Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Auf die Revision der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision beanstanden die Nebenkläger, die Eltern des Tatopfers, das Verfahren und rügen die Verletzung sachlichen Rechts. Sie erstreben eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes.
1. Der Angeklagte lebte seit Februar 1998 mit der der Prostitution nachgehenden Stefanie P. und deren drei Jahre alten Tochter Janine in einem Einfamilienhaus zusammen. Stefanie P. hatte sich bereits vor der Bekanntschaft mit dem Angeklagten von ihrem Ehemann Andreas P. – dem späteren Tatopfer – getrennt. Sie bezog, trotz ihrer Prostitutionstätigkeit, die sie den Behörden verschwieg, für sich und das Kind Sozialhilfe. Andreas P. war nicht der leibliche Vater des in der Ehe geborenen Kindes Janine; er hatte die Ehelichkeit des Mädchens zwar nicht angefochten, er kam jedoch nach der Trennung der Eheleute für den Unterhalt des Kindes nicht mehr auf. Im Verlauf von Gesprächen, die die Eheleute im Zusammenhang mit dem von ihnen betriebenen Scheidungsverfahren in Gegenwart des Angeklagten führten, bestand Andreas P. als Voraussetzung für eine einvernehmliche Regelung der Scheidungsfolgen, insbesondere des Sorgerechts für das Kind, darauf, daß Stefanie P. die gegen ihn bestehenden Forderungen des Sozialamtes, das wegen des Kindesunterhalts in Vorlage getreten war, beglich; ferner verlangte er von ihr, ihn auch im übrigen von Unterhaltsverpflichtungen freizustellen. Er gab bei diesen Gesprächen zu verstehen, daß er sich im Streitfall nicht scheuen würde, die Prostitutionstätigkeit von Stefanie P., die damit Einnahmen von ca. 7.000 DM im Monat erzielte, offenzulegen. Der Angeklagte befürchtete, daß Stefanie P. die finanziellen Forderungen ihres Ehemannes nicht werde erfüllen können und daß, falls man sich nicht einigen könnte, der Andreas P. bekannt machen werde, daß Stefanie P. zu Unrecht Sozialhilfe bezogen und ihre Einkünfte nicht ordnungsgemäß versteuert hatte. Da der Angeklagte inzwischen eine enge Beziehung zu dem Kind Janine entwickelt hatte, belastete ihn vor allen Dingen die Furcht, daß Andreas P. dann das Sorgerecht für das Kind zugesprochen werden könnte.
Am 21. November 1998 kam Andreas P. gegen 14.00 Uhr in die Wohnung des Angeklagten und der Stefanie P.. Stefanie P. hatte zuvor mit dem Kind Janine das Haus verlassen, um Einkäufe zu tätigen. Der Angeklagte und Andreas P. tranken zunächst zusammen Kaffee. Dabei kam es zwischen ihnen zu einem Streitgespräch über die Forderungen des Andreas P. im Hinblick auf die am 26. November 1998 anstehende Scheidung, in dessen Verlauf Andreas P. zum Ausdruck brachte, daß er auf seinen Forderungen bestehe, die vor einer einvernehmlichen Regelung bezüglich des Sorgerechts erfüllt werden müßten. Das Streitgespräch eskalierte zu diesem Zeitpunkt nicht; der Angeklagte kam auf eine Störung der Heizungsanlage zu sprechen. Beide begaben sich deshalb in den Keller, wo Andreas P. die Heizungsanlage untersuchte. Währenddessen kam das Gespräch erneut auf das Thema der Scheidungsfolgen. Nach den Feststellungen des Urteils, die auf den vom Landgericht als nicht widerlegbar erachteten Einlassungen des Angeklagten beruhen, äußerte Andreas P. dabei, „Du Pisser, Euch mach ich alle fertig, ich zeig die Stefanie an beim Jugendamt und beim Finanzamt, ich nehme das Kind weg, Stefanie muß dann zu dem Kind kommen und ich mache dann was ich will. Du kannst sowieso alles vergessen”. Nunmehr ergriff der Angeklagte in einer Mischung aus Wut, Verachtung, Enttäuschung und Verlustängsten einen auf einem Mauervorsprung liegenden Zimmermannshammer und schlug von hinten auf den vor ihm stehenden Andreas P. ein. Dieser stürzte schon nach dem ersten Schlag, der ihn im Hinterkopfbereich traf, zu Boden und verlor das Bewußtsein. Der Angeklagte, der bereits bei dem ersten Schlag mit Tötungsabsicht gehandelt hatte, schlug noch mehrfach in schneller Folge mit dem Hammer insbesondere auf den Hinterkopf seines am Boden liegenden Opfers ein. Da dieses noch Lebenszeichen von sich gab, benutzte der Angeklagte noch eine Handstichsäge und eine Latte als Schlagwerkzeug, sowie später ein Messer, mit dem er auf den Oberkörper des Opfers einstach, bis es keine Lebenszeichen mehr von sich gab. In der Folgezeit bemühte sich der Angeklagte, die Spuren seiner Tat zu beseitigen. An einem der nachfolgenden Tage schaffte er die Leiche des Andreas P. in die Rheinauen bei D., wo er versuchte, die Leiche zu verbrennen. Dies gelang jedoch nur unvollkommen.
