Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 07.07.2016) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 7. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat im vom Generalbundesanwalt vertretenen Umfang hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der bereits im Jahr 2003 wegen schweren Raubes in fünf Fällen und schwerer räuberischer Erpressung in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilte Angeklagte am 12. Mai 2015 mit einer schwarzen Mütze und einem schwarzem Schal vermummt vor der Hinterausgangstür einer Sparkassenfiliale in Leipzig auf. Als eine Sparkassenangestellte die Tür öffnete, rannte der Angeklagte auf sie zu und richtete den Lauf seiner ungeladenen Schreckschusspistole auf ihren Kopf. Die Zeugin kam zu Fall und erlitt dabei Verletzungen. Der Angeklagte zog sie in die Räumlichkeiten der Sparkasse, in denen sich noch weitere Angestellte befanden, die er ebenfalls mit der Pistole bedrohte. Eine Mitarbeiterin musste den Tresor öffnen. Diesem entnahm der Angeklagte mehr als 40.000 Euro, mit denen er aus der Sparkassenfiliale entkam.
Rz. 3
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte bereits am 21. Februar 2014 einen Banküberfall verübte und dadurch einen weiteren erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit schwerem Raub und mit vorsätzlicher Körperverletzung beging.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
1. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision die Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten hinsichtlich des Banküberfalls vom 21. Februar 2014 erstrebt, bleibt ihr der Erfolg versagt. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hält der Freispruch sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 5
2. Demgegenüber hat die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) keinen Bestand.
Rz. 6
a) Die Begründung des Urteils zur Ablehnung eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist rechtsfehlerhaft.
Rz. 7
aa) Die Strafkammer stützt die Verneinung eines Hanges des Angeklagten auf die Ausführungen des Sachverständigen. Danach seien die „zum Ausdruck gekommene stereotype Vorgehensweise über einen mehrjährigen Tatzeitraum in der Vergangenheit und die gleichförmige Ausübung der erneuten Taten … zwar Indizien, die für einen Hang sprechen könnten, gleichwohl sei der Angeklagte keine aggressive und/oder dissoziale Persönlichkeit” (UA S. 11). Bei ihm finde sich vielmehr eine besondere Bereitschaft, in Krisen- und Überforderungssituationen depressiv zu reagieren. Diese rezidivierende depressive Störung vermöge Tathandlungen „wie die vorliegenden Raubüberfälle” anzubahnen und zu erklären (UA S. 12).
Rz. 8
Damit hat die Strafkammer verkannt, dass die Ursache des Hanges für dessen Bejahung unerheblich ist (st. Rspr. BGH, Urteil vom 25. Mai 1971 – 1 StR 40/71, BGHSt 24, 160, 161). Dass der Angeklagte an einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, steht der Annahme eines Hanges deshalb nicht entgegen. Vielmehr kann sie sogar für diese herangezogen werden.
Rz. 9
bb) Zudem ist die im Urteil vorgenommene Prüfung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB lückenhaft. In ihrem Rahmen ist eine wertende, auf eine umfassende Vergangenheitsbetrachtung abstellende Feststellung des gegenwärtigen Zustands des Täters erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273). Das Tatgericht hat sich in diesem Zusammenhang auch mit den Vorverurteilungen und den Umständen, unter denen es zu diesen wie auch zu den verfahrensgegenständlichen Taten gekommen ist, auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). An einer derartigen umfassenden Vergangenheitsbetrachtung fehlt es hier. Das Landgericht hat es unterlassen, die Vortaten des Angeklagten und die ihn bei diesen Taten bewegenden Gründe inhaltlich darzulegen, obgleich der Sachverständige hierauf ausdrücklich Bezug genommen hat (UA S. 12).
Rz. 10
b) Die Ansicht der Strafkammer, bei den (möglicherweise) zu prognostizierenden weiteren Raubtaten handle es sich nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 11
aa) Das Landgericht orientiert sich bei seiner Entscheidung an einem Beschluss des Senates vom 24. Januar 2012 (5 StR 535/11). Es berücksichtigt dabei nicht, dass sich diese Entscheidung auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) bezieht. Nach der vom Bundesverfassungsgericht damals getroffenen Weitergeltungsanordnung durfte § 66 StGB nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden (vgl. BVerfGE aaO, S. 406, Rn. 172); in der Regel war der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt, dass „eine Gefahr schwerer Gewalt und/oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten” war. Dies stellte eine Einschränkung gegenüber den Taten dar, die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als „erhebliche Straftaten” zu werten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1).
Rz. 12
Der Senat kann offenlassen, ob Raubtaten der vom Angeklagten begangenen Art, diesen strengen Maßstäben genügen würden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 70 mwN). Denn diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung mehr, weil die Tat am 12. Mai 2015 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurde. Mit der Schaffung des § 66c StGB durch dieses Gesetz wurde den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, die sich ausdrücklich auf die Ausgestaltung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. Damit ist auch der Grund für die über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung entfallen. Nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes bestehen gegen die Gültigkeit und die Verfassungsmäßigkeit von § 66 Abs. 1 StGB keine Bedenken mehr (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735, 3736; vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208, 209). Anders als bei Taten, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeurteilt, aber bereits vor dem 1. Juni 2013 begangen wurden, besteht kein Anlass, die erhöhten Voraussetzungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten weitergelten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 aaO mwN).
Rz. 13
bb) Maßstab für die Gefährlichkeitsprüfung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist demnach, ob der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn aufgrund des bei ihm bestehenden Hanges die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 4 StR 416/02, NStZ-RR 2003, 108). Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwere seelische oder körperliche Schädigung der Opfer. Bezugspunkt sind danach die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten.
Rz. 14
Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte, der sich seiner Opfer zudem im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB bemächtigt hat, diese mit einer täuschend echt wirkenden Schreckschusspistole mit dem Tode bedroht. Dass die Waffe nicht geladen war, wussten die Opfer in der Tatsituation nicht. Der Umstand, dass die Bankangestellten im Hinblick auf solche Überfälle geschult sind, vermag ihnen für sich genommen weder die Angst zu nehmen, möglicherweise – geplant oder aufgrund unglücklicher Umstände – erschossen zu werden, noch bietet die Schulung eine Gewähr dafür, dass etwaige Banküberfälle tatsächlich ohne erhebliche psychische Folgen für die Bankangestellten bleiben. Auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben können über die Beeinträchtigung des seelischen Gleichgewichts hinaus körperliche oder nachhaltige psychische Folgen mit Krankheitswert nach sich ziehen, die ungeachtet der objektiven Ungefährlichkeit des Tatmittels entstehen können (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 aaO). Solche erheblichen psychischen und auch körperlichen Folgen sind bei der Geschädigten Fa. auch tatsächlich eingetreten.
Rz. 15
3. Der Senat schließt aus, dass eine etwaige Maßregelanordnung Auswirkungen auf die verhängte Strafe gehabt hätte.
Unterschriften
Mutzbauer, Sander, Schneider, Dölp, König
Fundstellen
Haufe-Index 10866515 |
StraFo 2017, 246 |