Entscheidungsstichwort (Thema)
Kfz-Unfallschaden. Ersatzfahrzeug zum Unfallersatztarif. Vergleichsangebote. Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers. Haftungsfreistellungskosten. Wirtschaftlichkeitsgebot
Leitsatz (amtlich)
Ein Unfallersatztarif ist erforderlich i.S.d. § 249 BGB, wenn ein ggü. dem "Normaltarif" höherer Preis bei Unternehmen dieser Art durch unfallbedingte Mehrleistungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt ist. Inwieweit dies der Fall ist, hat der Tatrichter nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt (Fortführung von BGH v. 12.10.2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377 [383 f.] = BGHReport 2005, 294 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 332).
Normenkette
BGB § 249; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Urteil vom 13.12.2004; Aktenzeichen 6 S 2063/03) |
AG Chemnitz (Urteil vom 29.04.2003; Aktenzeichen 22 C 4600/02) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Chemnitz v. 13.12.2004 aufgehoben, soweit die Klage i.H.v. 395,63 EUR nebst Zinsen abgewiesen worden ist. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer Ansprüche auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten und einer restlichen Unkostenpauschale aus einem Verkehrsunfall v. 10.1.2002 geltend, bei dem der vom Kläger geleaste Pkw vom Typ VW Beetle beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten für den Unfallschaden ist dem Grunde nach außer Streit.
Da das Fahrzeug noch fahrtüchtig war, nutzte der Kläger dieses zunächst weiter und mietete erst aus Anlass der Reparatur am 21.1.2002 - ohne zuvor Erkundigungen über günstigere Tarife einzuziehen - für die Dauer von drei Tagen bei der U. Autovermietung ein nicht typgleiches Ersatzfahrzeug, einen VW Sharan, zu einem sog. Unfallersatztarif an.
Von den ihm von der U. Autovermietung in Rechnung gestellten Beträgen begehrt der Kläger mit der vorliegenden Klage Ersatz folgender Positionen:
Mietwagenkosten i.H.v. 498 EUR für drei Tage abzgl. 10 % Selbstbehalt |
448,20 EUR |
Haftungsfreistellung drei Tage |
60 EUR |
Zustellung/Abholung im Stadtgebiet |
52 EUR |
zzgl. Mehrwertsteuer |
89,63 EUR |
Endbetrag |
649,83 EUR. |
Darüber hinaus verlangt der Kläger von der Beklagten Ersatz seiner allgemeinen Unkosten im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall i.H.v. pauschal 26 EUR.
Das AG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger 209,70 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom LG zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger könne im Rahmen des § 249 S. 2 BGB lediglich die Erstattung der objektiv notwendigen Kosten für die Anmietung eines Mietfahrzeuges verlangen. Objektiv notwendig seien dabei all diejenigen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der konkreten Lage des Geschädigten machen würde. Da der Kläger im vorliegenden Fall ein Ersatzfahrzeug erst elf Tage nach dem Verkehrsunfall angemietet habe, habe er hinreichend Zeit gehabt, um sich am regionalen Markt zu erkundigen. Indem er ohne Beiziehung von Vergleichsangeboten bei der U. Autovermietung GmbH ein Ersatzfahrzeug zum Unfallersatztarif angemietet habe, habe er gegen ihm obliegende Schadensminderungspflichten verstoßen. Der Kläger könne mithin nur für drei Tage Mietwagenkosten zu einem Normaltarif für einen VW New Beetle abzgl. einer Eigenersparnis von 10 % erstattet verlangen, das seien 205,20 EUR. Erstattung von Haftungsfreistellungskosten könne er demgegenüber nicht verlangen, da er trotz Bestreitens der Beklagten den Nachweis dafür schuldig geblieben sei, dass für das Leasingfahrzeug eine Vollkaskoversicherung bestanden habe. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Unkostenpauschale sei im vorliegenden Fall ein Teilbetrag von 7,50 EUR ausreichend und angemessen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass dem Geschädigten wegen des Auseinanderfallens der Schadensabrechnung mit ihm selbst und dem Leasinggeber vorliegend allenfalls Aufwendungen im Zusammenhang mit den Mietwagenkosten und der Beauftragung eines Rechtsanwalts entstanden seien und er zudem keinerlei Erkundigungen im Zusammenhang mit der Anmietung eingeholt habe.
