Leitsatz (amtlich)
Der aus einer Sozietät ausgeschiedene Rechtsanwalt haftet neuen Mandanten nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht, wenn sein Name weiterhin auf dem Praxisschild und den Briefbögen der Kanzlei erscheint und er nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Beseitigung des Rechtsscheins ergriffen hat.
Orientierungssatz
Zitierung: Ergänzung BGH, 1988-03-10, III ZR 195/86, WM IV 1988, 986.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten als Rechtsanwalt für Pflichtverletzungen seines früheren Sozius auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Anwaltssozietät des Beklagten mit Rechtsanwalt S. in L. wurde zum 31. Dezember 1979 aufgelöst. Rechtsanwalt S. führte die Praxis in den bisherigen Räumen weiter. Die Namen beider Anwälte verblieben in der Folgezeit auf dem Praxisschild, nach der Behauptung des Beklagten getrennt durch einen von ihm angebrachten schwarzen Streifen.
Im März 1982 beauftragte der Kläger die Anwaltskanzlei mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen aus einem gewerblichen Mietvertrag. Für den Kläger wurde ausschließlich Rechtsanwalt S. tätig. Dieser benutzte für alle gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftsätze Briefpapier, das ihn in der Kopfzeile als Partner einer mit dem Beklagten bestehenden Sozietät auswies.
Rechtsanwalt S. erhob im August 1982 für den Kläger beim Landgericht Köln Klage auf Zahlung von restlichem Mietzins und Nebenkosten. Die Zahlungsklage wurde abgewiesen, weil der Vortrag nicht hinreichend substantiiert sei. Mit der Berufung verfolgte der Kläger nur die Nebenkostenforderung – nach teilweiser Berufungsrücknahme zuletzt noch in Höhe von 9.450,96 DM – weiter. Der Rechtsstreit wurde am 20. Juni 1984 durch Vergleich, in dem sich die Mieterin zur Zahlung von 6.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer verpflichtete, beendet. Die Räumungsklage wurde nach Verweisung an das Amtsgericht Leverkusen mit Urteil vom 5. Juni 1984 rechtskräftig abgewiesen.
Der Kläger hat am 9. Januar 1986 gegen Rechtsanwalt S. und den Beklagten als Gesamtschuldner Mahnbescheide erwirkt. Er ist der Meinung, Rechtsanwalt S. habe in mehrfacher Weise seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt. Da er, der Kläger, bei Vertragsschluß vom Fortbestehen der Anwaltssozietät ausgegangen sei, hafte ihm der Beklagte nach Rechtsscheingrundsätzen als Gesamtschuldner.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat wegen eines Betrages von 22.098,59 DM angenommenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt in Höhe der jetzt noch zur Entscheidung stehenden Klagesumme zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte hafte nicht nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht. Rechtsanwalt S. habe das Angebot des Klägers auf Abschluß eines Mandatsvertrages nicht als Vertreter des Beklagten angenommen. Auf die Verwendung der Briefbögen mit der Sozietätsbezeichnung könne sich der Kläger nicht berufen; denn sein Vertragsangebot sei lediglich mündlich angenommen worden. Der Beklagte habe nicht nachprüfen müssen, ob Rechtsanwalt S. die Vereinbarung über die Verwendung des Briefpapiers der Sozietät einhalte. Die Behauptung, auf dem Praxisschild sei die Beendigung der Sozietät infolge der Namensabgrenzung zu ersehen gewesen, habe der Kläger in unzulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten, so daß sie als zugestanden gelte.
