Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbundelement
Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, dass sich ein Patent durch ein bestimmtes Merkmal des Patentanspruchs von einer in der Beschreibung angeführten Entgegenhaltung abgrenzt, vermag nur dann zu einer einschränkenden Auslegung zu führen, wenn erkennbar ist, auf welche konkrete Ausgestaltung sich die Abgrenzung bezieht (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 2. März 2021 - X ZR 17/19, GRUR 2021, 945 - Schnellwechseldorn; Urteil vom 27. November 2018 - X ZR 16/17, GRUR 2019, 491 - Scheinwerferbelüftungssystem).
Normenkette
PatG § 14
Verfahrensgang
BPatG (Urteil vom 28.01.2020; Aktenzeichen 3 Ni 3/19 (EP)) |
Tenor
Auf die Berufung wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 28. Januar 2020 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 516 720 (Streitpatents), das am 7. August 2004 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 19. September 2003 angemeldet worden ist und die Herstellung eines Verbundelements unter Einsatz eines Polyurethanhaftvermittlers betrifft. Patentanspruch 1, auf den zwei weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:
Verfahren zur Herstellung eines Verbundelements aufgebaut aus den Schichten
i) einer ersten Deckschicht,
ii) einer reaktiven Haftvermittlerschicht, enthaltend Polyurethan mit einer Dichte von 400 bis 1200 g/l,
iii) einer Schaumstoffschicht, enthaltend Polyisocyanurat mit einer Dichte von 30 bis 100 g/l,
iv) gegebenenfalls einer zweiten reaktiven Haftvermittlerschicht, enthaltend Polyurethan mit einer Dichte von 400 bis 1200 g/l, und
v) einer zweiten Deckschicht.
umfassend die Schritte:
A) Bereitstellen einer ersten Deckschicht,
B) Aufbringen von reaktivem Polyurethanhaftvermittler, als flüssige Reaktionsmischung, auf die erste Deckschicht,
C) Aufbringen von Polyisocyanurat-Reaktionsmischung auf die noch reaktionsfähige Haftvermittlerschicht und Aufschäumenlassen der Polyisocyanurat-Reaktionsmischung,
D) gegebenenfalls Aufbringen einer zweiten Haftvermittlerschicht auf die zweite Deckschicht und
E) Aufbringen der zweiten mit ausreagierendem Polyurethanhaftvermittler versehenen Deckschicht auf die Polyisocyanuratschicht.
Rz. 2
Patentanspruch 4, auf den vier weitere Ansprüche zurückbezogen sind, schützt ein mit einem solchen Verfahren erhältliches Verbundelement, Patentanspruch 9 die Verwendung eines reaktiven Haftvermittlers zur Verbesserung der Haftung zwischen den Schichten eines einen Polyisocyanuratschaumstoff enthaltenden Verbundelements.
Rz. 3
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in acht geänderten Fassungen verteidigt.
Rz. 4
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent weiterhin in der erteilten Fassung und hilfsweise in drei abermals geänderten Fassungen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.
Rz. 6
I. Das Streitpatent betrifft die Herstellung eines Verbundelements unter Einsatz eines Polyurethanhaftvermittlers.
Rz. 7
1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift werden für die Herstellung von Verbundelementen zur Wärmedämmung sowohl Polyurethan-Systeme (PUR-Systeme) als auch Polyisocyanurat-Systeme (PIR-Systeme) verwendet.
Rz. 8
Bei PUR-Systemen würden aufgrund des Verbots von Fluorchlorkohlenwasserstoffen brennbare Stoffe, beispielsweise Pentane, als Treibmittel eingesetzt. Brandschutzanforderungen könnten daher nur bedingt erfüllt werden (Abs. 2).
Rz. 9
Dagegen wiesen PIR-Systeme auch bei einem - aus technischen Gründen oftmals wünschenswerten - reduzierten Flammschutzmittelgehalt gute Flammschutzeigenschaften auf. Indessen hafteten PIR-Systeme an den meisten bekannten Oberflächen schlechter als PUR-Systeme (Abs. 3). Konstruktionselemente mit metallischen Deckschichten müssten einen Haftungswert von mindestens 0,08 N/mm2 aufweisen, um für die Bauindustrie zugelassen zu werden. PUR-Systeme hätten Haftungswerte von 0,12 bis 0,17 N/mm2. Die Haftungswerte von PIR-Systemen seien dagegen im Durchschnitt kleiner als 0,1 N/mm2 (Abs. 4).
Rz. 10
2. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Verfahren zur Herstellung eines Verbundelements zur Verfügung zu stellen, das auch bei einem geringen Gehalt an Flammschutzmitteln guten Flammschutz und gute Haftungswerte aufweist.
Rz. 11
3. Zur Lösung des Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1. Das Verfahren dient der Herstellung von Verbundelementen.
2. Das Verbundelement ist aufgebaut aus:
2.1 einer ersten Deckschicht (i);
2.2 einer Haftvermittlerschicht (ii),
2.2.1 die reaktiv ist
2.2.2 und Polyurethan enthält,
2.2.3 mit einer Dichte von 400 bis 1200 g/l;
2.3 einer Schaumstoffschicht (iii),
2.3.1 die Polyisocyanurat enthält,
2.3.2 mit einer Dichte von 30 bis 100 g/l;
2.4 gegebenenfalls einer zweiten Haftvermittlerschicht (iv),
2.4.1 die reaktiv ist
2.4.2 und Polyurethan enthält,
2.4.3 mit einer Dichte von 400 bis 1200 g/l;
2.5 einer zweiten Deckschicht (v).
3. Das Verfahren umfasst folgende Schritte:
3.1 Bereitstellen einer ersten Deckschicht (A);
3.2 Aufbringen von reaktivem Polyurethanhaftvermittler, als flüssige Reaktionsmischung, auf die erste Deckschicht (B);
3.3 Aufbringen einer Polyisocyanurat-Reaktionsmischung auf die noch reaktionsfähige Haftvermittlerschicht (C);
3.4 Aufschäumenlassen der Polyisocyanurat-Reaktionsmischung (C);
3.5 gegebenenfalls Aufbringen einer zweiten Haftvermittlerschicht auf die zweite Deckschicht (D);
3.6 Aufbringen der zweiten mit ausreagierendem Polyurethanhaftvermittler versehenen Deckschicht auf die Polyisocyanuratschicht (E).