II.
Das angefochtene Urteil hält nicht in allen Punkten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Unfallersatztarifs abgelehnt und die Mietwagenkosten auf den von ihm geschätzten Normaltarif beschränkt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger von der Beklagten nach § 249 S. 2 BGB a.F. als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen kann, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Er verstößt aber noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zu einem Unfallersatztarif anmietet, der ggü. einem Normaltarif teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.Ä.) einen ggü. dem "Normaltarif" höheren Preis bei Unternehmen dieser Art aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind (BGH v. 12.10.2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377 [383 f.] = BGHReport 2005, 294 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 332; v. 26.10.2004 - VI ZR 300/03, BGHReport 2005, 297 = MDR 2005, 331 = NJW 2005, 135 [137]; v. 15.2.2005 - VI ZR 160/04, BGHReport 2005, 705 = VersR 2005, 569; v. 15.2.2005 - VI ZR 74/04, BGHReport 2005, 703 = VersR 2005, 568; v. 19.4.2005 - VI ZR 37/04, BGHReport 2005, 1039 = MDR 2005, 1105 = VersR 2005, 850; v. 5.7.2005 - VI ZR 173/04, BGHReport 2005, 1437). Inwieweit dies der Fall ist, hat der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter - ggf. nach Beratung durch einen Sachverständigen - zu schätzen (BGH v. 19.4.2005 - VI ZR 37/04, BGHReport 2005, 1039 = MDR 2005, 1105 = VersR 2005, 850; v. 23.11.2004 - VI ZR 357/03, BGHReport 2005, 362 m. Anm. Freyberger = MDR 2005, 268 = VersR 2005, 284), wobei u.U. auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt (BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [371] = MDR 1992, 131). Die erforderlichen Feststellungen wird das Berufungsgericht auf der Grundlage des Sachvortrags des Klägers nachzuholen haben.
b) Ergibt diese vorrangige Prüfung, dass der "Unfallersatztarif" auch mit Rücksicht auf die Unfallsituation nicht im geltend gemachten Umfang zur Herstellung "erforderlich" war, kann der Geschädigte im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung (BGH v. 7.5.1996 - VI ZR 138/95, BGHZ 132, 373 [376] = MDR 1996, 793) den übersteigenden Betrag nur ersetzt verlangen, wenn ihm ein günstigerer "Normaltarif" nicht ohne weiteres zugänglich war (BGH v. 15.2.2005 - VI ZR 160/04, BGHReport 2005, 705 = VersR 2005, 569; v. 15.2.2005 - VI ZR 74/04, BGHReport 2005, 703 = VersR 2005, 568; v. 19.4.2005 - VI ZR 37/04, BGHReport 2005, 1039 = MDR 2005, 1105 = VersR 2005, 850). Hierfür hat der Geschädigte darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war. Zu einer solchen Nachfrage nach einem günstigeren Tarif ist ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter schon unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots gehalten, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich aus dessen Höhe sowie aus der kontroversen Diskussion und der neuen Rechtsprechung zu diesen Tarifen ergeben können. Auch liegt eine Nachfrage im eigenen Interesse des Geschädigten, weil er andernfalls Gefahr läuft, dass ihm ein nach den oben dargelegten Grundsätzen überhöhter Unfallersatztarif nicht in vollem Umfang erstattet wird. Dabei kann es je nach Lage des Einzelfalls auch erforderlich sein, sich anderweitig nach günstigeren Tarifen zu erkundigen, insb. wenn er - wie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall der Kläger - ein Ersatzfahrzeug erst elf Tage nach dem Verkehrsunfall anmietet (BGH v. 19.4.2005 - VI ZR 37/04, BGHReport 2005, 1039 = MDR 2005, 1105 = VersR 2005, 850). Allein die Dauer der Anmietung als solche vermag demgegenüber - entgegen der Auffassung der Revision - keine grundsätzlich abweichende Beurteilung zu rechtfertigen.
