Entscheidungsstichwort (Thema)
Betrug
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 15. April 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 196 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die Sachrüge ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auch die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
1. Den auf die Verletzung des § 145 Abs. 3 und § 229 Abs. 1 StPO gestützten Verfahrensrügen liegt folgender Vorgang zugrunde:
Die Hauptverhandlung wurde am 16. und 23. März sowie am 6. und 15. April 1999 durchgeführt. In den Terminen vom 16. und 23. März 1999 war Rechtsanwalt W. aus Ha. der einzige (Wahl-) Verteidiger des Angeklagten. Am 6. April 1999 gegen 8.12 Uhr wurde dem Vorsitzenden der Strafkammer mitgeteilt, daß sich Rechtsanwalt W. am frühen Morgen desselben Tages wegen einer plötzlichen Erkrankung in ärztliche Behandlung habe begeben müssen und deshalb den auf 9.00 Uhr bestimmten Fortsetzungstermin nicht wahrnehmen könne. Im Termin bestellte der Vorsitzende dem Angeklagten für die Hauptverhandlung vom 6. April 1999 Rechtsanwalt H. aus K., der weder den Angeklagten noch die Strafsache kannte, als Pflichtverteidiger. Nach Rücksprache mit dem Angeklagten beantragte Rechtsanwalt H., das Verfahren gemäß § 145 Abs. 3 StPO auszusetzen, was die Strafkammer durch Beschluß ablehnte. Sodann wurde ein rechtskräftiges Urteil der Strafkammer vom 18. August 1995 gegen einen Mittäter verlesen. Danach wurde die Hauptverhandlung, die von 9.50 Uhr bis 10.50 Uhr gedauert hatte, zur Fortsetzung am Donnerstag, 15. April 1999, unterbrochen. An diesem Tag übernahm der Wahlverteidiger Rechtsanwalt W. wieder die Verteidigung des Angeklagten. Im Fortsetzungstermin, in dem der Verfahrensstand mit den Verfahrensbeteiligten, also auch mit ihm, erörtert wurde, stellte er mehrere Beweisanträge, gab aber eine Erklärung zur Verlesung des Urteils im Termin vom 6. April 1999 oder dessen Inhalt ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht ab.
2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Revision in erster Linie die Verletzung des § 145 Abs. 3 StPO, weil die Strafkammer dem Antrag des Pflichtverteidigers auf Aussetzung der Hauptverhandlung, hilfsweise auf Unterbrechung, nicht nachgekommen sei und deshalb der Termin vom 6. April 1999 im Beisein eines nicht informierten Verteidigers stattgefunden habe. Es sei sowohl der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO als auch der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO gegeben. Weiterhin habe die Kammer gegen § 229 Abs. 1 StPO verstoßen, weil die Urteilsverlesung in Gegenwart des nicht informierten Pflichtverteidigers keine Sachverhandlung gewesen sei.
3. Die Revision beanstandet zu Recht einen Verstoß des Landgerichts gegen § 145 Abs. 3 StPO. Dieser Verstoß erfüllt jedoch weder den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO noch den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO oder des § 337 StPO.
a) Der Vortrag der Revision, der Pflichtverteidiger habe hilfsweise einen Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung gestellt, wird vom Hauptverhandlungsprotokoll nicht gedeckt. Da auch im Verlauf der Verhandlung gestellte Hilfsanträge gemäß § 273 Abs. 1 StPO im Protokoll beurkundet werden müssen (BGH MDR 1968, 552; 1975, 368 f.), ist wegen der formellen Beweiskraft des Sitzungsprotokolls (§ 274 StPO) davon auszugehen, daß ein Hilfsantrag auf Unterbrechung nicht gestellt wurde.
