Leitsatz (amtlich)
a) Veräußert der Erbe ein zum Nachlaß gehörendes Handelsunternehmen oder gibt er den Gewerbebetrieb auf, dann ist die auf einen Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG entfallende Ertragssteuer keine Nachlaßverbindlichkeit, die gemäß § 2313 BGB bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen wäre.
b) Die nach § 16 EStG anfallende Ertragssteuer kann jedoch für die der Berechnung des Pflichtteils zugrundezulegende Unternehmensbewertung (§ 2311) zu berücksichtigen sein.
Normenkette
BGB §§ 2311, 2313; EStG § 16
Verfahrensgang
OLG Bremen (Urteil vom 09.01.1970) |
LG Bremen |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 9. Januar 1970 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht als Sohn der Beklagten und deren am 24. April 1968 verstorbenen Ehemannes Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte geltend. Er ist durch gemeinschaftliches Testament seiner Eltern vom 20. November 1967 von der Erbfolge ausgeschlossen worden. Die Beklagte ist nach diesem Testament alleinige Erbin ihres Mannes geworden.
Der Erblasser war Alleininhaber der Papiergroßhandlung Firma A. P. & Co. in B. Der Testamentsvollstrecker hat in einer Vermögensaufstellung vom 8. November 1968 den Nachlaß mit einem Betrag von 1.705.003,54 DM bewertet. Dieser Betrag hat sich für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nach Hinzurechnung von Ergänzungsbeträgen auf 1.860.583,54 DM erhöht. Der dem Kläger in Höhe von 1/8 des Nachlaßwertes unstreitig zustehende Pflichtteil ist danach mit 232.572,95 DM ermittelt und nach Abzug der Erbschaftssteuer auf 202.187 DM festgestellt worden. Hiervon hat der Kläger einen Betrag von 157.312,97 DM erhalten. Er macht einen weiteren Pflichtteilsbetrag geltend mit der Behauptung, die Beklagte habe ihn zu unrecht anteilig eine bei ihr angefallene Veräußerungsgewinnsteuer in Rechnung gestellt.
Bei diesem Streitpunkt handelt es sich um folgendes. Die Beklagte behauptet, den Betrieb der ererbten Firma A. P. & Co, wegen Unrentabilität zum 30. September 1968 eingestellt zu haben. Der wesentlichste Bestandteil der Firma habe in dem Geschäftsgrundstück bestanden, das bei einem Verkehrswert von 2,3 Mill. DM mit 549.200 DM in der Bilanz bewertet gewesen sei. Infolge Aufgabe des Geschäftes und Überführung des Grundstücks in ihr Privatvermögen sei ein steuerlicher Veräußerungsgewinn von rd. 1,75 Mill. DM entstanden, der eine Steuerlast von 453.281 DM ausgelöst habe. Diese Steuerlast müsse der Kläger entsprechend seinem Pflichtteil zu 1/8 mittragen. Andernfalls dürfe das Grundstück bei der Bewertung des Nachlasses nicht mit seinem vollen Verkehrswert in Ansatz gebracht werden, weil es mit dem zu versteuernden Veräußerungsgewinn belastet gewesen sei, der den Grundstückswert erheblich geschmälert habe. Der Kläger vertritt dagegen den Standpunkt, die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Ertragssteuer treffe allein die Beklagte. Der Erblasser habe sich bis zu seinem Tode trotz einer rückläufigen Geschäftsentwicklung nicht mit dem Gedanken einer Geschäftsaufgabe getragen. Diese beruhe allein auf einer Entschließung der Beklagten als Erbin, die mit ihren steuerlichen Folgen nicht ihm als Pflichtteilsberechtigten angelastet werden könne.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug einen Betrag von 16.000 DM eingeklagt und die Klagesumme im Berufungsrechtszug auf 26.000 DM erhöht. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht hat unterstellt, die Beklagte habe den Geschäftsbetrieb der zum Nachlaß gehörenden Firma A. P. & Co. zum 30. September 1968 aufgegeben und dadurch sei eine aus der Unterbilanzierung des Geschäftsgrundstücks herrührende Einkommenssteuerschuld von mehr als 450.000 DM ausgelöst worden. Bei dieser Steuerschuld handele es sich, wie das Berufungsgericht weiter ausgeführt hat, nicht um eine Nachlaßverbindlichkeit, denn die Steuerschuld habe zur Zeit des Erbfalles noch nicht bestanden. Sie könne auch nicht als eine bedingte Verbindlichkeit im Sinne des § 2313 BGB verstanden werden. Die von einigen Autoren (Sudhoff NJW 1963, 421; Meilicke Finanz-Rundschau 1959, 419) vertretene Auffassung, wonach die Steuerschuld bereits mit der Bildung von stillen Reserven infolge Unterbilanzierung entstehe und als latente Nachlaßverbindlichkeit berücksichtigt werden müsse, stehe mit dem Gesetz nicht in Einklang. Nach den §§ 2311, 2313 BGB könnten nur solche Verbindlichkeiten wertmindernd berücksichtigt werden, die zum Zeitpunkt des Erbfalles entweder unbedingt entstanden oder wenigstens im Rechtssinne bedingt entstanden seien. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.
