Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.09.2013) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. September 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchtem besonders schweren Raub, gefährlicher Körperverletzung und Wohnungseinbruchsdiebstahl” zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und hiervon vier Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
a) Ende Juli 2004 planten der Angeklagte, sein Landsmann K., mit dem er bereits 1999 einen bewaffneten Überfall begangen hatte, und zwei weitere Personen, in ein Privathaus zweier „älterer Leute” einzubrechen. Sie vermuteten dort einen Tresor mit Bargeld in Höhe von 200.000 EUR bis 300.000 EUR und andere Wertgegenstände. Für den Fall, dass der Tresor nicht aufzufinden sei oder sich nicht öffnen oder abtransportieren ließe, beschlossen sie, „die Rückkehr der Eigentümer abzuwarten und diese anschließend unter Vorhalt einer Schusswaffe dazu zu zwingen, das Versteck des Tresors preiszugeben und den Tresor zu öffnen” (UA S. 10).
Rz. 4
Entsprechend diesem Tatplan drangen zunächst K. und ein weiterer Mittäter in das Haus ein, indem sie die Glastüren des Hauses aufhebelten. Der Angeklagte hatte sich – wie zuvor verabredet – unter einem neben dem Hauseingang geparkten Wohnwagen versteckt, „um dort ‚Schmiere’ zu ‚liegen’” (UA S. 11); der vierte Tatbeteiligte hatte sich ebenfalls in der Nähe des Hauses postiert.
Rz. 5
Die beiden Mittäter im Haus steckten tatplangemäß zunächst Schmuck, Uhren und Bargeld im Werte von etwa 100.000 EUR in eine mitgebrachte Reisetasche ein. Da sich der Tresor, den sie im Haus fanden, nicht öffnen ließ, beschloss K., auf die Rückkehr der Eigentümer zu warten. Hierüber informierte er per Mobiltelefon den Angeklagten, und forderte ihn auf, „sich ebenfalls in das Gebäude zu begeben und ihnen bei der weiteren Tatausführung behilflich zu sein” (UA S. 12). Obwohl lediglich verabredet war, dass der Angeklagte nur „Schmiere stehen” sollte, leistete er dieser Anweisung Folge.
Rz. 6
Der Angeklagte erhielt sodann von K. ein Paar mitgebrachte Handschuhe und eine Karnevalsmaske mit Clownsgesicht, die er sich überzog. Ein massives, schweres Hackbeil, das der Angeklagte in der Küche vorgefunden hatte, wollte er als Drohmittel verwenden. K. maskierte sich mit einer Sturmhaube und holte seine ungeladene Pistole hervor. Beide postierten sich im Erdgeschoss des Hauses am Eingangsbereich, nachdem ihnen von einem weiteren Mittäter die Ankunft der Hauseigentümer angekündigt worden war.
Rz. 7
Die Hauseigentümer, die zur Tatzeit 62jährige Zeugin F. und der 72jährige Zeuge N., fuhren mit ihrem Pkw zunächst in die Garage des Anwesens. Als Frau F. von dort die Wohnung betrat, sah sie sich dem mit der Clownsmaske maskierten Angeklagten, der das Hackbeil in der erhobenen Hand drohend in ihre Richtung hielt, und dem ebenfalls maskierten Mittäter K. gegenüber, der die Pistole auf sie gerichtet hatte. Sie schrie laut „Hilfe, Überfall” und rannte – immer weiter schreiend – in die Garage zurück. K., der mit einem solchen Verhalten der älteren Geschädigten nicht gerechnet hatte, „hielt das geplante weitere Vorhaben zunächst nicht mehr für durchführbar” (UA S. 13). Dem Angeklagten rief er deshalb auf Polnisch zu, er solle abhauen; dieses missverstand der Angeklagte und glaubte, K. „habe ihm befohlen, er solle ‚zuhauen’” (UA S. 13). Der Angeklagte vermutete, K. wolle ihn testen, ob er auch zu bedeutenderen Tatbeiträgen „taugte”.
Rz. 8
Um K. „seine Gefolgschaft zu beweisen”, rannte der Angeklagte hinter der Geschädigten F. in die Garage, warf dort das Hackbeil weg, packte die Zeugin F. mit beiden Händen am Arm und schleuderte sie mehrere Meter weit von sich weg auf den Boden. Der Angeklagte wollte die Geschädigte hierdurch davon abhalten, weiter so laut zu schreien und sie zugleich gefügig machen, um mit ihrer Hilfe an den Inhalt des Tresors zu gelangen.
