Leitsatz (amtlich)
Enthält ein schriftlicher Vertrag die Bestimmung, daß Ergänzungen oder Änderungen der Schriftform bedürfen, so können die Parteien den Vertrag gleichwohl durch mündliche Abreden ergänzen oder ändern, auch wenn sie dabei nicht an die Schriftformklausel denken (Ergänzung zu LM Nr. 3 zu § 505 BGB).
Normenkette
BGB § 125
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.03.1963) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main von 12. März 1963 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Inhaber der Klägerin – im folgenden auch Kläger genannt – war Untervertreter des Mitgesellschafters der Beklagten – in folgenden auch Beklagter genannt – gemäß den schriftlichen Vertrag von 1. Januar 1953. Er erhielt 10 % der Bruttoprovisionseinnahmen. Nach § 4 des Vertrages stellte die Beklagte dem Kläger für seine geschäftlichen Fahrten einen Pkw zur Vorfügung und trug dessen Betriebskosten; ferner vergütete sie dem Kläger Reisespesen. Die Spesen sollten monatlich mit den Belegen abgerechnet werden. In § 8 des Vertrages war bestimmt, daß Ergänzungen und Änderungen des Vertrages der Schriftform bedürften und mündliche Abreden ungültig seien.
Das Vertragsverhältnis der Parteien wurde durch fristlose Kündigung der Beklagten zum 15. August 1956 aufgelöst.
In diesem Rechtsstreit verlangt die Klägerin Zahlung ihrer im Jahre 1955 entstandenen Auslagen, die sie auf insgesamt 9.241,66 DM beziffert hat.
Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt. Sie hat behauptet, zwischen den Parteien sei im Dezember 1954 mündlich vereinbart worden, im Hinblick auf das erhebliche Ansteigen der Provisionseinnahmen des Klägers seit Vertragsbeginn solle der in § 4 des Vertrages vorgesehene Spesenersatz ab 1. Januar 1955 wegfallen. In der Folgezeit habe der Kläger dementsprechend einen Ersatz seiner Spesen weder verlangt noch erhalten.
Das Landgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen und gemäß dem Antrag der Beklagten die Klägerin verurteilt, den von der Beklagten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem ersten Urteil gezahlten Betrag von 11.513,89 DM nebst Zinsen zurückzuzahlen.
Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils und die Abweisung des Zahlungsantrages der Beklagten. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat festgestellt: Bei einer Besprechung im Dezember 1954 habe der Beklagte unmißverständlich erklärt, er werde in Zukunft dem Kläger nur noch Provisionen und keine Spesengelder mehr zahlen. Der Kläger habe dem nicht widersprochen; er hätte das sicher getan; wenn er mit der Erklärung des Beklagten nicht einverstanden gewesen wäre. Sein Einverständnis ergebe sich auch daraus, daß er die seit dem 1. Januar 1955 angefallenen Spesenbelege unmittelbar der Buchhalterin Hoyer gegeben habe; die neben den Büchern der Beklagten auch seine Bücher führte, während früher sämtliche Belege zunächst von dem Beklagten abgezeichnet worden seien.
Der Wirksamkeit dieser mündlichen Vereinbarung stehe der § 8 des Vertrages nicht entgegen. Trotz einer solchen Vertragsbestimmung könne ein Vertrag mündlich geändert werden, wenn die Vertragsteile die Maßgeblichkeit des mündlich Vereinbarten übereinstimmend wollten. Das sei hier der Fall. Die Parteien hätten nicht an die Regelung des § 8 gedacht und seien von der Gültigkeit der mündlichen Abmachung ausgegangen.
II.
Die Angriffe der Revision gegen die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen des Berufungsgerichts haben keinen Erfolg.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß der § 8 des Vertrages der Gültigkeit der mündlichen Abmachung nicht entgegensteht.
a) In Rechtsprechung und Schrifttum wird beim Bestehen einer sog. Schriftformklausel die Gültigkeit von mündlichen Vertragsänderungen bejaht, wenn die Parteien übereinstimmend die Maßgeblichkeit des mündlich Vereinbarten gewollt haben, also darüber einig waren, für ihre vertraglichen Beziehungen solle neben dem Urkundeninhalt auch eine bestimmte mündliche Abrede gelten (RGZ 95, 175; RG Warn. 1912 Nr. 367; BGH in LM Nr. 3 zu § 505 BGB.
