Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an den Nachweis der Echtheit der Unterschrift eines Rechtsanwalts unter einem bestimmenden Schriftsatz.
Normenkette
ZPO § 130 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Februar 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten werden für die Revisionsinstanz nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs. Das Landgericht hat der Klage, die auf Zahlung von 10.560,35 DM Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und auf Feststellung des Annahmeverzugs des Beklagten gerichtet war, bis auf einen Betrag von 125,35 DM stattgegeben. Der Beklagte hat das erstinstanzliche Urteil mit der Berufung angefochten. Sowohl die Berufungsschrift als auch die Berufungsbegründung enthalten unter der Unterschrift den maschinenschriftlichen Zusatz „Rechtsanwalt – U. K.”; die beiden Unterschriften weichen in ihrem Erscheinungsbild allerdings deutlich voneinander ab. Das Berufungsgericht hat deshalb angenommen, die Unterschriften rührten von verschiedenen Urhebern her, und hat den Parteien Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen. Der Beklagte hat dazu behauptet, beide Unterschriften stammten von seinem Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt K.. Dieser unterzeichne an „ausgeruhten Tagen” mit der „etwas kunstvolleren Version”, wie sie die „Berufungsschrift” – gemeint ist die Berufungsbegründung – trage, an „anstrengenden Tagen” mit einer „Kritzel-Kratzel-Version” wie in der Berufungsschrift. Rechtsanwalt K. selbst hat gegenüber dem Berufungsgericht an Eides Statt versichert, beide Unterschriften stammten von ihm.
Das Berufungsgericht hat ein graphologisches Gutachten zu der Frage eingeholt, ob beide Unterschriften vom selben Urheber herrührten. Auf der Grundlage einer Vielzahl von Vergleichsunterschriften und ausgehend von sechs positiven Wahrscheinlichkeitsstufen ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, Rechtsanwalt K. sei „wahrscheinlich” (= 4. Wahrscheinlichkeitsstufe) Urheber der Unterschrift unter der Berufungsschrift und „mit hoher Wahrscheinlichkeit” (= 3. Wahrscheinlichkeitsstufe) Urheber der Unterschrift unter der Berufungsbegründung. Er hat ausgeführt, der Namensträger verfüge über zwei abweichende Unterschriftsvarianten, wobei auch eine Vermischung beider Varianten vorkommen könne. Die wegen der Kürze der Schreibleistung eingeschränkte graphische Ergiebigkeit der beiden strittigen Unterschriften und der Vergleichsunterschriften hätten sich in einer Einschränkung der Wahrscheinlichkeitsaussage auswirken müssen.
Das Berufungsgericht hat die Echtheit der Unterschrift unter der Berufungseinlegung als nicht erwiesen angesehen und deshalb die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die eigenhändige Unterschrift eines beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwaltes sei eine von Amts wegen zu prüfende Wirksamkeitsvoraussetzung jedes fristwahrenden bestimmenden Schriftsatzes. Etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Rechtsmitteln seien im Wege des Freibeweises zu klären; dieser müsse die volle Überzeugung des Gerichts von der zu beweisenden Tatsache begründen, die bloße Glaubhaftmachung reiche nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend sei die persönliche Gewißheit, die Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen. Mit einer solchen Gewißheit habe es sich jedoch nicht von dem Vorliegen einer von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterzeichneten Berufungsschrift überzeugen können. Zwar habe es keine Zweifel, daß die Unterschrift unter der Berufungsbegründung von Rechtsanwalt K., dem einzigen beim Oberlandesgericht Köln zugelassenen Anwalt seiner Sozietät, stamme. Dagegen reiche der vom Sachverständigen für die Unterschrift unter der Berufungsschrift festgestellte relativ geringe Wahrscheinlichkeitsgrad („wahrscheinlich”) für den vollen Beweis der Urheberschaft des Rechtsanwalts K. – auch unter Berücksichtigung seiner eidesstattlichen Versicherung – nicht aus. Zweifel verblieben letztlich auch nach der Leistung von Vergleichsunterschriften in der Berufungsverhandlung vom 12. Januar 2001, die in ihrem Erscheinungsbild überwiegend von den Unterschriften des betreffenden Typs abwichen.
II. Diese Ausführungen halten der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nicht stand.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (z.B. Urteil vom 10. Juli 1997 – IX ZR 24/97, BGHR ZPO § 130 Nr. 6, Unterschrift 12 = NJW 1997, 3380 unter II 1 m.w.Nachw.) ist bei bestimmenden Schriftsätzen die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers erforderlich, um diesen unzweifelhaft identifizieren zu können. Die Prüfung, ob eine Unterzeichnung die Anforderungen erfüllt, die an eine Unterschrift unter einem bestimmenden Schriftsatz gemäß § 130 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, hat der Bundesgerichtshof von Amts wegen ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts vorzunehmen. Etwaige Zweifel an der Echtheit oder Vollständigkeit der Unterschrift sind, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gegebenenfalls im Wege des Freibeweises zu klären. In die Prüfung sind alle bedeutsamen Umstände des Einzelfalles einzubeziehen. Soweit es für die Beurteilung der Urheberschaft entscheidend auf das Schriftbild ankommt, wird eine sachverständige Begutachtung geboten sein, weil dem Gericht in aller Regel die eigene Sachkunde hierfür fehlen wird.