Rz. 12
4. Der Gegenstand der Patentansprüche 4 und 9 unterliegt keiner abweichenden Beurteilung.
Rz. 13
Das in Patentanspruch 4 geschützte Verbundelement ist durch das Herstellungsverfahren nach Anspruch 1 charakterisiert.
Rz. 14
Die in Patentanspruch 9 geschützte Verwendung erfordert korrespondierend zu Merkmal 3.3, dass der Polyurethanhaftvermittler beim Aufbringen der PIR-Reaktionsmischung noch reaktionsfähig ist. Zu Recht ist das Patentgericht hierbei davon ausgegangen, dass die abweichende Schreibweise in der Patentschrift (Polyurethan, Polyisocyanat) auf einem offenkundigen Schreibversehen beruht und für die Auslegung von Anspruch 9 deshalb die eigentlich gemeinten Begriffe (Polyurethan, Polyisocyanurat) maßgeblich sind.
Rz. 15
Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt dies nicht nur in Bezug auf diejenigen Wortbestandteile, die schon grammatikalisch keinen Sinn ergeben, sondern auch in Bezug auf den Bestandteil "cyanat". Weder aus den Patentansprüchen noch aus dem sonstigen Inhalt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass Patentanspruch 9 hinsichtlich des eingesetzten Schaumstoffs andere Anforderungen enthält als die übrigen Ansprüche. Hieraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass auch die Angabe "cyanat" auf einem technischen Versehen beruht und deshalb als "cyanurat" zu verstehen ist.
Rz. 16
5. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.
Rz. 17
a) Merkmalsgruppe 2 enthält Vorgaben zu den einzelnen Schichten.
Rz. 18
aa) Für die beiden Deckschichten (i, v) ist kein bestimmtes Material vorgesehen.
Rz. 19
Nach der Beschreibung sind grundsätzlich alle üblicherweise verwendeten flexiblen und starren Materialien einsetzbar, vorzugsweise Metalle, insbesondere Aluminium oder Stahl (Abs. 10). Patentanspruch 1 enthält insoweit jedoch keine Festlegungen.
Rz. 20
bb) Die Schaumstoffschicht (iii) enthält nach den Merkmalen 2.3.1 und 2.3.2 Polyisocyanurat mit näher bestimmter Dichte.
Rz. 21
Nach der Beschreibung kann bekannter PIR-Schaumstoff verwendet werden, der durch Umsetzung von Polyisocyanaten mit gegenüber Isocyanaten reaktiven Verbindungen in Gegenwart von Isocyanuratkatalysatoren erhältlich ist. Das Verhältnis der beiden Komponenten im Reaktionsgemisch wird mit 1,8 bis 8 zu 1 und bevorzugt mit 1,9 bis 4 zu 1 angegeben (Abs. 17). Diese Detailangaben haben in Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden.
Rz. 22
cc) Die Haftvermittlerschicht (ii) ist gemäß Merkmal 2.2.1 reaktiv und enthält nach den Merkmalen 2.2.2 und 2.2.3 Polyurethan mit näher bestimmter Dichte.
Rz. 23
Nach der Beschreibung können aus dem Stand der Technik bekannte Haftvermittler auf Polyurethanbasis verwendet werden, die durch die Umsetzung von Polyisocyanaten mit Verbindungen mit zwei gegenüber Isocyanaten reaktiven Wasserstoffatomen erhältlich sind.
Rz. 24
Das Verhältnis zwischen der Polyisocyanatkomponente und der reaktiven Wasserstoffatome aufweisenden Verbindung im Reaktionsgemisch wird in der Beschreibung mit 0,8 bis 1,8 zu 1 und bevorzugt mit 1 bis 1,6 zu 1 angegeben (Abs. 11). Diese Detailangaben zu Art und Mengenverhältnis der Komponenten der Haftvermittlerschicht haben in Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden.
Rz. 25
Als reaktive Verbindungen, die für die Herstellung eines Haftvermittlers im Sinne von Merkmal 2.2.2 geeignet sind, führt die Streitpatentschrift nicht nur solche mit zwei oder mehr OH-Gruppen (Polyole) an, die bei der Umsetzung mit einem Polyisocyanat zur Bildung von Polyurethanen im engeren Sinn führen. Als geeignet bezeichnet werden vielmehr auch Verbindungen mit zwei oder mehr SH-, NH-, NH2- oder CH-aciden Gruppen (Abs. 13). Hieraus ergibt sich, wie das Patentgericht insoweit unangegriffen ausgeführt hat, dass der Begriff "Polyurethan" im Sinne von Merkmal 2.2.2 weit auszulegen ist und zum Beispiel auch Polyharnstoff umfasst, der durch Reaktion eines Polyisocyanats mit den Wasserstoffatomen von NH2-Gruppen entsteht.
Rz. 26
b) Der Haftvermittlerschicht und der Art ihres Einsatzes kommt entscheidende Bedeutung für das in Merkmalsgruppe 3 definierte Verfahren und für die Hafteigenschaften des Verbundelements zu.
Rz. 27
aa) Nach der Beschreibung führt die Haftvermittlerschicht mit einem Haftvermittler auf Polyurethanbasis zu einer verbesserten Haftung zwischen PIR-Schaumstoffschicht und Deckschicht (Abs. 6 und Abs. 28).
Rz. 28
bb) Merkmal 3.2 konkretisiert die bereits in Merkmal 2.2.1 vorgesehene Anforderung, dass die Haftvermittlerschicht reaktiv sein muss, dahin, dass der reaktive Polyurethanhaftvermittler als flüssige Reaktionsmischung auf die erste Deckschicht aufgebracht werden muss.
Rz. 29
Hieraus ergibt sich, dass der Haftvermittler als Mischung aus mindestens zwei Komponenten aufzubringen ist, die während des Aufbringens und für einen gewissen Zeitraum danach miteinander reagieren und so die Polyurethan enthaltende Haftvermittlerschicht bilden. Als geeignete Ausgangsstoffe kommen die in der Beschreibung beispielhaft erwähnten Polyisocyanate und Polyole in Betracht, aus deren Reaktion Polyurethan entsteht.
