Leitsatz (amtlich)
›Zur Einhaltung der Frist für die Geltendmachung der Invalidität genügt es, daß fristgerecht gegenüber dem Versicherer behauptet wird, es sei Invalidität eingetreten.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger verlangt aus einer bei der Beklagten bestehenden privaten Unfallversicherung eine Teilinvaliditätsentschädigung in Höhe von 58.400 DM, deren Zahlung die Beklagte unter anderem mit der Begründung verweigert, der Kläger habe diesen Anspruch nicht fristgerecht bei ihr geltend gemacht.
Am 12. Juni 1984 erlitt der Kläger einen Motorradunfall, bei dem er verletzt wurde. In einem Gutachten vom 15. Juni 1984 kam der behandelnde Chirurg zu dem Ergebnis, daß zu einem Dauerschaden noch keine Aussage gemacht werden könne. Solche Schäden seien allerdings möglich. Dieses Gutachten übersandte der vom Kläger mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragte Rechtsanwalt mit Schreiben vom 20. Juni 1984 der Beklagten. In dem Begleitschreiben wurden die dem Kläger "aus dem Unfallversicherungsvertrag zustehenden Leistungen" verlangt. Ausdrücklich erwähnt wurden ein Tagegeld sowie eine in dem beigefügten Gutachten festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit bis einschließlich 31. August 1984.
Auf Veranlassung des vom Kläger beauftragten Rechtsanwalts erstattete der Chirurg unter dem 27. November 1984 ein weiteres Gutachten, in welchem er zu dem Ergebnis kam, daß auf Dauer mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 2O% zu rechnen sei. Dieses Gutachten wurde der Beklagten unstreitig nicht zugeleitet.
Mit Klageschrift vom 8. Juli 1985 ließ der Kläger im Haftpflichtprozeß Klage gegen seine Unfallgegnerin erheben. In dieser Klageschrift wurde zur Begründung eines Schmerzensgeldanspruchs unter anderem unter Hinweis auf das Gutachten vom 27. November 1984 ausgeführt, daß der Kläger eine dauernde Erwerbsminderung um 2O% erlitten habe.
Nach der von der Beklagten bestrittenen Darstellung des Klägers veranlaßte dieser die Zeugin L., eine Abschrift dieser Klageschrift auf der Geschäftsstelle der Beklagten in Essen abzugeben. Dies soll am 16. Juli 1985 auch geschehen sein.
Der Haftpflichtprozeß endete mit Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Oktober 1986, durch welches die Unfallgegnerin des Klägers zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt wurde. Mit Schreiben vom 26. November 1986 übersandte der Kläger der Beklagten eine Ablichtung dieses Berufungsurteils, in welchem im Zusammenhang mit dem Schmerzensgeldanspruch auf der Grundlage des vom Kläger vorgelegten Gutachtens eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 2O% festgestellt wurde. Der Kläger bat die Beklagte zu überprüfen, welche Leistungen er aus dem Unfallversicherungsvertrag zu erwarten habe. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11. Dezember 1986 und noch einmal mit Schreiben vom 11. Februar 1987 eine Invaliditätsentschädigung mit der Begründung ab, dieser Anspruch sei bei ihr nicht fristgerecht geltend gemacht worden.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, mit der Übergabe der Klageschrift aus dem Haftpflichtprozeß habe er der Beklagten gegenüber die Frist zur Geltendmachung der Invaliditätsentschädigung gewahrt.
Die Beklagte hat an ihrer bereits vorprozessual vertretenen Auffassung festgehalten, daß der Anspruch nicht fristgerecht geltend gemacht worden sei. Die - von ihr ausdrücklich bestrittene - Einreichung der Klageschrift aus dem Haftpflichtprozeß habe die Frist nicht wahren können. Im übrigen hat die Beklagte die behauptete Teilinvalidität bestritten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Invaliditätsentschädigung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
1. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der streitige Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung sei nicht innerhalb der in den Versicherungsbedingungen vorgeschriebenen Frist bei der Beklagten geltend gemacht worden. Hierzu hat es ausgeführt:
In dem Anwaltsschreiben vom 20. Juni 1984 sei noch keine Geltendmachung der Teilinvalidität zu sehen, weil sich aus dem ihm beigefügten Gutachten ergeben habe, daß Dauerfolgen ärztlicherseits noch nicht festzustellen seien. Auch mit der Übergabe der Klageschrift aus dem Haftpflichtprozeß sei Teilinvalidität nicht "geltend gemacht" worden. Bei verständiger Würdigung der objektiven äußeren Umstände der Übergabe der Klageschrift sei aus der Sicht der Beklagten nicht hinreichend deutlich erkennbar gewesen, welche Ansprüche der Kläger aus welchen tatsächlichen Umständen gegen sie herleiten wolle. Hinzu komme noch, daß der Kläger nach seiner eigenen Darstellung mit der Übergabe der Klageschrift nicht das Ziel verfolgt habe, eine Invaliditätsentschädigung geltend zu machen. Er habe die Beklagte über den Stand des Haftpflichtprozesses informieren wollen, weil er die Vorstellung gehabt habe, die Beklagte könne bei der Unfallgegnerin Regreß nehmen.
