Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzklage gegen Versicherung. Abweisung. Rechtskrafterstreckung. Ausschluss weiterer Klagemöglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein mit seiner Klage auf Schadensersatz gegen den Versicherer "nur" wegen Verjährung (§ 3 Nr. 3 S. 2 Hs. 2 PflVG) abgewiesener Geschädigter kann nicht mehr mit Erfolg gegen den Schädiger klagen.
Normenkette
PflVG § 3 Nr. 8, Nr. 3 S. 2 Hs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Hamm v. 6.5.2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, ein überregionaler Sozialhilfeträger, nimmt den Beklagten (früher: Beklagter zu 2)) aus übergegangenem Recht (§ 116 Abs. 1 SGB X) auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden in Anspruch. Bei einem Verkehrsunfall am 27.3.1988 erfasste der Beklagte mit seinem bei dem früheren Beklagten zu 1) (im Folgenden: Versicherer) haftpflichtversicherten Fahrzeug ein damals 6 Jahre und 2 Monate altes Kind, das zwischen zwei am rechten Fahrbahnrand geparkten Autos hindurch auf die Fahrbahn gelaufen war. Das Kind erlitt u. a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma auf Grund dessen es lebenslang behindert ist. Seit dem 21.8.2000 befindet es sich im Arbeitstrainingsbereich der R. Werkstätten.
Der Kläger erhielt nach seiner Behauptung erstmals am 19.6.2000 anlässlich einer Fachausschusssitzung in den R. Werkstätten Kenntnis davon, dass die Behinderung des Geschädigten auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Mit Schreiben v. 9.1.2001 bat der Kläger den Versicherer darum, ihm zur Prüfung eines Anspruchs des Geschädigten auf Schadensersatz die Aktenvorgänge des Verfahrens zur Verfügung zu stellen. Der Versicherer wies mit Schreiben v. 22.1.2001 Ansprüche als unbegründet zurück, da das Unfallgeschehen für den Beklagten unabwendbar gewesen sei. Im Folgenden bestand der Kläger auf Übersendung der Unterlagen über den Schadenshergang, die der Versicherer, der sich mittlerweile auf Verjährung des Anspruchs berufen hatte, schließlich im April 2001 übersandte.
Das LG hat der am 27.4.2001 erhobenen Klage gegen den Beklagten stattgegeben; die in demselben Verfahren erhobene Klage gegen den Versicherer hat es abgewiesen. Da der Kläger erst am 19.6.2000 von seiner Kostentragungspflicht und dem hierfür ursächlichen Unfall Kenntnis erhalten habe, sei der Anspruch gegen den Beklagten nicht verjährt. Hingegen sei die für den Anspruch gegen den Versicherer maßgebliche zehnjährige Verjährungsfrist des § 3 Nr. 3 S. 2 PflVG noch vor Klageerhebung abgelaufen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger kein Rechtsmittel eingelegt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des LG abgeändert und die Klage auch ihm gegenüber abgewiesen. Mit seiner zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht - sein Urteil ist in VersR 2003, 56 f. veröffentlicht - meint, weil die Klage gegen den Versicherer rechtskräftig abgewiesen worden sei, müsse auf Grund der Rechtskrafterstreckung des § 3 Nr. 8 PflVG auch die Klage gegen den Beklagten abgewiesen werden. Sinn und Zweck der für den Versicherer geltenden Verjährungsfrist des § 3 Nr. 3 PflVG erforderten eine Rechtskrafterstreckung (§ 3 Nr. 8 PflVG) auch in den Fällen, in denen die Klage "nur" wegen Verjährung abgewiesen worden sei, da die Regelung über die Verjährungshöchstfrist sonst leerlaufe. Der Geschädigte habe nämlich die Möglichkeit, den Schädiger auch noch nach Ablauf der Zehnjahresfrist in Anspruch zu nehmen (§ 852 Abs. 1 BGB a. F.). Wenn dieser in einem solchen Fall seine Ansprüche gegen den Versicherer geltend mache, würde dies letztlich entgegen § 3 Nr. 3 S. 2, 2. HS PflVG doch zur Haftung des Versicherers führen.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine Rechtskrafterstreckung nach § 3 Nr. 8 PflVG auch dann in Betracht kommt, wenn der Direktanspruch und der Haftpflichtanspruch nicht in getrennten, nacheinander geführten Prozessen geltend gemacht, sondern Versicherer und Schädiger als - einfache (vgl. BGH BGHZ 63, 51 [53 ff.]) - Streitgenossen gemeinsam im selben Rechtsstreit in Anspruch genommen werden (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.1977 - VI ZR 206/75, VersR 1978, 862 [865]; v. 29.5.1979 - VI ZR 128/77, VersR 1979, 841 f.; v. 14.7.1981 - VI ZR 254/79, MDR 1982, 219 = VersR 1981, 1156 ff.; v. 14.7.1981 - VI ZR 304/79, MDR 1982, 219 = VersR 1981, 1158 f.).