II. Diese Ausführungen sind, wie die Revision zutreffend rügt, in mehrfacher Hinsicht von Rechtsirrtum beeinflußt.
1. Derjenige, der eine Anwaltssozietät aufsucht und einen Auftrag erteilt, will grundsätzlich das Mandat allen als Mitglieder der Sozietät erscheinenden Anwälten übertragen. Der ihm gegenübertretende Anwalt, der das Mandat annimmt, handelt dabei regelmäßig namens der Sozietät, verpflichtet also nicht nur sich persönlich, sondern auch die mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Kollegen (BGHZ 56, 355, 359; 70, 247, 249; BGH, Urt. v. 29. Oktober 1990 – AnwSt (R) 11/90, NJW 1991, 49, 50). Da für die Auslegung der beiderseitigen Willenserklärungen die äußeren Umstände, insbesondere die Verkehrsauffassung, maßgebend sind, gilt dies auch dann, wenn die Anwälte nur nach außen hin als Sozietät auftreten, obwohl nur eine Bürogemeinschaft oder ein Anstellungsverhältnis besteht oder sie aus sonstigen Gründen einen Nichtsozius in die Anwaltsfirma aufgenommen haben. In allen diesen Fällen müssen sie sich nach den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht an dem von ihnen gesetzten Rechtsschein festhalten lassen (BGHZ 70, 247, 249; BGH, Urt. v. 10. März 1988 – III ZR 195/86, WM 1988, 986, 987; Urt. v. 17. Oktober 1989 – XI ZR 158/88, WM 1990, 188, 191).
2. Erscheint der Name auch nach dem Ausscheiden auf dem Praxisschild und den Briefbögen der Kanzlei, tritt der Anwalt weiterhin dem einen Auftrag erteilenden Mandanten als Mitglied der Sozietät gegenüber. Da nach außen hin für den Rechtsverkehr eine Veränderung in der personellen Zusammensetzung des Anwaltsbüros nicht sichtbar geworden ist, muß er sich so behandeln lassen, als bestehe der bisherige Rechtszustand weiter.
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Urteil vom 10. März 1988 – III ZR 195/86, WM 1988, 986 einer Schadensersatzklage gegen den ehemaligen Sozius stattgegeben, weil dieser gestattet hatte, seinen Namen weiterhin in den Briefköpfen zu verwenden. Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn der Anwalt zwar seine Zustimmung nicht erteilt hatte, aufgrund eines ihm zuzurechnenden Verhaltens die Sozietät jedoch fortzubestehen schien.
a) Es gibt keine Vermutung für einen generellen Parteiwillen, den Auftrag nur den tatsächlich bei Vertragsschluß zur Sozietät gehörenden Anwälten zu erteilen. Der Auftraggeber macht sich darüber in der Regel keine Gedanken. Er geht erfahrungsgemäß davon als selbstverständlich aus, daß die namentlich bezeichneten Personen zur Kanzlei gehören. Er will grundsätzlich die Erfahrung und den guten Ruf der Sozietät, der ihm in der Person aller genannten Mitglieder gegenübertritt, uneingeschränkt in Anspruch nehmen.
b) Dem die gemeinschaftliche Berufsausübung mit Kollegen beendenden Anwalt ist bewußt, daß die Sozietät nach außen hin scheinbar fortdauert, solange nicht die Merkmale beseitigt sind, die ihn als deren Mitglied ausweisen und sein Einverständnis mit dem Auftreten des Partners auch in seinem Namen kundtun. Die gesetzliche Regelung der Rechtsscheinvollmacht (§§ 170-172 BGB) läßt die Haftung des Vertretenen grundsätzlich so lange bestehen, bis der die Vertretungsbefugnis dokumentierende Akt durch eine nach außen in Erscheinung tretende Handlung beseitigt ist. Für die aus dem Rechtsgedanken dieser Vorschriften entwickelte Duldungs- und Anscheinsvollmacht gelten aus Gründen des Verkehrsschutzes entsprechende Anforderungen. Der Geschäftsherr genügt daher seinen Obliegenheiten nicht schon dadurch, daß er dem Vertreter dessen Handlungen intern ernstlich untersagt. Er muß vielmehr im Rahmen des ihm Zumutbaren selbst die Handlungen vornehmen, die geeignet sind, den aus der früheren Bevollmächtigung erwachsenen Rechtsschein zu zerstören (vgl. BGH, Urt. v. 9. Oktober 1970 – I ZR 62/69, WM 1971, 15, 16; Soergel/Leptien, BGB 12. Aufl. § 167 Rdn. 22; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 167 Rdn. 42). Bei Beendigung der Anwaltssozietät erscheint dies in besonderem Maße notwendig, weil das Praxisschild an der Hauswand sich an einen nicht begrenzten Adressatenkreis wendet und von einer Vielzahl von Personen wahrgenommen werden kann. Infolgedessen trifft den ausgeschiedenen Rechtsanwalt aufgrund des bisherigen Auftretens im Rechtsverkehr eine Obliegenheit zum eigenen Tätigwerden, wenn er einer vertraglichen Haftung aus Mandaten, die nach Beendigung der Sozietät angenommen wurden, entgehen will. Er muß den von ihm mitbegründeten, nunmehr entstandenen Rechtsschein vermeiden oder zerstören.
