Leitsatz (amtlich)

Die Zuständigkeit für die Vertretung der Genossenschaft in Aktiv- und Passivprozessen gegen gegenwärtige oder ehemalige Vorstandsmitglieder liegt grundsätzlich allein bei ihrem Aufsichtsrat.

 

Orientierungssatz

Zitierung: Aufgabe BGH, 1960-06-13, II ZR 73/58, NJW 1960, 1667.

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. Mai 1994 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Kreisgerichts Brandenburg vom 24. Juni 1993 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Der Kläger hat auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war mit Beschluß des Aufsichtsrats der R.bank B./H. e.G. mit Wirkung ab 1. Juli 1990 zu deren Vorstandsmitglied bestellt worden. Der mit ihm am 1. Oktober 1990 abgeschlossene Dienstvertrag für hauptamtliche Vorstandsmitglieder von Kreditgenossenschaften sah eine Laufzeit von fünf Jahren beginnend mit diesem Datum vor. Im Oktober 1990 spaltete sich die anstellende Genossenschaft in die R.bank B./H. e.G. und die Beklagte, die die bisherigen Handelsaktivitäten des Unternehmens fortführte, auf. Nach vorübergehender Ausübung einer Vorstandstätigkeit in beiden Genossenschaften war der Kläger einvernehmlich ab 1. Januar 1991 ohne Abschluß eines neuen Dienstvertrages nur noch für die Beklagte, die auch seine Bezüge in unveränderter Höhe weiterzahlte, in diesem Amt tätig.

Nach Absprache mit seinen Vorstandskollegen P. und S. wurde dem Kläger auf seinen Antrag durch den Aufsichtsrat der Beklagten für die Zeit vom 19. Juli bis 2. August 1991 Erholungsurlaub gewährt. Nach Beendigung dieses Urlaubs trat der Kläger seine Arbeit erst am 12. August 1991 wieder an. Nachdem der Kläger wegen dieses Vorfalls bereits am 15. August 1991 durch Beschluß des Aufsichtsrats der Beklagten unter Beurlaubung ab 19. August 1991 mit sofortiger Wirkung von den Geschäften eines Vorstandsmitglieds entbunden worden war, beschloß die auf den 26. August 1991 einberufene außerordentliche Generalversammlung der damals aus insgesamt 21 Genossen bestehenden Beklagten in Anwesenheit des Klägers seine Abberufung als Vorstandsmitglied und die fristlose Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses.

Die zunächst auf Feststellung des Fortbestehens des Dienstverhältnisses gerichtete Klage blieb in erster Instanz vor dem Kreisgericht Brandenburg ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Klage, mit welcher der Kläger nunmehr nach zwischenzeitlicher Aufnahme einer anderweiten Tätigkeit nur noch Gehaltsansprüche von insgesamt 64.000,– DM geltend macht, in Höhe von 36.272,73 DM stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren in beiden Vorinstanzen gestellten Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, daß die Klage als unzulässig abzuweisen ist.

I. 1. Die Beklagte ist in dem vorliegenden Rechtsstreit, worauf die Revisionserwiderung des Klägers selbst zutreffend hinweist, nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 551 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Der Kläger ist ehemaliges Vorstandsmitglied der Beklagten und macht in dieser Eigenschaft Ansprüche aus dem mit ihm geschlossenen Dienstvertrag gegen die Beklagte geltend. Ausweislich des Rubrums der Urteile beider Vorinstanzen richtet sich seine Klage gegen die beklagte Genossenschaft vertreten durch ihre Vorstandsmitglieder P. und S. Dies steht nicht im Einklang damit, daß zur Vertretung der Beklagten in diesem Rechtsstreit nicht ihr Vorstand, sondern ihr Aufsichtsrat berufen gewesen wäre. Infolge der ursprünglichen Klageerhebung per Telegramm ohne Unterschrift und Benennung eines Vertretungsorgans ist zwar nicht eindeutig zu erkennen, auf wen die Benennung des Vorstandes als Vertreter der Beklagten letztlich zurückzuführen ist. Dies kann dem Kläger jedoch schon deshalb nicht zum Vorteil gereichen, weil er für eine ordnungsgemäße Erhebung der Klage verantwortlich ist.

