Leitsatz (amtlich)
Die formularmäßige Erweiterung des Sicherungszwecks einer zwei Jahre zuvor zur Sicherung einer bestimmten Drittverbindlichkeit bestellten Grundschuld auf bestehende und künftige Verbindlichkeiten mehrerer Dritter ist nicht schon deshalb überraschend, weil sie nicht durch eine konkrete Darlehensgewährung veranlasst ist.
Normenkette
BGB § 1191; AGBG § 3
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 28.10.2014; Aktenzeichen 5 U 1770/14) |
LG München I (Urteil vom 03.04.2014; Aktenzeichen 22 O 27017/12) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG München vom 28.10.2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des LG München I vom 3.4.2014 zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren, soweit hierüber noch nicht entschieden ist.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger und seine Ehefrau waren Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die Eigentümerin eines Grundstücks in M. war. Zugunsten der Rechtsvorgängerin der beklagten Bank (beide werden nachfolgend nur noch als die Beklagte bezeichnet) war im Grundbuch an dritter Rangstelle eine am 4.3.1991 bestellte Grundschuld über 500.000 DM nebst Zinsen eingetragen. Die Grundschuld sicherte ursprünglich ein Darlehen, das die Beklagte einer aus dem Kläger und seiner Schwester bestehenden GbR für ein Immobilienobjekt in A. gewährt hatte. Dieses Darlehen wurde im Jahr 1998 vollständig getilgt. Bereits am 8.3.1993 hatten der Kläger und seine Ehefrau eine formularmäßige Zweckerklärung unterzeichnet, nach der die Grundschuld alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Beklagten gegen den Kläger, seine Ehefrau, seine Schwester sowie gegen mehrere von diesen Personen beherrschte Gesellschaften sicherte. Ab dem Jahr 2002 betrieb die Beklagte die Zwangsversteigerung des Grundstücks aus der Grundschuld. Die beiden vorrangig gesicherten Gläubiger traten dem Verfahren bei. Am 27.8.2003 ersteigerte die Beklagte das Grundstück. Von dem Erlös wurde nach Befriedigung der vorrangigen Grundpfandgläubiger ein Betrag von 95.243,94 EUR auf die streitgegenständliche Grundschuld an die Beklagte ausgekehrt.
Rz. 2
Der Kläger hat - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - von der Beklagten in gewillkürter Prozessstandschaft die Herausgabe des an sie auf die Grundschuld ausgekehrten Teilerlöses i.H.v. 95.243,94 EUR zzgl. Zinsen an die aus ihm und seiner Ehefrau bestehende GbR verlangt. Das LG hat die im Jahr 2012 erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Beklagte, die sich auf Verjährung beruft, antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung des Klägers.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des Urteils des LG. Die Klage ist zulässig. Das LG hat die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft unangegriffen festgestellt. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Beklagte sei nach §§ 823 Abs. 1, 852 BGB zur Herausgabe des erlangten Versteigerungserlöses verpflichtet. Zur Zeit der Zwangsversteigerung hätten keine durch die Grundschuld gesicherten Forderungen mehr bestanden. Die Beklagte habe keine offenen Forderungen gegen die Grundstückseigentümerin gehabt. Die ursprünglich durch die Grundschuld gesicherten Forderungen gegen die aus dem Kläger und seiner Schwester bestehende GbR seien getilgt gewesen. Die erweiterte Zweckerklärung aus dem Jahr 1993 sei als Drittsicherungserklärung beschränkt auf die Absicherung sog. Anlasskredite und im Übrigen gem. § 3 AGBG a.F., § 305c BGB unwirksam. Die Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, dass es ein konkretes Darlehen gegeben habe, das Anlass für die im Jahr 1993 getroffene weite Sicherungsvereinbarung gewesen sei. Die somit unter Verletzung des Sicherheitenvertrages betriebene Zwangsversteigerung stelle sich als rechtswidrige Eigentumsverletzung dar. Der Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB sei zwar verjährt. Die Beklagte sei aber nach § 852 BGB zur Herausgabe des aus dem rechtswidrigen Eingriff Erlangten verpflichtet.
II.
