Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 14.06.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Vom Vorwurf, einen weiteren Raubüberfall begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensbeschwerden gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft den Teilfreispruch. Der Angeklagte wendet sich mit seinem die Verletzung materiellen Rechts geltend machenden Rechtsmittel gegen die Verurteilung.
Rz. 2
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer Erörterung der erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht bedarf. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.
I.
Rz. 3
Nach den zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen schloss sich der Angeklagte in Weißrussland einer um … H. bestehenden Bande an, die sich mit der Planung, Organisation und Durchführung von Banküberfällen in Deutschland befasste. Zur Begehung der Überfälle auf die von H. ausgewählten Banken reisten die Täter aus Weißrussland nach Deutschland und hielten sich nur für kurze Zeit im Inland auf. Der Angeklagte unterwarf sich den Regeln der Bande und ließ sich Ende September 2010 nach Deutschland schleusen. Am 1. und 12. Oktober 2010 beging er in K. und M. ge- meinsam mit dem früheren Mitangeklagten R. jeweils unter Verwendung einer ungeladenen Schreckschusspistole zwei Banküberfälle, bei welchen 13.445 Euro und 24.950 Euro erbeutet wurden. Im Anschluss an die Tat am 12. Oktober 2010 in M. wurden der Angeklagte und sein Tatgenosse in der Nähe des Tatorts mit dem erbeuteten Bargeld festgenommen.
Rz. 4
Hinsichtlich des Vorwurfs, am 15. Mai 2009 in L. zusammen mit einem Anderen eine Filiale der Sparkasse überfallen zu haben, ist das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
Rz. 5
Von dem weiteren in der Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 14. Januar 2011 erhobenen Vorwurf, am 22. Mai 2009 mit einem Tatgenossen einen Überfall auf eine Sparkasse in W. – … verübt zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach Auffassung der Strafkammer ist dem Angeklagten eine Beteiligung an dieser Tat nicht nachzuweisen, obwohl die bei dem Überfall am 22. Mai 2009 von der Überwachungskamera gefertigten Lichtbilder nach dem Ergebnis eines morphologischen Vergleichsgutachtens als einen der Täter mit Wahrscheinlichkeit den Angeklagten zeigen und an einem weißen Kapuzenpullover, den einer der Täter bei dem in L. am 15. Mai 2009 – sieben Tage vor der an- geklagten Tat – verübten Überfall getragen hatte, u.a. eine DNA-Spur gesichert werden konnte, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1: 10 Milliarden dem Angeklagten als Spurenverursacher zugeordnet werden kann.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Revision der Staatsanwaltschaft
Rz. 7
Der Teilfreispruch hält einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Ausführungen der Strafkammer zur Begründung des Freispruchs entsprechen nicht den formellen Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind. Zudem begegnen der Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifende rechtliche Bedenken.
Rz. 8
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter grundsätzlich nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011, 275, 276; vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793; vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsgründe lassen jegliche Darstellung des festgestellten Tatgeschehens vermissen. Es bleibt daher offen, welche Erkenntnisse zur Identität der Täter des am 22. Mai 2009 verübten Überfalls die Strafkammer hat gewinnen können. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung lassen lediglich erkennen, dass der Angeklagte auf den während des Überfalls aufgenommenen Lichtbildern der Überwachungskamera seinen Nachbarn in Weißrussland L. als einen der Täter identifiziert hat und der Zeuge B. in einem gesondert geführten Verfahren vom Vorwurf der Be- teiligung an diesem Überfall rechtskräftig freigesprochen worden ist. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat nicht möglich zu beurteilen, ob die Annahme der Strafkammer, eine Täterschaft des Angeklagten sei nicht nachzuweisen, auf einer den entscheidungserheblichen Sachverhalt ausschöpfenden Beweiswürdigung beruht.
Rz. 9
2. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08 aaO). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
Rz. 10
Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
Rz. 11
a) Die Bewertung der Einlassung des Angeklagten beruht auf einer unvollständigen Würdigung. Das Landgericht hat der Einlassung des Angeklagten weder für sich noch in einer Zusammenschau mit den weiteren Beweisergebnissen eine für die Täterschaft des Angeklagten sprechende Beweisbedeutung beigemessen, weil sie widersprüchlich und im Ergebnis unverständlich geblieben sei. Dabei hat es die Strafkammer versäumt, sich mit dem Inhalt der Angaben des Angeklagten im Einzelnen näher auseinanderzusetzen, die sich daraus ergebenden Widersprüche zu bewerten und auf dieser Grundlage zu prüfen, ob nicht Teile der Angaben gegebenenfalls in Verbindung mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme geeignet erscheinen, den Angeklagten im Sinne des Anklagevorwurfes zu belasten. So wäre zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte die Tat am 22. Mai 2009 in W. – neben dem Überfall am 15. Mai 2009 und einem weiteren Banküberfall in H. – nicht nur pauschal eingeräumt, sondern sich selbst auf den während des Überfalls gefertigten Lichtbildern der Überwachungskamera als einen der Täter wiedererkannt hat, was mit der gleichzeitigen Behauptung, aber nicht „da gewesen” zu sein, offenkundig nicht zu vereinbaren ist. Auch weist das Urteil auf einen Banküberfall in H. hin; dessen Tatzeit (28. Mai 2009) wäre mit der Einlassung, im Jahr 2009 nicht in Deutschland gewesen zu sein, unvereinbar. Die Angaben des Angeklagten zum eigenen Wiedererkennen hätten schließlich in die Würdigung des morphologischen Vergleichsgutachtens mit einbezogen werden und Anlass für die Erwägung geben müssen, ob das Ergebnis des Gutachtens und die Angaben des Angeklagten in einer Gesamtschau eine hinreichend sichere Identifizierung des Angeklagten ermöglichen.
Rz. 12
b) Die Überlegungen der Strafkammer, mit welchen sie der dem Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuordnenden DNA-Spur auf dem nach der Tat in L. am 15. Mai 2009 sichergestellten Kapuzenpullover jegli- chen Indizwert für eine Täterschaft des Angeklagten abgesprochen hat, sind ebenfalls lückenhaft. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe zum damaligen Zeitpunkt in einer Grenzstadt gelebt, viele Freunde gehabt, die nach Deutschland gefahren seien, und mit diesen eigentlich regelmäßig Kleidungsstücke – darunter auch einen solchen Kapuzenpullover – getauscht, als unwiderlegt angesehen. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung hat es nicht festgestellt. Die Einlassung wird entgegen der Ansicht der Strafkammer auch nicht durch die im Urteil wiedergegebene Aussage des Zeugen S. bestätigt. Denn die Bekundungen des Zeugen, wonach die bei den Überfällen von den Tätern getragene Bekleidung jeweils von H. besorgt worden sei, lässt sich mit den Angaben des Angeklagten, mit nach Deutschland reisenden Freunden regelmäßig Kleidungsstücke ausgetauscht zu haben, in tatsächlicher Hinsicht ohne ergänzende, von der Strafkammer nicht vorgenommenen Erläuterungen nicht in Einklang bringen. Die Aussagen des Zeugen S. lässt zudem gerade die Mög- lichkeit offen, dass der Kapuzenpullover dem Angeklagten durch H. vor dem Überfall zur Verfügung gestellt und vom Angeklagten bei Begehung der Tat getragen wurde. Auch dies hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht.
III.
Rz. 13
Revision des Angeklagten
Rz. 14
Die Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Unterschriften
Ernemann, Roggenbuck, Cierniak, Mutzbauer, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 2969179 |
NStZ-RR 2015, 165 |
NStZ-RR 2015, 167 |