2. Allerdings steht das genossenschaftsrechtliche Schrifttum bisher überwiegend auf dem Standpunkt, daß auch in Prozessen der Genossenschaft mit ihren gegenwärtigen oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern eine Vertretung durch den Vorstand möglich oder sogar geboten ist. Aus dem Wort „ermächtigt” in § 39 Abs. 1 GenG folgert sie im Anschluß an ein obiter dictum in einem älteren Urteil des Bundesgerichtshofs (Sen.Urt. v. 13. Juni 1960 – II ZR 73/58, NJW 1960, 1667 re. Sp. oben), daß bei Aktivprozessen der Genossenschaft mit Vorstandsmitgliedern die Vertretungsmacht des Vorstandes neben derjenigen des Aufsichtsrats bestehenbleibe. Daraus wird sodann für Passivprozesse, also Rechtsstreitigkeiten, die von Vorstandsmitgliedern gegen die Genossenschaft angestrengt werden, der weitere Schluß gezogen, daß auch in diesem Fall die Genossenschaft von dem (Rest-)Vorstand vertreten werden könne, wenn nicht sogar müsse, sofern die verbleibenden Vorstandsmitglieder nicht befangen und noch im Sinne des § 25 Abs. 1 GenG als Gesamtorgan handlungsfähig seien (vgl. Lang/Weidmüller/Metz, GenG 32. Aufl. § 39 Rdn. 4; Meyer/Meulenbergh/Beuthien, § 39 Rdn. 48; Schubert/Steder, GenHandb. § 39 Rdn. 3; zweifelnd und zumindest de lege ferenda für eine ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats Müller, GenG § 39 Rdn. 4 i.V.m. Rdn. 6). Des weiteren wird angenommen, die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats nach § 39 Abs. 1 GenG gelte nur für Personen, die bei Klageerhebung dem Vorstand angehören, nicht für Prozesse gegen ehemalige Vorstandsmitglieder (Meyer/Meulenbergh/Beuthien aaO § 39 Rdn. 4 unter Berufung auf BGHZ 41, 223, 227 u. 247, 341, 344, betreffend jew. eine AG; Lang/Weidmüller/Metz aaO § 39 Rdn. 4 i.V.m. Rdn. 3; Schubert/Steder aaO § 39 Rdn. 5; teilweise anderer Ansicht auch hier Müller aaO § 39 Rdn. 3).

3. Dieser Auslegung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

a) Ungeachtet der im einzelnen abweichenden Formulierungen liegt § 39 Abs. 1 GenG dasselbe gesetzgeberische Anliegen zugrunde wie der entsprechenden Bestimmung des § 112 AktG. Die Gleichheit der Normziele kommt schon in dem Hinweis der Gesetzesmaterialien zum GenG von 1889 (Regierungsentwurf, Drucks. d. Reichstags, 7. Legislaturperiode, 4. Session, Nr. 28 S. 78 u. 79) auf die enge Anlehnung der Bestimmungen über den Aufsichtsrat der Genossenschaft an die Vorschriften des AktG und die Gleichheit der Aufgaben des Aufsichtsrats in beiden Körperschaften zum Ausdruck. Beide Vorschriften verfolgen über die Regelung der Rechtslage bei Verhinderung des Vorstandes an der Vertretung wegen eigener Beteiligung auf beiden Seiten hinaus das Ziel, Interessenkollisionen vorzubeugen und eine unbefangene sachgerechte Vertretung der Körperschaft sicherzustellen. Wie der Senat in seiner neueren Rechtsprechung zu § 112 AktG wiederholt hervorgehoben hat, wäre die Erfüllung dieses Anliegens wegen möglicher Interessenkollisionen oder Rücksichtnahmen nicht ausreichend gewährleistet, wenn die Gesellschaft bei Vertragsschlüssen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen mit gegenwärtigen oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern durch ihren amtierenden Vorstand und damit durch deren Kollegen oder Nachfolger im Amt vertreten würde. Dabei kann es im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht darauf ankommen, ob diese Besorgnis in concreto tatsächlich berechtigt ist, was im Einzelfall auch nur schwer feststellbar wäre. Es reicht vielmehr aus, daß aufgrund der gebotenen und typisierenden Betrachtung in derartigen Fällen regelmäßig die abstrakte Gefahr einer nicht unbefangenen Vertretung der Gesellschaft vorhanden ist (vgl. Sen.Urt. v. 13. Februar 1989 – II ZR 209/88, WM 1989, 637 = ZIP 1989, 497; v. 5. März 1990 – II ZR 86/89, WM 1990, 630; v. 22. April 1991 – II ZR 151/90, WM 1991, 941 = ZIP 1991, 796; zu der vorangegangenen Entwicklung vgl. BGHZ 103, 213 m.w.N.).

