Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 20. April 1998 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. August 1997 - 5 O 146/97 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtsmittelinstanzen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt die Zahlung der Versicherungsleistung aus einer von ihrem verstorbenen Ehemann bei der Beklagten abgeschlossenen Kapital-Lebensversicherung.
Im Jahre 1979 schloß der Ehemann der Klägerin eine Renten-Lebensversicherung ab. Mit Nachtrag zum Versicherungsschein vom 4. Dezember 1993 bestimmte er die Klägerin als Bezugsberechtigte für seinen Todesfall. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Rentenversicherungen mit Todesfallkapital (AVB) zugrunde.
Am 16. März 1995 trat der Versicherungsnehmer sämtliche Rechte und Ansprüche aus der genannten Lebensversicherung für den Todes- und Erlebensfall in voller Höhe an die N-bank ab, wobei er der N-bank das Original des Versicherungsscheins aushändigte. In Nr. 5 der vorformulierten Abtretungserklärung widerrief er gleichzeitig das Bezugsrecht der Klägerin für die Dauer der Abtretung, soweit es den Rechten der N-bank entgegenstand. Nach Nr. 6 der Erklärung sollte der Versicherungsnehmer die Abtretung und den Widerruf der Bezugsberechtigung dem Versicherungsunternehmen mitteilen. Die N-bank war berechtigt, diese Mitteilungen ihrerseits dem Versicherer zu übersenden. Die Mitteilungen über die Abtretung und den Widerruf des Bezugsrechts unterblieben jedoch zunächst. Erst nachdem der Versicherungsnehmer am 1. Dezember 1995 gestorben war, unterrichtete die N-bank die Beklagte am 4. Dezember 1995 von der Abtretung und dem Widerruf der Bezugsberechtigung. Daß der Versicherungsnehmer bereits gestorben war, teilte die N-bank der Beklagten nicht mit. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 14. Dezember 1995 gegenüber der N-bank die Abtretung der im Versicherungsschein und im Nachtrag dokumentierten Ansprüche. Vom Tod des Versicherungsnehmers erfuhr die Beklagte erstmals durch Schreiben der N-bank vom 10. Januar 1996, mit dem diese unter Beifügung des Versicherungsscheins und einer für den Versicherungsnehmer ausgestellten Sterbeurkunde um Überweisung der Todesfallsumme aus der Lebensversicherung auf das bei ihr geführte Konto des Verstorbenen bat. Auch die Klägerin machte mit Schreiben ihrer Rechtsanwälte vom 5. Februar 1996 unter Berufung auf ihre Bezugsberechtigung den Anspruch auf die Versicherungsleistung geltend. In dem anwaltlichen Schreiben der Klägerin heißt es u.a.: „Wir überreichen Ihnen als Fotokopie die Sterbeurkunde vom 7. Dezember 1995 und bitten unter Hinweis darauf, daß mit dem Zeitpunkt des Ablebens des Versicherungsnehmers das vertraglich vereinbarte Bezugsrecht zugunsten unserer Mandantin unwiderruflich geworden ist, um sofortige Auszahlung der Versicherungsleistung”. Durch Anweisung vom 5. März 1996 überwies die Beklagte die Versicherungssumme von 189.311,96 DM auf das von der N-bank angegebene Konto. Mit Schreiben vom gleichen Datum zeigte sie der Klägerin die Zahlung der Versicherungssumme „an den Zessionar” an.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte wegen ihrer – der Klägerin – wirksam begründeten Bezugsberechtigung nur an sie mit befreiender Wirkung hätte leisten können. Die Legitimationswirkung des durch die Zessionarin vorgelegten Versicherungsscheins sei unbeachtlich, da die Beklagte von der Bezugsberechtigung der Klägerin in Kenntnis gesetzt worden sei.
§ 14 Nr. 1 der dem Vertrag zugrundeliegenden AVB lautet:
„Der Versicherer darf den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen, über alle Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere die Leistung des Versicherers in Empfang zu nehmen; er kann aber den Nachweis der Verfügungs- oder Empfangsberechtigung verlangen.”
In § 16 Nr. 2 der AVB heißt es:
„Verpfändungen und Abtretungen der Ansprüche aus der Versicherung sind dem Versicherer gegenüber nur dann wirksam, wenn sie der bisherige Verfügungsberechtigte dem Vorstand des Versicherers schriftlich angezeigt hat. Bei Abtretungen kann statt der Anzeige die Abtretungsurkunde vorgelegt werden.”
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 189.311,96 DM nebst 4% Zinsen seit dem 21. Mai 1996 zu verurteilen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Todesfalleistung, deren Höhe von 189.311,96 DM unstreitig ist.