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht im Streitfall auch zu Recht eine Rechtskrafterstreckung gem. § 3 Nr. 8 PflVG angenommen.
Bereits in seinem Urt. v. 29.5.1975 (BGH, Urt. v. 29.5.1975 - VI ZR 128/77, VersR 1979, 841 ff.) hat es der erk. Senat als sehr zweifelhaft bezeichnet, ob derjenige, der mit seinem Ersatzanspruch gegen den Schädiger "nur" wegen Verjährung abgewiesen worden sei, trotz § 3 Nr. 8 PflVG anschließend noch mit Erfolg gegen den Versicherer klagen könne. Infolge der Besonderheiten der damaligen Fallgestaltung konnte diese Frage allerdings letztlich offen bleiben. Sie ist nunmehr zu entscheiden. Im Streitfall kommt der Senat nach Prüfung der von der Revision vorgetragenen Bedenken mit dem Berufungsgericht zu der Auffassung, dass die Rechtskrafterstreckung nach § 3 Nr. 8 PflVG auch dann erfolgt, wenn der Geschädigte mit seinem Begehren auf Schadensersatz nur deshalb unterlegen ist, weil die zehnjährige Verjährungsfrist für seinen Anspruch gegen den Pflichtversicherer abgelaufen ist.
a) Der Wortlaut von § 3 Nr. 8 PflVG vermag die gegenteilige Ansicht der Revision nicht zu stützen.
Ihre Auffassung, bei Abweisung der Klage wegen Ablaufs der Verjährungsfrist nach § 3 Nr. 3 S. 2, 2. HS PflVG seien die Voraussetzungen des § 3 Nr. 8 PflVG nicht erfüllt, sondern es stehe dem Kläger noch ein Anspruch im Sinne dieser Vorschrift zu, der lediglich infolge Verjährung nicht durchsetzbar sei, ist nicht zwingend. Vielmehr legt der Wortlaut der Norm eine Auslegung dahin nahe, dass die Rechtskrafterstreckung immer dann Platz greift, wenn der Anspruch aus sachlichen und nicht etwa aus prozessualen Gründen abgewiesen wird. Bei dieser Betrachtungsweise steht dem Geschädigten ein Anspruch, der - wie hier - wegen Verjährung abgewiesen wird, i. S. d. § 3 Nr. 8 PflVG nicht (mehr) zu.
b) Auch den Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, dass die in § 3 Nr. 8 PflVG vorgesehene Rechtskrafterstreckung in den Fällen einer Klageabweisung wegen Verjährung nicht gelten solle. In der gesetzlichen Begründung wird ausgeführt, dass die Erstreckung der Urteilswirkung nur eintrete, wenn und soweit die Klage deswegen abgewiesen worden sei, weil das Gericht das Bestehen eines Anspruchs des Geschädigten auf Ersatz des Schadens verneint habe. Sie trete nicht ein, wenn die Klage aus anderen Gründen abgewiesen worden sei, etwa weil "der Versicherer entgegen Nummer 1 S. 2 auf Naturalersatz in Anspruch genommen worden ist oder weil er sich auf einen auch gegenüber dem Geschädigten wirkenden Risikoausschluss berufen konnte oder im Falle einer reinen Prozessabweisung" (BT-Drucks. IV/2252, 18). Hingegen fehlt ein Hinweis auf die Verjährung, der jedoch im Hinblick auf die Regelung des § 3 Nr. 3 S. 2, 2. HS PflVG nahe gelegen hätte, wenn auch diese Fälle von der Rechtskrafterstreckung hätten ausgenommen werden sollen.
c) Entscheidend für die Rechtskrafterstreckung in Fällen, in denen eine Klage auf Schadensersatz "nur" wegen Verjährung abgewiesen worden ist, sprechen zudem Sinn und Zweck der Regelungen des § 3 Nr. 3 S. 2, 2. HS und Nr. 8 PflVG.
aa) Der Gesetzgeber hat in § 3 Nr. 8 PflVG die Erstreckung der Rechtskraft klageabweisender Urteile vorgesehen, um dem Versicherer nachteilige Folgen aus der Doppelgleisigkeit der Ansprüche des Geschädigten gegen Versicherer und Schädiger zu vermeiden. Er wollte erreichen, dass der Anspruch gegen den Versicherer - abweichend von den allgemeinen Vorschriften (§§ 421 ff. BGB; § 325 Abs. 2 ZPO) - hinsichtlich der Wirkung eines abweisenden Gerichtsurteils im Regelfall das Schicksal des Schadensersatzanspruchs gegen den Ersatzpflichtigen teilt und umgekehrt (vgl. BT-Drucks. IV/2252, 15).