Rz. 9
Der Zeuge N., der seine Lebensgefährtin am Boden liegen sah und ihr deswegen zur Hilfe kommen wollte, griff den auch ihm körperlich überlegenen Angeklagten von hinten an, und schlug ihm mit einem Besen auf den Kopf. Der Angeklagte, der dadurch eine blutende und schmerzende Platzwunde erlitt, geriet in Rage „und verspürte eine gewisse Panik” (UA S. 13). Er schlug N. den Besen aus der Hand und brachte ihn „mit einem oder mehreren Faustschlägen zu Boden”. Sodann trat er noch mehrfach seitlich gegen das Gesicht des Geschädigten. „Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte das ursprüngliche Ziel seiner Gewaltanwendung, nämlich die Geschädigten zum Zwecke der Öffnung des Tresors lediglich gefügig zu machen, aus den Augen verloren und betrachtete die Angelegenheit als einen Kampf, bei dem es darum ging, seine Widersacher dauerhaft zu besiegen und sie um jeden Preis zum Schweigen zu bringen” (UA S. 13 f.).
Rz. 10
Als die Geschädigte F. ihren Lebensgefährten blutend auf dem Boden liegen sah, stand sie auf und „ging nun ihrerseits mit dem zwischenzeitlich abgebrochenen Besenstiel auf den Angeklagten los, um ihn von weiteren Gewalttätigkeiten […] abzuhalten. Daraufhin packte der Angeklagte die Zeugin F. an den Haaren, riss sie zu Boden und schlug dort ihren Kopf, den er mit einer Hand an den Haaren festhielt, vier Mal wuchtig mit der Stirn gegen den Betonboden der Garage. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass die Geschädigte durch diese Behandlung lebensgefährliche Verletzungen im Kopfbereich erlitt, die auch zu ihrem Tode führen konnten” (UA S. 14). Der Angeklagte hörte nach dem vierten Schlag mit weiteren Schlägen auf, weil die Geschädigte, die zuvor immer weiter geschrien hatte, keinen Ton mehr von sich gab. Der sich tot stellenden Geschädigten verpasste der Angeklagte noch einen Tritt; der Zeuge N. erhielt ebenfalls noch einen Tritt gegen den Kopf und die Füße.
Rz. 11
Als die Nachbarn, durch das laute Schreien der Geschädigten F. auf den Vorfall aufmerksam gemacht, an der Haustür klingelten, floh der Angeklagte.
Rz. 12
Die Geschädigte F. hat durch die Tat eine Schädelprellung, eine HWS-Distorsion, ein Mandelhämaton an der rechten Stirn und Prellungen am ganzen Körper erlitten. Dass die Geschädigte keinerlei knöcherne Verletzungen am Schädel erlitten hat, beruhe auf „purem Zufall” (UA S. 22). Die Verletzungen sind bis auf eine sichtbare Beule folgenlos verheilt.
Rz. 13
b) Der Angeklagte hat die Tat in der Hauptverhandlung im Wesentlichen eingeräumt. Abweichend von den Feststellungen hat er sich allerdings u.a. dahin eingelassen, die Geschädigte nicht vier bis fünf Mal auf den Boden sondern zwei bis drei Mal mit der Faust geschlagen und dann getreten zu haben. Er sei auch gar nicht fähig dazu, eine Frau so zu packen und „so etwas” zu machen. Er habe früher geboxt und wisse daher, was passiere, wenn man „so etwas” mache. „Wenn er das tatsächlich getan hätte und den Kopf der Frau sechs Mal mit seiner Kraft geschlagen hätte, wäre sie wohl nicht mehr da” (UA S. 20).
Rz. 14
Das Landgericht hat die von den Feststellungen abweichende Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen und ist den Angaben der Geschädigten gefolgt.
Rz. 15
c) Zum bedingten Tötungsvorsatz hat die Schwurgerichtskammer ausgeführt, dass es sich beim viermaligen Schlagen des Kopfes der Geschädigten F. auf den Betonboden um eine äußerst gefährliche Gewalthandlung handelte und der Angeklagte sich der Gefährlichkeit einer solchen Handlungsweise grundsätzlich auch bewusst war. Dieses habe er „im Rahmen seiner Einlassung in der Hauptverhandlung selbst eingeräumt, indem er angegeben hat, er wisse genau, was passieren könne, wenn man ‚so etwas mache’, denn er habe ja schließlich früher geboxt” (UA S. 22).
