Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Leitsatz (amtlich)
Die Ausnutzung derselben schutzlosen Lage allein reicht nicht aus, mehrere sexuelle Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne zu verbinden.
Normenkette
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Dezember 2000 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung sowie wegen tateinheitlich mit Freiheitsberaubung begangener Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Die Verfahrensrüge entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist daher unzulässig.
II. Die Sachrüge ist im Ergebnis ebenfalls unbegründet. Einer Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob die Strafkammer die Konkurrenzverhältnisse hinsichtlich der Vergewaltigungstaten zutreffend beurteilt hat.
1. Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte seine Ehefrau Melek E., die sich wegen wiederholter Gewalttätigkeiten von ihm getrennt hatte, am 7. Februar 2000 in ihrer Wohnung auf, weil er die Ehe fortsetzen wollte. Er stellte Melek E. vor die Wahl, entweder mit ihm erneut zusammenzuleben oder ihm den gemeinsamen Sohn zu übergeben. Als seine Ehefrau die Herausgabe des Kindes verweigerte, versetzte er ihr zwei Schläge ins Gesicht. Sodann zwang er sie, ihm sowohl ihren Paß als auch den des Sohnes herauszugeben und einen Brief aufzusetzen, in dem sie auf das Kind verzichtete. Anschließend weigerte er sich aus Angst vor einer Anzeige, die Wohnung zu verlassen. Er schloß die Wohnungstür ab, steckte den Schlüssel ein und verbrachte die Nacht in der Wohnung. In den folgenden Tagen hielt er die Wohnung, die seine Ehefrau nur in Gegenwart des Angeklagten verlassen durfte, weiterhin verschlossen. In diesem Zeitraum führte der Angeklagte am 8., am 9. oder 10. und am 13. Februar 2000 aufgrund jeweils neuen Entschlusses gegen den erklärten Willen seiner Ehefrau den Geschlechtsverkehr mit ihr durch. Melek E. leistete aus Angst vor weiteren Schlägen, in Anbetracht der körperlichen Überlegenheit ihres Ehemannes sowie auch des Eingesperrtseins in der Wohnung keinen Widerstand. Dem Angeklagten war jeweils bewußt, daß seine Ehefrau „ihm hilflos ausgeliefert war” (UA 10). Nachdem der Angeklagte – wenn auch zu Unrecht – davon überzeugt war, daß seine Ehefrau wieder bereit war, mit ihm zusammenzuleben, hob er sämtliche Maßnahmen auf, die aus seiner Sicht ihr Verbleiben in der von ihm zur Fortsetzung der gemeinsamen Partnerschaft ins Auge gefaßten „gemeinsamen” Wohnung sichern sollten.
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten zutreffend jeweils als Vergewaltigung unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), gewertet. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist die Annahme dreier selbständiger, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung begangener Vergewaltigungen, die zueinander in Tatmehrheit stehen.
a) Nach der Rechtsprechung kommt allerdings die Annahme von Tateinheit in Betracht, wenn die tatbestandlichen, dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzenden Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind (vgl. BGHSt 22, 206, 208; 43, 317, 319; vgl. auch Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 52 Rdn. 19 m.w.N.). Für die Tatbestandsalternativen des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ist daher anerkannt, daß bei einheitlicher Gewaltanwendung ebenso wie bei fortgesetzter oder fortwirkender Drohung trotz mehrfacher dadurch erzwungener Beischlafhandlungen nur eine Tat im Rechtssinne vorliegt (vgl. BGH NStZ 1999, 83; 2000, 419, 420; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10).
Dagegen hat die Rechtsprechung bislang nicht näher erörtert, ob allein das Ausnutzen derselben schutzlosen Lage mehrfach erzwungenen Geschlechtsverkehr zu einer Tat im Rechtssinne zusammenführen kann oder ob in diesen Fällen Tateinheit nur unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit in Betracht kommt (vgl. BGHSt 45, 253; BGH NStZ 1999, 505; NStZ 2000, 419, 420; BGH, Beschluß vom 13. Juni 2000 – 4 StR 166/00).
b) Die Frage ist im letztgenannten Sinne zu beantworten, da es in den Fällen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei mehrfacher Tatbestandsverwirklichung an einer – zumindest teilweise – identischen Tathandlung fehlt.