Zur rechtlichen Würdigung der Tat hat das Landgericht ausgeführt, daß Andreas P. zwar mit dem ersten Schlag mit dem Hammer nicht gerechnet habe und ihn auch nicht habe kommen sehen, so daß er keinerlei Abwehroder Ausweichreaktionen zeigte. Dennoch hat das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke nicht für erfüllt erachtet. Es hat die Einlassung des Angeklagten, er habe entgegen dem Anklagevorwurf sein Opfer nicht unter einem Vorwand in den Keller gelockt, sondern den Tötungsvorsatz spontan aus Wut, Verachtung, Enttäuschung und Verlustängsten infolge des neuerlichen Streitgesprächs während der Heizungsinspektion gefaßt, für nicht widerlegbar gehalten und deshalb nicht festzustellen vermocht, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkannt und bewußt ausgenutzt hat.
2. Die Revision der Nebenkläger hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Sie macht einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO geltend, weil das Landgericht einen Beweisantrag zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt habe, die behaupteten Beweistatsachen seien für die Entscheidung ohne Bedeutung.
Die Nebenklägervertreterin hatte in der Hauptverhandlung „zum Beweis für die Behauptung der Tatsache, daß die Ehefrau des Getöteten vom Opfer weder erpreßt noch die Zahlung von Geldbeträgen verlangt wurde mit der Drohung, das Sorgerecht entziehen zu lassen”, die Vernehmung der Stefanie P. beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht durch Beschluß abgelehnt, „weil die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist (§ 244 Abs. 2 Satz 2 StPO)”. Diese Ablehnung der beantragten Beweiserhebung ist rechtsfehlerhaft.
a) Der Antrag der Nebenklägervertreterin ist ein nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zu behandelnder Beweisantrag. Zwar ist es dem Generalbundesanwalt zuzugeben, daß der Antrag die in das Wissen der Zeugin Stefanie P. gestellten Tatsachen in Negativformulierungen gekleidet hat. Auch trifft es zu, daß Negativtatsachen nur selten als hinreichend konkrete, von dem in Betracht kommenden Zeugen selbst wahrgenommene Beweistatsachen angesehen werden können (vgl. BGHSt 39, 251, 254 m.w.Nachw.). Ein solcher Ausnahmefall liegt vor. Dort, wo es möglich ist, ist die vom Antragsteller tatsächlich gewollte Beweisbehauptung durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr. BGHSt 39, 251, 253; 43, 321, 329). Nach Sinn und Zweck des Antrags ging es den Nebenklägern ersichtlich darum, unter Beweis zu stellen, daß die im Zusammenhang mit der geplanten Scheidung geführten Gespräche der Eheleute, auch über die Regelung der Scheidungsfolgen, einvernehmlich verlaufen waren und Andreas P. insbesondere keine finanziellen Forderungen an seine Ehefrau gerichtet hatte, die mit Drohungen für den Fall ihrer Nichterfüllung verbunden waren. Damit sollte die Einlassung des Angeklagten widerlegt werden, der solche mit Drohungen verknüpfte Forderungen des Tatopfers behauptet und als Motiv für seinen Tötungsentschluß genannt hatte. Die Zeugin Stefanie P. sollte somit zu Geschehnissen und Tatsachen vernommen werden, die den Tatanlaß und die Tatmotivation betrafen und zu denen sie aufgrund eigener Wahrnehmungen im Rahmen der mit Andreas P. geführten Gespräche Angaben machen konnte. Ein Fall der bloßen Wertung oder Schlußfolgerung oder der Behauptung von reinen Negativtatsachen ohne konkreten Bezug zu tatsächlichen Wahrnehmungen der Zeugin liegt somit nicht vor.