Die hiergegen erhobenen Angriffe der Revision sind nicht begründet, soweit das Berufungsgericht angenommen hat, daß die Steuerlast nicht bei dem Erblasser, sondern bei dem Erben entstanden ist. Die in Rede stehende Steuerschuld ist eine Einkommenssteuer nach § 16 EStG, die an die Aufgabe des Gewerbebetriebes anknüpft und den Gewinn erfaßt, um den der Veräußerungspreis oder gemeine Wert im Zeitpunkt der Geschäftsaufgabe den buchmäßigen Wert des Betriebsvermögens übersteigt (Veräußerungsgewinn). Der Geschäftsbetrieb ist nicht von dem Erblasser, sondern einige Monate nach dem Erbfall von der Beklagten aufgegeben worden. Es handelt sich daher um eine bei der Beklagten und aufgrund einer Maßnahme der Beklagten entstandene Steuerverbindlichkeit (ebenso u.a. Littmann Finanz-Rundschau 1958, 506; ders. in Das Einkosmenssteuerrecht, Ktr. 10, Aufl. 1972, Rn 22 zu § 16; Nissen, Der Betrieb 1970, 945, 947; Hermann/Heuer, Kommentar zur Einkommenssteuer und Körperschaftssteuer IV 14. Aufl. Rn. 19 a zu § 16 EStG entgegen Theis, Der Erbe im Einkommenssteuerrecht 1962 S. 22 f sowie FG Hannover EFG 1961, 444 für den Fall, daß die Erben den Betrieb nicht fortsetzen). Die Steuerschuld kann auch nicht als eine bedingte oder zweifelhafte Verbindlichkeit im Sinne des § 2313 Abs. 1 oder 2 BGB angesehen werden (so zutreffend Gast NJW 1959, 2100 f; Palandt/Keidel BGB 30. Aufl. § 2311 Anm. 2 b). Weder Unterbilanzierung oder Wertsteigerung des Geschäftsgrundstücks noch der Erbfall begründeten bereits die (bedingte) Entstehung der Ertragssteuer. Diese knüpft nach dem Gesetz vielmehr allein an den Tatbestand der Betriebsveräußerung oder der Betriebsaufgabe an und bemißt sich nach dem zu diesem Zeitpunkt bestehenden Wertunterschied.
Das bedeutet jedoch nicht, daß die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Ertragssteuer bei der Berechnung des Pflichtteils außer Betracht zu bleiben hätte. Nach § 2311 BGB ist der Berechnung des Pflichtteils der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrundezulegen. Gehört ein Handelsunternehmen zum Nachlaß, dann stellt sich damit die Frage, ob das Vorhandensein stiller Reserven, durch das im Falle einer Veräußerung oder einer Geschäftsaufgabe eine Ertragssteuer ausgelöst wird, bei der Bewertung des Unternehmens berücksichtigt werden muß. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die das ausschließen will, ist rechtlich nicht haltbar.
Allerdings sind Sachverständiger und Tatrichter grundsätzlich frei in der Wahl der Berechnungsmethode. Eine bestimmte Wertberechnungsmethode ist rechtlich nicht vorgeschrieben (BGH LM BGB § 2311 Nr. 5). Es ist daher an sich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht gemeint hat, die Methode der Berechnung nach dem Mittel von Sach- und Ertragswert sei hier nicht angebracht, wenn es auch nicht zwingend erscheint, allein wegen der rückläufigen Geschäftsentwicklung von der genannten Berechnungsmethode abzugehen, statt entsprechende Bewertungskorrekturen anzubringen. Ein Bewertungsfehler liegt jedoch dann vor, wenn der Bewertung nicht das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit zugrundegelegt wird, wie das im allgemeinen nötig ist (BGB-RGRK 11. Aufl. § 2311 Rn. 20), sondern wenn allein die einzelnen Wirtschaftsgüter des Unternehmens bewertet werden und hierbei außer Betracht gelassen wird, daß die damit unterstellte Auflösung des Unternehmens die steuerliche Belastung des § 16 EStG nach sich zieht, Es geht jedenfalls nicht an, auf dem Wege der Bewertung der einzelnen Vemögensgegenstände einen insgesamt höheren Verkaufs- oder Verkehrswert des Unternehmens anzunehmen, als er bei der Bewertung des Handelsunternehmens als wirtschaftliche Einheit festzustellen wäre, oder, sofern es sich bei dieser Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter um die Feststellung ihres Versilberungswertes handeln soll, die zwangsläufige Steuerfolge der Versilberung, wie sie § 16 EStG vorsieht, unberücksichtigt zu lassen. Zu diesem widersprüchlichen Ergebnis gelangt aber die vom Berufungsgericht gebilligte Berechnungsmethode des Testamentsvollstreckers.
