Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 12.09.2002) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. September 2002, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und der Vergewaltigung freigesprochen worden ist (Fälle 2 und 3 der Anklage), mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Dem Angeklagten lag zur Last, am 10. Februar 2001 seiner – zwischenzeitlich geschiedenen – Ehefrau … S. unter Vorhalt einer Pistole gedroht zu haben, er werde erst sie und dann sich selbst erschießen, wenn sie seine Wohnung verlasse (Fall 1 der Anklage: Geiselnahme gemäß § 239 b StGB). Am 12. Februar 2001 habe er seine Frau in ihrer Wohnung in O. … so lange gewürgt, bis sie bewußtlos geworden sei. An der Bewußtlosen habe er dann den Analverkehr durchgeführt (Fall 2 und 3 der Anklage: gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB).
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Einlassung des die Taten bestreitenden Angeklagten sei nicht zu widerlegen. Die Aussage der Zeugin … S., die in der Hauptverhandlung die Anklagevorwürfe im wesentlichen bestätigt habe, sei nicht glaubhaft.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Freispruch hinsichtlich der Vorfälle vom 12. Februar 2001 (Fälle 2 und 3 der Anklage). Das Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg.
Die Strafkammer hat sich ausführlich mit der Aussage des Tatopfers bei der Vernehmung vor dem erkennenden Gericht auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gelangt, diese sei nicht glaubhaft. Besonderes Gewicht mißt das Gericht dabei dem Umstand zu, daß die Bekundungen der Zeugin in der Hauptverhandlung ganz erheblich von ihren Angaben bei der Polizei abweichen würden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Zeugin die in ihrer polizeilichen Vernehmung geschilderten Vorfälle in der Hauptverhandlung ganz anders dargestellt habe. Die Strafkammer ist der Ansicht, die Abweichungen der beiden Versionen könnten nicht durch Erinnerungslücken oder ähnliches plausibel erklärt werden. Die Zeugin habe entweder gegenüber der Polizei oder vor Gericht bewußt die Unwahrheit gesagt. Die Aussage des Tatopfers sei daher insgesamt nicht glaubhaft.
Diese Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings muß es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Gericht den Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Insbesondere muß die Beweiswürdigung erschöpfend sein und dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt umfassend gewürdigt ist und ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st. Rspr. vgl. u. a. BGH NStZ 1999, 153; 2002, 446). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
Weicht ein Belastungszeuge, auf dessen Aussage die Anklage gestützt ist, in der Hauptverhandlung in wesentlichen Punkten von seiner früheren Tatschilderung ab und hängt die Entscheidung allein davon ab, ob diesem Zeugen zu folgen ist, müssen seine früheren Angaben mitgeteilt werden, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in die Überlegungen einbezogen sind (vgl. BGH StV 1998, 250). Dies hat nicht nur für den Fall der Verurteilung, sondern auch für den des Freispruchs des Angeklagten zu gelten (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 174; BGH, Urt. vom 14. März 2002 – 4 StR 583/01). Das Landgericht teilt die Angaben des Tatopfers bei der polizeilichen Einvernahme, auf die es ausdrücklich bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung Bezug nimmt, nicht mit. Das ist rechtsfehlerhaft. Der Senat kann deshalb nicht prüfen, in Bezug auf welche konkreten Tatsachen und in welchem Umfang sich Widersprüche zu der vom Landgericht sehr detailliert wiedergegebenen Aussage in der Hauptverhandlung ergeben haben.
Ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler kann nicht ausgeschlossen werden, zumal das Landgericht selbst davon ausgeht, daß am 12. Februar 2001 auf das Tatopfer in deren Wohnung ein tätlicher Angriff erfolgte, bei dem es bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt wurde (UA S. 4), und eine Zeugin vorhanden ist, der das Tatopfer unmittelbar nach dem Vorfall vom 12. Februar 2001 von den Geschehnissen berichtet hat (vgl. Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin L.).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Otten, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2558812 |
StV 2003, 544 |