Leitsatz (amtlich)
Hat der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks das benachbarte Grundstück selbst abgegraben und eine Stützmauer gebaut, so kann grundsätzlich auch sein (Sonder-)Rechtsnachfolger gegen den Eigentümer des vertieften Grundstücks keine Ansprüche auf der Grundlage von § 909 BGB (hier auf Herstellung einer genügenden anderweitigen Befestigung nach Einsturz der alten Stützmauer) erheben.
Zum Begriff der Grenzeinrichtung und zur Eigentumslage bei einer auf der Grenze errichteten Stützmauer, die nicht Grenzeinrichtung ist.
Normenkette
BGB §§ 909, 921-922
Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Urteil vom 09.07.1982) |
LG Zweibrücken (Urteil vom 31.03.1981) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 9. Juli 1982 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das genannte Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 31. März 1981 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Den Klägern gehört als Miteigentümern das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück Flur Nr. …4/6 in P. an der L. Straße, das sie durch notariellen Tauschvertrag vom 10. März 1959 mit Nachtrag vom 14. Juli 1959 von der Beklagten erworben haben. Die Beklagte hatte das Grundstück ihrerseits im Jahre 1941 gekauft. Es gehörte vorher zusammen mit anderen Grundstücken zunächst dem Schuhfabrikanten L., der darauf im Jahre 1909 eine Villa erbauen ließ, und später dem Maschinenfabrikanten Sandt.
Zur L. Straße hin, die im Eigentum der Beklagten steht, fällt das Grundstück der Kläger senkrecht etwa 5 m tief ab. An der Grenze befand sich eine Sandsteinmauer, die teils der Voreigentümer L., teils der Voreigentümer Sandt mit eigenen Mitteln auf Veranlassung der Beklagten hatte errichten lassen, wobei die damals vorhandene Böschung abgegraben wurde. Dadurch verbreiterte sich die L. Straße um etwa 5 m, und die Beklagte konnte an deren Nordseite einen Bürgersteig anlegen.
Im Bereich des Grundstücks der Kläger stürzte die erwähnte Bruchsteinmauer am 19. Dezember 1979 auf einer Länge von etwa 17 m ein; die Kläger ließen sie auf der gesamten Grundstückslänge von etwa 27 m nach Absprache mit der Beklagten als Betonstützmauer wieder aufbauen und verlangen im Rechtsstreit Ersatz der dafür aufgewendeten Kosten von 158.327,15 DM nebst Zinsen.
Eine während des Prozesses durchgeführte Vermessung ergab, daß die ursprüngliche Mauer zum überwiegenden Teil auf dem Grundstück der Kläger und zu einem geringeren Teil auf dem Grundstück der Beklagten stand.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 79.163,58 DM nebst Zinsen verurteilt, die Klage im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Dagegen richten sich die Revisionen beider Parteien, mit denen sie jeweils ihre Berufungsanträge weiterverfolgen. Sie beantragen wechselseitig, die jeweils gegnerische Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet, die der Kläger bleibt erfolglos.
1. Nach Verneinung anderer Anspruchsgrundlagen hält das Berufungsgericht einen vertraglichen Anspruch der Kläger auf hälftigen Ersatz der Wiederaufbaukosten für gegeben und führt dazu aus: Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag (gemeint ist der Tauschvertrag vom 10. März 1959) enthalte hinsichtlich der Pflicht zur Unterhaltung und gegebenenfalls zum Wiederaufbau der Mauer eine Lücke, die im Wege ergänzender Auslegung zu schließen sei. Die Parteien würden bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben eine hälftige Tragung der Unterhaltungs- und Wiederaufbaukosten vereinbart haben.