b) Der Aussetzungsantrag des neu bestellten Verteidigers Rechtsanwalt H. bei der Übernahme der Verteidigung unter Hinweis auf § 145 Abs. 3 StPO enthielt (konkludent) auch die Erklärung, daß ihm die zur Vorbereitung der Verteidigung erforderliche Zeit nicht verbleibe. Da der Verteidiger nicht eindeutig auf eine Unterbrechung, die im Verhältnis zur Aussetzung ein „minus” ist, verzichtet hat, bestand daher für die Strafkammer das zwingende gesetzliche Gebot, gemäß § 145 Abs. 3 StPO die Verhandlung entweder auszusetzen oder zumindest zu unterbrechen (BGHSt 13, 337, 340; Lüderssen in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 145 Rdn. 25; Müller in KMR 4. ErgLfg. § 145 Rdn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 145 Rdn. 11). Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift, die dem Gericht insoweit kein Ermessen einräumt, als auch aus deren Sinn und Zweck, eine sachgemäße, wirksame Verteidigung, auf die der Angeklagte gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) MRK ein Recht hat, zu gewährleisten. Der Verteidiger kann im Strafprozeß entsprechend § 140 Abs. 1 StPO nur dann sinnvoll „mitwirken” und die Interessen des Angeklagten wirksam wahrnehmen, wenn er den Sachverhalt ausreichend kennt, genügend über die Einlassung des Angeklagten zur Anklage unterrichtet ist und ein klares Bild von den Möglichkeiten gewonnen hat, die für eine sachgemäße Verteidigung bestehen (BGHSt aaO, S. 343 f.). Der neu bestellte Verteidiger hat es als unabhängiges Organ der Rechtspflege, das die Verteidigung selbständig führt (BGH JR 1998, 251 unter Hinweis auf BGH bei Holtz MDR 1979, 108), in erster Linie selbst und in eigener Verantwortung zu beurteilen, ob er für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend informiert und vorbereitet ist. Es ist grundsätzlich nicht Sache des Gerichts, dies zu überprüfen (Lüderssen in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 145 Rdn. 25; Laufhütte in KK 4. Aufl. § 145 Rdn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 145 Rdn. 11).
Wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts und des Rechts des Angeklagten auf eine wirksame Verteidigung entfiel die Verpflichtung des Landgerichts, die Verhandlung am 6. April 1999 zumindest zu unterbrechen, nicht deshalb, weil dieser Tag der letzte Tag der Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 1 und 4 StPO war. Die Strafkammer konnte nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen (BGHSt 13, 337, 340; Laufhütte in KK 4. Aufl. § 145 Rdn. 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 145 Rdn. 12; a.A. Lüderssen in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 145 Rdn. 25) lediglich entscheiden, ob die Aussetzung oder die Unterbrechung der Verhandlung anzuordnen bzw. für welche Zeit gegebenenfalls zu unterbrechen ist. Bei der Bemessung des Unterbrechungszeitraums hätte sie den drohenden Ablauf der Unterbrechungsfrist mitberücksichtigen können. Nach dem Gesetz war es aber unzulässig, jegliche Unterbrechung abzulehnen.
c) Trotz des Verstoßes gegen § 145 Abs. 3 StPO fand die Hauptverhandlung vom 6. April 1999 nicht in Abwesenheit des Verteidigers statt, so daß der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht gegeben ist.
§ 338 Nr. 5 StPO liegt nur bei einer körperlichen Abwesenheit oder erkennbaren Verhandlungsunfähigkeit des Verteidigers im Falle einer notwendigen Verteidigung vor (BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 1; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 338 Rdn. 83; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 338 Rdn. 41). Entgegen der Meinung der Revision steht ein nicht informierter Verteidiger, der zu einer sachgerechten Verteidigung nicht in der Lage ist, einem abwesenden Verteidiger nicht gleich. Während nämlich ein körperlich abwesender oder verhandlungsunfähiger Verteidiger generell nicht in der Lage ist, die Interessen des Angeklagten wahrzunehmen, kann ein nicht oder unzureichend vorbereiteter Verteidiger im Interesse des Angeklagten durchaus prozessuale Rechte ergreifen, nämlich Erklärungen abgeben sowie Anträge oder Fragen stellen. So kann der neu bestellte Verteidiger – wie hier – die Aussetzung oder die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 145 Abs. 3 StPO beantragen. Wenn das Gericht über diesen Antrag nicht ermessensfehlerfrei entscheidet, ist der Angeklagte dadurch ausreichend geschützt, daß er dies gemäß § 338 Nr. 8 oder § 337 StPO mit der Revision rügen kann.
d) Die wegen des Verstoßes gegen § 145 Abs. 3 StPO unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch den Gerichtsbeschluß vom 6. April 1999, durch den konkludent auch die Unterbrechung des Verfahrens abgelehnt wurde, betrifft keinen für die Entscheidung wesentlichen Punkt im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO.