Rz. 30
cc) Nach Merkmal 3.3 muss auch die Schaumstoffschicht in Form einer Reaktionsmischung aufgebracht werden.
Rz. 31
Hierzu bedarf es einer Mischung aus mindestens zwei Stoffen, durch deren Reaktion eine Schaumstoffschicht aus Polyisocyanurat entsteht. Als geeignete Ausgangsstoffe kommen nach der Beschreibung ebenfalls Polyisocyanate und Polyole in Betracht (Abs. 19), sofern zusätzlich ein Katalysator eingesetzt wird, der zur Bildung von Isocyanuratgruppen führt (Abs. 18).
Rz. 32
dd) Merkmal 3.3 sieht ferner vor, dass die Haftvermittlerschicht zu dem Zeitpunkt, zu dem die PIR-Reaktionsmischung aufgebracht wird, noch reaktionsfähig ist.
Rz. 33
(1) Reaktionsfähig ist die Haftvermittlerschicht nach der Beschreibung, wenn die Polyurethanreaktion des Haftvermittlers noch nicht abgeschlossen ist (Abs. 29). In diesem Stadium ist die Haftvermittlerschicht noch nicht vollständig ausgehärtet (Abs. 23). Diese in der Beschreibung nur als bevorzugt (Abs. 29) bzw. besonders bevorzugt (Abs. 23) bezeichnete, in Patentanspruch 1 aber zwingend vorgesehene Vorgehensweise gewährleistet, dass die Haftvermittlerschicht noch mit der PIR-Reaktionsmischung reagiert (Abs. 23).
Rz. 34
Diesen Funktionsangaben ist zu entnehmen, dass die restliche Reaktionsfähigkeit nicht nur die weitere Ausbildung von Polyurethan ermöglichen muss, sondern auch eine Reaktion zwischen den beiden Mischungen für die Haftvermittler- und die Schaumstoffschicht. Eine solche Reaktion ist jedenfalls dann möglich, wenn die Haftvermittlerschicht beim Aufbringen der PIR-Reaktionsmischung noch Bestandteile enthält, die auch mit Bestandteilen der PIR-Reaktionsmischung reagieren können. Bei dem in der Beschreibung geschilderten Beispiel, bei dem beide Mischungen Polyisocyanate und Polyole enthalten (Abs. 23), ist diese Voraussetzung erfüllt, solange die Reaktion in der Haftvermittlerschicht noch nicht vollständig abgeschlossen ist.
Rz. 35
(2) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass Patentanspruch 1 keine festen Vorgaben dazu enthält, in welchem Umfang noch reaktionsfähige Bestandteile in der Haftvermittlerschicht vorhanden sein müssen.
Rz. 36
(a) Aus den Erläuterungen zur Funktion von Merkmal 3.3 und aus der vom Streitpatent verfolgten Zielsetzung, die Haftung zwischen Schaumstoff- und Deckschicht zu verbessern, ergibt sich allerdings, dass die Reaktionsfähigkeit noch in einem Umfang vorhanden sein muss, der das angestrebte Maß an Haftung ermöglicht.
Rz. 37
Hieraus können aber schon deshalb keine festen Grenzen abgeleitet werden, weil Patentanspruch 1 keine bindenden Vorgaben in Bezug auf die Haftfähigkeit enthält. Darüber hinaus gibt es auch keine festen Vorgaben in Bezug auf die Stoffe, aus denen die beiden Reaktionsmischungen bestehen, und zu der Art und Weise, in der diese Stoffe untereinander und mit den Stoffen der jeweils anderen Mischung reagieren können.
Rz. 38
Vor diesem Hintergrund können weder dem Patentanspruch noch der Beschreibung Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass die Haftvermittlerschicht beim Aufbringen der PIR-Reaktionsmischung noch flüssig sein muss und dass als zeitliche Grenze hierfür das Erreichen des Gelpunkts maßgeblich ist.
Rz. 39
(b) Den detaillierten Ausführungen der Parteien und ihrer Privatgutachter zu den Reaktionsverläufen und den erzielbaren Resultaten kommt in diesem Zusammenhang keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Rz. 40
Das Streitpatent definiert insoweit gerade keine konkreten Anforderungen. Es beschränkt sich vielmehr auf die Vorgabe, dass die Haftvermittlerschicht noch nicht vollständig ausgehärtet sein darf.
Rz. 41
(c) Aus diesem Grund kann auch offenbleiben, ob und in welchem Umfang nach Erreichen des Gelpunkts Reaktionspartner im Inneren der Haftvermittlerschicht noch für eine Reaktion mit Bestandteilen der PIR-Reaktionsmischung zur Verfügung stehen.
Rz. 42
Wie die Berufungserwiderung zutreffend darlegt, ist ausreichend, dass auf der Oberfläche der Haftvermittlerschicht, auf die die PIR-Reaktionsmischung aufgebracht wird, reaktionsfähige Bestandteile in noch ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Dass diese Vorgabe nach Erreichen des Gelpunkts schlechterdings nicht eingehalten werden kann, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Berufung verlangt das Streitpatent demgegenüber nicht, dass möglichst viele Reaktionspartner vorhanden und zugänglich sind oder dass eine Durchmischungszone entsteht.
Rz. 43
(d) Entgegen der Auffassung der Berufung ist Merkmal 3.3 auf der Grundlage dieses Verständnisses nicht bedeutungslos.
Rz. 44
Der Umstand, dass der Reaktionsverlauf asymptotisch ist, ein Reaktionsgrad von 100 % aus theoretischer Sicht also nie erreichbar ist, mag dazu führen, dass der Zeitraum, innerhalb dessen die Haftvermittlerschicht als noch reaktionsfähig anzusehen ist, je nach den Umständen sehr lang sein kann. Eine praktisch relevante Grenze ergibt sich jedoch aus der Zielsetzung, dass das Aufbringen der Haftvermittlerschicht die Haftung zwischen Schaumstoff- und Deckschicht in relevantem Umfang verbessern muss. Auch insoweit enthält das Streitpatent zwar keine zahlenmäßig bestimmten Vorgaben. Eine Verbesserung der Haftfähigkeit in einem Umfang, der für den vorgesehenen Einsatz des hergestellten Verbundelements ohne jede Bedeutung ist, reicht aber nicht aus.