Rz. 16
2. Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 17
a) Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Bei der Prüfung, ob ein bedingter Tötungsvorsatz festzustellen ist, hat das Tatgericht eine umfassende Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juli 2013 – 2 StR 176/13, NStZ-RR 2013, 341, 342; Beschluss vom 27. August 2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35, jeweils mwN). Beide Vorsatzelemente müssen zudem durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444).
Rz. 18
b) Auch unter Berücksichtigung des bestehenden tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
Rz. 19
aa) Das Landgericht hat die Behauptung des Angeklagten, er wisse als ehemaliger Boxer, was passiere, wenn man „so etwas mache”, allein als Begründung für das Vorliegen des kognitiven Elements des bedingten Tötungsvorsatzes herangezogen. Die Strafkammer hat indes insgesamt die von den getroffenen Feststellungen abweichende Einlassung des Angeklagten als widerlegt erachtet. Eine für widerlegt erachtete – entlastende – Behauptung des Angeklagten kann aber nicht ohne Weiteres ein Belastungsindiz abgeben (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 1987 – 2 StR 630/86, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 5 und Urteil vom 5. Juli 1995 – 2 StR 137/95, BGHSt 41, 153, 154 f.; BGH, Beschluss vom 5. Januar 2000 – 3 StR 560/99, StV 2001, 439, jeweils mwN).
Rz. 20
bb) Es fehlt zudem an einer umfassenden Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände. Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen ein bedingter Tötungsvorsatz trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen nahe liegt (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; Senat, Beschluss vom 27. August 2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35, jeweils mwN). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter den Kopf des Geschädigten mehrfach auf einen harten Boden schlägt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 533/11). Indes wird schon die Bewertung des Landgerichts, hier liege eine äußerst gefährliche Gewalthandlung vor, von den Feststellungen nicht getragen. Dabei hat das Landgericht bereits den gegenläufigen indiziellen Umstand, dass die Geschädigte F. tatsächlich keine erheblichen Verletzungen erlitten hat, nicht hinreichend in die Bewertung eingestellt. Die Begründung der Schwurgerichtskammer, das Ausbleiben erheblicher Verletzungen beruhe auf „purem Zufall”, lässt zudem die allein zu seinen Lasten gewertete Behauptung des Angeklagten (s. o. unter lit. aa) außer Acht, als ehemaliger Boxer sein Handeln dosieren zu können.
Rz. 21
Schließlich ist der Schluss aus einer besonders gefährlichen Gewalthandlung auf einen (bedingten) Tötungsvorsatz nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, den Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2007 – 3 StR 233/07, NStZ-RR 2007, 307; Senat, Beschluss vom 27. August 2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35). Dementsprechend hätte das Landgericht den Umstand, dass es sich innerhalb des dynamischen Geschehens um eine „spontane Handlung” (UA S. 37) des „in Rage” befindlichen Angeklagten gehandelt hat, bereits bei der Prüfung des kognitiven Vorsatzelements (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 212 Rdn. 12) in den Blick nehmen müssen.
Rz. 22
3. Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen, waren neben den Feststellungen zur inneren Tatseite auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben.
Rz. 23
Für den Fall, dass die neu zur Entscheidung berufene Schwurgerichtskammer (erneut) zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes kommen sollte, wird sie sich – eingehender als bislang geschehen – damit auseinanderzusetzen haben, ob der Angeklagte strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten ist. Den bisherigen Feststellungen ist bereits das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont), wonach sich u.a. auch die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 2 StR 64/13, NStZ-RR 2014, 111, jeweils mwN), nicht ausreichend konkret zu entnehmen; soweit den bisherigen Feststellungen zu entnehmen sein könnte (UA S. 28), der Angeklagte sei davon ausgegangen, die Geschädigte lebensgefährlich verletzt zu haben, wäre dieses im Übrigen nicht ausreichend belegt.
Rz. 24
Die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen – tateinheitlichem – versuchten besonders schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Wohnungseinbruchsdiebstahls kann nicht bestehen bleiben (vgl. Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rdn. 12).
Unterschriften
Fischer, RiBGH Prof. Dr. Schmitt ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer, Krehl, Eschelbach, Zeng
Fundstellen
Haufe-Index 7553427 |
NStZ 2015, 516 |
StV 2015, 293 |