c) Das hat der Beklagte mit dem angeblichen Aufkleben eines schwarzen Streifens zwischen den Namen der früher verbundenen Rechtsanwälte nicht in der erforderlichen Weise getan. Der Aussagewert eines solchen Streifens ist gering. Da das Praxisschild ansonsten unverändert erhalten blieb, war der Hinweis schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild zu unauffällig. Zudem ist ein solcher Streifen inhaltlich wenig aussagekräftig und daher nicht geeignet, dem betroffenen Personenkreis die eingetretene Rechtsänderung zweifelsfrei verständlich zu machen. Der Schutz des gutgläubigen Dritten erfordert eine den Rechtsschein deutlich beseitigende Willenskundgebung.
Zudem blieb der Rechtsschein nicht auf das Praxisschild beschränkt. Er setzte sich in der Gestaltung der Briefbögen fort. Auf allen Schreiben und Schriftsätzen erschien der Beklagte als Partner der Sozietät. Allein mit dem Hinweis auf die mit Rechtsanwalt S. getroffene Vereinbarung, das Papier im Geschäftsverkehr nicht mehr ohne Streichung seines Namens zu verwenden, kann sich der Beklagte der Verantwortung für den nach außen entstandenen Eindruck des Fortbestands der gemeinsam geführten Kanzlei nicht entziehen. Seine vertragliche Haftung beruht darauf, daß er keine Vorsorge gegen den weiteren Gebrauch der Briefbögen im Geschäftsverkehr getroffen und damit auch insoweit Maßnahmen, die geeignet waren, sein Ausscheiden aus der Sozietät im Rechtsverkehr klarzustellen, versäumt hat.
3. Auf die Frage, ob der Beklagte den Trennstreifen angebracht hat, kommt es daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts rechtlich nicht an. Freilich beanstandet die Revision in diesem Zusammenhang zu Recht, daß das Berufungsgericht die Behauptung des Beklagten, bei Auftragserteilung seien die Namen der ehemaligen Sozii auf diese Weise getrennt gewesen, als zugestanden behandelt hat. Diese Auffassung beruht auf einer unzutreffenden Würdigung des klägerischen Vorbringens. Das Berufungsgericht hat den ersten Satz auf Seite 6 der Berufungsbegründung aus dem Zusammenhang gerissen. Der Abschnitt, in dem sich der Satz befindet, läßt unschwer erkennen, daß der Kläger nur das Anbringen des Streifens – gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässig – mit Nichtwissen bestritten, zugleich aber behauptet hat, ein solcher Streifen sei im Zeitpunkt der Beauftragung nicht mehr vorhanden gewesen.
4. Das Berufungsgericht hat keine Umstände festgestellt, die darauf hindeuten, der Kläger habe trotz des Rechtsscheintatbestandes Rechtsanwalt S. allein mit seiner Vertretung beauftragen wollen. Daß der Kläger sich weder auf eine auch dem Beklagten erteilte Vollmacht berufen noch vorgetragen hat, bei Erledigung des Auftrags dessen Mitwirkung gewünscht zu haben, besagt nichts. Grundsätzlich will der Mandant unabhängig davon, wer ihm bei Vertragsschluß gegenübertritt, später seine Sache bearbeitet und eine Vollmacht ausgestellt erhält, den Auftrag allen der Sozietät angehörenden Anwälten erteilen (vgl. BGHZ 70, 247, 249). Die vom Berufungsgericht herangezogenen Umstände sind folglich ungeeignet, die in diesem Sinne geltende tatsächliche Vermutung zu erschüttern.