b) Wenn einerseits auch das genossenschaftsrechtliche Schrifttum anerkennt, daß der Zweck des § 39 Abs. 1 GenG nicht anders als derjenige des § 112 AktG in der Verhinderung von Interessenkollisionen zu sehen ist (vgl. Meyer/Meulenbergh/Beuthien aaO § 39 Rdn. 1; Lang/Weidmüller/Metz aaO § 39 Rdn. 3; ebenso bereits Otto v. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 710 Fn. 2, S. 712 Fn. 1, S. 740 Fn. 2, hier allerdings bereits unter Kritik an der nicht immer ausreichend gewährleisteten Wahrung der Interessen der Korporation), gleichwohl aber andererseits grundsätzlich zumindest auch den Vorstand der Genossenschaft für vertretungsberechtigt erachten und ihn nur im Umfang einer tatsächlich bestehenden Befangenheit (so am deutlichsten: Meyer/Meulenbergh/Beuthien aaO Rdn. 2) oder bei Handlungsunfähigkeit des Gesamtorgans ausschließen will, so beruht dies auf einem zu engen, inzwischen überwundenen, möglicherweise auch – wie die Annahme, die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats nach § 39 Abs. 1 GenG gelte nicht für Prozesse gegen ehemalige Vorstandsmitglieder (siehe dazu die Nachw. oben unter 2.), zeigt – durch die ältere Senatsrechtsprechung zur AG beeinflußten Verständnis des beiden Normen (§ 39 Abs. 1 GenG u. § 112 AktG) gleichermaßen zugrundeliegenden Schutzzwecks. Darüber hinaus führt die im genossenschaftsrechtlichen Schrifttum bisher überwiegend vertretene Auffassung zu einer Verdoppelung der Zuständigkeiten, die wegen der möglichen Kompetenzkonflikte dem vom Gesetz angestrebten Schutzzweck ebenso widerstrebt wie dem Gebot der Rechtsklarheit (vgl. dazu Müller aaO Rdn. 6) und allein schon deshalb auf Bedenken stoßen muß.

c) Der Umstand, daß § 39 Abs. 2 Satz 1 GenG die Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder nur der Genehmigung des Aufsichtsrats unterwirft und damit für einen speziellen, insgesamt überschaubaren, einer eher einfachen Prüfung zugänglichen Bereich den Grundsatz der Vertretung der Körperschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat nicht mit der gleichen Konsequenz durchführt wie das Aktienrecht, steht der vom Senat für richtig gehaltenen, an dem Normzweck des § 39 Abs. 1 GenG orientierten Auslegung nicht entgegen. Ebensowenig ist der Gebrauch des Wortes „ermächtigt” in § 39 Abs. 1 GenG, auf den sich die im genossenschaftsrechtlichen Schrifttum noch vorherrschende Auffassung beruft, als Beleg für diese Gegenansicht geeignet. Er findet seine Erklärung schon allein in dem Umstand, daß § 39 Abs. 1 GenG unmittelbar nur Aktivprozesse der Genossenschaft regelt und das Recht des Aufsichtsrats zu deren Führung von einem vorherigen Beschluß der Generalversammlung, also einer entsprechenden Ermächtigung zur Prozeßführung, abhängig macht. Daraus kann aber ebensowenig auf eine daneben fortbestehende Vertretungsmacht des Vorstands geschlossen werden wie bei der mitbestimmten GmbH (§ 52 GmbHG), bei der die Prozeßführung der Gesellschaft gegen Mitglieder des geschäftsleitenden Organs ebenfalls eines dazu ermächtigenden Gesellschafterbeschlusses bedarf, ohne daß daraus der Schluß auf eine Veränderung der sich aus § 52 GmbHG i.V.m. § 112 AktG ergebenden Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur gerichtlichen Geltendmachung gezogen wird (vgl. auch Sen.Urt. v. 13. Februar 1989 aaO).

