Leitsatz (amtlich)
›Hat der Versicherungsnehmer zum Beweis des äußeren Bildes eines Kfz-Diebstahls Zeugen benannt, sind diese zu vernehmen.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte als Kaskoversicherer die Neupreisentschädigung für seinen als gestohlen gemeldeten Mercedes 600 SEL geltend.
Der Kläger behauptet, er habe das Fahrzeug am 27. Mai 1993 gegen 21.50 Uhr im Beisein des Zeugen T., eines Geschäftsfreundes, vor dem Hotel D. in der Via P. in Mailand abgestellt und sei mit dem Zeugen zu einer nahegelegenenn Eisdiele gegangen. Bei der gemeinsamen Rückkehr gegen 22.30 Uhr habe er den Wagen nicht mehr vorgefunden.
Die Beklagte bestreitet den Diebstahl insbesondere deshalb, weil ein Originalschlüssel kurz vorher kopiert worden und der Kläger im Januar 1986 in einen vorgetäuschten Kfz-Diebstahl verwickelt gewesen sei.
Das Landgericht hat die auf Zahlung des Wiederbeschaffungswertes von 135.000 DM und Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung der Neupreisdifferenz gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage nach Ermäßigung des Zahlungsantrags um die Selbstbeteiligung von 300 DM stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. 1. Das Berufungsgericht hat den vom Kläger für das Abstellen und das spätere Nichtwiederauffinden des Fahrzeugs benannten Zeugen T. nicht vernommen, sondern das äußere Bild des Diebstahls bereits aufgrund der Anhörung des Klägers nach § 141 ZPO für bewiesen angesehen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts bedarf es der Vernehmung des Zeugen nicht, weil keine konkreten Umstände gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers sprechen und das Gericht in einem solchen Fall den Angaben des Versicherungsnehmers Glauben schenken darf.
2. Das Vorgehen des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft. Mit dieser Begründung hätte es nicht von der Vernehmung des Zeugen absehen dürfen.
a) Nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechts müssen bestrittene, erhebliche Parteibehauptungen in der Regel mit den in der ZPO vorgesehenen Beweismitteln bewiesen werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1989 - IVb ZR 52/88 - FamRZ 1989, 839 unter II 2 a und 3; BGHZ 82, 13, 20 f.). § 286 Abs. 1 ZPO begründet für den Tatrichter die Pflicht zur möglichst vollständigen Aufklärung des Sachverhalts (BGH, Urteile vom 11. Juli 1990 - VIII ZR 366/89 - NJW 1990, 3088 unter II 1 und 3; vom 29. Januar 1992 - VIII ZR 202/90 - NJW 1992, 1768 unter II 2 a aa). Die Frage, ob der Tatrichter seine Entscheidung auf bestrittenes Vorbringen einer Partei im Wege der Anhörung nach § 141 ZPO oder der Vernehmung nach § 448 ZPO stützen kann, stellt sich grundsätzlich nur, wenn die Partei sich in Beweisnot befindet (vgl. zu § 448 ZPO BGHZ 110, 363, 365 f.), ihr also keine Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen.
b) An diesen allgemeinen Verfahrensgrundsätzen hat der Senat auch bei dem vom Versicherungsnehmer in der Kaskoversicherung zu erbringenden Beweis der Entwendung stets festgehalten. Der Tatrichter kann den Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers auch dann glauben, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann, ihm also Beweismittel nicht zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 1996 - IV ZR 300/94 - VersR 1996, 575 unter 2 m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHZ 132, 79 vorgesehen). Der Versicherungsnehmer, der für die zum äußeren Bild des Diebstahls gehörenden Tatsachen Zeugen hat, befindet sich nicht in Beweisnot. Benennt er die Zeugen aus nicht näher dargelegten Gründen nicht, ist er beweisfällig. Für eine Anhörung oder Parteivernehmung besteht dann kein Anlaß (Römer, NJW 1996, 2329 unter II 2; OLG Hamm r+s 1995, 126 f.; OLG Düsseldorf r+s 1994, 5 f.). Hat der Versicherungsnehmer Anzeichen für das äußere Bild einer Entwendung unter Beweis gestellt, ist dem zunächst durch Beweisaufnahme nachzugehen (Senatsurteil vom 17. März 1993 - IV ZR 11/92 - VersR 1993, 571 unter 1 b; Römer, aaO. unter IV 1).
