Leitsatz (amtlich)
a) Auch Betriebsangehörige (Lehrer, Schulhausmeister u.dgl.) der in § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO genannten Unternehmen sind von Ersatzansprüchen der nach dieser Vorschrift Versicherten gemäß § 637 Abs. 4 RVO freigestellt.
b) Zur Eingliederung eines Helfers bei einer Schulveranstaltung in den Schulbetrieb (hier: Bedienung eines Grillgeräts während eines Weihnachtsbasars).
Normenkette
RVO §§ 637, 539 Abs. 1 Nr. 14
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 26.06.1978) |
LG Bochum (Urteil vom 19.12.1977) |
Tenor
I. Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Juni 1978 und das Urteil des Landgerichts Bochum vom 19. Dezember 1977 aufgehoben. Die Klage der Kläger wird abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Erstkläger 1/8 und die Zweitklägerin 7/8.
Tatbestand
Am Nachmittag des 30. November 1974 veranstaltete die B.-Grundschule in W. einen Weihnachtsbasar zu Gunsten der „Aktion Sorgenkind”. Zum Verkauf standen von den Kindern selbstgebastelte Gegenstände, und es gab gegen Entgelt Kaffee und Kuchen sowie Bratwürstchen. Der Beklagte, Ehemann einer an der Schule tätigen Lehrerin, hatte sich wie andere zur Mithilfe angeboten und war von dem Kollegium der Schule mit der Bedienung des Würstchen-Grills und dem Verkauf der Würstchen beauftragt. Als die Holzkohle stark niedergebrannt war, goß er aus einer Flasche Spiritus in die Glut. Das führte zur Bildung einer Stichflamme. Der damals fast 11-jährige Kläger zu 1), der zu der Zeit eine Sonderschule in D. besuchte, und die fast 7-jährige Klägerin zu 2), die damals den der B.-Grundschule angegliederten Schulkindergarten besuchte, wurden verletzt. Der zuständige Gemeindeunfallversicherungsverband als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hat beiden Klägern Heilbehandlung gewährt.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, die Zweitklägerin darüber hinaus Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich des Zukunftsschadens.
Der Beklagte hat im wesentlichen eingewandt, seine Haftung sei ausgeschlossen, weil die Kläger einen Schulunfall erlitten hätten, für den die gesetzliche Unfallversicherung eintrete.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat seine Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt er weiter die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht nimmt an, der Beklagte habe sich gegenüber beiden Klägern einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht und hafte ihnen deshalb nach §§ 823, 847 BGB. Der Beklagte könne, so meint es, sich nicht mit Erfolg auf einen Haftungsausschluß nach § 637 Abs. 4 RVO berufen. Der von der Schule veranstaltete Basar habe den Rahmen eines Schulfestes gesprengt; denn er habe einen über den reinen Schulbetrieb – auch im weitesten Sinn – hinausgehenden Zweck verfolgt. Der Erstkläger sei im Unfallzeitpunkt nicht mehr Schüler der B.-Grundschule gewesen; die Zweitklägerin habe bei der Veranstaltung keine Funktion und keine Pflichten gehabt. Beide Kläger seien ohne jeden Zusammenhang mit rein schulischen Belangen Besucher der Veranstaltung gewesen. Deshalb hätten sich nicht die besonderen Gefahren des Schulbetriebes verwirklicht, vielmehr seien die Verletzungen der Kläger nur bei Gelegenheit des Schulbetriebes entstanden.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Eine Schadensersatzverpflichtung des Beklagten gegenüber den Klägern besteht gemäß § 637 Abs. 4 RVO nicht; er schuldet ihnen deshalb auch kein Schmerzensgeld.
1. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist davon auszugehen, daß beide Kläger einen „Arbeitsunfall” i.S.v. § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO erlitten haben, weil sie als Schüler während des Besuches einer allgemeinbildenden Schule verletzt worden sind. Zweifeln daran, ob der zuständige Gemeindeunfallversicherungsverband als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO) für den Erstkläger hätte eintreten müssen, weil dieser zur Unfallzeit nicht mehr Schüler der B.-Grundschule war, braucht der Senat nicht nachzugehen, weil der Gemeindeunfallversicherungsverband den Unfall beider Kläger als „Arbeitsunfall” anerkannt hat. Diese Entscheidung bindet nach § 638 Abs. 1 RVO das Gericht, das über die Ersatzansprüche der in §§ 636, 637 RVO genannten Art zu erkennen hat. Deshalb ist in diesem Zusammenhang auch nicht darüber zu befinden, ob der von dem Kollegium der B.-Schule veranstaltete Weihnachtsbasar eine Schulveranstaltung gewesen ist, die die Kläger als Schüler besucht haben. Die dagegen vom Berufungsgericht geäußerten Bedenken überzeugen im übrigen nicht. Der Basar war erkennbar von der Schule getragen und hatte für die daran teilnehmenden Schüler einen wesentlichen inneren Bezug zum Besuch der Schule (vgl. BSGE 28, 204, 206; 44, 94, 99). Er diente im Rahmen des Erziehungsauftrages der Grundschule der Persönlichkeitsbildung der Kinder, denen im Unterricht Probleme behinderter Jugendlicher nahegebracht waren, wobei die Verkaufsveranstaltung Krönung und Abschluß dieses Unterrichts war.
2. Haben mithin die Kläger auf dem Basar einen „Arbeitsunfall” erlitten, so kann der Beklagte sich mit Erfolg auf die Haftungsfreistellung nach §§ 636, 637 RVO berufen.
a) Nach § 637 Abs. 4 RVO gilt bei Arbeitsunfällen in den in § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO genannten Unternehmen, hier also dem Unfall der Kläger in der B.-Grundschule, für Ersatzansprüche der verletzten Kinder gegen den Unternehmer § 636 RVO entsprechend. Die Einfügung dieser Bestimmung erschien bei Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung für Schüler durch das Gesetz vom 18. März 1971 (BGBl 1971 I 237) erforderlich, um das Ziel einer Haftungsfreistellung gegen den „Unternehmer” der Schule, also den Schulträger, zu erreichen, weil Schüler nicht i.S. des § 636 RVO in dem Unternehmen (Schule) „tätig” sind (vgl. dazu und zum Folgenden die amtliche Begründung in BT-Drucksache VI/1333 vom 30.9.1970 S. 4 zu § 1 Nr. 2, abgedruckt bei Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 637 RVO Anm. 1).
Im Streitfall geht es allerdings nicht um Ansprüche der Kläger gegen den Unternehmer (den Schulträger), sondern gegen einen „in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen” (dazu gleich unter b) i.S. des § 637 Abs. 1 RVO. Der Gesetzgeber hat, wie die soeben erwähnte amtliche Begründung ausweist, angenommen, daß diese Vorschrift ohne weiteres auch Ersatzansprüche unfallverletzter Schüler gegen Betriebsangehörige der Schule (Lehrer, Schulhausmeister u.dgl.) beschränkt. Das ist bei richtiger Auslegung des § 637 Abs. 1 RVO auch von dessen Wortlaut und Sinn gedeckt (zweifelnd Engelmann DOK 1971, 220, 223; siehe auch WzS 1971, 132, 134). Zwar sind Schüler selbst schwerlich „Betriebsangehörige”, so daß der Grundgedanke der Vorschrift, Ersatzansprüche von Betriebsangehörigen untereinander auszuschließen, hier nicht unmittelbar zutrifft. Indes muß wie auch sonst die gesetzliche Regelung gedanklich auf die Situation der Schule umgeformt werden (vgl. dazu BGHZ 67, 279 m.Nachw.). Der während des Schulbesuchs versicherte Schüler ist zwar nicht im Schulbetrieb tätig, ihm aber unterworfen und gerade deshalb gegen die daraus drohenden Gefahren, die auch von „Betriebsangehörigen” wie Lehrern u.dgl. ausgehen können, versichert. Er soll dann nach dem Willen des Gesetzgebers Ersatzansprüche nur gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben, nicht dagegen gegen den Unternehmer und die in dem Unternehmen Schule tätigen Betriebsangehörigen, dies gerade auch, um etwa eine Haftung des Landes nach Art. 34 GG für die Lehrer auszuschließen. Eine ausdrückliche Klarstellung im Text des § 637 Abs. 1 RVO für diese Fälle ist offenbar unterblieben, weil dort ohnehin von Ansprüchen der „Versicherten” die Rede ist, wozu auch die Schüler gehören. Dem steht nicht entgegen, daß in § 637 Abs. 4 RVO zweite Alternative ausdrücklich die entsprechende Anwendbarkeit des § 636 in Verbindung mit § 637 Abs. 1 RVO für Ersatzansprüche der nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO Versicherten untereinander geregelt worden ist. Damit sollte nicht etwa die Anwendbarkeit des § 637 Abs. 1 RVO in den Fällen der Ersatzansprüche von versicherten Schülern gegen Betriebsangehörige der Schule eingeschränkt werden. Vielmehr erschien dem Gesetzgeber die von ihm angestrebte Haftungsfreistellung auch der Schüler untereinander durch den Wortlaut des § 637 Abs. 1 RVO nicht gewährleistet, weil die Schüler nicht „Betriebsangehörige” seien. Deshalb hielt er für diese Fallgestaltung eine ausdrückliche Regelung für erforderlich. Die Ersatzansprüche der nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO Versicherten gegen die in der Einrichtung tätigen Betriebsangehörigen sind mithin bereits durch § 637 Abs. 1 i.V.m. § 636 RVO eingeschränkt (ebenso Lauterbach a.a.O. Anm. 28 a; Krasney WzS 1972, 130).