Schon die dagegen erhobene Verfahrensrüge der Beklagten ist begründet. Einen Anspruch auf der Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung durfte das Berufungsgericht seinem Urteil nicht zugrunde legen, weil die Kläger dies weder in erster noch in zweiter Instanz geltend gemacht haben. Ausreichend war hierzu nicht, daß sie in anderem Zusammenhang den Abschluß des Vertrages vom 10. März 1959 erwähnt und eine Vertragsabschrift vorgelegt haben. Obwohl die Beklagte schon in ihrer Berufungsbegründung ausdrücklich ausgeführt hat, die Kläger machten keinen vertraglichen Anspruch, insbesondere nicht aus dem Vertrag vom 10. März 1959 geltend, und die Kläger dem nicht widersprochen haben, hat das Berufungsgericht noch mit Beschluß vom 19. März 1982 darauf hingewiesen, daß möglicherweise eine ergänzende Auslegung des Vertrages im Hinblick auf nicht geregelte Fragen zur Unterhaltung und Wiederherstellung der Mauer in Betracht komme. Die Beklagte hat sich dagegen ausgesprochen, die Kläger haben zum Hinweis des Gerichts keinerlei schriftsätzliche Stellungnahme abgegeben. Im Tatbestand des Berufungsurteils ist ein entsprechender mündlicher Vortrag der Kläger nicht erwähnt (negative Beweiskraft des Tatbestandes, § 314 ZPO; BGH Urteil vom 3. November 1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886).
2. a) Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Kläger auf Ersatz der vollen Kosten für den Wiederaufbau der Mauer nach §§ 683, 670, 909 BGB (zur Möglichkeit eines solchen Anspruchs vgl. Senatsurteil vom 3. Mai 1968, V ZR 229/64, NJW 1968, 1327, 1328). Es bejaht zwar grundsätzlich den Tatbestand des § 909 BGB, hält darauf gestützte Ansprüche der Kläger aber aus zwei Gründen für ausgeschlossen: Die Kläger hätten ihr Grundstück in Kenntnis des Umstands erworben, daß der Höhenunterschied zur Landauer Straße durch eine Mauer abgefangen war, und damit stillschweigend gegenüber der Beklagten auf Ansprüche nach § 909 BGB verzichtet. Darüber hinaus seien die Kläger zur Duldung der Vertiefung verpflichtet, weil sich diese als hoheitliche Maßnahme der Beklagten darstelle (Hinweis auf Art. 62 BayBO a.F.).
Ob diese beiden Gründe revisionsrechtlicher Prüfung standhalten würden, mag offenbleiben, denn zu Unrecht bejaht das Berufungsgericht hier schon den Fall einer unzulässigen Grundstücksvertiefung, d.h. grundsätzlich einen Anspruch der Kläger gegen die Beklagte auf Herstellung einer genügenden anderweitigen Befestigung ihres Grundstücks. § 909 BGB will die natürliche bodenphysikalische Stütze sichern, die sich benachbarte Grundstücke gegenseitig gewähren, und schränkt zu diesem Zweck u.a. das Eigentumsrecht (§ 903 BGB) an einem (vertieften) Grundstück zugunsten des benachbarten (beeinträchtigten) Grundstücks ein. Die Bodenvertiefung auf einem Grundstück ist unzulässig, soweit dadurch das Nachbargrundstück die erforderliche Stütze verliert und nicht für genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist. Im vorliegenden Fall wurde nicht nur das Grundstück der Beklagten, sondern nach den tatrichterlichen Feststellungen auch ein etwa zwei Meter breiter Geländestreifen auf dem Grundstück der Kläger vertieft. Ob diese Besonderheit im Rahmen des § 909 BGB unerheblich ist, weil – wie das Berufungsgericht ausführt – dieser Geländestreifen nur deshalb abgegraben wurde, um Raum für den Bau der Mauer zu gewinnen, die ihrerseits durch die Vertiefung auf dem Grundstück der Beklagten notwendig wurde, erscheint zweifelhaft. Dies kann jedoch offenbleiben, weil jedenfalls ein anderer Gesichtspunkt hier den Tatbestand des § 909 BGB ausschließt. Diese Vorschrift soll nach ihrem Sinn und Zweck u.a. den Eigentümer eines Grundstücks vor unzulässigen Vertiefungen Dritter auf dem Nachbargrundstück schützen. Nicht allein die Tatsache einer Grundstücksvertiefung löst also Ansprüche auf der Grundlage von § 909 BGB aus, sondern entscheidend ist, daß jemand ein Grundstück zu Lasten des Nachbargrundstücks verbotswidrig (§ 909 BGB) vertieft und so als Störer (vgl. auch § 1004 BGB) das Eigentum des Nachbarn beeinträchtigt. Das war hier bei Abgraben der Böschung und dem Bau