Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 14.11.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 14. November 2001 insgesamt mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gewerbsmäßigen” unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen, jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Personen unter 18 Jahren, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision greift die Staatsanwaltschaft das Urteil im Umfang des Freispruchs und zum Rechtsfolgenausspruch an. Das – vom Generalbundesanwalt vertretene – Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils auch, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, weil die Rechtsmittelbeschränkung sich hier als unwirksam erweist.
1. Die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Mit der zugelassenen Anklage war dem Angeklagten über die der Verurteilung zugrundeliegenden Fälle des gewinnbringenden Verkaufs von Haschisch an die Jugendlichen S. E. und D. M. im Zeitraum März/April 2001 hinaus zur Last gelegt worden, im Zeitraum von Juni bis Ende November 2000 zweimal pro Woche jeweils zwei Gramm Haschisch zu 10 DM und zwischen Dezember 2000 und Mitte Februar 2001 viermal jeweils zwei Gramm Amphetamin für jeweils 15 DM/g an den Jugendlichen P. M. verkauft zu haben, wobei es im Zusammenhang mit einem der Verkäufe von Amphetamin kurz vor Weihnachten 2000 zu vom Angeklagten gewaltsam erzwungenen sexuellen Kontakten zwischen beiden gekommen sei. Desweiteren wurde dem Angeklagten vorgeworfen, ab Mitte Januar 2000 bis März 2001 P. M. in 50 Fällen jeweils 20 Gramm Amphetamin übergeben zu haben, die dieser auf sein Verlangen hin gegen einen Lohn von jeweils 100 DM verkauft habe. Ferner habe der Angeklagte im Zeitraum März/April 2001 an S. E. zwei Bubbels Heroin sowie einmal zehn Gramm und ein weiteres Mal 300 Gramm Haschisch verkauft. Bei einem weiteren Geschäft über zehn Gramm Haschisch habe der Angeklagte dem Jugendlichen „zwischen die Beine gegriffen”, worauf dieser mit dem Haschisch fortgelaufen sei. Schließlich habe der Angeklagte den Jugendlichen D. M. dafür gewonnen, für ihn Haschisch zu verkaufen; er, der Angeklagte, habe in seiner Wohnung ein Kilogramm Marihuana und eine Platte Haschisch von ca. 300 Gramm gehabt, wovon er M. ein Stück von ca. zehn Gramm abgebrochen habe.
b) Das Landgericht hat den Angeklagten, der diese Taten bestritten hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat gemeint, „die Zeugen P. M., S. E. und D. M. (hätten) sich bei ihrer gerichtlichen Vernehmung in ganz entscheidenden Punkten so erheblich in Widerspruch zu ihrer polizeilichen Vernehmung gesetzt, daß ihren Aussagen insgesamt kein Gewicht mehr zukommen (könne)” (UA 16). Desweiteren beschränkt sich das Urteil darauf, nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs die ihre den Angeklagten belastenden Angaben im Ermittlungsverfahren erheblich einschränkenden Aussagen dieser Zeugen in der Hauptverhandlung wiederzugeben. Es meint, da somit die Aussage „entweder vor der Polizei oder vor dem Gericht teilweise bewußt falsch war” (UA 16/17, ebenso UA 19), könne auf sie eine Verurteilung nicht gestützt werden.
c) Diese Ausführungen werden schon im Ansatz den Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen nicht gerecht. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muß der Tatrichter zunächst darlegen, welchen Sachverhalt er als festgestellt erachtet (st. Rspr.; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7 m.w.N.). Derartige Feststellungen zum Tatgeschehen selbst fehlen vollständig. Die Wiedergabe allein der Bekundungen der vernommenen Zeugen genügt der Begründungspflicht nicht (BGHR aaO m.w.N.).
d) Davon abgesehen läßt das Urteil die erforderliche Beweiswürdigung vermissen, die dem Revisionsgericht erst die Prüfung ermöglicht, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist und ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht.
Weichen Belastungszeugen, auf deren Aussage die Anklage gestützt ist, in der Hauptverhandlung in wesentlichen Punkten von ihrer früheren Tatschilderung ab und hängt die Entscheidung allein davon ab, ob diesen Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH StV 1998, 250). Dies hat nicht nur für den Fall der Verurteilung, sondern auch für den des Freispruchs des Angeklagten zu gelten (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 14. März 2002 – 4 StR 583/01). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Urteilsgründe verhalten sich weder näher zur Entstehungsgeschichte der polizeilichen Aussagen der genannten Zeugen noch im einzelnen zu der Frage, aus welchen Gründen für diese ein Motiv bestanden haben könnte, den Angeklagten im Ermittlungsverfahren zu Unrecht zu belasten. Das Urteil teilt auch nicht mit, ob die Zeugen in der Hauptverhandlung eine Erklärung für ihre Aussageänderung – und gegebenenfalls welche – abgegeben haben. Dessen hätte es schon deshalb bedurft, weil der Umstand, daß alle drei Belastungszeugen gleichermaßen von ihren polizeilichen Angaben abgerückt sind bzw. diese relativiert haben, auf ein – naheliegend mit dem Angeklagten – abgestimmtes Aussageverhalten hindeuten.