c) Demgemäß rügt die Revision mit Recht als Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO, daß das Berufungsgericht es unterlassen hat, den vom Kläger zum Beweis für das Abstellen und Nichtwiederauffinden des Pkw benannten Zeugen T. zu vernehmen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, daß die Vernehmung des in Mailand wohnenden Zeugen vor dem Prozeßgericht oder im Wege der Rechtshilfe auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen wäre (vgl. dazu BGH, Urteil vom 29. Januar 1992 - VIII ZR 202/90 NJW 1992, 1768 unter II).
II. Da schon dieser Verfahrensfehler zur Aufhebung des Berufungsurteils führt, sind zu den weiteren Revisionsrügen nur folgende Hinweise veranlaßt.
1. a) Wäre es für den Beweis des äußeren Bildes des Diebstahls auf die Angaben des Klägers angekommen, hätten bereits die vom Berufungsgericht gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers angeführten Bedenken geeignet sein können, die Redlichkeitsvermutung zu widerlegen. Das Berufungsgericht kommt zu dem Ergebnis, daß seine Bedenken für die Annahme einer erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls nicht ausreichten, wenn auch ein erheblicher Verdacht bestehen bleiben möge, daß die Fortschaffung des Wagens im Einverständnis des Klägers geschehen sei. Diese Ausführungen zeigen, daß das Berufungsgericht die Frage nach dem äußeren Bild mit der nach der Vortäuschung unzulässig vermengt hat.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 21. Februar 1996 - IV ZR 300/94 - VersR 1996, 575 unter 2 m.w.N.) kann vom Regelfall des redlichen Versicherungsnehmers dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die den Versicherungsnehmer als unglaubwürdig erscheinen lassen oder doch schwerwiegende Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und an der Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptung der Entwendung aufdrängen. Die Glaubwürdigkeit kann auch durch Unredlichkeiten in Frage gestellt sein, die in keinem Bezug zu dem umstrittenen Versicherungsfall stehen.
Solche Tatsachen müssen aber feststehen, d.h. unstreitig oder bewiesen sein. Bloße Verdächtigungen oder nur vermutete Unredlichkeiten dürfen nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers ausschlagen.
Welche feststehenden Tatsachen ausreichen, um schwerwiegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers zu begründen und damit die Redlichkeitsvermutung als widerlegt anzusehen, läßt sich zwar nicht generell sagen. Das ist wie auch sonst bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Beweispersonen eine Frage des Einzelfalles und der tatrichterlichen Gesamtwürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO. Der Tatrichter hat aber zu beachten, daß es dabei noch nicht um den vom Versicherer zu führenden Beweis von Tatsachen geht, die die Annahme einer Vortäuschung des Diebstahls nicht nur mit hinreichender, sondern mit höherer, nämlich erheblicher Wahrscheinlichkeit nahelegen (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 1996 - IV ZR 351/94 - VersR 1996, 703 unter 1 c; vom 14. Juni 1995 - IV ZR 116/94 - VersR 1995, 956 unter 2 und vom 24. April 1991 - IV ZR 172/90 - VersR 1991, 917 unter 2). Daher können bei der Prüfung, ob die Redlichkeitsvermutung widerlegt ist, auch Tatsachen eine Rolle spielen und gegebenenfalls den Ausschlag geben, die in keinem unmittelbaren Bezug zur Vortäuschung des Diebstahls stehen, gleichwohl aber die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers zu erschüttern geeignet sind. Bei dem Beweis des äußeren Bildes der Entwendung setzt die Annahme schwerwiegender Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers deshalb nicht voraus, daß dem Versicherer der Gegenbeweis der erheblichen Vortäuschungswahrscheinlichkeit gelungen ist.