Rz. 45
(e) Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich aus den Ausführungen in der Beschreibung zu der internationalen Patentanmeldung 99/00559 (NK5) keine abweichende Beurteilung.
Rz. 46
Das Streitpatent führt aus, bei dem in NK5 offenbarten Verfahren zur Herstellung eines Metallsandwichpaneels werde der Haftvermittler kurz vor dem Aufbringen der PIR-Schaummischung ausgehärtet (Abs. 4).
Rz. 47
Hieraus ist zu entnehmen, dass sich das Streitpatent durch Merkmal 3.3 von NK5 abgrenzen möchte. Solche Abgrenzungen können nach der Rechtsprechung des Senats für die Auslegung des betreffenden Merkmals von Bedeutung sein (BGH, Urteil vom 2. März 2021 - X ZR 17/19, GRUR 2021, 945 Rn. 22 - Schnellwechseldorn; Urteil vom 27. November 2018 - X ZR 16/17, GRUR 2019, 491 Rn. 19 - Scheinwerferbelüftungssystem).
Rz. 48
Im Streitfall könnten die in Rede stehenden Ausführungen jedoch allenfalls dann zu einem engeren Verständnis von Merkmal 3.3 führen, wenn erkennbar wäre, auf welche konkrete Verfahrensgestaltung sich die Abgrenzung bezieht. Unabhängig von der noch zu erörternden Frage, ob NK5 den Gegenstand des Streitpatents vorwegnimmt oder nahelegt, enthält die Entgegenhaltung indes keine näheren Angaben dazu, in welchem Umfang die Haftvermittlerschicht beim Aufbringen der PIR-Reaktionsmischung bereits ausgehärtet sein und in welchem Aggregatzustand sie sich befinden soll.
Rz. 49
c) Nach Merkmalsgruppe 2.4 kann optional eine zweite Haftvermittlerschicht vorhanden sein. Diese wird gemäß Merkmal 3.5 gegebenenfalls auf die zweite Deckschicht aufgebracht.
Rz. 50
Aus diesen Merkmalen hat das Patentgericht zutreffend die Schlussfolgerung gezogen, dass Merkmal 3.6 ebenfalls optional ist, soweit dieses vorgibt, dass die zweite Deckschicht mit ausreagierendem Polyurethanhaftvermittler versehen ist.
Rz. 51
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 52
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 und damit auch der Gegenstand der Patentansprüche 4 und 9 sei gegenüber der internationalen Patentanmeldung 99/00559 (NK5) nicht neu.
Rz. 53
NK5 offenbare Metall-Sandwichpaneele mit einer inneren Deckschicht, einem PIR-Schaumkern, einer Haftvermittlerschicht und einer Metallhaut. Der Schaumkern und die Haftvermittlerschicht würden in Form einer Reaktionsmischung aufgebracht. Die Dichte des Schaumkerns sei mit 25,6 bis 38,4 g/l und bevorzugt mit 30,4 bis 33,6 g/l angegeben. Die Haftvermittlerschicht bestehe nach NK5 bevorzugt aus Polyharnstoff, könne alternativ aber auch aus Polyurethan bestehen. Ungeschäumtes Polyurethan weise materialinhärent eine Dichte im Bereich von 1200 g/l auf. Durch Restwasser, das als Treibmittel wirke, könne sich die Dichte auf 300 bis 400 g/l reduzieren.
Rz. 54
NK5 führe die verbesserte Haftwirkung darauf zurück, dass endständige Wasserstoffatome der Polyharnstoffschicht eine chemische Reaktion mit reaktiven Gruppen von Komponenten der den PIR-Schaum bildenden (Reaktions-)Mischung gestatteten. Diese Erklärung beziehe der Fachmann, ein in der Regel promovierter Polymerchemiker mit mehrjähriger Erfahrung in der Herstellung und praxisbezogenen Verwendung von Schaumstoff-Verbundelementen und Kenntnissen bezüglich der damit in Zusammenhang stehenden erforderlichen Eigenschaften, auch auf eine Schicht aus Polyurethan.
Rz. 55
Dass die Haftvermittlerschicht beim Aufbringen der PIR-Mischung noch reaktionsfähig sei, könne schon aus der Angabe gefolgert werden, dass die Haftvermittlerschicht bei einer Ausführungsform auf die innere Oberfläche der Metallhaut aufgebracht werde, kurz nachdem diese abgerollt, geglättet und profiliert worden sei und unmittelbar bevor sie in unmittelbare Nähe der inneren Deckschicht gebracht und die PIR-Mischung dazwischen appliziert werde. Deshalb könne offenbleiben, wie die darauffolgende Textstelle auszulegen sei, wonach das Verfahren bei Bedarf so angepasst werden könne, dass es der Polyurethanschicht möglich sei, "to cure slightly before application of the polyisocyanurate foam mixture". NK5 sei zwar keine Lehre hinsichtlich eines bestimmten geeigneten Zeitpunkts zu entnehmen. Das Streitpatent enthalte aber in gleicher Weise keine Lehre hierzu.
Rz. 56
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
Rz. 57
1. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in NK5 nicht vollständig offenbart.
Rz. 58
a) NK5 offenbart ein Sandwichpaneel mit einer Metalldeckschicht zur Gebäudeverkleidung und ein Verfahren zu dessen Herstellung.
Rz. 59
Ein Ausführungsbeispiel eines insbesondere als Wandelement einsetzbaren Paneels ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.
