Gründe
... Die Frage, ob unter den in § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen auch ein Anspruchsübergang nach § 119 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist, ist umstritten. ... Der erk. Senat hält die Ansicht für zutreffend, daß eine analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X im Rahmen des § 119 SGB X nicht in Betracht kommt. ...
(b) Die Legalzession des § 116 Abs. 1 SGB X knüpft mit dem auf sie zugeschnittenen Ausnahmetatbestand des § 116 Abs. 6 SGB X nach dem Vorbild der Regelung für die Privatversicherung in § 67 Abs. 1 und 2 VVG auch für den Bereich der Sozialrechts an die Verpflichtung des Vorsorgeträgers an, dem Geschädigten aufgrund eines Schadensereignisses Leistungen zu erbringen, die dem vom Schädiger zu leistenden Schadensersatz sachlich und zeitlich kongruent sind. Für solche Fallgestaltungen bestimmt § 116 Abs. 1 SGB X als Regel, daß der Ersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger auf den Versicherungs- oder Sozialhilfeträger im Umfang seiner Leistungspflicht übergeht, da der Geschädigte den Anspruch insoweit zum Ausgleich seines Schadens nicht weiter benötigt, der Schädiger durch die Leistungen des Vorsorgeträgers nicht unverdient entlastet werden und dieser seine Aufwendungen vom Schädiger, der sie ausgelöst hat, ersetzt erhalten soll. Von dieser Regel begründet § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X ebenso wie § 67 Abs. 2 VVG für die Schädigung eines Familienangehörigen aus zwei miteinander verknüpften Erwägungen eine Ausnahme.
Zum einen soll durch den Ausschluß des Anspruchsübergangs in solchen Fällen mit Rücksicht auf das Interesse des Versicherten an der Erhaltung des Familienfriedens vermieden werden, daß er mit Streitigkeiten über die Verantwortung für nicht vorsätzliche Schadenszufügungen gegen Familienangehörige belastet wird. Zum anderen soll verhindert werden, daß der Rückgriff des Versicherers bei dem haftpflichtigen Familienangehörigen in Widerspruch auch zu der wirtschaftlichen Zweckbestimmung seiner Leistungen an den Versicherten gerät. Was der Versicherer dem Versicherten an Versicherungsleistungen erbringt, soll er ihm nicht dadurch mittelbar wieder entziehen können, daß er bei einem anderen, mit dem Versicherten wirtschaftlich verbundenen Familienmitglied Regreß nimmt. ...
Diesen Erwägungen kommt allerdings.. nicht nur für die Fälle der gesetzl. Regelung in den §§ 67 Abs. 2 VVG und 116 Abs. 6 SGB X, sondern auch darüber hinaus die Bedeutung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Inhalts zu, daß bei Schädigungen unter Familienangehörigen Versicherungs- oder ähnliche Leistungen, die einem Familienmitglied erbracht werden, nicht durch einen Rückgriff bei einem anderen Mitglied derselben Familiengemeinschaft mittelbar wieder sollen entzogen werden können. Deshalb hat der erk. Senat das Familienprivileg auch bereits in anderen Fallgestaltungen des gesetzlich angeordneten Forderungsübergangs für entsprechend anwendbar erklärt, in denen es insoweit an einer ausdrücklichen Regelung fehlte (so für § 1542 RVO a. F. BGHZ 41, 79; für § 87 a BBG BGHZ 43, 72; für § 4 LohnFG BGHZ 66, 104). Grundlage der analogen Anwendung war aber stets, daß der Versicherer oder sonstige Vorsorgeträger als Regreßgläubiger den Schädiger in Anspruch nimmt, weil er an den geschädigten Versicherten Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; denn nur in solchen Fällen besteht die Gefahr, daß der Versicherungsträger dem Geschädigten die ihm geschuldeten Leistungen durch seinen Regreß beim Schädiger mittelbar wieder entzieht.
(c) Eine solche Gefahr ist bei dem gesetzl. Forderungsübergang nach § 119 Satz 1 SGB X nicht gegeben. Diese Vorschrift weist dem Sozialversicherungsträger die Ersatzforderung des Geschädigten wegen entgangener Pflichtbeiträge nicht als Regreßgläubiger für von ihm erbrachte Versicherungsleistungen zu. Vielmehr soll § 119 SGB X überhaupt erst ermöglichen, daß sich der verletzte Pflichtversicherte beim Schädiger auch in bezug auf Verkürzungen seines Statuts in der gesetzlichen Rentenversicherung infolge des Ausfalls von Pflichtbeiträgen schadlos halten kann, indem die Vorschrift die dazu bestimmten Ersatzleistungen mit der statuserhaltenden Wirkung solcher Pflichtbeiträge ausstattet. Ohne diese durch § 119 SGB X eröffnete Möglichkeit, mit den Ersatzleistungen des Schädigers die verletzungsbedingten Lücken auf dem Beitragskonto des Geschädigten zu schließen, wäre diesem der Weg, sich vor einem Rentenverkürzungsschaden bereits durch die Heranziehung des Schädigers zur Auffüllung des Beitragskontos zu schützen, überhaupt verschlossen. Das hat der erk. Senat schon in seinem Urteil vom 15. 4. 1986 (BGHZ 97, 330 [334 ff.]) näher ausgeführt; der Gesetzgeber hat § 119 SGB X gerade geschaffen, um die von der Rechtspr. aufgezeigten beitragsrechtlichen Hindernisse für einen vollen Schadensausgleich des Pflichtversicherten zu beseitigen und, wie die Gesetzesbegründung sagt, sicherzustellen, ›daß der Sozialversicherte später Sozialleistungen erhält, die auch die Zeit der Verletzung umfassen‹ (BT-Drucks. 9/95 S. 29; BR-Drucks. 526/80 S. 29). ...
Das bedeutet für die Schädigung von Familienangehörigen: Im Rahmen des § 116 SGB X bestünde ohne Anwendung des Familienprivilegs wegen der dann gegebenen Regreßbefugnis des Vorsorgeträgers die Gefahr, daß der Geschädigte nicht zu einem vollen Ausgleich seines Schadens gelangt; im Regelungsbereich des § 119 SGB X wäre demgegenüber diese Gefahr gerade bei analoger Anwendung des Familienprivilegs gegeben, da der Geschädigte insbesondere aus dem diesem Privileg zugrundeliegenden Gedanken der Bewahrung des häuslichen Friedens nicht selten davon absehen würde, den dann in seiner Person verbliebenen Anspruch auf Ersatz seines Beitragsschadens gegen das haftende Familienmitglied zu verfolgen. Damit sind bereits die Ausgangslagen in den §§ 116 und 119 SGB X derart verschieden, daß es schon insoweit an der Rechtsähnlichkeit als einer notwendigen Voraussetzung dafür fehlt, um den auf § 116 SGB X zugeschnittenen Übergangsausschluß des Abs. 6 auf § 119 SGB X zu übertragen.
Eine entspr. Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X im Rahmen des § 119 SGB X ist.. auch nicht aus anderen Gründen geboten. ...
Fundstellen
BGHZ 106, 284 |
BGHZ, 284 |
NJW 1989, 1217 |
BGHR RVO § 1385b Abs. 3 Finanzierungsbeitrag 1 |
BGHR SGB X § 119 Familienprivileg 1 |
DRsp V(545)107b-c |
FamRZ 1989, 613 |
DAR 1989, 181 |
MDR 1989, 533 |
VRS 77, 28 |
VersR 1989, 492 |