Das Landgericht macht auch nicht deutlich, weshalb es sich hinsichtlich der den Zeugen P. M. betreffenden Straftaten des Angeklagten nicht zumindest in dem von diesem Zeugen in der Hauptverhandlung bestätigten Umfang der für den Angeklagten getätigten Amphetamingeschäfte (vgl. UA 18) hat überzeugen können. Soweit das Landgericht hierzu meint, der Umstand, daß der Zeuge selbst wegen Verkaufs von Amphetamin verurteilt worden ist, sei „kein hinreichendes Indiz, … (daß) er die Drogen von dem Angeklagten erhalten hat” (UA 20), stellt dies nicht mehr als eine bloß denktheoretische Möglichkeit dar. Jedenfalls hätte sich das Landgericht dann mit der Frage auseinandersetzen müssen, weshalb der Zeuge den Angeklagten weiterhin als seinen Drogenlieferanten bezeichnet, obwohl er ihn andererseits durch seine Aussage weithin entlastet hat.
Lückenhaft erweist sich die Würdigung des Aussageverhaltens des Zeugen P. M. auch hinsichtlich der dem Angeklagten angelasteten Vergewaltigung zu seinem Nachteil (UA 18 f.). Auch insoweit erschöpft sich die Beweiswürdigung des Landgerichts in der Mitteilung, der Zeuge habe angegeben, den Angeklagten „bewußt wahrheitswidrig des gewaltsamen Analverkehrs bezichtigt” zu haben (UA 20). Insoweit hätte es jedoch der Auseinandersetzung mit den zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten getroffenen Feststellungen bedurft, wonach sich der bereits wegen fortgesetzten sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilte Angeklagte oft in der Drogenszene am E. … aufhält, um dort homosexuelle Kontakte zu knüpfen, und er den Rauschgiftverkauf an Jugendliche in der Hoffnung betrieben hat, über die Drogen auch sexuelle Kontakte zu den Jugendlichen herzustellen (UA 6). Ebenso fehlt eine Auseinandersetzung damit, daß auch der Zeuge S. E. trotz seiner im übrigen den Angeklagten entlastenden Aussage in der Hauptverhandlung bestätigt hat, dieser sei ihm im Zusammenhang mit einem Rauschgiftgeschäft „an seine Hose gegangen” (UA 16).
Die Sache bedarf daher, soweit der Angeklagte freigesprochen ist, der neuen Verhandlung und Entscheidung.
3. Der Senat hebt zugleich – insoweit auch gemäß § 301 StPO zu Gunsten des Angeklagten – das Urteil auf, soweit das Landgericht den Angeklagten – an sich rechtsfehlerfrei – verurteilt hat. Denn die zu den Betäubungsmittelverkäufen an S. E., T. H. und D. M. getroffenen Feststellungen lassen die Möglichkeit offen, daß diese ganz oder teilweise mit den weiteren dem Angeklagten angelasteten Rauschgiftgeschäften, auf die sich der Freispruch bezieht, nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (BGHSt 30, 28, 31) eine Bewertungseinheit und deshalb eine Tat im rechtlichen Sinne bilden. Dies kommt schon deshalb in Betracht, weil sich die Tatzeiträume überschneiden und der Angeklagte – wie sich schon aus seiner Einlassung (UA 8) ergibt – jeweils über größere als die in den einzelnen festgestellten Fällen verkauften Mengen an Haschisch verfügte. Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zur Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, daß sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen; doch ist es rechtsfehlerhaft, allein auf die Anzahl der Veräußerungsgeschäfte abzustellen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß an sich selbständige Rauschgiftgeschäfte dieselbe Rauschgiftmenge betreffen (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 6 und BtMG § 29 Bewertungseinheit 5, 11 bis 14). Dies gilt auch in Fällen des § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG (BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 15). Dies kann nur der neue Tatrichter unter Einschluß der vom Freispruch betroffenen Fälle klären. Hierzu bedarf es auch der Aufhebung der an sich nicht angefochtenen Verurteilung des Angeklagten. Denn nur auf diese Weise kann verhindert werden, daß der Schuldspruch in Rechtskraft erwächst, was – wenn sich die Annahme einer Bewertungseinheit bestätigt – jedenfalls insoweit einer Verfolgung der vom Freispruch berührten Betäubungsmittelgeschäfte wegen des Verbots aus Art. 103 Abs. 3 GG (vgl. zum Strafklageverbrauch beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln aus einer Gesamtmenge BGHSt 43, 252, 255 f.) entgegenstehen könnte (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Aus diesem Grunde erweist sich die Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft als unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2000 – 4 StR 233/00, insoweit in NStZ 2001, 41 nicht abgedruckt).
4. Die Aufhebung des Urteils auch in seinem den Angeklagten verurteilenden Teil zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Eines Eingehens auf die Einzelbeanstandungen der Revision bedarf es deshalb nicht.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Hagen zurück.
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen