Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.01.1996) |
Tatbestand
Mit notariellem Vertrag vom 5. Juni 1990 verkaufte der Beklagte eine teilweise mit Wohnhäusern bebaute größere Grundstücksfläche in Frankfurt am Main an die Klägerin, die - wie der Beklagte wußte - die vorhandenen Gebäude abreißen und Eigentumswohnungen darauf errichten wollte. Der Kaufpreis sollte - unabhängig von der Fälligkeit die an die Erteilung der Baugenehmigung geknüpft war - ab dem 1. Juni 1991 mit 9,5 % jährlich verzinst werden, wobei diese Zinsen auch bei Ausübung eines dem Beklagten unter bestimmten Voraussetzungen eingeräumten Rücktrittsrechts anfallen sollten. Die Klägerin zahlte diese Zinsen bis zum 31. Oktober 1992. Aufgrund von Verzögerungen in der Vertragsabwicklung trat der Beklagte mit Schreiben vom 5. Mai 1993 von dem Vertrag zurück. Die Klägerin macht geltend, der Beklagte habe sie über den Umfang des fremdgenutzten Wohnraums in den auf den Kaufgrundstücken vorhandenen Gebäuden arglistig getäuscht. Infolgedessen hätte sie bei Durchführung des Vertrages, in größerem Umfang als bei Vertragsschluß angenommen, mietpreisgebundenen Ersatzwohnraum schaffen müssen, um eine Abbruchgenehmigung zu erhalten.
Unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß verlangt sie Rückzahlung der gezahlten Zinsen in Höhe von 547.030,30 DM sowie Erstattung der Aufwendungen für die Beurkundung des Kaufvertrages und seine grundbuchliche Vollziehung in Höhe von - ihrer Behauptung nach - 24.863,91 DM und für angebliche Planungs- und Bauantragskosten von 180.267,68 DM, jeweils nebst Zinsen.
Land- und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin ihren ursprünglichen Zahlungsantrag weiterverfolgt. Der Beklagte beantragt das Rechtsmittel zurückzuweisen.
In einem weiteren Rechtsstreit umgekehrten Rubrums nimmt der Beklagte die Klägerin auf Zahlung der vereinbarten Zinsen für die Zeit ab 1. November 1992 bis zum Rücktritt des Beklagten am 5. Mai 1993 in Anspruch. Die dieser Klage stattgebende Entscheidung eines anderen Spruchkörpers des Oberlandesgerichts hat der Senat mit Urteil vom 20. September 1996 (V ZR 173/95) aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht vertritt - gestützt auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts in dem Parallelprozeß - die Auffassung, daß der Klägerin der geltend gemachte Anspruch weder unter dem Gesichtspunkt einer Haftung wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft noch nach den Grundsätzen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß zusteht.
II. Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß das Berufungsgericht von einem wirksamen Grundstückskaufvertrag zwischen den Parteien ausgegangen ist. Die Auffassung der Revision, der Vertrag sei wegen nicht vollständiger Beurkundung aller vertraglichen Abreden (Zusicherung einer bestimmten Wohnraumnutzung) nichtig (§§ 313, 139 BGB), so daß die Zinsen ohne Rechtsgrund gezahlt worden seien, teilt der Senat aus den Gründen seiner Entscheidung vom 20. September 1996 (V ZR 173/95) nicht. Auf die Ausführungen dort wird Bezug genommen (Umdruck S. 5 f.).
Die in diesem Zusammenhang von der Revision erhobenen Rüge, das Berufungsgericht habe die Klägerin vor der Entscheidung darauf hinweisen müssen, daß der Sachvortrag für das Vorliegen einer - nicht mitbeurkundeten - vertraglichen Zusicherung in bezug auf das Wohnflächenmaß nicht ausreiche, ist nicht begründet. Für einen solchen Hinweis bestand für das Gericht kein Anlaß. Dem im Grundgesetz verankerten Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (BVerfG, NJW 1984, 1741, 1745; NJW-RR 1994, 188, 189). Dies gilt, zumal im Anwaltsprozeß, insbesondere dann, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensgang mit der Würdigung des Sachvortrags durch das Gericht rechnen mußte (vgl. BVerfG, NJW 1991, 2823, 2824; NJW-RR l994, 188, 189). In solch einem Fall ergibt sich auch aus der einfachgesetzlichen Regelung des § 139 ZPO keine weitergehende Hinweispflicht (vgl. Senat, Urt. v. 31. Oktober 1986, V ZR 61/80, BGHR ZPO § 139 Abs. 1, Anwaltsprozeß 1; BGH, Urt. v. 4. Juli 1989, XI ZR 45/88, BGHR ZPO § 139 Abs. 1, Anwaltsprozeß 3). So lagen die Dinge hier. Aus der notariellen Urkunde ergab sich, daß die Parteien einen Gewährleistungsausschluß vereinbart hatten, der eine dem entgegenstehende vertragliche Zusicherung als fernliegend erscheinen ließ. Angesichts dessen war es für die anwaltlich vertretene Klägerin ohne weiteres erkennbar, daß ihr bisheriger Vortrag, der sich zu dem abweichenden Urkundsinhalt nicht verhielt, zur Begründung einer vertraglichen Zusicherung nicht ausreichen würde.
2. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht jedoch einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß.
a) Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß der Beklagte - bei Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin - vorsätzlich die ihm im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen obliegenden Sorgfalts- und Aufklärungspflichten verletzt hat. Zur Begründung wird wiederum auf die Ausführungen des Senats ins einem Urteil vom 20. September 1996 (V ZR 173/95, Umdruck S. 6-10, 1. Absatz) Bezug genommen.
Die dagegen erhobenen Einwendungen der Revisionserwiderung greifen nicht durch.
aa) Der Umstand, daß der Beklagte - wie er geltend macht für "die Frage der Zweckentfremdung" nicht "hinreichend sachkundig" gewesen sein mag, hindert nicht die Annahme einer vorsätzlichen Verletzung der ihm obliegenden vorvertraglichen Pflichten. Für die wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage, in welchem Umfang die auf dem Kaufgrundstück unterhaltenen Gebäude zu Wohnzwecken genutzt wurden oder genutzt worden waren, bedarf es keiner besonderen Sachkunde. Es ging nicht um die Folgerungen, die aus einer solchen Nutzung zu ziehen waren. Es ging allein um die Vermittlung von dem Beklagten bekannten Tatsachen, deren Bewertung dann Sache der Klägerin war.
bb) Der Schadenersatzanspruch entfällt auch nicht wegen eines mitwirkenden Verschuldens der Klägerin, § 254 Abs. 1 BGB.
Allerdings kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß die Klägerin schuldhaft gegen eigene Belange verstoßen hat, wenn ihr bei der Besichtigung des Kaufobjekts hätte auffallen müssen, daß gegenüber den Angaben des Beklagten über das Ausmaß der Wohnnutzung Zweifel angebracht waren (§ 254 Abs. 1 BGB). Eine gegebenenfalls vorzunehmende Schadensteilung unterliegt dabei gemäß § 287 ZPO einem weiteren tatrichterlichen Beurteilungsspielraum (BGHZ 98, 148, 158). Ob dies im vorliegenden Fall zu einer Kürzung des Schadensersatzanspruchs führen kann, braucht nicht entschieden zu werden und kann der tatrichterlichen Würdigung überlassen bleiben. Jedenfalls kommt ein völliger Ausschluß des Anspruchs nicht in Betracht.
Zu berücksichtigen ist nämlich, daß bei einem Schadensersatzanspruch wegen Erteilung einer unrichtigen Auskunft der Schädiger dem Geschädigten grundsätzlich nicht nach § 254 BGB entgegenhalten kann, er habe auf die Auskunft nicht vertrauen dürfen (BGH, Urt. v. 7. Januar 1965, VII ZR 28/63, WM 1965, 287, 288; Urt. v. 6. April 1978, III ZR 43/76, WM 1978, 946, 948; Urt. v. 1. Dezember 1987, X ZR 36/86, NJW-RR 1988, 855, 856). Der Sinn der konkret erbetenen Auskunft besteht gerade darin, eventuelle Zweifel des Fragenden zu zerstreuen und Gewißheit zu vermitteln. Es widerspräche - von Sonderfällen abgesehen - dem Grundsatz von Treu und Glauben, der in § 254 BGB lediglich eine besondere Ausprägung erhalten hat, den Schädiger deswegen zu entlasten, weil sich der Geschädigte auf die Richtigkeit seiner Angaben verlassen hat (BGH, Urt. v. 1. Dezember 1987, X ZR 36/86, NJW-RR 1988, 855, 856). Hinzukommt, daß die Klägerin allenfalls fahrlässig gegen eigene Belange verstoßen hat, wohingegen dem Beklagten Vorsatz zur Last fällt. Bei einer solchen Konstellation kommt schon eine Kürzung des Ersatzanspruchs des Geschädigten nur ausnahmsweise in Betracht (BGHZ 98, 148, 158). Für einen völligen Ausschluß des Anspruchs ist daher kein Raum.
III. Zur weiteren Verfahrensweise wird auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 20. September 1996 (V ZR 173/95, Umdruck S. 10, letzter Abschnitt) verwiesen. Sollte sich danach ein Ersatzanspruch der Klägerin dem Grunde nach ergeben, wird das Berufungsgericht auch die notwendigen Feststellungen zur Höhe zu treffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2993499 |
NJW-RR 1998, 16 |