Rz. 5
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 6
1. Die Prüfung, ob die Regelung über die durch die Grundschuld gesicherten Forderungen in Nr. 1.1 der formularmäßigen Zweckerklärung vom 8.3.1993 wirksam in den Vertrag einbezogen oder als überraschende Klausel unwirksam ist, richtet sich noch nach der am 31.12.2001 außer Kraft getretenen Norm des § 3 AGBG (§ 28 Abs. 1 AGBG, Art. 229 § 5 EGBGB; vgl. jetzt § 305c Abs. 1 BGB). Danach wurden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insb. nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Überraschend in diesem Sinne ist eine vertragliche Regelung, wenn und soweit sie von den begründeten Erwartungen des Vertragspartners deutlich zu seinem Nachteil abweicht, so dass dieser mit ihr nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte. Die Erwartungen des Vertragspartners werden dabei von allgemeinen und von individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses bestimmt (BGH, Urt. v. 20.2.2014 - IX ZR 137/13, WM 2014, 897 Rz. 12 m.w.N.). Im Falle einer Sicherungsgrundschuld werden die Erwartungen des Sicherungsgebers wesentlich durch den Anlass der Sicherheitenbestellung geprägt. Treffen der Sicherungsgeber und der Sicherungsnehmer in zeitlichem Abstand zur Grundschuldbestellung eine oder mehrere neue Sicherungsabreden, ist maßgeblich auf den Anlass der letzten - jüngsten - Abrede abzustellen (BGH, Urt. v. 14.7.1992 - XI ZR 256/91, WM 1992, 1648, 1649; v. 28.3.1995 - XI ZR 151/94, NJW 1995, 1674; v. 16.1.2001 - XI ZR 84/00, NJW 2001, 1416, 1417; v. 30.1.2001 - XI ZR 118/00, NJW 2001, 1417, 1418 f.). Wird ein Sicherungsvertrag nicht aus Anlass der Gewährung eines bestimmten Darlehens geschlossen, sind die mit der Vereinbarung verbundenen Erwartungen des Sicherungsgebers nach den übrigen Umständen zu bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2001, a.a.O.).
Rz. 7
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Erweiterung der Grundschuldhaftung in der Zweckerklärung vom 8.3.1993 auf Verbindlichkeiten verschiedener Angehöriger der Familie des Klägers und auf verschiedene von diesen beherrschte Gesellschaften sei als Drittsicherungserklärung auf die Absicherung der Anlasskredite beschränkt und, weil ein solcher hier nicht festzustellen sei, überraschend, ist mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Das Fehlen eines Anlasskredits allein macht die Erweiterung des Sicherungszwecks einer Grundschuld auf bestehende und künftige Verbindlichkeiten Dritter für den Sicherungsgeber nicht überraschend. Ohne eine Würdigung der gesamten Umstände durfte das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 3 AGBG deshalb nicht bejahen.
III.
Rz. 8
Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nach den getroffenen Feststellungen zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Mangels eines auf Erstattung des von der Beklagten vereinnahmten Erlöses i.H.v. 95.243,94 EUR gerichteten Anspruchs ist die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des LG zurückzuweisen.
Rz. 9
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 823 Abs. 1, 852 BGB liegen nicht vor. Der durch das Zwangsversteigerungsverfahren bewirkte, der Beklagten als betreibender Gläubigerin zuzurechnende Eingriff in das Eigentum der vom Kläger und seiner Ehefrau gebildeten GbR war nicht rechtswidrig, weil das Vorgehen der Beklagten vom Sicherungszweck der zu ihren Gunsten bestellten Grundschuld gedeckt war. Die Grundschuld diente entsprechend der Zweckerklärung vom 8.3.1993 der Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche der Beklagten u.a. gegen den Kläger und seine Ehefrau je einzeln oder gemeinsam.
Rz. 10
a) Diese Bestimmung des Sicherungsumfangs wurde wirksam Bestandteil des Sicherungsvertrags. Es liegen keine - vom Kläger darzulegende und zu beweisende (vgl. BGH, Urt. v. 30.1.2001 - XI ZR 118/00, NJW 2001, 1417, 1419 m.w.N.) - Umstände vor, welche der Klausel einen überraschenden Charakter i.S.v. § 3 AGBG geben und damit einer Einbeziehung der Klausel in den Vertrag entgegenstehen würden.
Rz. 11
aa) Die Beklagte stand zum Zeitpunkt der Grundschuldbestellung in umfangreichen Geschäftsbeziehungen zu dem Kläger, zu seiner Ehefrau und zu Gesellschaften, an denen der Kläger beteiligt war. Sie hatte jedoch keine Forderungen gegen die aus dem Kläger und seiner Ehefrau bestehende GbR, der das belastete Grundstück gehörte. Die an diesem Grundstück bestellte Grundschuld sicherte dementsprechend schon nach der ursprünglichen Vereinbarung Forderungen der Beklagten gegen eine andere Gesellschaft, an welcher der Kläger beteiligt war, stellte also von vorneherein eine Drittsicherheit dar. Zwei Jahre nach der Bestellung der Grundschuld erbat die Beklagte vom Kläger und seiner Ehefrau die Unterzeichnung einer neuen Zweckerklärung, ohne dass dies durch die Ausreichung eines Darlehens im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Zweckerklärung veranlasst war. Insbesondere bestanden weiterhin keine Verbindlichkeiten der aus dem Kläger und seiner Ehefrau bestehenden GbR gegenüber der Beklagten. Unter diesen Umständen mussten der Kläger und seine Ehefrau erwarten, dass auch die neue Zweckerklärung die Haftung der Grundschuld für Verbindlichkeiten Dritter vorsah, und zwar wegen der bestehenden umfangreichen Geschäftsbeziehungen die Haftung für Verbindlichkeiten weiterer Personen und Gesellschaften der Familie des Klägers, insb. aber für Verbindlichkeiten, die den Kläger und seine Ehefrau persönlich trafen. Hätte lediglich der bisherige, auf Verbindlichkeiten der aus dem Kläger und seiner Schwester bestehenden GbR beschränkte Sicherungszweck beibehalten werden sollen, hätte es der Unterzeichnung einer neuen Zweckerklärung nicht bedurft.