1. a) Die Klägerin war Bezugsberechtigte und ist es geblieben. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Bezugsberechtigung der Klägerin habe trotz der Abtretungserklärung vom 16. März 1996 und dem damit verbundenen Widerruf des Bezugsrechts Bestand gehabt, denn sowohl die Abtretung als auch der Widerruf seien der Beklagten erst nach Eintritt des Versicherungsfalls mitgeteilt worden. Dies führe wegen des Verstoßes gegen § 16 Nr. 2 der AVB zur absoluten Unwirksamkeit der Abtretung. Die erst nach dem Tod des Versicherungsnehmers bei der Beklagten am 4. Dezember 1995 eingegangene Abtretungsanzeige könne eine Wirksamkeit der Abtretung im Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht mehr begründen, da die Klägerin den Leistungsanspruch mit Eintritt des Versicherungsfalles erworben habe und die Möglichkeit zur nachträglichen Änderung oder Einschränkung ihrer Bezugsberechtigung damit entfallen sei, §§ 16 Nr. 1 AVB, 331 Abs. 1 BGB.
Diese Ausführungen enthalten keine Rechtsfehler. Sie finden sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGHZ 112, 387; Urteil vom 19. Februar 1992 - IV ZR 111/91 - VersR 1992, 561 = VVGE § 15 ALB Nr. 4; BGHZ 81, 95).
b) Die Revisionserwiderung ist der Auffassung, die Abtretung sei auch nach dem Tode des Versicherungsnehmers noch wirksam geworden, weil die Beklagte auf ihre Bedingung des Zugangs der Abtretungsanzeige vor dem Tod des Versicherungsnehmers verzichten konnte und verzichtet habe. Dem kann nicht beigetreten werden. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 31. Oktober 1990 (BGHZ 112, 387, 389) ausgeführt, die in jenem Fall zu beurteilende Klausel des § 15 Abs. 2 ALB sei „vom Ergebnis her” nicht anders, als wenn sie dahin lauten würde, daß die Abtretung ohne Zustimmung des Versicherers nur unter der Bedingung wirksam werde, daß sie schriftlich angezeigt wird. Darauf kann die Revisionserwiderung ihre Auffassung nicht stützen. Denn der herangezogene Vergleich „vom Ergebnis her” bedeutet nicht, daß der Versicherer mit seiner Regelung tatsächlich eine Bedingung gesetzt hat, auf die er dann auch nach seinem Belieben verzichten könnte. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen abzustellen ist (st.Rspr., vgl. BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.), versteht die Regelung des § 16 Abs. 2 der hier zu beurteilenden Bedingungen nicht so, daß die Wirksamkeit einer Abtretung vom Versicherer auch durch Verzicht auf den Zugang der Abtretungserklärung vor dem Eintritt des Versicherungsfalls durch den Versicherer herbeigeführt werden könnte. Auch aus den Darlegungen von Winter (in Bruck/Müller/Winter, VVG 8. Aufl. 5. Band, 2. Halbb. Anm. C 321) kann die Revisionserwiderung nichts für ihre Auffassung herleiten. Winter geht bei seinen Ausführungen aus dem Jahre 1988 noch von einer relativen Unwirksamkeit der Abtretung aus. Er konnte die oben genannten Urteile des Bundesgerichtshofes aus den Jahren 1990 und 1992, die eine absolute Unwirksamkeit feststellen, nicht berücksichtigen.
2. Damit steht – insoweit mit dem Berufungsgericht – fest, daß die Beklagte nicht an die wahre Berechtigte geleistet hat. Das Berufungsgericht ist aber der Meinung, trotz weiter bestehenden Bezugsrechts der Klägerin stehe dieser der Anspruch nicht zu, weil die Beklagte durch die Auszahlung des Betrages an die N-bank als vermeintlicher Zessionarin von ihrer Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag gegenüber der Klägerin gem. § 14 AVB i.V.m. § 4 Abs. 1 VVG, § 808 BGB frei geworden sei. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand.
a) Richtig geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß der Versicherungsschein aufgrund der Inhaberklausel des § 14 AVB ein qualifiziertes Legitimationspapier i.S.d. § 4 Abs. 1 VVG, § 808 BGB ist. Dadurch wird der Aussteller grundsätzlich dann von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er an den Inhaber des Versicherungsscheins leistet, auch wenn dieser zum Empfang der Leistung nicht berechtigt ist. Eine Ausnahme gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur, wenn der Aussteller die mangelnde Verfügungsberechtigung des Inhabers positiv gekannt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat (BGHZ 28, 368, 371).
Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe bei der Auszahlung des Betrages keine positive Kenntnis von der Nichtberechtigung der N-bank gehabt. Dafür fehle es schon an hinreichenden Anhaltspunkten. Die Beklagte sei entgegen der wahren Rechtslage ersichtlich davon ausgegangen, daß die Sicherungsabtretung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung nebst Widerruf der Bezugsberechtigung wirksam gewesen seien. Dafür spreche zunächst, daß die Beklagte vor ihrer Entscheidung zur Auszahlung der Versicherungssumme an die Zessionarin die schriftliche Abtretungserklärung des Versicherungsnehmers in Händen gehabt habe und nach deren Prüfung zur Berechtigung der Zessionarin gekommen sei. Des weiteren ergebe sich auch aus der Vorkorrespondenz, daß die Beklagte von der Wirksamkeit der Abtretung ausgegangen sei, denn sie habe die Abtretung bestätigt und sich neben der Inhaberklausel auch auf die Wirksamkeit der Abtretung berufen. Demgegenüber nimmt die Revision zwar an, die Beklagte habe positive Kenntnis von der Unwirksamkeit der Abtretung gehabt, zeigt jedoch nicht auf, worin Rechtsfehler in der gegenteiligen Feststellung des Berufungsgerichts liegen sollen.
b) Dem Ergebnis des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit befreiender Wirkung an die N-bank gezahlt, kann aber deshalb nicht gefolgt werden, weil die Beklagte mit ihrer Leistung gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, § 242 BGB, verstoßen hat. Deshalb braucht auf die weiteren Fragen nicht eingegangen zu werden, ob bei einer Leistung an den Nichtberechtigten die befreiende Wirkung des § 808 BGB auch dann entfällt, wenn der Aussteller des Legitimationspapiers grob fahrlässig keine Kenntnis von der Nichtberechtigung des Inhabers hatte (so z.B. OLG Düsseldorf, NJW 1987, 654) oder ob die Inhaberklausel des § 14 AVB wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam ist, wie die Revision meint.
Aus den ihr vorliegenden Unterlagen wußte die Beklagte, daß ihr Versicherungsnehmer seine Ehefrau als Bezugsberechtigte benannt hatte. Nach dem Tod des Versicherungsnehmers war die aus dem Bezugsrecht sich ergebende Anwartschaft zu einem Leistungsanspruch erstarkt. Aufgrund dieser gefestigten Rechtsposition der Bezugsberechtigten gegenüber dem Versicherer ist dieser gehalten, auch die Interessen seines potentiellen Gläubigers zu wahren. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen, obwohl sie im vorliegenden Fall besonderen Anlaß dazu hatte. Denn die Klägerin hatte ihr anwaltlich mitteilen lassen, daß sie den Anspruch auf die Versicherungsleistung erhebe. Dabei hat der Anwalt der Klägerin gleichzeitig darauf hingewiesen, daß mit dem Tod des Versicherungsnehmers das Bezugsrecht seiner Mandantin unwiderruflich geworden sei.
Die Klägerin durfte darauf vertrauen, daß die Beklagte auch ihre, der Klägerin, Interessen wahre, gerade weil sich ihre Rechtsposition inzwischen verfestigt hatte. Sie konnte sich darauf verlassen, der Hinweis auf ihr unwiderruflich gewordenes Bezugsrecht mache die Rechtslage hinreichend deutlich. Der Anwalt der Klägerin durfte – wie auch jeder Versicherungsnehmer – davon ausgehen, die Beklagte werde als Versicherungsunternehmen ihre Mitarbeiter in Rechtsfragen so weit schulen, wie es erforderlich ist, damit der Sachbearbeiter die ihm vom Unternehmen übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann. Dazu gehörte hier, daß die Sachbearbeiterin über Voraussetzungen und Folgen einer absolut unwirksamen Abtretung ausreichend unterrichtet war, weil sie anders die Entscheidung, an wen die Versicherungsleistung zu bewirken ist, nicht sachgerecht treffen kann.
Daß die Sachbearbeiterin der Beklagten die Interessen der Klägerin erheblich vernachlässigte, ist durch die Wahrung eigener Interessen der Beklagten nicht gerechtfertigt. Die Beklagte stand bei ihrer Entscheidung, an welchen der beiden Forderungsprätendenten sie auszahle, unter keinem Zeitdruck. Sie hatte genügend Zeit, die Voraussetzungen der Entscheidung zu ermitteln und gegebenenfalls auch bei der Klägerin zur weiteren Aufklärung rückzufragen. Wenn sie sich dazu nicht veranlaßt oder nicht in der Lage sah, stand ihr jedenfalls die Möglichkeit zur Verfügung, den Betrag unter Verzicht auf den Widerruf und deshalb mit befreiender Wirkung beim Amtsgericht nach § 372 BGB zu hinterlegen. All das hat die Beklagte trotz des Schreibens der Klägerin vom 5. Februar 1996 unbeachtet gelassen und damit gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Römer, Dr. Schlichting, Terno, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.02.1999 durch Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 541267 |
NJW-RR 1999, 898 |
NVersZ 1999, 365 |
VersR 1999, 700 |
VuR 1999, 324 |