b) Der Beschluß, durch den ein Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO mit der Begründung abgelehnt wird, die Beweisbehauptung sei für die Entscheidung ohne Bedeutung, muß es den Prozeßbeteiligten ermöglichen, sich auf die Gründe der Ablehnung der beantragten Beweiserhebung einzustellen, und das Revisionsgericht in die Lage versetzen, die Ablehnung als rechtsfehlerfrei oder rechtsfehlerhaft beurteilen zu können. Deshalb muß sich aus dem Ablehnungsbeschluß nicht nur ergeben, ob das Gericht die Beweistatsache aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen als bedeutungslos ansieht, diese Wertung ist vielmehr auch zu begründen (vgl. Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 75 m.w.Nachw.). Bereits daran fehlt es, da der Ablehnungsbeschluß des Landgerichts sich in der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts in der entsprechenden Ablehnungsalternative des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO erschöpft.
Die Annahme, die in das Wissen der Ehefrau des Tatopfers gestellten Tatsachen seien für die Entscheidung (ersichtlich gemeint ist: aus tatsächlichen Gründen) ohne Bedeutung, versteht sich hier auch nicht von selbst. Daß Stefanie P. anläßlich der geplanten Scheidung Gespräche mit Andreas P. – auch in Anwesenheit des Angeklagten – über dessen finanzielle Forderungen geführt hat, und daß Andreas P. dabei auch zum Ausdruck gebracht hatte, daß er sich im Streitfall – also im Falle der Zahlungsverweigerung durch seine Ehefrau – nicht scheuen würde, deren Prostitutionstätigkeit offenzulegen, hat das Landgericht in seinem Urteil selbst festgestellt (vgl. UA S. 7). Ferner hat es die Einlassung des Angeklagten, vor der Tat sei es zwischen ihm und Andreas P. zu einem Streitgespräch über die Scheidungsfolgen, mithin auch über die geltend gemachten finanziellen Forderungen des Andreas P. gekommen, für unwiderlegt erachtet, so daß der Aussage der Stefanie P. schon zur Prüfung des Wahrheitsgehalts der Einlassung entscheidende Bedeutung zukam. Denn wenn sie Forderungen und Drohungen ihres Ehemannes im Vorfeld der Tat nicht bestätigen würde, wäre die Einlassung des Angeklagten zum Anlaß der Tat in Frage gestellt.
Im übrigen macht die Revision zu Recht geltend, das Landgericht habe sich in seinem Urteil dadurch zu dem Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit in Widerspruch gesetzt, daß es seine Entscheidung auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache gestützt hat (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 56 m.w.Nachw.; BGH NStZ 1994, 195; StV 1996, 648; BGHR StPO § 244 II 2 Bedeutungslosigkeit 18 und 22 jew. m.w.Nachw.). Denn die Feststellungen zu den Inhalten der Gespräche über die Scheidungsfolgen zwischen den Eheleuten und der Forderung des Andreas P. nach Begleichung der Unterhaltsschulden beim Sozialamt und Freistellung von Unterhaltsverpflichtungen, wobei er zugleich zum Ausdruck brachte, daß er im Streitfalle die Prostitutionstätigkeit seiner Ehefrau offenlegen würde, beinhalten der Sache nach nichts anderes, als daß das Tatopfer im Vorfeld der Tat tatsächlich versucht hat, Stefanie P. durch Drohungen mit einem empfindlichen Übel zur Zahlung von Geldbeträgen bzw. zur Übernahme von Zahlungsverpflichtungen zu veranlassen. Damit hat das Landgericht das Gegenteil der in das Wissen der Ehefrau des Tatopfers gestellten Beweistatsachen, die es in dem den Antrag ablehnenden Beschluß als für die Entscheidung ohne Bedeutung gewertet hat, seinen Urteilsfeststellungen zugrunde gelegt.