Rz. 60
Das Sandwichpaneel (10) besteht aus zwei Deckschichten (18, 20) und einem flächigen Kern (12) aus einem PIR-Hartschaum mit einer zellularen Struktur, der in einer Ausführungsform eine Dichte von 1,6 bis 2,4 lbs/ft3 und in einer bevorzugten Ausführungsform von 1,9 bis 2,1 lbs/ft3 haben kann (S. 5 Z. 16-20). Die Schaumstoffschicht (12) ist auf ihrer ersten Seite (14) unmittelbar mit der inneren Deckschicht (18) verbunden, die aus unterschiedlichen Materialien wie Metall, Polymermaterialien oder Zellstoffmaterialien bestehen kann (S. 12 Z. 33 bis S. 13 Z. 9). Auf ihrer zweiten Seite (16) wird die Schaumstoffschicht (12) von einer äußeren Deckschicht (20) aus Metall abgedeckt (S. 11 Z. 8-11). Auf der Innenseite (26) der Metallschicht (20) ist zur Verbesserung der Haftung mit der Schaumstoffschicht (12) eine Primerschicht (22) aufgebracht (S. 4 Z. 10-16). Diese kann beispielsweise aus Polyepoxid-, Polyurethan-, Polyacryl- oder Polyharnstoffsystemen bestehen (S. 11 Z. 25-29).
Rz. 61
Die Sandwichpaneele der NK5 werden in einem kontinuierlichen Verfahren hergestellt. Die Materialien der äußeren und inneren Deckschicht werden als Coils bereitgestellt und auf die Bandanlage gegeben (S. 15 Z. 15-16). Bei einer Ausführungsform wird die Primerschicht (22) auf die Metallschicht (20) aufgebracht, kurz nachdem diese abgerollt, geglättet und profiliert worden ist und unmittelbar bevor sie in enge Verbindung mit der inneren Deckschicht (18) gebracht und die PIR-Schaummischung dazwischen eingebracht wird. Bei Bedarf kann das Verfahren angepasst werden, um es der Primerschicht (22) auf der Metallschicht (29) zu ermöglichen, "to cure slightly before application of the polyisocyanurate foam mixture" (S. 12 Z. 16-23). Das Metall kann bereits vom Hersteller mit einem Primer versehen worden sein (S. 12 Z. 27-29; S. 15 Z. 1).
Rz. 62
Im Detail beschreibt NK5 das Herstellungsverfahren wie folgt: Die Metallschichten würden nach dem Abwickeln zunächst gerichtet und geglättet. Beide Deckschichten könnten vorgewärmt, Metallschichten zusätzlich an der Oberfläche mit einem Profil oder einer Prägung versehen werden. Wenn die Metallschicht nicht bereits herstellerseitig mit einem Primer versehen sei, werde die Primerschicht (22) nach dem Richten, Glätten und gegebenenfalls Vorwärmen und Profilieren auf die Innenseite (26) der Metallschicht (20) aufgebracht. Bei dieser Ausführungsvariante könne es erforderlich sein, den nächsten Verfahrensschritt abhängig von der Härtegeschwindigkeit des für die Primerschicht (22) verwendeten Polymers hinauszuschieben. Zusätzlich könne eine teilweise oder vollständige Härtung der Primerschicht in einem Ofen oder einer Heizkammer erreicht werden (S. 15 Z. 15-30).
Rz. 63
Im weiteren Verfahrensverlauf wird eine PIR-Reaktionsmischung zwischen den Deckschichten eingebracht (S. 15 Z. 36 bis S. 16 Z. 3). Bei einer Ausführungsform werden die Deckschichten hierfür so zusammengeführt, dass die Primerschicht (22) auf der Innenseite (26) der äußeren Metallschicht (20) und die Innenseite der inneren Deckschicht (18) gleichzeitig mit der PIR-Reaktionsmischung in Kontakt kommen. Bei einer anderen Ausführungsform wird die PIR-Reaktionsmischung zunächst nur auf eine der beiden Deckschichten - bei der Metallschicht (20) auf die Primerschicht (22) - aufgetragen und erst danach die jeweils andere Deckschicht mit ihr in Kontakt gebracht (S. 15 Z. 3-14).
Rz. 64
b) Damit sind, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat und auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, die Merkmale 1, 2, 2.1, 2.2, 2.2.2, 2.3, 2.3.1, 2.3.2, 2.5 sowie die Merkmale 3, 3.1, 3.4 und 3.6 offenbart.
Rz. 65
c) Ebenfalls offenbart sind die Merkmale 2.2.3 und 2.3.2.
Rz. 66
aa) Die Dichte des Polyisocyanurats ist in NK5 ausdrücklich angegeben. Der dort als bevorzugt bezeichnete Bereich von umgerechnet 30,4 bis 33,6 g/l liegt innerhalb der in Merkmal 2.3.2 definierten Spanne.
Rz. 67
bb) Die Dichte der Primerschicht ist zwar nicht ausdrücklich angegeben. Aus der Benennung von Polyurethan ergibt sich nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts jedoch eine Dichte im Bereich zwischen 300 bis 1250 g/l, was sich weitgehend mit dem in Merkmal 2.2.3 genannten Wertebereich deckt.
Rz. 68
d) Ebenfalls zutreffend hat das Patentgericht Merkmal 3.2 als offenbart angesehen.
Rz. 69
Nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Patentgerichts impliziert die Benennung von bekannten Techniken wie Walzenbeschichtung, Tauchbeschichtung und Elektrobeschichtung, dass die Primerschicht in flüssigem Zustand und damit als Reaktionsmischung aufgetragen wird.
Rz. 70
e) NK5 offenbart ferner die optionale Merkmalsgruppe 2.4 und das ebenfalls optionale Merkmal 3.5.
Rz. 71
f) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist Merkmal 3.3 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
Rz. 72
aa) Wie auch das Patentgericht im Ansatz nicht verkannt hat, enthält NK5 keine näheren Angaben zum Aushärtungszustand der Primerschicht im Zeitpunkt des Aufbringens der PIR-Reaktionsmischung.
Rz. 73
bb) Aus den bereits erwähnten Erläuterungen in NK5, wonach endständige Wasserstoffe in der Polyharnstoffschicht eine chemische Reaktion mit den reaktiven Gruppen der die Schaumstoffschicht bildenden Polyisocyanurat-Mischung eingehen, lassen sich insoweit keine eindeutigen Schlussfolgerungen ziehen.
Rz. 74
Selbst wenn diese Erläuterungen auf Polyurethan übertragen werden, lassen sie nicht erkennen, dass die geschilderte Reaktion nur dann möglich ist, wenn die Primerschicht noch nicht vollständig ausgehärtet ist. Gegen eine solche Annahme spricht schon der Umstand, dass NK5 wahlweise auch den Einsatz einer Metallschicht mit herstellerseitig aufgebrachter Primerschicht vorsieht.
