe. Ein Mitverschulden der Klägerin an dem Unfall sei nicht ersichtlich.

II.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten, soweit es ein Mitverschulden der Klägerin verneint, den Angriffen der Revision nicht stand.

1.

Zu Unrecht beanstandet allerdings die Revision die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte das Fahrrad gegen die Bande geworfen hatte. Ihr Bemühen, eine andere Würdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zu setzen, ist im Revisionsverfahren unzulässig. Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben.

2.

Unerheblich ist für die Verurteilung der Beklagten auch, ob neben ihr noch andere Personen auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden können. Gegebenenfalls würden diese mit der Beklagten als Gesamtschuldner haften, so daß die Beklagte von der Geschädigten (unbeschadet eines etwaigen Ausgleichsanspruches im Innenverhältnis) in vollem Umfang in Anspruch genommen werden könnte (§§ 840, 421 BGB).

3.

Schließlich liegt auch kein Verfahrensfehler darin, daß das Berufungsgericht zur Frage der Zurechnungsfähigkeit (§ 828 Abs. 2 BGB) nicht, wie die Beklagte es beantragt hat, ein kinderpsychologisches Gutachten eingeholt hat. Da die Beklagte sich nicht darauf berufen hat, eine von der Norm abweichende Entwicklung gehabt zu haben, konnte das Berufungsgericht von dem Stand durchschnittlicher Kinder im Alter von 11-12 Jahren ausgehen und deren Erkenntnisfähigkeit, für die Folgen eines Tuns einstehen zu müssen, nach allgemein bekannten und anerkannten Grundsätzen beurteilen. Von Kindern dieses Alters muß aber erwartet werden, daß sie über die Art ihrer Verantwortlichkeit eine hinreichende Vorstellung haben. Es ist daher nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die vom Gesetz in § 828 Abs. 2 BGB aufgestellte Vermutung, daß die im Zeitpunkt des Unfalls 11 3/4 Jahre alte Beklagte für ihr Tun verantwortlich war, nicht für widerlegt hält.

4.

Auch wendet sich die Revision ohne Erfolg gegen die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe schuldhaft im Sinne von § 276 BGB gehandelt. Das Berufungsgericht überspannt nicht die an die Sorgfaltspflicht einer Elfjährigen zu stellenden Anforderungen, wenn es ihr das geräuschvolle Abstellen des Fahrrades gegen die Bande der Reitbahn als Verschulden anlastet. Zwar geht es davon aus, daß das Abstellen gegen die Bande nicht ausdrücklich verboten war; vielmehr habe die Streithelferin V. dem normalerweise damit verbundenen Geräusch keine Bedeutung beigemessen. Die Beklagte war aber, wie das Berufungsgericht unangegriffen feststellt, darauf hingewiesen worden, während der Reitstunde nicht zu lärmen und keine Geräusche zu verursachen, welche Pferde erschrecken und zum Scheuen bringen können. Die Art und Weise, wie die Beklagte das Fahrrad gegen die Bande warf, war auch geeignet, ein solches Erschrecken zu verursachen. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, daß das Berufungsgericht gerade im Hinblick auf die reiterlichen Erfahrungen der Beklagten hierin ein (allerdings als leicht zu bezeichnendes) Verschulden der Beklagten sieht, mag auch die entscheidende Ursache für den Unfall - was zu entscheiden allerdings nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites ist - in einem Organisationsverschulden der Streithelferin zu sehen sein, weil sie das Abstellen von Fahrrädern gegen die Bande der Reitbahn nicht ausdrücklich untersagt hatte.

5.

Jedoch beanstandet die Revision zu Recht die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es ein Mitverschulden der Klägerin bei der Entstehung des Unfalls (§ 254 Abs. 1 BGB) verneint. Insoweit fehlt es an jeder Begründung. Insbesondere läßt das Berufungsurteil eine Auseinandersetzung mit der (durch Vernehmung ihres Vaters unter Beweis gestellten) Behauptung der Beklagten vermissen, "die Streithelferin V. habe ihrem Vater erklärt, am Tage zuvor sei eine Frau vom Pferd gefallen (gemeint ist offenbar die Klägerin); diese Frau müsse Glasknochen haben, denn sie habe sich dabei schon wiederholt Brüche zugezogen; sie - die Streithelferin - verstehe gar nicht, wie man sich noch aufs Pferd setzen könne".

Wäre es richtig, daß die Klägerin sich schon mehrfach Brüche zugezogen hatte, die geeignet gewesen waren, auf eine besondere Anfälligkeit hinzudeuten, dann müßte es ihr zum Verschulden gegen sich selbst gereichen, sich durch Fortsetzen des Reitens weiterhin diesem Risiko ausgesetzt zu haben. Zwar hat der Senat entgegen kritischen Stimmen im Schrifttum (s. Deutsch, NJW 1978, 1998 und Bornhövd, JR 1978, 50) die Gefahr, beim Reiten vom Pferd geworfen zu werden und sich dabei zu verletzen, ohne das Vorliegen besonderer, die übliche Reitgefahr erhöhender Umstände nicht als dem eigenen Risikobereich des Verletzten zuzurechnendes, deliktsrechtliche Ansprüche ausschließendes "Handeln auf eigene Gefahr" gewertet, auch nicht als außerhalb des Schutzzwecks des § 833 BGB liegend angesehen (s. Senatsurteile vom 12. Januar 1982 - VI ZR 188/80 = VersR 1982, 366 und vom 19. Januar 1982 - VI ZR 132/79 = VersR 1982, 348 m.w.Nachw.). Jedoch kann es durchaus als ein Verschulden gegen sich selbst gewertet werden, wenn ein das Reiten aus Liebhaberei Betreibender diesen Sport weiterhin ausübt, obwohl er durch in seiner Person liegende Umstände in besonderer Weise gefährdet ist und sich leichter verletzt als andere Personen in gleicher Lage. Denn Reiten ist seiner Natur nach eine nicht ungefährliche Sportart: Pferde sind besonders sensible Tiere, die oft schreckhaft auf Besonderheiten ihrer Umgebung (Geräusche, Bewegungen, Spiegelungen, Änderung der Lichtverhältnisse und dergl.) reagieren. Die Gefahr, daß ein Pferd dadurch scheut, ist dem Reitsport ebenso immanent wie diejenige, daß ein ungeübter Reiter dadurch abgeworfen wird. Damit muß jeder Reiter rechnen. Dem hätte auch die Klägerin, wenn sie durch ihre Konstitution in besonderer Weise gefährdet war, Rechnung tragen müssen.

Mag der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht mehr verdeutlicht worden sein, so hätte es, da die Beklagte im ersten Rechtszuge obsiegt hatte, eines entsprechenden Hinweises des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO bedurft, wenn es Zweifel daran gehabt hätte, ob das Beweisangebot insoweit aufrechterhalten werden sollte. Das Berufungsurteil läßt zu diesem Punkt jede Ausführung vermissen.

Auf die Verfahrensrüge der Beklagten war das angefochtene Urteil somit aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,

 

Fundstellen

Dokument-Index HI3018839

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