Leitsatz (amtlich)
Lehnt der Rechtsanwalt aufgrund der von ihm auftragsgemäß vorzunehmenden, inhaltlich zutreffenden Rechtsprüfung die Begründung einer Berufung, die nach Kündigung des Mandats durch den Mandanten von einem anderen Anwalt vorgenommen wird, ab, verliert er nicht seinen Vergütungsanspruch.
Normenkette
BGB § 628 Abs. 1 S. 2 Fall 2, § 675 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 18.01.2013; Aktenzeichen 6 S 101/12) |
AG Aachen (Urteil vom 10.05.2012; Aktenzeichen 117 C 380/11) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Aachen vom 18.1.2013 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des AG Aachen vom 10.5.2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Beklagte erhob im Jahre 2008 gegen eine Rechtsanwältin, welche ihn in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vertreten hatte, Klage wegen fehlerhafter Beratung. Mit am 26.1.2010 zugestellten Urteil vom 22.1.2010 wies das LG die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der geltend gemachte Beratungsfehler sei nicht nachgewiesen worden. Der Beklagte betraute nunmehr den Kläger mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Berufungsverfahren. Dieser legte Berufung ein und kam bei der anschließenden Prüfung der Erfolgsaussichten zum Ergebnis, der Beklagte werde auch im Berufungsrechtszug die gebotenen Nachweise für einen Beratungsfehler nicht erbringen können. Dies teilte der Kläger dem Beklagten in einer Besprechung am Vormittag des 16.4.2010 mit. In einem dem Beklagten am selben Tag vorab elektronisch übermittelten Schreiben fasste der Kläger den Besprechungsinhalt schriftlich zusammen und bat den Beklagten um Mitteilung, ob die Berufung zurückgenommen werden solle. Er führte weiter aus, sollte er keine Mitteilung erhalten, werde er die Berufung nicht begründen. Sie würde dann verworfen werden.
Rz. 2
Am Nachmittag des 16.4.2010 suchte der Beklagte in einer anderen Angelegenheit Rechtsanwalt K. auf. Hierbei legte er ihm das Schreiben des Klägers vor und erklärte, nach seinem Eindruck wolle ihn der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr vertreten. Auf telefonische Nachfrage wiederholte der Kläger gegenüber Rechtsanwalt K. seine Ansicht zu den fehlenden Erfolgsaussichten und riet aus Kostengründen, die Berufung zurückzunehmen. In diesem Zusammenhang äußerte der Kläger, er könne die Berufung nicht begründen; aussichtslose Sachen mache er nicht. Daraufhin teilte Rechtsanwalt K. mit, der Beklagte habe ihn beauftragt, das Mandat zu übernehmen. Er bestellte sich zum neuen Prozessbevollmächtigten, kündigte mit Schreiben vom 19.4.2010 das alte Mandatsverhältnis mit sofortiger Wirkung und begründete die Berufung. Diese wurde mit einstimmigem Beschluss des OLG am 2.5.2011 zurückgewiesen.
Rz. 3
Der Kläger macht nunmehr seinen Vergütungsanspruch für die Vertretung im Berufungsverfahren geltend. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen - dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen - Vergütungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der bereits durch die Einlegung der Berufung entstandene Gebührenanspruch des Klägers sei gem. § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB entfallen. Eine Kündigung des Klägers liege allerdings nicht vor (§ 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB). Seine Erklärungen bei der Besprechung am 16.4.2010 und in dem nachfolgenden Bestätigungsschreiben ließen eine eindeutige Mandatskündigung nicht erkennen. Insbesondere die Kündigung des Beklagten vom 19.4.2010 zeige, dass auch er die vorausgegangenen Äußerungen des Klägers nicht als Kündigung verstanden habe. Es sei jedoch davon auszugehen, dass ein vertragswidriges Verhalten des Klägers zur Kündigung des Beklagten geführt habe (§ 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB). Maßgeblich sei dabei alleine das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Telefongespräch am 16.4.2010. Die im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils bindend festgestellten Äußerungen des Klägers, er könne die Berufung nicht begründen und aussichtslose Sachen mache er nicht, habe der Beklagte dahingehend verstehen dürfen, dass der Kläger die Berufung nicht begründen werde, weil er aussichtslose Mandate nicht bearbeite. Er habe diese Äußerungen als ernsthafte und endgültige Verweigerung einer Berufungsbegründung ansehen können. Hinsichtlich der vom Kläger bis dahin schon erbrachten anwaltlichen Leistungen sei von einem Interessenfortfall auszugehen, weil die erbrachte Tätigkeit durch die notwendige Einschaltung des zweiten Prozessbevollmächtigten und dessen Berufungsbegründung erneut angefallen sei.