Rz. 75
Vor diesem Hintergrund deuten die Ausführungen, es könne je nach Härtungsgeschwindigkeit des verwendeten Polymers erforderlich sein, mit dem nächsten Verfahrensschritt eine Zeitspanne zuzuwarten, und der Hinweis, ergänzend könne die Primerschicht in einem Ofen oder einer Heizkammer ganz oder teilweise ausgehärtet werden, eher darauf hin, dass auch eine in situ aufgebrachte Primerschicht im Wesentlichen ausgehärtet sein soll, bevor die PIR-Reaktionsmischung aufgetragen wird.
Rz. 76
cc) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergeben sich aus den Ausführungen, wonach die Primerschicht unmittelbar vor dem Heranführen der inneren Deckschicht (18) und dem Einbringen der PIR-Schaummischung aufgebracht wird, keine weitergehenden Hinweise.
Rz. 77
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Formulierung "unmittelbar vor" (just before) für sich gesehen die Schlussfolgerung zulässt, dass die Primerschicht im Zeitpunkt des Einbringens der PIR-Schaummischung noch nicht vollständig ausgehärtet ist. Bei der gebotenen Berücksichtigung des Kontexts, in dem die Formulierung verwendet wird, ermöglicht sie eine eindeutige Schlussfolgerung in diese Richtung jedenfalls nicht.
Rz. 78
Gegen die Argumentation des Patentgerichts spricht schon der Umstand, dass NK5 auch in diesem Zusammenhang darauf hinweist, bei Bedarf solle ein Aushärten der Primerschicht ermöglicht werden. Diese Formulierung ist für sich gesehen zwar ebenfalls nicht eindeutig, weil das Wort "slightly" sowohl auf das Verb "cure" als auch auf die Präposition "before" bezogen werden kann und die Ausführungen in NK5 nicht eindeutig erkennen lassen, welcher Bezug gemeint ist. Dies begründet aber zusätzliche Zweifel daran, dass NK5 an dieser Stelle ein Aufbringen der PIR-Schaummischung auf eine nicht vollständig ausgehärtete Primerschicht lehrt.
Rz. 79
Hinzu kommt, dass bei der detaillierteren Beschreibung des Herstellungsprozesses nochmals auf zusätzliche Vorkehrungen hingewiesen wird, um ein Aushärten der Primerschicht zu ermöglichen, und das Wort "slightly" in diesem Zusammenhang nicht verwendet wird. Der an dieser Stelle hinzugefügte Hinweis, zum teilweisen oder vollständigen Aushärten könne ein Ofen eingesetzt werden, lässt für sich gesehen zwar ebenfalls die Deutung zu, dass die Primerschicht beim Einbringen der PIR-Schaummischung nicht zwingend schon vollständig ausgehärtet sein muss. Der Umstand, dass dies als zusätzliche Maßnahme erwähnt wird, deutet aber darauf hin, dass ein teilweises Härten in einem Ofen auch die Funktion haben kann, die Wartezeit bis zum vollständigen Aushärten zu verkürzen.
Rz. 80
dd) Entgegen der Auffassung der Klägerin lassen sich aus dem in NK5 geschilderten Beispiel 1 ebenfalls keine eindeutigen Schlussfolgerungen zum Aushärtungszustand der Primerschicht im Zeitpunkt des Aufbringens der PIR-Reaktionsmischung ziehen.
Rz. 81
Für die Variante einer in situ aufgebrachten Primerschicht ist nach dem Beispiel vorgesehen, das Verfahren so zu gestalten, dass eine zu gleichen Teilen aus MDI und JEFFAMINE T-3000 Amin bestehende Polyharnstoff-Primerschicht nach dem Aufsprühen auf die Innenseite der Stahlschicht zehn Sekunden lang aushärten kann, bevor die PIR-Reaktionsmischung aufgetragen wird (S. 16 Z. 30-34). Welchen Aushärtungsgrad die Primerschicht nach Ablauf der zehn Sekunden erreicht hat, ist dem Beispiel nicht zu entnehmen. Wie schon im Rahmen der allgemeinen Erläuterungen des erfindungsgemäßen Verfahrens deutet jedoch auch hier der Umstand, dass der Einsatz einer Stahlschicht mit herstellerseitig aufgebrachter Primerschicht als gleichwertige Alternative für die Variante einer in situ aufgebrachten Primerschicht genannt wird (S. 16 Z. 34-35), eher darauf hin, dass die in situ aufgesprühte Polyharnstoff-Primerschicht nach Ablauf der zehn Sekunden und damit beim Auftragen der PIR-Reaktionsmischung im Wesentlichen ausgehärtet ist.
Rz. 82
2. Die angefochtene Entscheidung, erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 119 Abs. 1 PatG).
Rz. 83
a) Entgegen der vorläufigen Einschätzung des Patentgerichts in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis lag der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von NK5 nicht nahe.
Rz. 84
Dabei kann mit dem Patentgericht angenommen werden, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehörte, dass die in NK5 als Ursache der guten Haftwirkung vermutete Bildung von chemischen Bindungen umso besser gelingen kann, je mehr potentielle Reaktionspartner zur Verfügung stehen.
Rz. 85
Um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, bedurfte es auch unter dieser Prämisse der zusätzlichen Erkenntnis, dass geeignete Reaktionspartner in einer als flüssige Reaktionsmischung aufgebrachten Haftvermittlerschicht aus Polyurethan in größerem Umfang zur Verfügung stehen, solange der Aushärtungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Diesbezüglich ergab sich aus NK5 keine hinreichende Anregung, weil der Auftrag als Flüssigkeit nur beiläufig als eine von mehreren in Frage kommenden Methoden erwähnt wird, zu den näher beschriebenen Alternativmethoden sogar der Einsatz von Metallschichten mit herstellerseitig aufgetragener Primerschicht gehört, und NK5 keine dieser Methoden als besonders geeignet hervorhebt.
Rz. 86
b) Der Gegenstand des Streitpatents ist durch die japanische Patentanmeldung Sho 53-16783 (NK9; deutsche Übersetzung: NK9A) weder offenbart noch nahegelegt.
