Leitsatz (amtlich)
›Freiheitsberaubung liegt nicht schon dann vor, wenn das - an sich mögliche - Verlassen eines Ortes ein angedrohtes empfindliches Übel i. S. von § 240 StGB nach sich ziehen würde.‹
Tatbestand
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung sowie wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Seine Revision führt auf die Sachbeschwerde zur Änderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung und Zurückverweisung im Strafausspruch.
II. 1. Im Fall III 1 der Gründe tragen die Feststellungen die Verurteilung wegen sexueller Nötigung (§ 178 StGB) jedenfalls aus subjektiven Gründen nicht. S. H., die mit dem Angeklagten bereits einverständlich Geschlechtsverkehr und Mundverkehr gehabt hatte, war am Tattag zu Beginn des ersten Mundverkehrs zu diesem bereit, weil sie die vom Angeklagten angebotene Arbeitsstelle unbedingt erlangen wollte; deshalb "zwang (sie) sich dazu, das Glied des Angeklagten in den Mund zu nehmen". Wenn sie auch bei der weiteren Durchführung Ekel empfand und aufhören wollte, "worauf der Angeklagte, der dies bemerkte, ihren Kopf nach unten drückte und sie so zwang, den Mundverkehr weiter auszuüben", so bedeutet das doch nicht ohne weiteres, daß der Angeklagte davon ausging, es handele sich um einen grundsätzlichen Widerruf ihrer zunächst gezeigten Bereitschaft (falls es ein solcher Widerruf objektiv tatsächlich war). Der Angeklagte kann auch davon ausgegangen sein, es handele sich hier um unwillkürliche Abwehrreaktionen, welche die grundsätzliche Bereitschaft nicht in Frage stellten.
Dafür, daß es sich tatsächlich so verhielt, spricht das weitere Verhalten der Frau. Die im Urteil enthaltene Formulierung "Dieses Vorgehen wiederholte sich noch fünfmal auf weiteren Parkplätzen", ist dahin auszulegen, daß S. H. auch hier jeweils das Glied des Angeklagten zunächst freiwillig in den Mund nahm und der Angeklagte erst im weiteren Verlauf den Kopf der jetzt Widerstrebenden nach unten drückte. Anders kann es nach dem gesamten Hergang - das Landgericht nimmt jeweils nur "leichte Gewalt" an - auch nicht gewesen sein. Bei dieser Sachlage hätte sich die Strafkammer eingehend mit der Frage befassen müssen, wie sich das Verhalten des Mädchens in den Augen des Angeklagten darstellte. Daß die Strafkammer das nicht getan hat, stellt sich als Rechtsfehler dar und führt zur Aufhebung.
2. Die in den Worten und in dem Verhalten des Angeklagten liegende Drohung, seine Einstellungszusage nicht einzuhalten, wenn S. H. bei ihm nicht Mundverkehr bis zum Samenerguß durchführe, ist dagegen unter Beachtung der in BGHSt 31, 195 niedergelegten Rechtsauffassung des Senats als Nötigung (§ 240 StGB) zu werten.
3. Weil nach Auffassung des Senats zusätzliche Feststellungen, die zu einer Verurteilung nach § 178 StGB führen würden, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat - in Übereinstimmung mit Generalbundesanwalt und Revision - den Schuldspruch. § 265 StPO steht nicht entgegen. Zwar beschränkte sich die Anklage in diesem Punkt auf die Schilderung der Vorfälle auf den verschiedenen Parkplätzen, doch ist der zur Verurteilung wegen Nötigung führende Sachverhalt in anderem Zusammenhang in das Verfahren eingeführt. Ersichtlich kommt eine andere Verteidigung nicht in Betracht.
III. 1. Im Fall III 2 der Urteilsgründe ist die Nötigung - Veranlassung zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen durch die Drohung, sonst das Arbeitsverhältnis zu beenden - rechtsfehlerfrei festgestellt; doch kann die Verurteilung wegen Freiheitsberaubung nicht bestehen bleiben. Um zu verhindern, daß S. H. sich seinem Einfluß entziehe, insbesondere einen anderen Mann kennenlerne, brachte der Angeklagte sie von Ende April bis Mitte Juni 1991 im Keller des Bürogebäudes in einem möblierten Raum unter. Dessen Fenster war vergittert und mit Ketten gesichert. Wenn der Angeklagte - spät abends - wegging, schloß er die Haustür ab; die Frau erhielt keinen Schlüssel. Auf Frage, was sie im Falle eines Brandes tun solle, wies der Angeklagte auf die zahlreichen im Haus verteilten Feuerlöscher sowie darauf hin, sie könne aus einem Fenster im zweiten Stock springen. Darauf, daß ein Entweichen durch ein nahezu ebenerdiges, zum Garten hin gelegenes, nur mit einem Rolladen verschlossenes Fenster auf weniger riskante Weise möglich sei, wies der Angeklagte nicht hin, und S. H. erkannte diese Möglichkeit nicht.