der Mauer nicht der Fall, weil nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht die Beklagte (oder von ihr beauftragte Unternehmer), sondern die früheren Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks selbst die Vertiefung vorgenommen haben. Daraus folgt ohne weiteres, daß die Voreigentümer S. und L. unabhängig von den zwischen ihnen und der Stadt P. getroffenen Vereinbarungen hinsichtlich der Vertiefung gegen die Beklagte keine Ansprüche hätten erheben, insbesondere nicht hätten verlangen können, daß diese nach Abgraben der Böschung für eine ausreichende Befestigung des Hanggrundstücks sorge. Daran hat sich auch durch den Eigentumswechsel beim beeinträchtigten Grundstück nichts geändert. Zwar sind die Kläger grundsätzlich nicht an schuldrechtliche Vereinbarungen der Beklagten mit den Voreigentümern L. und S. oder an deren Zustimmung zur Vertiefung gebunden. Das ist hier jedoch nicht die entscheidende Frage. Die Voreigentümer haben nicht etwa einer an sich unzulässigen Vertiefung durch die Beklagte zugestimmt, sondern sie haben – hier im Hinblick auf eine wirkliche oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Pflicht (vgl. Art. 62 Abs. 3 BayBO a.F.) – die Abgrabung selbst vorgenommen und die Mauer gebaut mit der Folge, daß dies von Anfang an schon keine unzulässige Vertiefung im Hinblick auf ihr eigenes Grundstück sein kann.
b) Das Berufungsgericht hält einen Aufwendungsersatzanspruch der Kläger unter dem Gesichtspunkt einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der Beklagten zum Wiederaufbau der Mauer (Straßenbaulast) für nicht gegeben, weil diese nicht Stützmauer im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 LStrG Rheinland-Pfalz gewesen sei.
Es mag offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen allgemein ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus auftragsloser Geschäftsführung (§§ 683 Satz 2, 679, 670 BGB) gegeben ist, wenn der „Geschäftsführer” geltend macht, er habe eine Straßenbaulastverpflichtung der öffentlichen Hand erfüllt (zu einem Sonderfall vgl. BGH Urteil vom 15. Dezember 1977, III ZR 159/75, NJW 1978, 1258, 1259). Zu Recht hat das Berufungsgericht nämlich hier angenommen, daß die Beklagte in Bezug auf die eingestürzte Mauer jedenfalls keine Straßenbaulast traf. Grundsätzlich kann zwar auch eine Mauer, die verhindern soll, daß oberhalb der Straße gelegenes Gelände abrutscht, eine Stützmauer im Sinne des Straßen- und Wegerechts und damit ein von der Straßenbaulast umfaßter Straßenbestandteil sein (vgl. Kodal, Straßenrecht 3. Aufl. S. 126; für die gleichlautenden Bestimmungen im Bayerischen Straßen- und Wegegesetz: Zimniok 7. Aufl. Art. 2 Anm. 13; Prandl/Gillessen 6. Aufl. Art. 2 Anm. 2; Sieder/Zeitler 2. Aufl. Art. 2 Rdn. 15). Nach Sinn und Zweck der hier einschlägigen Regelung gilt dies aber nicht schlechthin für jede abstützende Mauer, die die oben erwähnte Funktion erfüllt. Ohne weiteres einleuchtend ist, daß die Straßenbaulastträger nicht für jede Stützmauer in der Nachbarschaft von Straßen baulastpflichtig sein können. Daß die eingestürzte Mauer jedenfalls hier nicht zum Straßenkörper gehörte (zur notwendigen Prüfung vgl. Kodal a.a.O.) ergibt sich aus folgenden Umständen: Die Mauer wurde nicht vom Straßenbaulastträger gebaut, sondern von den früheren Straßenanliegern mit eigenen Mitteln aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten, wobei sie sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unstreitig verpflichteten, die Mauer vollständig auf ihrem eigenen Grundstück zu errichten. Daß sie diese Verpflichtung nicht einhielten, vielmehr über die Grenze bauten, kann nunmehr nicht eine Baulastverpflichtung der Beklagten begründen für eine Anlage, die nach ihrer Entstehungsgeschichte nicht Straßenbestandteil ist, sondern zum benachbarten Grundstück gehört.
c) Das Berufungsgericht verneint einen Verwendungsersatzanspruch der Kläger (§§ 683, 670 BGB) auch unter dem Blickwinkel des § 922 Satz 2 BGB, weil die Mauer mangels Zustimmung der Beklagten zur Grenzüberschreitung nicht als Grenzeinrichtung im Sinne der §§ 921, 922 BGB angesehen werden könne.