Während in § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB die tatbestandliche Nötigungshandlung, die im Einsatz von Gewalt oder einer Drohung des Täters mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben besteht, als solche geeignet ist, einen fortwirkenden Zwang auf das Opfer auszuüben und es – in einem weiteren Akt (BGH NStZ 1985, 546) – zur Duldung oder Vornahme erneuter sexueller Handlungen zu veranlassen, trifft dies bei § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu. Alleinige Tathandlung ist hier das Aufzwingen sexueller Handlungen unter Ausnutzung einer bestimmten Befindlichkeit des Opfers, nämlich dessen schutzloser Lage. Nutzt der Täter eine fortbestehende schutzlose Lage des Opfers aufgrund getrennten Tatentschlusses mehrfach zur Erwingung sexueller Handlungen aus, so geht der Zwang, auf die Durchsetzung seines entgegenstehenden Willens zu verzichten, für das Opfer nicht von der tatbestandlichen Ausführungshandlung des Täters, sondern von der fortbestehenden Lebenssituation des Opfers aus. Dies gilt auch für Fälle, in denen der Täter – wie hier – die schutzlose Lage des Opfers durch sein Verhalten herbeigeführt hat, weil dieser Umstand für die Tatbestandsverwirklichung ohne Bedeutung ist (BGHSt 45, 253, 256 f. m.w.N.). Die tatbestandliche Nötigungshandlung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StPO erschöpft sich in der aktuellen Durchsetzung der sexuellen Handlung unter Beugung des der Tat entgegenstehenden Willens des Opfers (BGHSt 45, 253, 260 f.). Eine Verknüpfung einzelner sexueller Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne allein durch die Ausnutzung derselben schutzlosen Lage kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht. Natürliche Handlungseinheit scheidet im vorliegenden Fall schon angesichts der erheblichen zeitlichen Abstände zwischen den jeweiligen Beischlafhandlungen aus.
c) Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung zu vergleichbaren Tatbeständen. So hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung zur fortgesetzten Handlung gerade mit Blick auf bestimmte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ausgeführt, daß die Wertung einer Vielzahl über längere Zeiträume erstreckter, jeweils für sich tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen als eine Tat dem Sinn dieser Deliktstatbestände widerspricht, und zwar auch dann, wenn die Handlungen unter Ausnutzung einer festen Täter-Opfer-Beziehung begangen wurden (BGHSt 40, 138, 166). Nach dieser Entscheidung gilt dies unter anderem für den Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB („unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit”) und liegt für die Tatbestände des § 174 a Abs. 1 StGB („unter Mißbrauch seiner Stellung”) und § 174 b Abs. 1 StGB („unter Ausnutzung einer Amtsstellung”) nahe. Bezüglich § 182 Abs. 1 StGB („unter Ausnutzung einer Zwangslage”) hat der erkennende Senat bei mehrfachem Ausnutzen derselben Zwangslage zu sexuellen Übergriffen die Annahme mehrerer selbständiger Taten nicht beanstandet (BGHSt 42, 399, 402, 403). Im übrigen ist die Annahme von Tatmehrheit zwischen zwei Vergewaltigungstaten nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB bereits vom 2. Strafsenat in einem Fall bestätigt worden, in dem der Täter unter Ausnutzung derselben schutzlosen Lage in engem zeitlichen und situativen Zusammenhang („einige Zeit später am selben Abend”) aufgrund eines neuen Tatentschlusses zweimal den Geschlechtsverkehr mit dem Opfer durchgeführt hat (BGHSt 45, 253).
d) Der Senat verkennt nicht, daß sich aus der unterschiedlichen Behandlung des Konkurrenzverhältnisses im Rahmen von § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB einerseits und § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB andererseits Wertungswidersprüche ergeben können. Ob angesichts dessen an der bisherigen Rechtsprechung zu den Konkurrenzen bei fortwirkender Gewalt oder Drohung festgehalten werden sollte, ist hier nicht zu entscheiden, da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB nicht vorliegen. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Freiheitsberaubung nicht zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs mit seiner Ehefrau eingesetzt. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß das Einsperren nur der Fortsetzung eines gemeinsamen Familienlebens dienen sollte.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović
Fundstellen
Haufe-Index 664950 |
NJW 2002, 381 |
NStZ 2002, 199 |
Nachschlagewerk BGH |
StV 2002, 79 |