Aufgrund dieser Tatsachen verurteilte das Landgericht den Angeklagten wegen (fortgesetzter) Freiheitsberaubung. Nicht erörtert hat es hierbei die Frage etwaiger Einwilligung der Frau in die abendliche Einschließung. Möglicherweise schon am ersten, jedenfalls aber ab dem zweiten Abend erkannte S. H. ihre nächtliche Lage; sie erörterte sie mit dem Angeklagten. Es ist nicht festgestellt, daß der Angeklagte die Frau abends vor oder beim Zuschließen der Haustür gehindert hätte, das Haus mit ihm zu verlassen. Tagsüber war das Haus offenbar geöffnet. S. H. hatte nachts uneingeschränkte Telefonverbindung nach außen, wovon sie auch Gebrauch machte. Nahezu jede Woche nahm der Angeklagte die Frau zu Geschäftsreisen mit (Donnerstag/Freitag bis Samstag/Sonntag), ohne daß für diese Zeiten besondere freiheitsbeschränkende Maßnahmen festgestellt sind. Nach Rückkehr von diesen Reisen durfte, ja sollte S. H. mit einem Firmenwagen, offenbar allein, ihre Eltern in Thüringen besuchen, was sie anscheinend auch tat.
Unter diesen Umständen reichte es nicht aus, die Verurteilung wegen Freiheitsberaubung auf das "Abschließen der Haustüre und Vorenthalten eines Schlüssels... zumal in Verbindung mit den sonstigen Kontrollmaßnahmen" zu stützen. Freiheitsberaubung liegt nicht vor, wenn der Eingesperrte einwilligt (vgl. Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 239 Rdn. 8).
2. Naheliegt, daß die Frau sich mit der nächtlichen Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit deshalb abfand, weil sie die Arbeitsstelle nicht verlieren wollte. Der Generalbundesanwalt gibt deshalb zu erwägen, ob dies den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllen könne; eine Einwilligung, die auf Drohungen der unter § 240 StGB zu subsumierenden Art zurückgehe, sei nicht freiwillig.
Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Zwar kann Freiheitsberaubung außer durch Einsperren auch "auf andere Weise" begangen werden (§ 239 StGB), und diese Begehungsform "kennt hinsichtlich des Tatmittels keine Begrenzung. Es reicht vielmehr jedes Mittel aus, das geeignet ist, einem anderen die Fortbewegungsfreiheit zu nehmen" (BGH, Urt. vom 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75). Hieraus wird teilweise gefolgert, Freiheitsberaubung könne durch "Drohung mit einem empfindlichen Übel" begangen werden (Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT, TB I, 7. Aufl. S. 139 m.w.Nachw.), durch "Nötigung zum Nichtverlassen bestimmter Orte" (Fr. Chr. Schroeder JuS 1980, 338). In der Tat wäre denkbar, Freiheitsberaubung immer dann anzunehmen, wenn die mit den Mitteln des § 240 StGB herbeigeführte Handlung, Duldung oder Unterlassung darin besteht, an einem bestimmten Ort zu verweilen.
Doch ist § 239 StGB nicht in dieser Weise ein - mit schärferer Strafdrohung versehener - bloßer Spezialfall der Nötigung des § 240 StGB. § 239 StGB ist vielmehr ein eigenständiges Delikt mit eigenen Voraussetzungen (vgl. Bloy ZStW 96 [1984], 703, 708 f.). Es liegt nur dann vor, wenn eine "vollständige Aufhebung der persönlichen Freiheit" stattgefunden hat, die den Betroffenen zum "Gefangene (n) oder absolut Unfreie (n) " gemacht hat (RGSt 6, 231, 232), wenn eine "vollständige Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit" zu verzeichnen ist (BGH, Urt. vom 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75). Es muß die "Fähigkeit eines Menschen..., sich nach seinem Willen fortzubewegen" (BGHSt 32, 183, 188/189), unmittelbar berührt sein.
Inwieweit hierfür Drohungen genügen, hat der Senat abschließend nicht zu entscheiden. Ein angedrohtes Übel etwa, das den Grad einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erreicht (so das Vorhalten einer Pistole), wird in der Regel ausreichen (vgl. Horn in SK-StGB 27. Lieferung § 239 Rdn. 8; anders Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts BT 1. Bd. 2. Aufl. 1902 S. 99). Dagegen liegt § 239 StGB nicht stets dann vor, wenn das - an sich mögliche - Verlassen des Ortes ein empfindliches Übel im Sinne von § 240 StGB nach sich ziehen würde (vgl. auch Hirsch JR 1980, 115); dann kann Strafbarkeit nach § 240 StGB bestehen. Die angedrohte Auflösung des Arbeitsverhältnisses im vorliegenden Fall jedenfalls erfüllt das Tatbestandsmerkmal des Freiheitsentzugs "auf andere Weise" nicht.
Der Senat ändert daher - weil Feststellungen, die zu einer Verurteilung wegen Freiheitsberaubung führen könnten, nicht zu erwarten sind - auch insoweit den Schuldspruch; die Verurteilung wegen Freiheitsberaubung entfällt.
IV. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge. Dagegen führt die Änderung nicht dazu, die Einzeltaten zu einer einzigen Nötigung zusammenzuziehen. Die Anstellung der Frau durch den Angeklagten, ihre Eingliederung in den Betrieb und ihre Unterbringung durch den Angeklagten - zunächst bei der Geschäftsführerin, dann im Bürogebäude - bedeuteten einen beträchtlichen Einschnitt, so daß das davor und das danach liegende Geschehen je als eigene Tat zu werten ist.‹
Fundstellen
Haufe-Index 2993186 |
NJW 1993, 1807 |
NStZ 1993, 387 |
MDR 1993, 562 |
StV 1993, 422 |