5. Der Beklagte wäre allerdings nicht Vertragspartner des Klägers geworden, wenn dieser bei Vornahme des Rechtsgeschäfts von der Beendigung der Sozietät gewußt hätte oder sie hätte erkennen müssen. Das Berufungsgericht hält dies für naheliegend, weil der Kläger in unmittelbarer Nachbarschaft der Sozietät wohnt und beide Anwälte von Ansehen kannte. Indessen hat es keine Umstände festgestellt, und solche sind auch nicht unter Beweisantritt vorgetragen, auf die die Annahme einer positiven Kenntnis oder einer vorwerfbaren Unkenntnis gestützt werden könnte. Die Tatsache, daß die Sozietät bei Erteilung des Mandats bereits mehr als zwei Jahre aufgelöst war, sowie die räumliche Nähe zwischen dem Anwaltsbüro und dem Wohnsitz des Klägers begründen insoweit keine Vermutung. Da die Parteien sich nicht persönlich kennengelernt hatten, bestand für den Kläger keinerlei Anlaß, sich damals nach dem Verbleiben des Beklagten zu erkundigen.
III. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 563 ZPO). Die Sache ist auch nicht im Sinne der Klage entscheidungsreif.
1. Der Kläger hat Pflichtverletzungen von Rechtsanwalt S. sowie einen daraus entstanden Schaden in dem jetzt noch zur Entscheidung stehenden Umfang schlüssig dargelegt. Der Beklagte hat Anwaltsfehler jedenfalls teilweise in Abrede gestellt, Mitverschulden eingewandt und den Schaden in vollem Umfang bestritten. Insoweit fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen.
2. Mit der Verjährungseinrede dringt der Beklagte nicht durch.
a) Die dreijährige Verjährung des Primäranspruchs aus dem Vertragsverhältnis (§ 51 BRAO) beginnt mit der Entstehung des Schadens (BGHZ 94, 380, 385; Urt. v. 10. Oktober 1978 – VI ZR 115/77, NJW 1979, 264; Urt. v. 26. Februar 1985 – VI ZR 144/83, NJW 1985, 1151, 1152). Hat der Kläger die ihm zustehenden Ansprüche nur infolge mangelhaften Prozeßvortrags von Rechtsanwalt S. verloren, ist der Schaden frühestens mit Verkündung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils am 9. Februar 1983 eingetreten. Der Mahnbescheid ist dem Beklagten bereits am 9. Januar 1986 zugestellt worden. Allerdings hat die Verjährungsfrist schon vor dem 9. Februar zu laufen begonnen, wenn der Kläger den Auftrag schon vorher beendet hat. Das kann indes auf sich beruhen; denn jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Köln am 10. Januar 1983 bestand das Mandatsverhältnis noch.
b) Möglicherweise ist der aus entgangener Mieterhöhung hergeleitete Schaden bereits im Jahre 1982 dadurch eingetreten, daß Rechtsanwalt S. damals versäumt hat, den Kläger auf die Notwendigkeit hinzuweisen, zunächst das in § 5 des Mietvertrages vorgesehene Mieterhöhungsverfahren durchzuführen. Weil dieser Fehler aber während des vor dem Landgericht Köln geführten Rechtsstreits zur Sprache kam, hätte Rechtsanwalt S. den Kläger auf die Möglichkeit eines Regresses hinweisen müssen. Der aus dieser Unterlassung herrührende Sekundäranspruch war bei Zustellung des Mahnbescheids noch nicht verjährt. Die auf die Anscheinsvollmacht gegründete gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten erstreckt sich auch auf diesen Anspruch.
Fundstellen
Haufe-Index 650064 |
BB 1991, 440 |
NJW 1991, 1225 |
JuS 1991, 692 |