Die Fristversäumung sei auch nicht entschuldigt. Da der Kläger mit der Übergabe der Klageschrift aus dem Haftpflichtprozeß nach seiner eigenen Vorstellung den Invaliditätsanspruch gar nicht habe geltend machen wollen, komme es nicht darauf an, ob er habe annehmen dürfen, dies werde zur Wahrung der Frist ausreichen. Außerdem hätte er bei Anwendung durchschnittlicher Sorgfaltspflichten erkennen können, daß die kommentarlose Überreichung eines Schriftsatzes aus einem anderen Rechtsstreit, dem nicht einmal das die Invalidität feststellende ärztliche Gutachten beigefügt war, nicht ausreichen werde, um der Beklagten hinreichend deutlich zu machen, was er eigentlich noch von ihr wolle, nachdem andere Leistungen (Tagegeld) schon erbracht waren.
Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor, weil die Beklagte bei einer Rückfrage bei dem Kläger, was die Übergabe der Klageschrift bedeuten solle, nur erfahren hätte, daß er sie über den Haftpflichtprozeß habe informieren wollen, um ihr die Möglichkeit eines Regresses gegen die Unfallgegnerin zu eröffnen. Die Auskunft, er wolle damit seinen Anspruch auf eine Invaliditätsentschädigung anmelden, hätte sie nach der eigenen Darstellung des Klägers nicht erhalten.
2. Diese Ausführungen zeigen, daß das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, ob der Kläger einen Anspruch auf Invaliditätsentschädigung geltend gemacht hat. Das ist jedoch zur Wahrung der Frist nicht erforderlich. § 8 II 1 Satz 1 der AUB der Beklagten, der mit § 8 II 1 Satz 1 der in VerBAV 1984, 10 veröffentlichten Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) wörtlich übereinstimmt, erfordert, daß die Invalidität innerhalb der dort festgelegten Frist geltend gemacht wird. Die genannte Klausel verlangt die fristgerechte Geltendmachung der Invalidität, nicht aber die Geltendmachung eines bestimmten Anspruchs (Senatsurteil vom 4.11.1987 IVa ZR 141/86 - VersR 1987, 1235). Es genügt daher, daß der Unfall ordnungsgemäß gemeldet wird, was hier unstreitig ist, und fristgerecht gegenüber dem Versicherer behauptet wird, es sei Invalidität eingetreten. Dagegen ist es nicht erforderlich, daß die ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb der Frist des § 8 II 1 Satz 1 AUB dem Versicherer bereits zur Kenntnis gelangt. Es genügt die bloße Geltendmachung der Invalidität bei dem Versicherer und die tatsächliche ärztliche Feststellung der Invalidität, die dann später auf Verlangen dem Versicherer vorgelegt werden muß, um die Einhaltung der Frist für die ärztliche Feststellung zu beweisen (Senatsurteil vom 16.12.1987 - IVa ZR 195/86 - VersR 1988, 286).
3. In dem Schreiben des damaligen Anwalts des Klägers vom 20. Juni 1984 wurden zwar die dem Kläger aus dem Unfallversicherungsvertrag zustehenden Leistungen beantragt. Das Berufungsgericht ist jedoch mit Recht davon ausgegangen, daß darin noch keine Geltendmachung der Teilinvalidität lag, weil sich aus dem ihm beigefügten Gutachten ergab, daß Dauerfolgen ärztlicherseits noch nicht festzustellen waren und eine gegenteilige Behauptung von Seiten des Klägers nicht aufgestellt war. Dies änderte sich jedoch, als der Kläger am 16. Juli 1985 - also innerhalb der Frist von 15 Monaten - durch die Zeugin L. auf der Geschäftsstelle der Beklagten in Essen eine Kopie der Klageschrift aus dem Haftpflichtprozeß übergeben ließ, was das Berufungsgericht als bewiesen ansieht. Wie das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Erörterung eines Verstoßes der Beklagten gegen Treu und Glauben zutreffend ausführt, hätte die Beklagte bei sorgfältiger Prüfung bemerken können, daß der Kläger behauptete, es liege eine Teilinvalidität vor. Diese war daher mit der Übergabe der Klageschrift aus dem Haftpflichtprozeß fristgemäß geltend gemacht.
Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben und der Rechtsstreit zur Prüfung der von der Beklagten bestrittenen Teilinvalidität an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 2993665 |
BGHR AVB Unfallversicherung (AUB) § 8 II Abs. 1 Satz 1 Invalidität 1 |
MDR 1990, 1098 |
VersR 1990, 732 |