Verfahrensgang
LG Offenburg (Urteil vom 17.12.2002) |
Tenor
1.
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 17. Dezember 2002 werden verworfen.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Revisionen.
4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die im Urteil enthaltene Entschädigungsentscheidung wird kostenpflichtig verworfen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, seinen Bekannten M. S. getötet zu haben. Es konnte sich von der Täterschaft des Angeklagten nicht überzeugen. Darüber hinaus hat es ihm für erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung zuerkannt. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger greifen den Freispruch mit der Sachbeschwerde an; die Nebenkläger erheben darüber hinaus Verfahrensrügen. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entschädigungsentscheidung war zu verwerfen.
I.
Die von den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift angeführten Gründen keinen Erfolg. Der Freispruch hält auch sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte und das spätere Tatopfer M. S. waren Landsleute; sie kannten sich bereits aus Sizilien. Sie trafen sich in O. wieder, freundeten sich näher an und teilten bis Frühjahr 1999 die Wohnung. Verwandte und Freunde konnten von keinen Streitigkeiten zwischen den beiden berichten.
Im Jahr 2001 kündigte die Pächterin des als Pizzeria betriebenen Vereinsheim eines Sportvereins in O., in dem M. S. von Anfang 1999 bis Frühjahr 2001 als Pizzabäcker gearbeitet hatte, wegen hoher Schulden den Pachtvertrag. M. S. warb den Angeklagten und dessen Cousin Or. N., die frei werdende Pizzeria gemeinschaftlich zu betreiben. Mit der früheren Pächterin vereinbarte er eine Ablösezahlung von 100.000 DM. Nach Abschluß des Pachtvertrages hielt er sich nicht an die Vereinbarung und wollte nur noch 30.000 DM zahlen. Die Vorpächterin fühlte sich von ihm hintergangen und baute die gesamte Küchenausstattung aus. M. S. wurde in mehreren Telefongesprächen von ihr und ihren Söhnen wegen seines Verhaltens beschimpft und bedroht, bis hin zu der Androhung, man werde ihn „an einem Baum aufhängen”.
Die drei neuen Betreiber nahmen für die Einrichtung der Pizzeria Kredite auf und renovierten die Räume selbst. Aus Kostengründen teilten sich der Angeklagte und das spätere Tatopfer wieder eine kleine Wohnung. Am 11. Januar 2002 eröffneten sie die Pizzeria. Am 15. oder 16. Januar 2002 wurde die leicht zugängliche Telefonleitung zum Sportgelände und damit auch zur Pizzeria mutwillig zerstört.
Am Abend des 17. Januar 2002 hielten sich in der Pizzeria zahlreiche Gäste auf, die von den drei Betreibern bedient wurden. Die letzten Gäste verließen gegen 2.30 Uhr das Lokal, so daß der Angeklagte, Or. N. und M. S. zurückblieben. In den folgenden Stunden bis spätestens 7.00 Uhr morgens am 18. Januar 2002 wurde M. S. durch Messerstiche mit einem oder mehreren einseitig geschliffenen Messern, deren Klingenlänge mindestens 10 cm, höchstens ca. 12 cm und deren Klingenbreite etwa 2 cm betrug, getötet. Das Tatopfer erlitt 17 Messerstiche. Sieben Einstiche trafen ihn in den Brust- und Halsbereich, zwei Stiche in die linke Oberkörperseite, sechs Einstiche in den Rücken, hiervon drang einer durch das rechte Schulterblatt. Ein Stich mit dem Stichkanal von ca. 5 cm drang in die Weichteile seiner rechten Hohlhand in Richtung Daumenbein ein. Darüber hinaus ging ein Stich mit einem ca. 6 cm langen, horizontal verlaufenden Wundkanal in die linke Hüftgegend am Unterrand der linken Gesäßhälfte bis zum Rollhügel des Oberschenkelknochens und verursachte dort eine Einkerbung durch das Auftreffen der Messerspitze. Die teilweise mit erheblicher Wucht geführten Stiche verletzten beide Lungen, eine Körperhauptschlagader und die Lungenschlagader. Der daraus resultierende Blutverlust führte rasch zum Tode des M. S.. Zwischen zehn und zwölf Stunden nach seinem Tode wurde der Leichnam des Tatopfers entweder in den 30 Meter hinter dem Sportgelände vorüberfließenden Fluß Kinzig oder in den Mühlbach, der in die Kinzig mündet, verbracht. Am Morgen des 29. März 2002 – ca. zehn Wochen nach seiner Tötung – wurde der Leichnam des Tatopfers kurz vor der Einmündung der Kinzig in den Rhein in angetriebenem Schwemmgut aufgefunden. Bis auf die roten Sportschuhe war die Leiche mit den Kleidungsstücken bekleidet, die das Tatopfer am Abend des 17. Januar 2002 in der Pizzeria getragen hatte.
