Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 1999 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Ausspruch über die Strafe im Fall II 1 der Urteilsgründe (sexuelle Nötigung zum Nachteil V.),
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (ein Jahr neun Monate Freiheitsstrafe) und wegen Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung und Beleidigung (60 Tagessätze zu je 30 DM Geldstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die wirksam auf den Strafausspruch im Fall II 1 der Urteilsgründe und den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte (vgl. BGH NStZ 1998, 210) Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Das Landgericht hat im Fall II 1 der Urteilsgründe § 177 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung des 33. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 (BGBl I 1607) angewandt und dort die Tat als „sexuelle Nötigung in Form einer Vergewaltigung” bezeichnet (zur Fassung des Tenors vgl. BGH NStZ 1998, 510, 511; BGH, Urt. vom 23. März 1999 - 1 StR 25/99). Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte seine von ihm getrennt lebende Ehefrau gegen ihren Willen in sein Schlafzimmer gezogen, dort auf das Bett geschubst, mit einem Messer bedroht und sie gezwungen, das Einführen eines unbekannten Gegenstandes in ihre Vagina zu dulden. Danach hatte er sie gezwungen, den Oralverkehr mit ihm durchzuführen, indem er ihren Kopf in beide Hände nahm, zu seinem Geschlechtsteil zog und sie zwang, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen (UA S. 12, 13). Das Landgericht hat dieser Tat den Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 177 Abs. 2 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG zugrunde gelegt, ohne dabei den Strafrahmen des besonders schweren Falles nach § 177 Abs. 3 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG zu erwähnen. Danach ist zu besorgen, daß das Landgericht bei der Strafzumessung von einem unzutreffenden Ausgangspunkt ausgegangen ist.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte das Regelbeispiel eines besonders schweren Falles nach § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG dadurch verwirklicht, daß er einen Gegenstand in den Körper des Opfers eingeführt und damit eine dem Beischlaf ähnliche, besonders erniedrigende sexuelle Handlung an dem Opfer vorgenommen hat.
Der erzwungene Oralverkehr des Opfers am Täter verwirklicht kein Regelbeispiel des § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG. Diese vom 5. Juli 1997 bis zum 31. März 1998 gültige Gesetzesfassung nennt als Regelbeispiel nur sexuelle Handlungen, die der Täter an dem Opfer vornimmt, nicht aber solche, die der Täter von dem Opfer an sich vornehmen läßt. Erst durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164, 173) sind solche Handlungen wieder in das Regelbeispiel (nunmehr als § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) aufgenommen worden. Dabei handelt es sich nicht nur um eine „Klarstellung” der vorangegangenen Rechtslage (so aber Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 12). Da das Strafgesetzbuch in sämtlichen Vorschriften zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des früheren und des geltenden Rechts (§ 174 Abs. 1, § 174 a Abs. 1, § 174 b Abs. 1, § 174 c Abs. 1, § 175 Abs. 1 in der bis 11. Juni 1994 geltenden Fassung, § 176 Abs. 1 und 2, § 176 a Abs. 1 Nr. 1, § 178 Abs. 1 in der bis 4. Juli 1997 geltenden Fassung, § 179 Abs. 1 – auch in der Zwischenfassung des 33. StrÄndG –, § 180 Abs. 2, § 181 Abs. 1 Nr. 2, § 182 Abs. 1 Nr. 1) jeweils zwischen Handlungen des Täters am Opfer und solchen des Opfers am Täter unterscheidet, muß von einer Gesetzeslücke ausgegangen werden, die im Wege der Analogie nicht mit dem Ergebnis zu schließen ist, daß es sich dabei um ein gesetzliches Regelbeispiel nach § 177 Abs. 3 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG handelt. Wegen der hier vom Gesetzgeber gewählten Gesetzestechnik der Regelbeispiele wäre der Tatrichter aber nicht gehindert, das Verhalten des Angeklagten wegen einer damit für das Opfer einhergehenden besonderen Belastung und Erniedrigung auch insoweit als – unbenannten – besonders schweren Fall zu beurteilen. Das Landgericht hat diese Tat auch als besonders verwerflich und das Opfer objektiv erniedrigend gewertet (UA S. 14, 15).
Das Landgericht hätte deshalb vom Strafrahmen des § 177 Abs. 3 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG ausgehen und zuerst prüfen müssen, ob trotz Vorliegens eines Regelbeispiels wegen anderer, erheblich schuldmildernder Umstände der Strafrahmen des § 177 Abs. 3 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren) nicht anzuwenden, sondern von dem des Absatzes 1 (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) auszugehen ist. Erst bei Annahme eines solchen Falles wäre es wegen der gewählten Gesetzestechnik nicht ausgeschlossen, die Tat darüber hinaus als minder schweren Fall nach § 177 Abs. 2 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) zu beurteilen. Es müßten dann aber schuldmildernde Umstände in einem ganz außergewöhnlichen Umfang vorhanden sein, um der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispieles das Gepräge eines minder schweren Falles geben zu können (vgl. BGH, Beschl. vom 11. August 1999 - 3 StR 253/99). Liegt – wie hier – neben einem Regelbeispiel eine weitere, einem Regelbeispiel angenäherte Handlung vor, so wird dies eher fernliegen. Den bisherigen Feststellungen sind ganz außergewöhnlich schuldmildernde Umstände, die eine zweimalige Strafrahmenverschiebung gerechtfertigt haben könnten, nicht zu entnehmen.
Auf diesem unzutreffenden Ausgangspunkt kann die Strafe beruhen. Diese liegt, obwohl dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG entnommen, auch im Strafrahmen des Absatzes 1. Der Senat kann aber nicht ausschließen, daß die Strafe höher ausgefallen wäre, wenn der Tatrichter bei der Strafzumessung den richtigen Ausgangspunkt gewählt hätte.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, RiBGH Dr. Blauth ist durch Urlaub verhindert zu unterschreiben. Kutzer, Miebach, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 540530 |
JR 2000, 475 |
www.judicialis.de 1999 |