d) Ebensowenig steht der hier vertretenen Auslegung der Umstand entgegen, daß der Wortlaut des § 39 GenG anders als die ihm entsprechenden Bestimmungen des AktG seit 1889 unverändert geblieben ist. Wenn der Gesetzgeber bei der Änderung des GenG im Jahre 1973 (ÄnderungsG v. 9. Oktober 1973, BGBl. I, 1451) eine Anpassung des Wortlauts des § 39 GenG an den geänderten Gesetzestext des Aktiengesetzes (§ 112 AktG 65 anstelle § 97 AktG 37) unterlassen hat, so beruht dies nicht darauf, daß er von dem bezeichneten Normziel abgerückt wäre oder dieses unter Preisgabe des Gleichlaufs von Aktien- und Genossenschaftsrecht hinsichtlich der die Aufgaben des Aufsichtsrats regelnden gesetzlichen Bestimmungen bei der Genossenschaft nur in geringerem Maße als bei der Aktiengesellschaft verwirklicht wissen wollte. Die unterbliebene Anpassung des Wortlauts des § 39 GenG an die dem Normzweck besser gerecht werdende Textfassung des § 112 AktG ist vielmehr ersichtlich nur deshalb unterblieben, weil sich die Gesetzesnovelle nur die Regelung einiger weniger, besonders dringlich erscheinender Fragen zum Ziel gesetzt hatte, während eine umfassende Revision des Gesetzes auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde (vgl. BT-Drucks. 7/97 S. 16 und BT-Drucks. 7/659 S. 3). § 39 GenG wird in den Materialien nicht einmal erwähnt. Bei dieser Sachlage ist der Senat nicht daran gehindert, dem gesetzgeberischen Anliegen, auch ohne eine förmliche Änderung des Gesetzeswortlautes abzuwarten, unter Berücksichtigung der seit Inkrafttreten des GenG gemachten Erfahrungen, die ihren Niederschlag vor allem in der Rechtsprechung zum AktG gefunden haben, auf dem Wege der Auslegung Rechnung zu tragen.

Nach alledem gebietet ein schutzzweckbezogenes Verständnis des § 39 Abs. 1 GenG entsprechend der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 112 AktG die Auslegung, daß die Genossenschaft bei Aktiv- oder Passivprozessen gegen gegenwärtige oder ehemalige Vorstandsmitglieder grundsätzlich allein durch ihren Aufsichtsrat vertreten wird, unabhängig davon, ob die im Amt befindlichen übrigen Vorstandsmitglieder als Gesamtorgan auch ohne den Prozeßgegner im Sinne des § 25 Abs. 1 GenG handlungsfähig wären und im Einzelfall tatsächlich eine feststellbare konkrete Gefahr der Interessenkollision besteht.

III. Vertrauensschutz für seine Klage ist dem Kläger, der angesichts des Meinungsstandes im genossenschaftsrechtlichen Schrifttum bei Erhebung der Klage möglicherweise noch von einer Vertretungszuständigkeit des Vorstandes ausgehen konnte, schon deshalb nicht zuzubilligen, weil seine Klage auch in der Sache keinen Erfolg hätte haben können.

Die gegenteilige Entscheidung des Berufungsgerichts, das im Gegensatz zu dem Kreisgericht die fristlose Kündigung als unwirksam ansieht, könnte, auch abgesehen von den durchgreifenden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage, keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird, weil es, wie die Revision zu Recht beanstandet, verfahrensfehlerhaft wesentlichen Prozeßstoff übergeht, dem Gewicht des Pflichtverstoßes des Klägers nicht gerecht und verkennt den Begriff des wichtigen Grundes, wenn es annimmt, nach den Umständen des Falles sei der Beklagten die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zumutbar gewesen.

So geht das Berufungsgericht mit keinem Wort darauf ein, daß die Urlaubsüberschreitung aus dem völlig nichtigen Anlaß erfolgte, daß der Kläger wegen einer Krankheit seines Hundes erst etwas später als geplant in den Urlaub fahren konnte (so die eigene Angabe des Klägers in der Aufsichtsratssitzung vom 15. August 1991). Ebensowenig würdigt das Gericht den unstreitigen Umstand, daß der Kläger bereits am Mittwoch, den 7. August 1991, von seiner Urlaubsreise zurückgekehrt war, es aber gleichwohl nicht für nötig befand, sich wenigstens jetzt zurückzumelden, sondern seine Tätigkeit erst am 12. August 1991 wieder aufnahm, obwohl er wußte, daß eine ordnungsmäßige Wahrnehmung der Geschäfte der Beklagten angesichts des auf den 5. August 1991 festgesetzten Urlaubsantritts seines Kollegen P. ohne wenigstens seine Dienstbereitschaft nicht mehr gewährleistet war. Als Erklärung für dieses Verhalten hat der Kläger in dem vorliegenden Rechtsstreit vortragen lassen, er habe unerwartet Besuch erhalten.