Am 18. Januar 2002, dem Morgen nach der Tatnacht, wurde der Angeklagte im Klinikum wegen einer kompletten Durchtrennung zweier Beugesehnen des Ringfingers und des fünften Fingers der rechten Hand operiert. Diese Verletzung ist das wichtigste Belastungsindiz.
Entscheidungsgründe
II.
Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er vorhandene Zweifel nicht überwinden kann, so ist das grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. In diesen Fällen beschränkt sich die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH StV 2001, 440; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 m.w.N.). Ein derartiger Mangel ist dem angegriffenen Urteil nicht zu entnehmen. Auch wenn – wovon das Landgericht ausgeht – der Angeklagte bei der Tötung des M. S. anwesend war, so hat die Strafkammer gleichwohl rechtsfehlerfrei festgestellt, die Handverletzung des Angeklagten könne auch anders als durch einen mit Tötungsabsicht geführten Messerstich entstanden sein.
1. Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, M. S. sei in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 2002 zwischen 2.30 Uhr bis 7.00 Uhr morgens durch 17 Messerstiche getötet worden und der Angeklagte sei dabei gewesen. Für den Tatzeitraum spricht, daß die letzten Gäste die Pizzeria gegen 2.30 Uhr verlassen und die drei Betreiber allein zurückgeblieben waren. Die Strafkammer hat festgestellt, daß danach niemand mehr M. S. lebend gesehen hat. Sein Leichnam war beim Auffinden rund zehn Wochen nach der Tat bis auf die roten Sportschuhe noch mit den Kleidungsstücken bekleidet, die der Getötete an diesem Abend in der Pizzeria getragen hatte. Die Oberbekleidung wies auch Textildurchtrennungen auf, die mit den Einstichen an seinem Körper übereinstimmten. Gerichtsmedizinische Untersuchungen ergaben, daß das Tatopfer bereits tot war, bevor es in eines der Gewässer eingebracht wurde. Der Zustand der Leiche ließ sich unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse mit dem Todeszeitpunkt in Einklang bringen (UA S. 29).
2. Ebenso begegnet die Annahme des Landgerichts keinen rechtlichen Bedenken, die am Morgen des 18. Januar 2002 von mehreren Zeugen beim Angeklagten festgestellte Schnittverletzung an der rechten Hand stehe im engen Zusammenhang mit der Tötungshandlung. Die Strafkammer hat sich, beraten durch zwei Rechtsmediziner, davon überzeugt, die Handverletzung sei entstanden, „als die rechte Hand des Angeklagten zumindest nahezu vollständig kraftvoll zur Faust geschlossen war” (UA S. 32). Sie ist deshalb „zu der sicheren Feststellung gelangt, daß der Angeklagte bei der Tötung von M. S. zumindest anwesend war und sich dabei die Schnittverletzung an der Hand zugezogen hat” (UA S. 27). Die Strafkammer hat damit zugleich die Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen, M. S. habe die Pizzeria nach 2.30 Uhr verlassen und sei möglicherweise an einem anderen Ort und zu einer späteren Zeit getötet worden. Sie hat dem Angeklagten auch nicht abgenommen, er sei – während er ein Messer in der linken Hand gehalten habe – beim Aufräumen am Morgen des 18. Januar 2002 auf dem Küchenboden ausgerutscht und habe sich beim Abstützen in die rechte Hand geschnitten.
