Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob der Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung eingreift, wenn ein Stellenbewerber in einem Unternehmen, mit dem er wegen eines Arbeitsvertrages in Verhandlungen steht und in dem er sich aufhält, um die dortigen Arbeitsbedingungen kennenzulernen, verletzt wird.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 2, §§ 636-637
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 01.12.1983) |
LG Köln (Urteil vom 17.02.1983) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Dezember 1983 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Teil- und Grundurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 17. Februar 1983 wird zurückgewiesen.
Die Kosten beider Rechtsmittelzüge fallen den Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin – Betriebskrankenkasse der F.-AG – verlangt von den Beklagten aus übergegangenem Recht Ersatz von Aufwendungen, die sie aus Anlaß eines Unfalls erbracht hat, den ihr Mitglied B. am 10. Juli 1981 erlitten hat. B., der bei der F.-AG beschäftigt war und in der Zeit vom 6. bis 12. Juli 1981 Urlaub genommen hatte, hatte am Unfalltag den bei der P.-GmbH beschäftigten Zweitbeklagten begleitet, der mit einem bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten LKW seiner Arbeitgeberin zu einer Baustelle fuhr. Auf dieser Fahrt verursachte der Zweitbeklagte schuldhaft einen Unfall, durch den B. erheblich verletzt wurde.
B., der seine Arbeitsstelle wechseln wollte, stand im Zeitpunkt des Unfalls mit der P.-GmbH wegen eines Arbeitsvertrages in Verhandlungen. Er hatte seinen Urlaub bei der F.-AG dazu benutzt, um sich an Ort und Stelle darüber zu informieren, ob die Tätigkeit eines Monteurs der P.-GmbH seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprach. Zu diesem Zweck hatte er mit Einverständnis der Geschäftsleitung der P.-GmbH, die für die Deutsche Bundespost an auswärtigen Baustellen Kabel verlegte, am 10. Juli 1981 ebenso wie an den beiden Vortagen an Montagefahrten teilgenommen. Auf den Baustellen hatte er sich – von Handreichungen abgesehen – an den Arbeiten der Monteure der P.-GmbH nicht beteiligt. Ein Entgelt für seine Teilnahme an den Montagefahrten hat er von der P.-GmbH nicht erhalten; es war auch keine Entgeltzahlung vereinbart.
Die Beklagten haben ihre Haftung für die Unfallfolgen in Abrede gestellt. Sie haben geltend gemacht, es handele sich um einen Arbeitsunfall, für den ihre Haftung nach §§ 637 Abs. 1, 636 Abs. 1, 539 Abs. 2 RVO ausgeschlossen sei.
Das Landgericht hat nach einer Beweisaufnahme über die Umstände des Aufenthalts des B. im Risikobereich der P.-GmbH den Leistungsantrag der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Ersatzpflicht der Beklagten für die Zukunftsschäden aus dem Unfall festgestellt. Nach seiner Auffassung greift der Haftungsausschluß der §§ 637 Abs. 1, 636 Abs. 1 RVO nicht ein, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall handele, den B. im Zusammenhang mit einer Arbeitsleistung für die P.-GmbH erlitten habe. Die gelegentlichen Handreichungen des B. seien unbedeutend gewesen und als reine Gefälligkeiten zu werten.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts greift gegenüber den Klageansprüchen aus § 823 BGB, §§ 7 ff und 18 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG, die außer Streit sind, der Haftungsausschluß nach §§ 637 Abs. 1, 636 Abs. 1 RVO durch. Im Unfallzeitpunkt sei B. nach §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO im Betrieb der P.-GmbH gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Er sei durch seine Handreichungen, mit denen er den Monteuren der P.-GmbH auf den Baustellen geholfen habe, für diese Firma ähnlich wie ein Arbeitnehmer tätig geworden. Auf die Intensität der Hilfeleistungen komme es nicht an, vielmehr sei entscheidend, daß die Hilfe des B. den Zwecken der P.-GmbH gedient habe. Auch ändere sich dadurch, daß B. mit seinem Aufenthalt bei dieser Firma seinen eigenen Interessen gedient habe, nichts am Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO. Denn auch die P.-GmbH habe ein Interesse daran gehabt, daß B. die gelegentlich mit schwerem körperlichen Einsatz verbundene Arbeit ihrer Monteure vor Abschluß eines Arbeitsvertrages kennenlernte. Jedenfalls habe seine Teilnahme an den Montagefahrten primär den betrieblichen Zwecken der P.-GmbH und nicht einem eigenwirtschaftlichen Interesse gedient. Allerdings sei der Unfall nicht bei Ausübung einer Tätigkeit des B. für die P.-GmbH geschehen, doch sei nicht auszuschließen, daß B. – wäre es nicht zu dem Unfall gekommen – den Monteuren der P.-GmbH im Anschluß an die Montagefahrt auf der Baustelle geholfen hätte.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
Die Revision macht mit Recht geltend, daß B. im Unfallzeitpunkt nicht im Betrieb der P.-GmbH gegen Arbeitsunfall versichert war, so daß der Haftungsausschluß aus §§ 637 Abs. 1, 636 Abs. 1 RVO nicht eingreift. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts beruht auf einer Auslegung des § 539 Abs. 2 RVO, der der Senat nicht zu folgen vermag.
1. Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO erhielt B. nicht schon dadurch, daß er während der drei Tage an den Montagefahrten der P.-GmbH teilnahm.
Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit hat B. für die P.-GmbH nicht geleistet. Er sollte keine den betrieblichen Zwecken der P.-GmbH förderliche Arbeitsleistung erbringen, sondern sich darauf beschränken, durch Beobachtung Erfahrungen zu sammeln, um besser beurteilen zu können, ob ihm die Arbeit eines Monteurs dieser Firma zusagte und er in der Lage war, diese Arbeit zu leisten. Zwar reicht zur Erlangung von Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO die Gleichstellung der Tätigkeit mit der eines auf Grund eines Lehrverhältnisses Beschäftigten i.S. von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO aus. Indes ging es im Streitfall auch nicht um Schulung und Erprobung des B. in dem von ihm in Erwägung gezogenen Monteurberuf, sondern allein darum, ihm Informationen für seine Entscheidung zu verschaffen, ob er künftig für die P.-GmbH tätig werden sollte oder nicht. Eine solche auf Betrachtungen und Beobachtungen ausgerichtete Tätigkeit, die der Selbstprüfung dient, ist dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zugänglich.
Unter diesen Umständen entsprach der Aufenthalt des B. im Risikobereich der P.-GmbH seiner Zweckbestimmung nach nicht den Anforderungen, die § 539 Abs. 2 RVO an die Entstehung des Versicherungsschutzes stellt. Zwar kommt es für die Anwendung dieser Vorschrift nicht auf die Beweggründe an, aus denen die in Frage stehende Tätigkeit erbracht wird (vgl. BSGE 18, 143, 147; 19, 117, 118; BSG SozR § 539 RVO Nr. 93; vgl. auch Lauterbach, Unfallversicherung 3. Aufl., § 539 Nr. 102). Entscheidend ist aber ihre fremdwirtschaftliche Zweckbestimmung. Für die Arbeitsleistung muß – soll § 539 Abs. 2 RVO Anwendung finden – das fremdwirtschaftliche Interesse des Unfallbetriebes im Vordergrund stehen; sie muß diesem Unternehmen „dienen” (vgl. BSG SozR § 539 Nr. 6; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. II S. 476 b; Lauterbach, a.a.O. Anm. 1 a). Im Gegensatz hierzu steht eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, deren Wahrnehmung nicht den Versicherungsschutz des § 539 Abs. 2 RVO auslöst (vgl. BSG SozR § 539 RVO Nr. 78; Lauterbach, a.a.O. Anm. e). Um eine solche eigenwirtschaftliche Tätigkeit handelt es sich hier.
Zwar war auch die P.-GmbH daran interessiert, daß B. einen Überblick über das Arbeitspensum erlangte, das ihn als Monteur dieser Firma erwartet hätte. Doch stand der weitere Zweck, B. die für den Vertragsabschluß erforderlichen Beurteilungsgrundlagen zu verschaffen, deutlich im Vordergrund. Dies zeigen die besonderen Gegebenheiten des Falles. Die Teilnahme des B. an den Montagefahrten diente – wie schon oben ausgeführt – nicht etwa seiner Erprobung durch die P.-GmbH; ihm waren keine Aufgaben gestellt. Vielmehr war die Teilnahme des B. an den Montagefahrten einseitig darauf ausgerichtet, ihm eine Orientierung zu ermöglichen, die ihn in die Lage versetzen sollte, die schwebenden Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages durch eine von Sachkenntnis getragene Entscheidung abzuschließen. Aus dieser auf die Eigeninformation des B. ausgerichteten Zweckbestimmung folgt, daß sein Aufenthalt im Risikobereich der P.-GmbH seinem unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen ist (vgl. auch BSG SozR § 550 RVO Nr. 1).
2. Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO für den hier infragestehenden Unfall entstand auch nicht dadurch, daß B. im Verlauf seiner Teilnahme an den Montagefahrten der Firma P. deren Monteuren gelegentlich half.
Es kann dahingestellt bleiben, ob mit dem Berufungsgericht davon auszugehen ist, daß B. für die Dauer seiner jeweiligen Hilfeleistungen in den Versicherungsschutz aus § 539 Abs. 2 RVO gelangt ist. Dies kann bei Fallgestaltungen wie hier, die ganz durch eine unversicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeit geprägt sind, jedenfalls nur punktuell für den engen zeitlichen und räumlichen Bereich der Handreichungen selbst angenommen werden. Die Verletzung des B. geschah nicht anläßlich einer Handreichung. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Versicherungsschutz dennoch bestehe, weil nicht auszuschließen sei, daß B. – wäre es nicht zu dem Unfall gekommen – am Zielort den Monteuren der P.-GmbH geholfen hätte, liefe darauf hinaus, B. den Versicherungsschutz für die gesamte Montagefahrt zuzuerkennen. Das aber würde ihm im Ergebnis Versicherungsschutz für einen Risikobereich verschaffen, der nach dem Gesetz nicht vom Versicherungsschutz erfaßt werden soll, weil er dem eigenwirtschaftlichen, privaten Bereich des Verletzten zuzuordnen ist.
III.
Bei dieser Sachlage mußte unter Aufhebung des Berufungsurteils das landgerichtliche Urteil wieder hergestellt werden.
Unterschriften
Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Lepa, Bischoff
Fundstellen
Haufe-Index 1372875 |
Nachschlagewerk BGH |