2. Nach den vorstehenden Grundsätzen kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht ist an sich von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen; es hat jedoch die Anforderungen an den Nachweis der Echtheit der Unterschrift auf der Berufungsschrift überspannt und die gebotene umfassende Gesamtwürdigung der Umstände vernachlässigt. Entgegen seiner Ansicht ist bewiesen, daß der Berufungsschriftsatz von Rechtsanwalt K. unterzeichnet worden ist.
a) Es kann dahinstehen, ob der vom Sachverständigen ermittelte Wahrscheinlichkeitsgrad „wahrscheinlich” – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – für sich allein ausreicht, um in einem Fall wie dem vorliegenden die richterliche Überzeugung von der Echtheit der Unterschrift zu begründen. Immerhin spricht schon diese Bewertung überwiegend für die Urheberschaft des Rechtsanwalts K.. Merkmale, die gegen seine Urheberschaft sprechen, hat der Sachverständige trotz der Verschiedenartigkeit der beiden Unterschriftstypen nicht finden können.
Soweit sich das Berufungsgericht in seinen Zweifeln an der Echtheit der strittigen Unterschrift durch die Abweichungen der in der Berufungsverhandlung von Rechtsanwalt K. geleisteten Vergleichsunterschriften bestärkt sieht, hat es nicht dargetan, daß es aufgrund eigener Sachkunde zu einer sachverständigen Beurteilung des Erscheinungsbildes der Unterschriften in der Lage ist. Hierauf kann deshalb – anders als bei der Frage, ob ein Schriftzug überhaupt als Unterschrift oder lediglich als sogenannte Paraphe anzusehen ist (vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 – IX ZR 24/97 = BGHR ZPO § 130 Nr. 6, Unterschrift 12, m.w.Nachw.) – im vorliegenden Fall nicht abgestellt werden.
b) Die Bedenken des Oberlandesgerichts gegen die Urheberschaft des Rechtsanwalts K. beruhen ersichtlich in erster Linie auf der Verschiedenartigkeit der beiden Unterschriften unter der Berufungsschrift und der Berufungsbegründung. Das ist an sich ohne weiteres nachvollziehbar; denn die Unterschrift ist im allgemeinen wegen ihres individuellen und charakteristischen, nur schwer nachzuahmenden Erscheinungsbildes dazu bestimmt und geeignet, die Identität des Unterschreibenden mit einer gewissen Sicherheit erkennen zu lassen (vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 9. November 1988 – I ZR 149/87 = BGHR aaO, Unterschrift 3 m.w.Nachw.). Jedoch hat der Bundesgerichtshof schon früher bei der Bewertung voneinander abweichender Unterschriften einen verhältnismäßig großzügigen Maßstab angelegt und zur Begründung darauf hingewiesen, daß die Unterschrift einer Person erfahrungsgemäß verschieden ausfallen könne, je nachdem, ob sie unter Zeitdruck oder sonst ungünstigen Verhältnissen oder ob sie in Ruhe und Sorgfalt geleistet worden sei (Beschluß vom 13. Oktober 1993 – IV ZB 9/93 = BGHR aaO, Unterschrift 7). Davon ist auch der Sachverständige in seinem Gutachten ausgegangen. In der ins Auge fallenden Verschiedenartigkeit der beiden strittigen Unterschriften hat er keinen Anlaß gesehen, an deren Echtheit zu zweifeln.
c) Nach der graphologischen Betrachtung etwa noch verbleibende Zweifel werden durch die in die Gesamtwürdigung einzubeziehenden sonstigen Umstände beseitigt.
Bei Unterschriftsleistungen eines Rechtsanwalts, die dieser in beruflichen Schriftstücken, namentlich in bestimmenden Schriftsätzen gegenüber einem Gericht, vornimmt, ist von vornherein der Verdacht einer Fälschung oder der Beteiligung an einer solchen Tat fernliegend; denn der Rechtsanwalt ist als Organ der Rechtspflege und aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zur gewissenhaften Ausübung seines Berufes (§§ 1, 43 Satz 1 BRAO) in gesteigertem Maß zu sorgfältigem und rechtlich einwandfreiem Verhalten bei der Unterzeichnung von Schriftsätzen gehalten. Schon deshalb erscheint es bedenklich, ohne konkrete Anhaltspunkte – sieht man von dem nach den Ausführungen des Sachverständigen insoweit nicht aussagekräftigen äußeren Schriftbild der strittigen Unterschriften ab – den Verdacht einer Beteiligung des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten an einer Unterschriftsfälschung ernsthaft zu erwägen; eben darauf läuft jedoch die Beurteilung des Oberlandesgerichts hinaus. Verfehlt ist ein derartiger Verdacht im vorliegenden Fall aber deshalb, weil der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten gegenüber dem Oberlandesgericht an Eides Statt versichert hat, beide Unterschriften, also auch jene – vom Berufungsgericht für zweifelhaft gehaltene – unter der Berufungsschrift vom 9. Juni 1999, stammten von ihm. Auch das Berufungsgericht hat Anhaltspunkte für eine Fälschung nicht entdecken können. Dann aber kann bei der gebotenen Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände kein vernünftiger Zweifel bestehen, daß Rechtsanwalt K. nicht nur die Berufungsbegründung, sondern ebenso die Berufungsschrift, wenn auch mit einer anderen Unterschriftsvariante, eigenhändig unterzeichnet hat (§ 130 Nr. 6 ZPO).
III. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen in der Sache selbst war das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Senat hat es für geboten erachtet, daß Gerichtskosten für die Revisionsinstanz nicht erhoben werden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Deppert für den wegen urlaubsbedingter Ortsabwesenheit an der Unterzeichnung verhinderten Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wolst, Dr. Frellesen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.07.2001 durch Kirchgeßner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 625308 |
BB 2001, 1817 |
HFR 2002, 253 |
NJW 2001, 2888 |
BGHR 2002, 81 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1866 |
ZAP 2001, 1131 |
MDR 2001, 1255 |
VersR 2002, 589 |
MittRKKöln 2001, 337 |