3. Die Strafkammer hat jedoch trotz dieser belastenden Indizien ohne Rechtsfehler dargelegt, warum sie sich dennoch nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen konnte.
a) Aus den Angaben der Polizeibeamten und den verlesenen spurenkundlichen Gutachten ergibt sich, daß trotz umfangreicher und nachhaltiger Suche weder in und um die Pizzeria noch in der Wohnung des Getöteten tatrelevante Spuren gesichert werden konnten. Die Strafkammer konnte deshalb letztlich keine verläßlichen Feststellungen zum genauen Tatort, zum Ort und zur Art und Weise der Einbringung der Leiche in eines der am Sportgelände vorbeifließenden Gewässer treffen. Auch das oder die Tatwerkzeuge konnten nicht gefunden werden, so daß nicht feststeht, ob M. S. mit einem oder mehreren einseitig geschliffenen Messern getötet wurde. Die Einstiche ließen auch keine sicheren Feststellungen darüber zu, ob ein oder zwei Täter gleichzeitig oder nacheinander dem Tatopfer Stiche sowohl in den Brust- als auch in den Rückenbereich versetzten.
b) Die Strafkammer hat allein aus der von den Sachverständigen „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit” angenommenen Griffhaltung und der Entstehung der Handverletzung beim Angeklagten nicht auf den genauen Geschehensablauf schließen können. Sie hat sich ausführlich mit den Gutachten der beiden Rechtsmediziner auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt, die Gutachter hätten sich nicht in der Lage gesehen, „den Ausschluß anderer Entstehungsmöglichkeiten der Schnittverletzung durch medizinische Argumente überzeugend darzustellen” (UA S. 36). Sie konnte es deshalb als möglich ansehen, daß dem Angeklagten „im Rahmen eines Hilfeversuchs zugunsten des Getöteten die Verletzung durch eine dritte messerführende Person zugefügt worden sein könnte, wenn er mit der zur Faust geschlossenen Hand gegen eine solche Person, um sie am Stechen zu hindern, von vorne gegen die Stichrichtung vorgegangen wäre”. Ebenso ist nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer es für möglich gehalten hat, „daß der Angeklagte die messerführende Hand einer anderen Person von vorne oder aber auch aus einer Position hinter ihr umfaßte und festhielt und dann die Verletzung davontrug” (UA S. 36). Diese Annahmen sind möglich und damit revisionsrechtlich unangreifbar. Damit ist die vom Landgericht angestellte Erwägung rechtsfehlerfrei, es liege eine unaufklärbare Lücke im Tatgeschehen vor, die sich nur durch spekulative Erwägungen ausfüllen lasse.
c) Diese möglichen Schlüsse hat das Landgericht – ersichtlich vor dem Hintergrund der massiven Bedrohung durch andere – auch darauf gestützt, es sei kein Motiv erkennbar, was Anlaß für die Tötung des M. S. hätte sein können. Da keiner der gehörten Zeugen von Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer berichtete, liegen keine Beweisanzeichen für ein tragfähiges Motiv des Angeklagten vor. Die Kammer hat auch die Möglichkeit eines plötzlich ausbrechenden heftigen Streits zwischen dem Angeklagten mit dem Getöteten erwogen. Sie hat dazu nachvollziehbar ausgeführt, eine plötzliche, sich aus einem Streit ergebende Motivation für eine Tötung des M. S. hätte genauso auf Or. N. zutreffen können. Ein nachvollziehbares Motiv hat auch die Beschwerdeführerin nicht benennen können.
4. Die Strafkammer hat sich in ihrer ausführlichen Beweiswürdigung nicht auf eine Einzelbewertung der belastenden und entlastenden Indizien beschränkt. Sie hat die einzelnen Beweisanzeichen einer nach der Rechtsprechung gebotenen Gesamtwürdigung (BGHSt 35, 308, 316) unterzogen. In dieser ist sie zwar nicht mehr auf jedes einzelne Indiz eingegangen. Der Senat kann aber aus dem Gesamtzusammenhang der Beweiswürdigung schließen, daß der Strafkammer dabei nicht die wechselseitige Durchdringung der einzelnen Beweisanzeichen aus dem Blick geraten ist. Auch insoweit ist ein Rechtsfehler nicht erkennbar.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2558499 |
NStZ-RR 2004, 20 |