Bei der Bewertung dieser vom Berufungsgericht außer Ansatz gelassenen Umstände wäre ferner im Rahmen der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Interessen die Tatsache zu berücksichtigen gewesen, daß der Kläger diese Einstellung, die den von einem Vorstandsmitglied zu erwartenden überdurchschnittlichen Einsatz für das Unternehmen in grober Weise vermissen ließ, bereits im ersten Jahre nach seiner Amtsübernahme an den Tag legte. Die Berücksichtigung dieses Umstandes wäre nicht nur unter dem Gesichtspunkt bedeutsam gewesen, wie sich sein indifferentes Verhalten gegenüber seinem Amt auf das notwendige Vertrauen der Beklagten in die Verläßlichkeit seiner Amtsführung auswirken mußte. Sie wäre im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen auch im Hinblick auf die Kürze der bisherigen Dauer der Tätigkeit für die Beklagte in seinem Amt als Vorstandsmitglied einerseits und die Länge der Zeit bis zur Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Vertrags erheblich gewesen: Der Vertrag des Klägers hatte eine feste Mindestlaufzeit von fünf Jahren bis zum 30. September 1995. Das Berufungsgericht hätte zu einer anderen Würdigung gelangen müssen, wenn es diese Umstände wie geboten in die von ihm vorzunehmende Gesamtabwägung miteinbezogen hätte. Daran könnte auch der Umstand nichts ändern, daß der Kläger schon vor der Berufung in sein Vorstandsamt in anderer Funktion und unter anderen wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt gewesen ist.

Darüber hinaus stellt es einen Verfahrensfehler dar, wenn das Berufungsgericht dem Kläger zugute hält, daß er die Urlaubsüberschreitung am Telefon angekündigt und damit der Beklagten ermöglicht habe, Dispositionen für den Fall seines Ausbleibens zu treffen. Die Revision hat zu Recht gerügt, daß das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme davon hätte ausgehen müssen, daß der von dem Kläger angerufene Vorstandskollege, der Zeuge P., die Bitte des Klägers um Urlaubsüberschreitung unter Hinweis auf den gemeinsam festgelegten Urlaubsplan zurückgewiesen und im Hinblick auf seinen eigenen für diesen Tag abgesprochenen Urlaubsantritt auf einem insgesamt pünktlichen Erscheinen des Klägers am 5. August 1991 bestanden hatte. Die in diesem Punkte übereinstimmenden Aussagen der Zeugen H. und P. werden von der insoweit weitgehend unergiebigen Aussage des Zeugen L. zweifellos nicht widerlegt. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, die auf eine gegenteilige Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme schließen lassen könnten. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, daß die Beklagte keinen Anlaß hatte, Dispositionen für den Fall einer eigenmächtigen Urlaubsüberschreitung des Klägers zu treffen.

Ohne tatsächliche Grundlage ist sodann die Annahme des Berufungsgerichts, es handle sich um eine einmalige Entgleisung des Klägers, die keine Wiederholung erwarten lasse. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen, die diese angesichts der Schwere der vorsätzlichen Pflichtverletzung des Klägers eher fernliegende, sich aber jedenfalls keineswegs von selbst verstehende oder aufdrängende Schlußfolgerung tragen könnten. Der überdies eine Verkennung der Darlegungs- und Beweislast nahelegende, inhaltlich leere Verweis auf das Fehlen eines „anderweitigen konkreten Vortrags” vermag die für eine solche Schlußfolgerung notwendige Tatsachengrundlage nicht zu ersetzen.

Einen Rechtsfehler, nämlich eine Verkennung des Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes, stellt es schließlich dar, wenn das Berufungsgericht an entscheidender Stelle darauf abhebt, daß das Ausbleiben des Klägers zwar dazu geführt habe, daß bei der Beklagten keine ordnungsmäßige Geschäftsführung mehr gewährleistet gewesen sei, daß es aber keine konkrete Gefährdung existenzieller Interessen der Beklagten zur Folge gehabt habe. Dies legt die Annahme nahe, daß das Berufungsgericht in Verkennung der Rechtslage annimmt, daß eine Unzumutbarkeit der Belassung eines Vorstandsmitgliedes in seinem Amt und Dienstverhältnis regelmäßig erst dann anzunehmen sei, wenn das Vorstandsmitglied durch seine Pflichtwidrigkeit die Existenz des Unternehmens der einstellenden Körperschaft aufs Spiel gesetzt habe.

Unter diesen Umständen war es der Beklagten – wie der Senat, da es dazu keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, wenn es darauf ankäme, in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Urteil selbst entscheiden könnte – nicht zumutbar, das Dienstverhältnis mit dem Kläger auf mehr als vier weitere Jahre bis zum Auslaufen seines Anstellungsvertrages fortzusetzen.

Bei dieser Sachlage beschwert es den Kläger nicht, wenn seine Klage als unzulässig abgewiesen wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 647918

BGHZ, 108

BB 1995, 1868

NJW 1995, 2559

ZIP 1995, 1331

JZ 1996, 419

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