Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Februar 1998, soweit mit ihm das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 260 Abs. 3 StPO wegen Strafklageverbrauchs eingestellt, soweit ihm mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 28. Mai 1997 zur Last gelegt wurde, am 16. Juli 1994 aktuelles Propagandamaterial der ERNK, nämlich 900 Exemplare der Zeitschrift „Berxwedan”, Ausgabe 173 vom 15. Juli 1994 mit der ERNK-Fahne im Titel und auf der Titelseite zur Auslieferung nach München transportiert und dadurch eine Straftat gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG begangen zu haben; von zwei weiteren Vorwürfen des Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot, begangen am 17. August 1994 und 25. März 1995 in S., hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil nur hinsichtlich der Verfahrenseinstellung nach § 260 Abs. 3 StPO angefochten. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sie sich gegen die Annahme des Strafklageverbrauchs durch das Landgericht. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat seine Auffassung, es sei durch Eintritt des Strafklageverbrauchs an der Aburteilung der angeklagten Tat vom 16. Juli 1994 gehindert, auf den Umstand gestützt, daß dem Angeklagten, der seit dem 29. Januar 1994 geschäftsführendes Vorstandsmitglied des deutsch-kurdischen Freundschaftsvereins mit Sitz in S. war, in einem weiteren Verfahren mit Anklage vom 29. November 1995 zur Last gelegt worden war, dadurch gegen § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG verstoßen zu haben, daß er u.a. zahlreiche Exemplare der Zeitschrift „Berxwedan”, und zwar der Ausgaben August, September, Oktober, November und Dezember 1994 sowie der Nr. 179 vom 15. Januar 1995 zum Zwecke der Verbreitung in den Vereinsräumen vorrätig gehalten habe. Sämtliche Druckschriften waren bei der Durchsuchung der Vereinsräume am 20. Januar 1995 aufgefunden worden. Dieses Verfahren wurde am 13. November 1996 durch die Staatsschutzkammer des Landgerichts S. gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Das Landgericht vertritt die Auffassung, daß die nunmehr verfahrensgegenständliche Tat – Transport der Ausgabe Nr. 173 der Zeitschrift „Berxwedan” am 16. Juli 1994 – dieselbe Tat betreffe, wie die Anklage vom 29. November 1995, weil die dort angeklagten und eingestellten Taten mit der jetzt zur Aburteilung anstehenden Tat bei natürlicher Betrachtung in Tateinheit stünde. Denn, so das Landgericht, das gesamte Tätigwerden des Angeklagten stehe in einem objektiv erkennbaren engen zeitlichen, örtlichen und situativen Zusammenhang, so daß es bei objektiver Betrachtung äußerlich als ein Tun erscheine. Aufgrund dieser Bewertung aller dem Angeklagten angelasteten Straftaten im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinne hat das Landgericht ersichtlich den Transport der Ausgabe Nr. 173 der in Rede stehenden Druckschrift am 16. Juni 1994 als von der Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO des früheren Verfahrens mitumfaßt erachtet und sich an dessen Aburteilung gehindert gesehen. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Dahinstehen kann, unter welchen Umständen und in welchem Umfang eine Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO überhaupt zu einem Strafklageverbrauch führen kann. Denn es fehlt bereits an den Voraussetzungen einer einheitlichen Tat im materiell-rechtlichen Sinne, insbesondere aber an derjenigen derselben prozessualen Tat.
Das Landgericht hat nicht bedacht, daß § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG seiner Deliktsstruktur nach die Verwirklichung eines auf das Betätigungsverbot bezogenen Ungehorsamstatbestandes darstellt, so daß grundsätzlich jede diesem Verbot widersprechende Tätigkeit selbständig erfaßt wird (BGHSt 43, 312, 314). Nicht bedacht hat das Landgericht zudem, daß eine selbständige Einzeltaten zusammenfassende natürliche Handlungseinheit einen einheitlichen Willen des Täters voraussetzt. Dazu enthält das Urteil keine Feststellungen. Auch die übrigen Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit sind schon im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der dem Angeklagten angelasteten Zuwiderhandlungen gegen § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG nicht gegeben; denn der Transport mehrerer Exemplare einer einzigen Ausgabe der Zeitschrift und das Lagern verschiedener anderer Ausgabenexemplare in den Vereinsräumen sind so unterschiedliche Tätigkeiten, daß sie nicht ohne weiteres objektiv für einen Dritten sich als ein einheitliches Tun darstellen. Im übrigen liegt auch nicht der erforderliche enge örtliche und zeitliche Zusammenhang vor, wie es eine natürliche Handlungseinheit voraussetzt. Die Ausgabe Nr. 173 vom 15. Juli 1994 war zeitlich vor den späteren Ausgaben, deren Lagerung Gegenstand des gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrens war, gedruckt worden und erschienen und wurde am 16. Juli 1994 unter Mitwirkung des Angeklagten nach M. transportiert, also noch vor dem Erscheinen der Nachfolgeausgabe vom August 1994.
Letzterer Umstand steht insbesondere der Annahme einer prozessualen Identität der Taten entgegen, die Gegenstand der Anklagen vom 29. November 1995 und vom 28. Mai 1997 waren. Zwar erfaßt die Tat im prozessualen Sinne nicht nur den von der Anklage umschriebenen Vorgang, sondern auch das gesamte Verhalten eines Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens eine Einheit darstellt, deren Aburteilung in getrennten Verfahren zu einer unnatürlichen Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens führen würde (st. Rspr. zuletzt BGHSt 43, 252, 255 und 312, 316). Daß dies angesichts der zu unterschiedlichen Zeitpunkten erschienenen, verschiedene Monate betreffenden Ausgaben der Zeitschrift „Berxwedan”, auf die sich die jeweiligen, sowohl zeitlich als auch räumlich unabhängig voneinander begangenen Handlungen des Angeklagten bezogen, nicht der Fall ist, liegt auf der Hand.
Der Senat hat die Sache im Umfang der Anfechtung aufgehoben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, weil die Voraussetzungen, unter denen das Revisionsgericht gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst in der Sache entscheiden kann, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht gegeben sind.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Blauth, Miebach, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 539671 |
NStZ 1999, 38 |