Wird das Unternehmen als Einheit bewertet, so kann, wie das in den sich mit Unternehmensbewertungen befassenden Fachkreisen anerkannt ist, die mit dem Vorhandensein stiller Reserven latent vorhandene Ertragssteuerlast des § 16 EStG nicht außer Betracht bleiben (vgl. u.a. Bankmann, Die Bewertung von stillen Reserven und ihre besondere Problematik, Wirtschaftsprüfung 1959, 148 ff; Peupelmann, Die Bewertung der stillen Reserven bei der Unternehmensbewertung, Betrieb 1961, 1397 ff m.weit. Zitaten; Bodarwé, Die Ertragssteuern bei der Bewertung von Unternehmungen und Unternehmungsanteilen, Wirtschaftsprüfung 1962, 281 ff; Heudorfer, Zur Ermittlung des Substanzwerts im Rahmen der Unternehmensbewertung, Wirtschaftsprüfung 1962, 530 ff). Das gilt jedenfalls dann, wenn abzusehen ist, daß die stillen Reserven zur Auflösung kommen. Ob das der Fall ist, hängt bei nicht abnutzbaren Wirtschaftsgütern, wie es Grundstücke sind, in erster Linie davon ab, ob und für welche Zeit die Fortsetzung des Unternehmens zu erwarten steht oder ob andererseits Gründe dafür vorliegen, daß das Unternehmen in absehbarer Zeit aufgelöst oder veräußert werden wird. Entscheidend ist also die Verwertungsabsicht (Heudorfer S. 530/1; Bodarwé S. 287). Als unstreitig wird es bezeichnet, daß die Ertragssteuer bei einer Bewertung eines Unternehmens zum Zwecke der Liquidation zu berücksichtigen ist (Peupelmann S. 1398). Entsprechendes muß dann gelten, wenn das Unternehmen nach einem Erbfall von den Erben nicht fortgesetzt werden soll, sei es, weil der Erblasser die Auflösung oder Veräußerung angeordnet hat, sei es, weil mehrere Erben vorhanden sind und eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft durch Verkauf des Unternehmens nach den §§ 2042, 753 BGB wünschen, sei es, weil der Erbe aus Gründen mangelnder Rentabilität des Unternehmens, aus Gründen mangelnder persönlicher Eignung zur Führung des Unternehmens oder aus sonstigen Gründen sich im Anschluß an den Erbfall zur Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes entschließt, Stehen aus diesen Gründen Veräußerung oder Aufgabe des Geschäftsbetriebs in engem Zusammenhang mit dem Erbfall, dann kann nicht außer Acht gelassen werden, daß dem Unternehmen eine durch das Vorhandensein stiller Reserven und der dadurch latent gegebenen Steuerlast bedingte Wertminderung bereits zur Zeit des Erbfalls anhaftete, weil die Verwertung des Vermögens durch den Erben insoweit nicht ohne ein Fälligwerden der Steuer möglich ist. In diesen Fällen kann die nach § 16 EStG anfallende Steuer bei der Unternehmensbewertung im Rahmen des § 2311 BGB nicht unberücksichtigt bleiben. Mit dieser Begründung ist den Autoren beizupflichten, die in solchen Fällen die Steuerlast bei der Berechnung des Pflichtteils mitberücksichtigt sehen wollen (so im besonderen Sudhoff NJW 1963, 421 ff; Meilicke Steuerjahrbuch 1969/70, 189, 209/10; Kröger Betriebsberater 1971, 647, 648 f.).
Die Voraussetzungen dieser Bewertung scheinen im vorliegenden Falle gegeben zu sein, wenn die Beklagte alsbald nach dem Erbfall eine Prüfung der Rentabilität des Unternehmens vornehmen ließ und sich nach Eingang der Begutachtung durch den von ihr beauftragten Wirtschaftsprüfer Klose dazu entschloß, die Papiergroßhandlung nicht fortzuführen. Bei dieser Sachlage erschiene es auch unbillig, wenn die Beklagte das ererbte Geschäft nicht anders als mit der Belastung durch die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Steuer für sich verwerten Könnte (durch Veräußerung oder Betriebsaufgabe), dennoch aber gehalten wäre, den Pflichtteil des Klägers nach einem nur hypothetisch anzusetzenden steuerfreien Erlös zu berechnen.
In welchem Umfang der aus der Steuerlast sich ergebende Minderwert zu berücksichtigen ist, ist durch Schätzung zu ermitteln (§ 2311 Abs. 2 BGB), die in einzelnen Fällen Schwierigkeiten bereiten kann (vgl. dazu Sudhoff NJW 1963, 421, 424 zu IV). Im allgemeinen, jedenfalls dann, wenn in der Person des Erben aus Gründen des Steuertarifs keine besonders ungünstigen Verhältnisse vorliegen, wird es vertretbar sein, die im Einzelfall tatsächlich anfallende oder bereits festgesetzte Steuer zugrunde zulegen. Selbstverständlich sind dabei die Ermäßigung des Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1 EStG sowie die Anrechnung der Erbschaftssteuer nach § 16 Abs. 5 EStG zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht wird gemäß den vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkten erneut den Wert des Nachlasses zu schätzen und zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe noch eine Pflichtteilsforderung des Klägers besteht. Dieserhalb war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Hauß, Dr. Pfretzschner, Dr. Bukow, Dr. Buchholz, Hoffmann
Fundstellen
Haufe-Index 1559941 |
NJW 1972, 1269 |
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