c) Aber selbst wenn man, wie der Generalbundesanwalt, den Antrag der Nebenklägervertreterin nicht als förmlichen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ansehen, sondern lediglich als einen nach § 244 Abs. 2 StPO zu behandelnden Beweisermittlungsantrag verstehen würde, würde die Ablehnung in der vom Landgericht gewählten Form durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen. Ohne nähere Begründung ist nicht nachvollziehbar, warum die Bekundungen der Ehefrau des Tatopfers zu den Gesprächen im Vorfeld der Tat über die Scheidungsfolgen für die Entscheidung unerheblich sein sollen. Angesichts der zentralen Bedeutung, die das Landgericht diesen Ereignissen vor allem für die Entstehung des Tötungsentschlusses und die Motive des Angeklagten beigemessen hat, hätte es sich auch nach § 244 Abs. 2 StPO aufgedrängt, die Ehefrau des vom Angeklagten Getöteten hierzu zu vernehmen und sich nicht nur mit der Einlassung des Angeklagten zu begnügen.
3. Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß das Urteil auch aus sachlichrechtlichen Gründen nicht rechtsbedenkenfrei ist. Dabei kann dahinstehen, ob das Mordmerkmal der Heimtücke mit zutreffender Begründung abgelehnt worden ist. Das Landgericht hat jedenfalls nicht geprüft, ob weitere Mordmerkmale in Betracht kommen, obwohl dies nach den getroffenen Feststellungen naheliegt.
Ausweislich der Urteilsgründe befürchtete der Angeklagte auch, daß Andreas P. im Streitfalle offenlegen könnte, daß Stefanie P. zu Unrecht Sozialhilfe bezogen und ihre Einkünfte nicht ordnungsgemäß dem Finanzamt angegeben hatte (vgl. UA S. 7). Der Angeklagte befürchtete damit ersichtlich, daß Stefanie P. wegen Betruges zum Nachteil des Sozialamtes und wegen Steuerhinterziehung zur Verantwortung gezogen werden könnte, wenn Andreas P. die Tätigkeit als Prostituierte den Behörden offenbarte. Danach liegt es zumindest nahe, das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht oder der „sonstigen niedrigen Beweggründe” zu prüfen. Denn zur Verdeckung einer Straftat im Sinne des § 211 StGB kann auch derjenige handeln, der zwar keine eigene Straftat, wohl aber eine fremde Straftat verdecken will (BGHSt 9, 180, 182; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 211 Rdn. 31; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 211 Rdn. 9 m.w.Nachw.). Zumindest ist aber eine Tötung aus „sonstigen niedrigen Beweggründen” in Betracht zu ziehen.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß es rechtlich nur möglich ist, einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind, nach § 154 a StPO von der Strafverfolgung auszuscheiden. Bei einer Tat, für die der Tatbestand des Mordes gemäß § 211 StGB in Betracht kommt, kann daher die Strafverfolgung gemäß § 154 a StPO nicht auf den Tatbestand des Totschlags gemäß § 212 StGB beschränkt werden; denn diese beiden Delikte sind nach der Rechtsprechung selbständige Straftatbestände mit verschiedenem Unrechtsgehalt (vgl. BGHSt 1, 368, 370; 22, 375, 377; 36, 231, 233), von denen nur entweder der eine oder der andere erfüllt sein kann.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556755 |
NStZ 2000, 267 |