II.
Rz. 6
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Gebühren für die Vertretung im Berufungsrechtszug gem. § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Ein Fortfall des Vergütungsanspruchs nach § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB scheidet aus.
Rz. 7
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach der Anwendungsbereich des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB eröffnet ist. Die Rüge der Revision, diese Bestimmung greife nicht ein, weil das streitgegenständliche Mandat sich lediglich auf die Einlegung der Berufung und die Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bezogen habe und damit bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung des Beklagten beendet gewesen sei, ist unbegründet.
Rz. 8
Ein beschränktes Mandat in diesem Sinne lag nicht vor. Entgegen der Ansicht der Revision kann ihr gegenteiliger Standpunkt nicht aus den landgerichtlichen Feststellungen abgeleitet werden. Die Formulierung, der Beklagte habe den Kläger mit der Einlegung der Berufung und der Prüfung der Erfolgsaussichten beauftragt, nimmt lediglich auf die ersten vom Kläger im Rahmen des erteilten Mandats zu ergreifenden Maßnahmen Bezug. Aus dem Schreiben des Klägers vom 16.4.2010 geht deutlich hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt von einem Fortbestand des Mandats ausgegangen ist. Die von ihm angeregte Rücknahme des Rechtsmittels stand noch im Raum. Auch die - im Wege zulässiger tatrichterlicher Würdigung des Prozessstoffes getroffene - Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Kläger anlässlich des Telefongesprächs vom 16.4.2010 davon ausgegangen sei, das erteilte Mandat bestehe fort, zeigt, dass eine Beendigung des Mandats zu dem von der Revision geltend gemachten Zeitpunkt nicht in Betracht kommt.
Rz. 9
2. Die Bestimmung des § 628 Abs. 1 BGB regelt die Frage, in welchem Umfang dem Anwalt nach der außerordentlichen Kündigung gem. § 627 BGB Honoraransprüche gegen seinen Mandanten zustehen. Danach kann der Dienstverpflichtete grundsätzlich einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen (§ 628 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies würde hier bedeuten, dass dem Kläger die bereits mit der Berufungseinlegung angefallenen Gebühren in voller Höhe verblieben (§§ 2, 13 RVG, Nr. 3200 VV). Hat der Dienstverpflichtete aber durch vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Auftraggebers veranlasst, so steht ihm nach der Vorschrift des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB, die durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht ausgeschlossen wird (BGH, Urt. v. 29.9.2011 - IX ZR 170/10, WM 2011, 2110 Rz. 13; vgl. ferner BGH, Urt. v. 7.10.1976 - III ZR 110/74, WM 1977, 369, 371; v. 8.10.1981 - III ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438 jeweils zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung), ein Anspruch auf die Vergütung nicht zu, soweit seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse mehr haben. Die Voraussetzungen dieser Einwendung hat der Auftraggeber darzulegen und zu beweisen (BGH, Urt. v. 8.10.1981, a.a.O.; v. 30.3.1995 - IX ZR 182/94, WM 1995, 1288, 1289; v. 29.3.2011 - VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 Rz. 12). Dies ist dem Beklagten nicht gelungen.