Hierfür genügt es nicht, wenn die Beschränkung der Verteidigung generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen (so aber Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 338 Rdn. 125; Kuckein in KK 4. Aufl. § 338 Rdn. 101; Gillmeister NStZ 1997, 44). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 338 Nr. 8 StPO vielmehr nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (BGHSt 30, 131, 135 und 44, 82, 90; NStZ 1982, 158 f.; 1997, 43, 44; BGHR § 338 Nr. 8 Beschränkung 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 338 Rdn. 58). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Verteidigung des Angeklagten ist durch seinen voll informierten Wahlverteidiger Rechtsanwalt W. begonnen und zu Ende geführt worden. Er ist in der Führung seiner Verteidigung nicht dadurch beeinträchtigt worden, daß er am 6. April 1999 an der Verlesung des rechtskräftigen Urteils gegen den Mittäter B. u.a. (Landgericht K.) nicht teilgenommen hat und an seiner Stelle Rechtsanwalt H. aufgetreten ist.
Im Fortsetzungstermin vom 15. April 1999 wurde ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls der Verfahrensstand mit den Verfahrensbeteiligten, also auch mit dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt W., erörtert. Dieser stellte, nachdem die Sitzung entsprechend seinem Antrag unterbrochen worden war, mehrere Beweisanträge. Eine Erklärung zur Verlesung des Urteils im Termin vom 6. April 1999 oder dessen Inhalt gab er ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht ab. Er hätte sich zu dem verlesenen Urteil erklären können, wenn er dies für erforderlich gehalten hätte, da für ihn der Ablauf der Hauptverhandlung vom 6. April 1999 und der Inhalt des verlesenen Urteils mühelos und in jeder Einzelheit rekonstruierbar waren. Die Urteilsverlesung selbst kann ein Verteidiger nur passiv entgegennehmen. Es erscheint ausgeschlossen, daß das verlesene Urteil einen mit dem Prozeßstoff vertrauten Verteidiger zu einer solchen sofortigen Erklärung gemäß § 257 Abs. 2 StPO hätte veranlassen können, die das Urteil gegen den Angeklagten möglicherweise beeinflußt hätte. Auch die Revision vermag insoweit nichts vorzutragen.
e) Das angefochtene Urteil beruht nicht im Sinne des § 337 StPO auf dem Verstoß der Strafkammer gegen § 145 Abs. 3 StPO.
Das verlesene Urteil, in dem der Name des Angeklagten überhaupt nicht erwähnt wird, hat das gegen den Angeklagten ergangene Urteil lediglich zu dessen Gunsten, nicht aber zu dessen Nachteil beeinflußt. Es ist für den Angeklagten nur insoweit von Bedeutung, als dadurch die Geschäftsgründungen des Haupttäters B. sowie mehrerer Mittäter und Gehilfen und deren Geschäftspraktiken in das Verfahren eingeführt wurden. Soweit die Strafkammer der Einlassung des in den wesentlichen Punkten geständigen Angeklagten nicht geglaubt hat, beruht dies nicht auf dem am 6. April 1999 verlesenen Urteil. Insbesondere für die Begründung der Mittäterschaft hat die Strafkammer in der Beweiswürdigung keine Indizien verwendet, die sich aus diesem Urteil ergeben. Auch bei der Strafzumessung wurde das verlesene Urteil nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Vielmehr geht das angefochtene Urteil zu dessen Gunsten davon aus, daß der Mittäter B. die vorherrschende Kraft bei den vom Angeklagten begangenen Straftaten war. Dies zeigt auch das milde Urteil von 2 Jahren 9 Monaten Freiheitsstrafe, die das Landgericht für die von ihm festgestellten 196 Betrugsfälle mit einem Gesamtschaden von 5.511.263,36 DM verhängt hat.
4. Der von der Revision gerügte Verstoß gegen § 229 Abs. 1 und 4 StPO liegt nicht vor.
Die Strafkammer hat innerhalb der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StPO die Verhandlung fortgesetzt, indem sie das rechtskräftige Urteil vom 18. August 1995 gegen B. u.a. (Landgericht K.) zum Zwecke der Beweisaufnahme gemäß § 249 StPO verlesen hat (BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 2; Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 229 Rdn. 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 229 Rdn. 11). Da auch die wegen des Verstoßes gegen § 145 Abs. 3 StPO fehlerhafte Beweisaufnahme der Verfahrensförderung diente, war eine Verhandlung zur Sache gegeben.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556748 |
NStZ 2000, 212 |
NStZ 2000, 327 |
wistra 2000, 146 |
StV 2000, 402 |