Das ist zutreffend. Zwar wurde im Verlaufe des Rechtsstreits festgestellt, daß die Grundstücksgrenze durch die alte Mauer verlief; zu Recht hebt das Berufungsgericht aber auch darauf ab, ob die Beklagte der Grenzüberschreitung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, weil es nicht der Willkür eines Grundstückseigentümers überlassen bleiben kann, ohne oder gar gegen den Willen seines Nachbarn eine Grenzeinrichtung zu schaffen, dafür Grund und Boden des Nachbarn in Anspruch zu nehmen und diesen auch noch mit den Unterhaltungskosten zu belasten (vgl. MünchKomm/Säcker, BGB § 921 Rdn. 3; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 921 Rdn. 5; Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl. § 921 Rdn. 5; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet (ohne Bayern) 6. Aufl. § 7 I 1 Seite 203/204).
Das Berufungsgericht führt aus, daß sich eine Kenntnis der Beklagten von der Grenzüberschreitung durch den Mauerbau und deshalb auch ihre stillschweigende Zustimmung hierzu nicht feststellen lasse. Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte einer Grenzüberschreitung beim Bau der neuen Stützmauer zugestimmt hat. Zu entscheiden ist nicht, ob die Beklagte in Zukunft für die neue Mauer die Unterhaltungskosten hälftig tragen muß, sondern ob sie eine entsprechende Kostentragungspflicht für die alte Mauer traf, weil sie diese als Grenzeinrichtung akzeptiert hatte. Offenbleiben kann mithin auch, ob die geltend gemachten Wiederaufbaukosten überhaupt noch als Unterhaltungskosten im Sinne von § 922 Satz 2 BGB angesehen werden könnten.
3. Auch eine anteilige Kostentragungspflicht der Beklagten nach § 748 BGB lehnt das Berufungsgericht zutreffend ab, denn die auf der Grenze erbaute Mauer stand jedenfalls nicht im Miteigentum der Parteien. Dabei kann offenbleiben, wie die Eigentumslage für eine Grenzeinrichtung allgemein zu beurteilen wäre (nach der h.M. grundsätzlich lotrechte Teilung des Eigentums vgl. RGZ 162, 209, 212; BGB-RGRK 12. Aufl. § 921 Rdn. 2; Erman/Hagen, BGB 7. Aufl. § 921 Rdn. 1; MünchKomm/Säcker § 921 Rdn. 5; Palandt/Bassenge, BGB 43. Aufl. § 921 Anm. 1 d; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 921 Rdn. 8; a.A. im Sinne von Miteigentum der Grundstückseigentümer vgl. Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl. § 921 Rdn. 15; Dehner a.a.O. § 7 III S. 213 ff). Wie bereits ausgeführt, war die Mauer mangels Zustimmung der Beklagten nämlich keine Grenzeinrichtung. Für einen solchen Fall bejaht auch Staudinger/Beutler (a.a.O.) eine lotrechte Teilung des Eigentums. Es kann in diesem Fall nicht anders sein als beim nicht entschuldigten Überbau, für den der Senat eine reale Teilung auf der Grenzlinie angenommen hat (BGHZ 27, 204, 208; 43, 127, 131).
Nach allem ist das Berufungsurteil deshalb aufzuheben, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, weil weitere tatrichterliche Feststellungen nicht in Betracht kommen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Thumm, Hagen, Linden, Vogt, Räfle
Fundstellen
Haufe-Index 2143624 |
BGHZ |
BGHZ, 282 |
Nachschlagewerk BGH |
Englert / Grauvogl / Maurer 2004 2004, 909 |