Rz. 10
3. Ein vertragswidriges, die Kündigung des Vertragspartners veranlassendes Verhalten i.S.d. § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB setzt eine schuldhafte Verletzung einer Vertragspflicht voraus (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1976, a.a.O.; vom 8.10.1981, a.a.O.; v. 7.6.1984 - III ZR 37/83, NJW 1985, 41; vom 30.3.1995, a.a.O.; vom 29.3.2011, a.a.O., Rz. 13; Henssler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 628 Rz. 17). Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist dem Kläger eine solche Vertragsverletzung nicht vorzuwerfen.
Rz. 11
a) Der Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die daran anknüpfende Empfehlung, das Rechtsmittel zurückzunehmen, sind nicht zu beanstanden. Der Hinweis entsprach der Prozesslage, wovon auch die Revisionserwiderung ausgeht, und die Empfehlung diente der Kostenminderung im Interesse des Beklagten. Hiermit kam der Kläger seinen mandatsbezogenen Verpflichtungen nach, zumal er einen ausdrücklichen Prüfauftrag erhalten hatte (vgl. Vill in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rz. 704). Der Anwalt hat von der Durchführung eines erfolglosen Rechtsmittels ebenso abzuraten, wie von der Führung eines von vorneherein aussichtslosen Rechtsstreits (vgl. BGH, Beschl. v. 18.4.1958 - IV ZB 44/58, MDR 1958, 496, 497; Urt. v. 17.4.1986 - IX ZR 200/85, BGHZ 97, 372, 376; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl., § 14 Rz. 9).
Rz. 12
b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht in seiner Auffassung, der Kläger habe die Kündigung des Klägers vertragswidrig provoziert. Der vom Kläger während des Telefongesprächs am 16.4.2010 vertretene Standpunkt und seine hierzu vorgetragenen Argumente lassen ein vertragswidriges Verhalten des Klägers gleichfalls nicht erkennen.
Rz. 13
Nach dem hier erteilten Mandat waren die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels ergebnisoffen zu prüfen. Ausweislich der Feststellungen des LG wurde der Kläger ausdrücklich damit beauftragt, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen. Dass das Mandat mit der Maßgabe erteilt wurde, unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung das Rechtsmittel auf jeden Fall durchzuführen, wurde nicht festgestellt. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich. Nach dem Grundsatz der Vermutung beratungskonformen Verhaltens konnte daher der Kläger bei Mandatserteilung davon ausgehen, der Beklagte werde bei inhaltlich zutreffender Rechtsprüfung den sich hieraus ergebenden Empfehlungen auch folgen. Dies bedeutet hier, dass der Kläger annehmen konnte, er werde nicht wider bessere Überzeugung eine aussichtslose Berufung begründen müssen. Für einen Rechtsanwalt ist dies insb. im Hinblick auf sein Selbstverständnis als unabhängiges Organ der Rechtspflege und auf sein Ansehen in der Öffentlichkeit auch nicht zumutbar (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 1994, 1084, 1085; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rz. 613; Vollkommer/Greger/Heinemann, a.a.O., Rz. 10; Zugehör/Vill, a.a.O.).
Rz. 14
Die vom Berufungsgericht beanstandeten Äußerungen des Klägers während des Telefongesprächs am 16.4.2010 halten sich noch im Rahmen dieser bei Mandatserteilung begründeten Erwartungshaltung. Ein vertragswidriges Fehlverhalten liegt hierin nicht. Seine Ablehnung, aufgrund der von ihm auftragsgemäß vorgenommenen und inhaltlich zutreffenden Rechtsprüfung die Berufung durchzuführen, führt daher nicht zum Verlust seines Vergütungsanspruchs.
III.
Rz. 15
Das angefochtene Urteil ist, weil sich die Revision als begründet erweist, gem. § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat gem. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 6009361 |
BB 2013, 3009 |
DB 2013, 9 |