Rz. 87
aa) NK9 befasst sich mit der Aufgabe, die Haftung von Verbundplatten mit einem Kern aus Polyurethan oder Polyisocyanurat zu verbessern, um zu verhindern, dass die Schichten sich im Laufe der Zeit durch äußere Einflüsse ablösen (NK9A S. 2 Z. 21 bis S. 3 Z. 22).
Rz. 88
Zur Lösung schlägt NK9 vor, zwischen der Deckschicht und dem Schaumstoffkern eine Klebeschicht einzufügen. Ein Ausführungsbeispiel für eine solche Verbundplatte ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt.
Rz. 89
Auf ein starres Substrat (1, 10), das zum Beispiel aus Metall bestehen kann (NK9A S. 3 Z. 27 bis S. 4 Z. 1), wird Klebstoff in Form einer dünnen Schicht (2, 20) aufgebracht (NK9A S. 4 Z. 10-11; S. 5 Z. 24).
Rz. 90
Als Klebstoff kommen Substanzen in Betracht, die es ermöglichen, die Deckschicht und das Kernmaterial der Verbundplatte durch eine chemische Bindung fest miteinander zu verkleben (NK9A S. 4 Z. 12-16; S. 5 Z. 25-28). Als geeignet bezeichnet werden unter anderem wärmehärtende, thermoplastische oder auch Mischklebstoffe (NK9A S. 4 Z. 17-20). Als vorteilhaft hervorgehoben werden Klebstoffe, die ein Isocyanat oder Diisocyanat enthalten, das mit Komponenten des Schaumstoffkernmaterials chemisch reaktiv ist, weil damit eine besonders feste Haftung erzeugt werden könne, die stärker sei, als wenn das Schaumstoffkernmaterial unmittelbar auf die Deckschicht aufgebracht würde (NK9A S. 5 Z. 23 bis S. 6 Z. 3).
Rz. 91
Während oder nach der Bildung der Klebstoffschicht wird mittels einer Auftragsvorrichtung (16) ein Schaumstoff (3), beispielsweise ein PUR-Schaum oder ein PIR-Schaum, der Flammschutzmittel enthalten kann (NK9A S. 4 Z. 23 bis S. 5 Z. 1), in flüssiger oder körniger Form auf die Klebstoffschicht aufgebracht (NK9A S. 6 Z. 3-5). Abschließend wird die zweite Deckschicht (Figur2: 4; Figur 4: 18) aufgebracht, die aus einem blattartigen Material wie Kraftpapier, Kunstharzfolie oder Aluminiumfolie bestehen kann (NK9A S. 5 Z. 1-4).
Rz. 92
NK9 führt ergänzend aus, bei dem erfindungsgemäßen Verfahren werde in der Regel keine Struktur ausgebildet, bei der die Klebstoffschicht und die Schaumstoffschicht so klar voneinander getrennt seien, wie dies in der schematischen Darstellung in Figur 2 gezeigt sei. Vielmehr werde eine verwickelte Struktur ausgebildet, bei der die Klebstoffschicht und die Schaumstoffschicht einander durchdrängen, oder eine Struktur, bei der die beiden Schichten aufgrund einer sich bildenden homogenen Substanz nur schwer voneinander zu unterscheiden seien (NK9A S. 6 Z. 12-19).
Rz. 93
Bei einem ersten Ausführungsbeispiel werden Polyurethan-Schaum-Rohstoff als Kernmaterial und MDI (Methylendiphenylisocyanat) als Klebstoff eingesetzt, bei einem zweiten Beispiel PIR-Schaum-Rohmaterial und Epoxid-Amin-Klebstoff (S. 6 Z. 25 bis S. 7 Z. 6).
Rz. 94
bb) Daraus ergab sich keine Anregung, einen Kern aus Polyisocyanurat mit einer Reaktionsmischung für Polyurethan zu kombinieren.
Rz. 95
(1) NK9 führt zwar Isocyanate als besonders geeignete Klebstoffe an. Isocyanate sind aber nur eine von mindestens zwei Komponenten, die für eine Reaktionsmischung zur Herstellung von Polyurethan benötigt werden. Eine solche Reaktionsmischung wird in NK9 nur im Zusammenhang mit dem Kernmaterial erwähnt, nicht aber als in Frage kommender Klebstoff.
Rz. 96
(2) Eine Anregung, eine solche Mischung dennoch als Klebstoff einzusetzen, ergab sich auch nicht aus einer ergänzenden Heranziehung von NK5.
Rz. 97
In NK5 wird zwar eine Primerschicht aus diesem Material eingesetzt. Wie bereits oben dargelegt wurde, lässt NK5 aber nicht erkennen, dass die Primerschicht schon vor ihrem vollständigen Aushärten mit der darauf aufgebrachten PIR-Schaummischung in Kontakt gebracht wird. Um zu einer Kombination von NK5 und NK9 zu gelangen, hätte es mithin der Erkenntnis bedurft, dass die Primerschicht in NK5 in derselben Weise wirkt wie der Klebstoff in NK9.
Rz. 98
Für diesbezügliche Überlegungen mag gesprochen haben, dass beide Entgegenhaltungen die Wirkungsweise mit chemischen Bindungen zwischen den beiden Schichten erklären. Auch hieraus ergab sich aber nicht, dass es gerade darauf ankommt, die PIR-Schaummischung vor dem Aushärten der Primerschicht aufzubringen. NK9 hebt diese Vorgehensweise nicht als besonders geeignet hervor, sondern stellt die Aufbringung während oder nach Bildung der Klebstoffschicht als grundsätzlich gleichwertig nebeneinander.
Rz. 99
c) Der Gegenstand des Streitpatents ist auch nicht durch die europäischen Patentanmeldungen 728 574 (NK8) und 1 279 885 (NK10) offenbart oder nahegelegt.
Rz. 100
aa) NK8 offenbart ein Verfahren zur Herstellung selbsttragender Sandwich-Strukturelemente aus mindestens einer massiven Polyurethanschicht und mindestens einer Polyurethanschaumschicht.