2. Auch die Begründung, mit der das Berufungsgericht dem Kläger die Erstattung von Haftungsfreistellungskosten von insgesamt 60 EUR nebst Umsatzsteuer versagt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Wird für ein bei einem Verkehrsunfall beschädigtes Kraftfahrzeug ein Ersatzfahrzeug angemietet und dabei Vollkaskoschutz vereinbart, sind die hierfür erforderlichen Mehraufwendungen i.d.R. als adäquate Schadensfolge anzusehen (BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 74/04, BGHReport 2005, 703 = VersR 2005, 568). Das Berufungsgericht hat dem Kläger hier eine Erstattung von Haftungsfreistellungskosten mit der Begründung versagt, dieser sei trotz Bestreitens der Beklagten den Nachweis dafür schuldig geblieben, dass eine solche Versicherung für das von ihm geleaste Fahrzeug, also das Unfallfahrzeug, bestanden habe. Demgegenüber weist die Revision mit Recht darauf hin, dass Kosten einer für ein Ersatzfahrzeug abgeschlossenen Vollkaskoversicherung auch dann ersatzfähig sein können, wenn das eigene Fahrzeug des Geschädigten zum Unfallzeitpunkt nicht vollkaskoversichert war. Nach der Rechtsprechung des erk. Senats kann der durch einen fremdverschuldeten Unfall Geschädigte bei Inanspruchnahme eines Mietwagens die Aufwendungen für eine der Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung entsprechende Haftungsfreistellung grundsätzlich insoweit ersetzt verlangen, als er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt war (BGHZ 61, 325 [331 ff.]; BGH v. 19.3.1974 - VI ZR 216/72, VersR 1974, 657; v. 15.2.2005 - VI ZR 74/04, BGHReport 2005, 703 = VersR 2005, 568). Die Revision macht insoweit mit Recht geltend, dass sich der Kläger als Mieter des Ersatzfahrzeugs VW Sharan einem solchen Risiko aussetzte, während er ggü. der Volkswagen AG als Leasinggeber des Unfallfahrzeuges nur für vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführte Schäden unter Vereinbarung eines Eigenbehalts von 511,29 EUR pro Schadensfall bei allen anderen Unfallschäden haftete. Auch diesen Gesichtspunkt wird das Berufungsgericht ebenso wie die Frage, ob ggf. Abzüge unter dem Gesichtspunkt eines Vorteilsausgleichs in Betracht kommen, zu prüfen haben.
3. Die weiter gehende Revision hat demgegenüber keinen Erfolg.
a) Soweit sie rügt, dass das Berufungsgericht die in Ansatz gebrachten Kosten der Zustellung und Abholung des Ersatzfahrzeugs i.H.v. 52 EUR nicht berücksichtigt habe, wird kein Sachvortrag des Klägers zu der Frage aufgezeigt, ob und inwieweit solche Kosten für "Zustellung/Abholung im Stadtgebiet" erforderlich waren i.S.d. § 249 S. 2 BGB a.F.
b) Soweit das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles dem Kläger die geltend gemachte Auslagenpauschale von 26 EUR auf 7,50 EUR gekürzt hat, bewegt sich diese Beurteilung im Rahmen tatrichterlichen Ermessens i.S.d. § 287 ZPO und ist - da Rechtsfehler nicht ersichtlich sind - revisionsrechtlicher Nachprüfung entzogen.
Fundstellen
Haufe-Index 1464199 |
NJW 2006, 360 |
BGHR 2006, 232 |
JurBüro 2006, 273 |
MDR 2006, 686 |
NZV 2006, 139 |
VRS 2006, 164 |
VersR 2006, 133 |
GuT 2006, 87 |
NJW-Spezial 2006, 64 |
SVR 2006, 303 |
VRA 2006, 19 |
VRR 2006, 102 |
ZGS 2006, 44 |
r+s 2006, 215 |
DS 2006, 109 |