b) Im Streitfall sind die Voraussetzungen dieser Haftungsfreistellung erfüllt.
aa) Der Beklagte war, als er während des Basars das Grillgerät bediente und Würstchen verkaufte, „Betriebsangehöriger” der B.-Grundschule; er war zwar nicht Angehöriger der Schule, aber wie ein Arbeitnehmer in deren „Betrieb” eingegliedert. Dabei kommt es nicht darauf an, wie seine Tätigkeit arbeitsrechtlich oder öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist. Es ist auch ohne Belang, daß er sich nur vorübergehend der Schule zur Verfügung gestellt hatte. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Eingliederung in die betriebliche Organisation des von ihm vorübergehend unterstützten Unternehmens nach Art eines Arbeitnehmers dieses Unternehmens stattgefunden hat, so daß für dieses Unternehmen die besonderen Fürsorgepflichten eines Arbeitgebers begründet worden sind, die mit entsprechenden Direktions- und Weisungsbefugnissen korrespondieren (vgl. BGHZ 52, 115 [120/121]; Senatsurteil vom 1. Juli 1975 – VI ZR 87/74 – VersR 1975, 1002 m.w.Nachw. und vom 16. Dezember 1975 – VI ZR 182/74 – VersR 1976, 473, 474). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hatte sich den Weisungen des Schulkollegiums unterstellt. Dieses bestimmte, in welcher Form er bei der Durchführung des Basars mitzuwirken hatte. Es wies ihm sein Aufgabenfeld zu, nämlich das Grillen von Würstchen und deren Verkauf, und bestimmte dabei Ort und Zeit sowie etwa den Abgabepreis. In allem hatte sich der Beklagte der Aufsicht der Festleitung unterstellt. Daß er die Aufgaben freiwillig und unentgeltlich übernommen hatte und seine Arbeit jederzeit hätte beenden und das Fest verlassen können, ändert nichts daran, daß er sich wie ein Arbeitnehmer als Helfer bei der Schulveranstaltung in den Schulbetrieb eingegliedert hatte. Das entsprach auch dem Willen der Schulleitung. Diese hatte auf der anderen Seite den Umständen nach ihm gegenüber besondere Fürsorgepflichten, etwa was die Wahl eines sicheren „Arbeitsplatzes” für das Grillen und das Bereitstellen eines sicheren „Arbeitsgerätes” anbelangt. Endlich handelte es sich auch um eine ernsthafte, der Schule dienende Tätigkeit, die ihrer Art nach Arbeit war, weil sie sonst von einer anderen, der Schule angehörenden oder doch in den Schulbetrieb eingegliederten Person hätte verrichtet werden müssen (vgl. für einen ähnlichen Fall OLG Düsseldorf, VersR 1978, 966).
bb) Die Bedienung des Grills war eine „betriebliche” Tätigkeit. Sie entsprach dem Plan und dem Willen der Veranstalter und diente der erfolgreichen Durchführung. Damit war das Grillen und der Verkauf der Würstchen wesentlicher Bestandteil des Festes, das insgesamt eine Schulveranstaltung mit ganz überwiegend pädagogischer Zielsetzung war. Die Mithilfe des Beklagten war damit „schulbezogen” (zum Begriff vgl. Senatsurteile BGHZ 67, 279, 281 ff und VI ZR 91/77 vom 28. Februar 1978 – VersR 1978, 441).
Unterschriften
Dr. Weber, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Ankermann, Dr. Deinhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1742386 |
NJW 1980, 289 |
Nachschlagewerk BGH |