2. Die Revision weist ferner zu Recht darauf hin, daß das Berufungsgericht den Parteivortrag in einigen Punkten fehlerhaft und den Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakten nur unvollständig gewürdigt und einen Zeugen zu Unrecht nicht vernommen hat. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird insbesondere folgendes zu beachten sein.
a) Das Berufungsgericht hat übersehen, daß der Zeitpunkt der Duplizierung des Originalschlüssels Nr. 4 nicht mehr streitig ist. Der Kläger hat nach Beratung durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen ausdrücklich eingeräumt, daß der Nachschlüssel relativ kurze Zeit vor dem behaupteten Diebstahl angefertigt worden ist (GA 154). Der Stellungnahme dieses Sachverständigen läßt sich entnehmen, daß der Originalschlüssel nach dem Kopiervorgang gar nicht mehr oder nur noch wenige Male gebraucht worden ist (GA 161, 162).
b) Zur Behauptung der Beklagten, der Kläger sei mit dem Fahrzeug unzufrieden gewesen und habe es loswerden wollen, hätte der von ihr benannte Zeuge W. vernommen werden müssen. Der Zeuge war zum Beweis dafür benannt, daß der Kläger wegen verschiedener, mehrfach aufgetretener Mängel mit dem Wagen unzufrieden gewesen sein und gesagt haben soll, am liebsten wolle er das Fahrzeug loswerden (GA 134 oben). Ob die Einlassung des Klägers dazu plausibel und nicht widerlegbar ist, hätte erst nach Vernehmung des Zeugen fehlerfrei beurteilt werden können.
c) Das Verhalten des Klägers im Rahmen eines Versicherungsbetrugs im Jahre 1986 sieht auch das Berufungsgericht als teilweise nicht verständlich an, weil der Kläger nach seinen Angaben einem ihm kaum Bekannten beim Verbringen des Fahrzeugs nach Griechenland geholfen und den Rückflug nach Berlin aus eigener Tasche bezahlt habe. Das Berufungsgericht hat den aus den Strafakten ersichtlichen Sachverhalt damit nur unvollständig gewürdigt. Der Kläger hat unstreitig nicht nur mitgeholfen, den später als gestohlen gemeldeten BMW nach Griechenland zu bringen und dort aufgrund seiner Beziehungen nach Käufern zu suchen. Nach den Angaben des mitgefahrenen Zeugen P. im Strafverfahren hatte der Kläger den BMW in Athen allein übernommen und den Zeugen mit dem Originalschlüssel und dem Fahrzeugschein nach Berlin mit dem Auftrag zurückgeschickt, diese Gegenstände dem Versicherungsnehmer zu übergeben. Auch wenn die damaligen Vorgänge nicht endgültig aufgeklärt worden sind (es blieb offen, ob der Zeuge P. den BMW unterschlagen oder der Kläger das Fahrzeug im Zusammenwirken mit dem dortigen Versicherungsnehmer verschoben hat), können sie ein ungünstiges Licht auf den Kläger werfen und sein Verhalten nicht nur unverständlich erscheinen lassen.
d) Die Revision bemängelt auch mit Recht, daß das Berufungsgericht die Höhe des Wiederbeschaffungswerts als "im Ergebnis unstreitig" behandelt hat. Die Beklagte hat den Wert ordnungsgemäß bestritten (GA 39 oben). Sie hat einen Wert von maximal 135.000 DM ohne den vorausgegangenen, reparierten Unfallschaden (Reparaturkosten circa 46.000 DM) für angemessen gehalten, wegen dieses Unfallschadens aber nur einen Wert von 115.000 DM behauptet.
Fundstellen
Haufe-Index 2993718 |
NJW 1997, 1988 |
BGHR AVB Kraftfahrtversicherung § 12 Abs. 1 Nr. Ib Beweiserleichterung 1 |
BGHR AVB Kraftfahrtversicherung § 12 Abs. 1 Nr. Ib Beweiserleichterung 2 |
BGHR ZPO § 286 Abs. 1 S. 1 Parteianhörung 1 |
DAR 1997, 312 |
MDR 1997, 638 |
NZV 1997, 351 |
VRS 93, 294 |
VersR 1997, 733 |
SP 1997, 261 |
r s 1997, 276 |