Rz. 101
(1) Die Entgegenhaltung befasst sich mit der Aufgabe, die Haftung derartiger Sandwich-Strukturelemente an Formteilen aus Polymethylmethacrylat (PMMA) zu verbessern und Verwerfungen zu vermeiden, zu denen es beim Aushärten der Polyurethanreaktivmischung infolge der in den Schichten des Strukturelements zu unterschiedlichen Zeiten eintretenden Schrumpfungen kommen kann (Sp. 1 Z. 34-36; Sp. 2 Z. 9-15).
Rz. 102
Zur Lösung schlägt NK8 vor, zumindest für die massiven Polyurethanschichten eine Polyurethanreaktivmasse mit einem bestimmten Anteil an Glimmer einzusetzen (Sp. 2 Z. 15-20).
Rz. 103
Die Erzeugung der erfindungsgemäßen Sandwich-Strukturen erfolgt durch schichtweisen Auftrag auf ein Substrat (Sp. 3 Z. 45-47). In einer vorteilhaften Ausführungsform werden die einzelnen Massiv- und Schaumschichten durch Aufsprühen der Reaktivmischung in mehreren Lagen erzeugt, um insbesondere dann, wenn eine dickere Schicht erzeugt werden soll, ein Ablaufen der jeweils noch flüssigen, nicht ausreagierten Lage von einer geneigten Auftragungsfläche zu vermeiden. Dabei soll die Auftragung der aufeinanderfolgenden Lagen einer Schicht wie auch die Auftragung der ersten Lage einer Schaumschicht auf die letzte Lage der darunterliegenden massiven Polyurethanschicht vorzugsweise "nass in nass" erfolgen, was nach den Erläuterungen in der NK8 dahin zu verstehen ist, dass die vorhergehende Lage beim Auftragen der nachfolgenden Lage noch nicht vollständig ausreagiert und der Zustand der Klebfreiheit noch nicht erreicht ist (Sp. 4 Z. 7-21).
Rz. 104
(2) Daraus ergab sich keine Anregung, eine aus Polyisocyanurat bestehende Schicht auf eine Polyurethanreaktionsmischung aufzutragen, solange diese noch nicht vollständig ausgehärtet ist.
Rz. 105
Der Fachmann kann der NK8 zwar - wie die Berufungserwiderung insoweit zu Recht geltend macht - entnehmen, dass ein Aufbringen einer Schicht vor dem vollständigen Aushärten der vorangehenden Schicht vorteilhaft ist, weil sich diese dann noch in einem klebenden Zustand befindet und somit eine bessere Haftung erzielt werden kann. Hieraus ergab sich aber ebenso wie aus den Ausführungen in NK9 keine Anregung, diese Erkenntnis auf das Zusammenfügen einer Primerschicht aus Polyurethan und einer PIR-Schaummischung zu übertragen.
Rz. 106
bb) NK10 offenbart ein Verfahren zur thermischen Isolierung metallischer Strukturen, die extrem tiefen Temperaturen ausgesetzt sind, zum Beispiel Treibstoffspeicher von Geräten der Luft- und Raumfahrt.
Rz. 107
(1) NK10 kritisiert an den bisher angewandten Verfahren, dass sie aufwändig und kostenintensiv seien (Abs. 14).
Rz. 108
Um die Metallstrukturen serienmäßig zu angemessenen Kosten und in der geforderten Qualität isolieren zu können (Abs. 16), schlägt NK10 vor, den als Isoliermittel dienenden Polyurethanschaumstoff nicht direkt auf das Metall aufzubringen, sondern zuvor die Oberfläche des Metalls mit einer Klebeschicht zu versehen, wobei in einer bevorzugten Ausführungsform als Haftmittel aus einem Isocyanat und einem Polyol gebildetes Polyurethan vorgesehen ist (Abs. 22, 34). Auf die so vorbereitete Metalloberfläche soll anschließend der Polyurethanschaumstoff aufgebracht werden, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem der Klebstoff noch nicht polymerisiert und ausgehärtet ist (Abs. 19, 37).
Rz. 109
(2) Eine Anregung, eine Polyisocyanurat enthaltende Schaumstoffschicht auf eine noch nicht polymerisierte, Polyurethan enthaltende Haftvermittlerschicht aufzutragen, ergab sich daraus nicht.
Rz. 110
Der Fachmann kann der NK10 ebenso wie der NK8 zwar entnehmen, dass eine bessere Haftung erzielt werden kann, wenn der Schaumstoff auf die Haftvermittlerschichtschicht aufgebracht wird, solange diese noch nicht polymerisiert und ausgehärtet ist. Auch NK10 bezieht sich aber ausschließlich auf Strukturen mit einer Schaumstoffschicht aus Polyurethan. NK10 bezeichnet es zudem als vorzugswürdig, wenn Haftmittel und Schaumstoffschicht in Bezug auf ihre chemische Beschaffenheit kompatibel sind und jeweils aus Polyurethan bestehen, das aus einem Polyol und einem Isocyanat gebildet wird, weil dann Klebe- und Schaumstoffschicht gleichzeitig polymerisieren (Abs. 22).
Rz. 111
Aus alldem ergab sich keine Anregung, die in NK10 offenbarten Erkenntnisse auf das Zusammenfügen einer Primerschicht aus Polyurethan und einer PIR-Schaummischung zu übertragen. Bei dieser Kombination können die in NK10 als günstig bezeichneten Rahmenbedingungen - das Vorhandensein eines Polyols und eines Isocyanats in beiden Schichten - zwar ebenfalls erfüllt sein. NK10 lehrt aber, zu diesem Zweck beide Schichten bevorzugt aus demselben Material auszugestalten, und gibt damit keine Veranlassung, sich mit der Frage zu befassen, ob die genannten Bedingungen auch beim Einsatz unterschiedlicher Materialien erfüllt werden können.
Rz. 112
d) Die weiteren Entgegenhaltungen liegen, wie das Patentgericht bereits in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis ausgeführt hat, weiter ab und bedürfen deshalb keiner vertieften Erörterung.
Rz. 113
IV. Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).
Rz. 114
Das Streitpatent erweist sich aus den oben aufgezeigten Gründen als rechtsbeständig. Die Klage ist deshalb abzuweisen.
Rz. 115
V. Die Kostentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.
Bacher |
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Hoffmann |
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Kober-Dehm |
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Crummenerl |
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Fundstellen