Die negative Entscheidung über den Direktanspruch gegen den Versicherer wirkt demnach auch zu Gunsten des nicht unmittelbar von diesem Urteil betroffenen Versicherungsnehmers. Das hat zur Folge, dass eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.1977 - VI ZR 206/75, VersR 1978, 862 [865]; v. 29.5.1979 - VI ZR 128/77, VersR 1979, 841 f.; v, 14.7.1981 - VI ZR 254/79, MDR 1982, 219 = VersR 1981, 1156 [1157]; v. 30.4.1985 - VI ZR 110/83, MDR 1985, 923 = VersR 1985, 849 [850]). Dies muss von der Interessenlage her auch für diejenigen Fälle gelten, in denen die Haftung des Schädigers oder des Versicherers "nur" wegen Verjährung abgewiesen worden ist.
bb) In § 3 Nr. 3 PflVG hat der Gesetzgeber die Verjährung von Direktanspruch und Haftpflichtanspruch weitgehend angeglichen. Dadurch, dass die Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung, die bei dem Anspruch gegen den Haftpflichtigen oder bei dem unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer eingetreten ist, sich jeweils auch auf den Anspruch gegen den anderen Schuldner auswirkt, sollte vermieden werden, dass die beiden eng zusammenhängenden Ansprüche des Geschädigten unter Umständen zu verschiedenen Zeitpunkten verjähren und dadurch für den Geschädigten wie auch für die übrigen Beteiligten sachlich nicht gerechtfertigte Ergebnisse zu Stande kommen (vgl. BT-Drucks. IV/2252, 16). Infolgedessen besteht kein Anlass, dem Geschädigten nach rechtskräftiger Abweisung seiner Klage wegen Verjährung die Möglichkeit zu eröffnen, dieses Ergebnis trotz der in § 3 Nr. 8 PflVG normierten Rechtskrafterstreckung in einem weiteren Prozess gegen den anderen Ersatzschuldner zu korrigieren.
cc) In § 3 Nr. 3 S. 2, 2. HS PflVG hat der Gesetzgeber die allgemeine Verjährungsfrist von dreißig Jahren für den Direktanspruch durch eine Höchstfrist von zehn Jahren ersetzt. Damit hat er der mit der Einführung des Direktanspruchs eingetretenen erhöhten Belastung der Versicherer Rechnung getragen. Zugleich hat er berücksichtigt, dass Schuldner des Anspruchs ein Versicherungsunternehmen ist und Versicherungsunternehmen auf einen möglichst baldigen Abschluss ihres Rechnungswerks Wert legen müssen (vgl. BT-Drucks. IV/2252, 16).
Unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Normen sowie der Interessenlage wirkt die Rechtskrafterstreckung des § 3 Nr. 8 PflVG auch dann zu Gunsten des Schädigers, wenn die Klage gegen den Versicherer - wie hier - wegen Ablaufs dieser zehnjährigen Verjährungsfrist abgewiesen wird. Das Berufungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die für den Direktanspruch geltende Höchstfrist von zehn Jahren praktisch leer liefe, räumte man dem Geschädigten die Möglichkeit ein, trotz rechtskräftiger Abweisung der Klage gegen den Versicherer auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist den Schädiger in Anspruch zu nehmen. Da dieser gegen den Versicherer den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend machen könnte, käme es auf diesem Weg trotz rechtskräftiger Abweisung der Klage gegen den Versicherer letztlich doch zu dessen Haftung. Dies widerspräche jedoch Sinn und Zweck der Einführung der Verjährungshöchstfrist.
Die Revision ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 965167 |
BGHR 2003, 1162 |
NJW-RR 2003, 1327 |
EWiR 2003, 1203 |
ZAP 2003, 1043 |
DAR 2003, 511 |
MDR 2003, 1231 |
VRS 2003, 337 |
VersR 2003, 1121 |
ZfS 2004, 12 |
IVH 2003, 195 |