Rz. 12
bb) Unter den gegebenen Umständen konnte es den Kläger und seine Ehefrau auch nicht überraschen, dass nach der neuen Zweckerklärung nicht nur bestehende, sondern auch künftige Ansprüche der Beklagten gegen die in der Erklärung genannten Personen und Gesellschaften gesichert sein sollten. Aufgrund des Verlangens der Beklagten nach einer neuen Zweckerklärung in mehrjährigem Abstand zur Grundschuldbestellung mussten der Kläger und seine Ehefrau mit einer Erweiterung des ursprünglichen Sicherungszwecks in jeglicher Richtung rechnen. Die Einbeziehung erst künftig entstehender Verbindlichkeiten in den Sicherungszweck einer Grundschuld kann überraschend sein, wenn sie bei der Bestellung der Grundschuld erfolgt und Anlass der Bestellung die Gewährung eines bestimmten Darlehens ist (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1988 - V ZR 75/87, BGHZ 106, 19, 22 f.; v. 18.2.1992 - XI ZR 126/91, WM 1992, 563, 564; v. 24.6.1997 - XI ZR 288/96, WM 1997, 1615; v. 20.3.2002 - IV ZR 93/01, WM 2002, 1117, 1118). Wird hingegen zu einem späteren Zeitpunkt ohne Bezug zu einer bestimmten Darlehensgewährung ein neuer Sicherungszweck vereinbart, muss der Sicherungsgeber vernünftigerweise damit rechnen, dass der ursprüngliche, auf die Absicherung eines bestimmten Darlehens gerichtete Sicherungszweck durch einen anderen ersetzt oder erweitert werden soll (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2001 - XI ZR 84/00, NJW 2001, 1416, 1417), mithin auch damit, dass nicht nur die zu diesem Zeitpunkt bestehenden, sondern auch künftige Verbindlichkeiten gesichert werden sollen. Umstände, die hier ausnahmsweise eine davon abweichende Erwartungshaltung des Klägers und seiner Ehefrau gerechtfertigt hätten, sind nicht vorgetragen.
Rz. 13
b) Der Kläger hat nicht dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung keine Forderungen mehr bestanden, die durch die Grundschuld gesichert waren. Nach dem Vortrag der Beklagten waren zumindest noch persönliche Verbindlichkeiten des Klägers und seiner Ehefrau i.H.v. jeweils mehr als 1.000.000 EUR offen. Der für die Rechtswidrigkeit der Vollstreckung darlegungs- und beweispflichtige Kläger ist diesem Vortrag nicht substantiiert entgegengetreten.
Rz. 14
c) Auf die Frage, ob ein rechtswidriger Eingriff in das Eigentum der GbR auch deswegen nicht vorliegt, weil sich die Beklagte eines gesetzlich geregelten Verfahrens bedient hat, oder weil die vorrangig gesicherten Grundpfandgläubiger dem Zwangsversteigerungsverfahren beigetreten sind, kommt es nicht an.
Rz. 15
2. Auch ein Anspruch nach §§ 826, 852 BGB besteht nicht. Der vom Kläger behauptete Umstand, die Beklagte habe die Zwangsversteigerung beantragt, um sich eine günstige Ausgangsposition für den Abschluss einer Ablösevereinbarung zu verschaffen, genügt nicht, um das vom Sicherungszweck der Grundschuld gedeckte Vorgehen der Beklagten als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB zu beurteilen.
Rz. 16
3. Andere mögliche Ansprüche als derjenige nach § 852 BGB sind verjährt.
Fundstellen
Haufe-Index 10123387 |
DB 2017, 61 |
NJW 2017, 1814 |
NJW 2017, 8 |
NWB 2017, 321 |
DWW 2017, 77 |
NJW-RR 2017, 334 |
EWiR 2017, 33 |
JurBüro 2017, 218 |
MittBayNot 2017, 513 |
WM 2017, 22 |
WuB 2017, 260 |
ZIP 2017, 12 |
DNotZ 2017, 125 |
DZWir 2017, 150 |
JZ 2017, 149 |
MDR 2017, 99 |
ZInsO 2017, 276 |
InsbürO 2017, 216 |
NWB direkt 2017, 103 |
NotBZ 2017, 184 |
ZBB 2017, 55 |
ZNotP 2017, 19 |
Jura 2017, 599 |