Dieser Auffassung ist beizutreten. Wenn die Parteien sich durch Vereinbarung einer im Gesetz nicht vorgesehenen Schriftform gebunden haben, so kann diese Bindung nur bestehen bleiben, solange und soweit sie keinen anderen Willen zum Ausdruck bringen. Der Revision ist zuzugeben, daß damit der Zweck der Schriftklausel, immer Klarheit über den Inhalt eines Vertrages zu haben, häufig nicht erreicht wird. Das liegt aber daran, daß die Parteien selbst übereinstimmend von der Beobachtung der gesetzlich nicht vorgeschriebenen Form; über die sie allein zu bestimmen haben, absehen.
b) Auch in der Entscheidung JW 1911, 94, auf die die Revision hinweist, hat es das Reichsgericht für möglich erklärt, daß das auf Parteiwillkür beruhende Formerfordernis durch schlüssige Handlungen außer Kraft gesetzt wird; es hat als ein besonders deutliches Beispiel hierfür („namentlich”) die tatsächliche Bewirkung einer mündlich vereinbarten Leistung unter Hinwegsetzung über das Formerfordernis bezeichnet. Zur Feststellung, daß die Parteien neben dem schriftlichen Vertrag das mündlich Vereinbarte ernstlich gewollt haben, genügen aber auch sonstige hinreichend deutliche Anhaltspunkte. Solche bat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum festgestellt.
c) In seiner in DR 1943, 487 abgedruckten Entscheidung hat das Reichsgericht zwar Bedenken gegen die vorerwähnte Rechtsprechung geäußert, aber hauptsächlich nur für den Fall, daß bei Bestehen einer Schriftformklausel eine Partei der anderen durch mündlich gemachte vorübergehende Zugeständnisse ohne Bindung für die Zukunft entgegenkomme. In einem solchen Fall liegt überhaupt keine auf Änderung des Vertrages gerichtete rechtsverbindliche Abmachung vor. Hier haben die Parteien aber den Spesenerstattungsanspruch des Klägers auf Dauer und nach der das Revisionsgericht bindenden Überzeugung des Berufungsgerichts mit verbindlicher Wirkung aufgehoben.
d) Daß die Parteien an den § 8 des Vertrages bei ihrer mündlichen Abmachung nicht gedacht haben, schließt deren Wirksamkeit entgegen der Meinung der Revision nicht aus.
Es handelte sich hier zunächst nicht um eine Aufhebung dieser Bestimmung für den gesamten Vertragsbereich, sondern nur um eine den § 4 abändernde Vereinbarung. Der § 8 blieb im übrigen weiterbestehen. Es bedurfte schon deshalb nicht der Feststellung, daß die Parteien ihn aufhoben wollten.
Vor allem aber sind allein maßgeblich die auf eine inhaltliche Änderung des Vertrages gerichteten übereinstimmenden Willenserklärungen der Parteien. Durch die neue bindende Einigung sind alle dieser entgegenstehenden früheren Abmachungen überholt, auch die Vereinbarung der Schriftform. Demgegenüber ist es unerheblich, ob sich die Parteien daran erinnern, daß sie von dem früheren Vertrag in einzelnen Punkten abweichen. Entscheidend ist allein der von Willensmängeln unbeeinflußte neue Vertrag.
2. Auch die Verfahrensrügen der Revision sind unbegründet.
a) Sie weist auf den Vortrag im Schriftsatz vom 16. November 1962 hin. Danach habe der Kläger nach der mündlichen Besprechung den Beklagten einen schriftlichen Vertragsentwurf vorgelegt, den dieser nicht angenommen habe. Die Revision meint, dieser Umstand spreche entscheidend dafür, daß eine mündliche Vereinbarung nicht zustandegekommen sei.
Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Die Beweisaufnahme hat nichts dafür ergeben, daß die Parteien sich bei ihrer mündlichen Besprechung über die in dem Vertragsentwurf des Klägers vorgesehene Provisionserhöhung geeinigt hätten und daß das mündlich Vereinbarte noch schriftlich niedergelegt worden sollte, um wirksam zu werden. Das Berufungsgericht brauchte daher der Vorlegung des Vertragsentwurfs durch den Kläger keine rechtliche Bedeutung beizumessen.
b) Die Revision beruft sich ferner auf den Vortrag, den Kläger sei nicht bekannt geworden, daß nach dem 1. Januar 1955 eine Änderung in der Behandlung der Spesenbelege eingetreten sei. Er habe diese wie früher der Buchhalterin H. übergeben; von der Änderung in der Buchungsweise habe er nichts erfahren. Auch die Spesen für 1953 und 1954 habe er erst später einklagen müssen; insofern sei also ebenfalls keine neue Sachlage eingetreten. Die Kosten des von ihm benutzten Pkw habe die Beklagte weiterhin getragen.
Zu den Kosten des Pkw hat die Beklagte von vornherein erklärt; daß sie diese über den 1. Januar 1955 hinaus gezahlt hatte und die Vereinbarung vom Dezember 1954 nur die übrigen Spesen des Klägers betraf. Auch das Berufungsgericht hat das berücksichtigt (BU 8). Es ist nicht ersichtlich, was daraus, daß die Beklagte die Kosten des Pkw weiter getragen hat, gegen die Wirksamkeit der Vereinbarung hinsichtlich der übrigen Spesen des Klägers hergeleitet werden könnte.
Zur Verbuchung der Spesen des Klägers hat das Berufungsgericht festgestellt, der Kläger habe seit dem 1. Januar 1955 seine Belege unmittelbar der Buchhalterin Hoyer übergeben, während früher sämtliche Belege an diese über den Beklagten gelangt seien, der sie zunächst abgezeichnet habe. Der Kläger hat, wie die Zeugin H. eindeutig und nach der Überzeugung des Berufungsgerichts glaubwürdig bekundet hat, bis Ende 1954 die Belege den Beklagten, später der Buchhalterin übergeben. Der Vortrag der Revision ist also in diesem Punkte mit den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vereinbar. Im übrigen genügt für die Annahme, daß der Kläger ab 1. Januar 1955 keinen Anspruch auf Spesenersatz mehr hatte, die Feststellung der dahingehenden mündlichen Vereinbarung der Parteien. Es ist dazu nicht erforderlich, daß der Kläger von der veränderten Buchung seiner Spesenbelege Kenntnis erhalten hat.
Der Umstand, daß der Kläger auch die Spesen für 1953 und 1954 noch nicht erstattet bekommen hatte, sondern sie erst später einklagen mußte, spricht gleichfalls nicht gegen die Vereinbarung für die Zeit ab 1. Januar 1955.
c) Ohne Erfolg rügt die Revision auch, daß das Berufungsgericht die von der Klägerin vorgetragenen Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. L. nicht erörtert habe. Daß L. seit langem Steuerberater der Beklagten war und Ermittlungen über die Kosten vorgenommen hatte, die diese für den Kläger aufzuwenden hatte, hat das Berufungsgericht selbst ausdrücklich festgestellt (BU 6). Ferner ist zwischen den Parteien unstreitig, daß L. eine Strafanzeige gegen den Kläger erstattet hat, der Kläger aber in dem daraufhin eingeleiteten Strafverfahren freigesprochen worden ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß das Berufungsgericht diese Umstände bei der Würdigung der Aussage des Zeugen übersehen hat. Es konnte gleichwohl dessen Aussage in diesem Rechtsstreit als glaubwürdig ansehen, ohne sich mit den dagegen vorgebrachten Bedenken in den Entscheidungsgründen des Urteils näher auseinandersetzen zu müssen (BGHZ 3, 162, 175). Den Umständen nach genügt die Bemerkung, die Bekundungen der Zeugen seien frei von Widersprüchen und stimmten mit der tatsächlichen Handhabung überein, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln, bestehe keine Veranlassung.
III.
Die Revision der Klägerin ist hiernach als unbegründet mit der Kostenfolge aus dem § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Heimann-Trosien, Erbel, Meyer, Vogt, Finke
Fundstellen
Haufe-Index 947879 |
NJW 1965, 293 |
Nachschlagewerk BGH |