Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente
Leitsatz (amtlich)
Hat der Verfolgte nach § 189 BEG rechtswirksam einen Anspruch wegen Gesundheitsschadens geltend gemacht, so wahrt die Aufnahme des Verfahrens durch seinen Ehegatten als Erbe gemäß § 189 b Abs. 1 Satz 2 BEG die Frist für die Anmeldung des Anspruchs als Hinterbliebener nach § 41 BEG auch im Falle des Todes des Verfolgten nach dem 31. Dezember 1965 (Fortführung von BGH RzW 1980, 100 Nr. 12).
Normenkette
BEG § 189a Abs. 2 S. 2, §§ 41, 41a, 189b Abs. 1 S. 2
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats - Entschädigungssenats - des Oberlandesgerichts Koblenz vom 31. Oktober 1984 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer - Entschädigungskammer - des Landgerichts Trier vom 28. September 1983 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin des am 28. Januar 1972 verstorbenen jüdischen Verfolgten Rudolf M., den sie 1947 in P. geheiratet hatte. Dieser hatte u.a. Ansprüche wegen Schadens an Körper oder Gesundheit fristgemäß angemeldet. Durch Bescheid vom 10. November 1970 gewährte ihm die Behörde wegen eines vorübergehenden allgemeinen Erschöpfungszustandes für die Zeit vom 1. Januar 1945 bis 31. Dezember 1951 Kapitalentschädigung und ab 1. November 1953 gemäß § 31 Abs. 2 BEG Rente. Mit seiner dagegen gerichteten Klage verlangte er weitergehende Kapitalentschädigung und höhere Rente. Nach Mitteilung des Todes des Rudolf M. beantragte der Beklagte am 20. April 1972, das Verfahren bis zur Vorlage eines Erbscheins auszusetzen. Die Klägerin übersandte am 25. April 1972 das Testament des Verstorbenen, wonach sie Alleinerbin ihres Ehemannes und gleichzeitig Testamentsvollstreckerin sei, und fügte eine Vollmacht für die bisherige Prozeßbevollmächtigte zu ihrer Vertretung in allen Wiedergutmachungsangelegenheiten nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) bei. Mit Beschluß vom selben Tage setzte das Landgericht das Verfahren bis zur Vorlage eines Erbscheins aus. Am 9. August 1973 überreichte die Klägerin zum weiteren Nachweis ihres Erbrechts eine Kopie der konsularischen Erbscheinsverhandlung und wiederholte den Klageantrag mit der Maßgabe, daß die Leistungen bis 31. Dezember 1971 an sie zu erbringen seien. Daraufhin hob das Gericht die Aussetzung des Verfahrens von Amts wegen wieder auf. Nach Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme durch Einholung zahlreicher ärztlicher Sachverständigengutachten schlossen die Parteien am 17. Februar 1978 einen Vergleich über die Zahlung weitergehender Leistungen an die Klägerin als Alleinerbin ihres Ehemannes. Dabei wurde eine arterielle Blutdruckerhöhung mit nachfolgender Herz- und Kreislaufschwäche als verfolgungsbedingt mit einer steigenden vMdE von 30 (ab 1953) bis 80 vH (ab 1. Dezember 1970) anerkannt.
Nachdem die Klägerin gegenüber der Behörde mit Schreiben vom 25. Februar/4. März 1974 wegen des Lebensschadens ihres Ehemannes Rentenansprüche ab 1. Februar 1972 geltend gemacht, gleichzeitig aber gebeten hatte, bis zur Durchführung des Prozeßverfahrens wegen des Gesundheitsschadens diesen Antrag zunächst zurückzustellen, griff sie mit Schreiben vom 27. Juni 1979 unter Hinweis auf den gerichtlichen Vergleich vom 17. Februar 1978 diesen Antrag wieder auf. Aus den ärztlichen Berichten ergebe sich, daß ihr Ehemann an dem anerkannten Verfolgungsleiden gestorben sei. Die Behörde holte daraufhin eine gutachtliche Stellungnahme ihres medizinischen Sachverständigen ein, der diese Auffassung bestätigte.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 1980 lehnte die Behörde die Ansprüche nach §§ 41, 41 a BEG wegen Versäumung der Jahresfrist des § 189 a Abs. 2 BEG ab. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zahlung einer laufenden Witwenrente ab 1. Februar 1972 auf der Grundlage der Mindestrente nebst Zinsen. Das Landgericht gab der Klage ohne Zinsen statt. Auf die Berufung des beklagten Landes hob das Oberlandesgericht dieses Urteil auf und wies die Klage ab.
Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin
die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1.
Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin sei mit der Geltendmachung ihres Anspruchs auf Witwenrente nach §§ 41 oder 41 a BEG ausgeschlossen, weil sie die Frist des § 189 a Abs. 2 BEG nicht gewahrt habe. Die Tatsache, welche die Frist des § 189 a Abs. 2 Satz 2 BEG in Lauf setze, sei der Tod des Verfolgten. Da dieser am 28. Januar 1972 eingetreten sei, sei der Antrag vom 4. März 1974 verspätet gewesen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 189 Abs. 3 BEG könne der Klägerin schon deshalb nicht erteilt werden, weil sie einen solchen Antrag - auch hilfsweise - nicht gestellt habe. Auch der nach § 189 BEG rechtswirksam gestellte Antrag ihres Ehemannes auf Entschädigung des Gesundheitsschadens habe die Frist für den Antrag nach § 41 BEG nicht gewahrt, weil die Witwenrente von der Gesundheitsschadensrente unabhängig sei.
2.
Mit diesen Ausführungen kann der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente nach § 41 BEG nicht verneint werden.
a)
Zweifelhaft ist bereits der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, § 189 a Abs. 2 BEG finde in Falle der Klägerin Anwendung. Weder aus seinen Feststellungen noch aus den Verwaltungsakten ergibt sich, daß die Klägerin bis zum Tode ihres Ehemannes einen Antrag auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz gestellt hat. Es ist auch nicht ersichtlich, daß sie überhaupt durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist. § 189 a BEG, der das Nachmelden oder Nachschieben von bisher nicht geltend gemachten Ansprüchen regelt, setzt nach dem eindeutigen Wortlaut seines Absatzes 1 aber voraus, daß bereits ein Antrag auf Entschädigung nach § 189 BEG rechtswirksam gestellt worden ist. Da § 189 a Abs. 2 BEG vorschreibt, daß "ein weiterer Anspruch nur noch insoweit angemeldet werden kann, als er auf den Eintritt neuer Tatsachen nach dem 31. Dezember 1964 gestützt wird", ist auch hier Voraussetzung, daß von dem Antragsteller bereits ein Anspruch nach § 189 BEG geltend gemacht worden war. Der Antrag des Ehemannes auf Entschädigung seines Gesundheitsschadens wirkt dabei nicht als Grundantrag für die Witwe, weil es sich bei dem Anspruch wegen Schadens an Leben nach § 41 BEG um einen Anspruch der Witwe aus eigenem Recht handelt (BGH RzW 1965, 71; 1970, 409). Ob die Jahresfrist des § 189 a Abs. 2 BEG im Falle der Klägerin Anwendung findet, kann letztlich jedoch offenbleiben.
b)
Die Klägerin ist nämlich durch die Fortführung der Ansprüche ihres Ehemannes wegen dessen Gesundheitsschadens als Alleinerbin in seine Rechtsposition eingetreten. Diese Weiterverfolgung der Ansprüche des Erblassers durch den Erben ist einem rechtswirksam gestellten Antrag im Sinne von § 189 b Abs. 1 Satz 2 BEG gleichzustellen (BGH RzW 1968, 269 Nr. 21). Diese Rechtsprechung hat der Senat in RzW 1980, 100 Nr. 12 ausdrücklich bestätigt und weiter erläutert. Danach enthält § 189 b Abs. 1 Satz 2 BEG auch die Fiktion, daß bei Fortführung des fristgemäß angemeldeten ererbten Anspruchs wegen des Gesundheitsschadens durch den Erben auch der Hinterbliebenenanspruch als fristgemäß angemeldet gilt. Beide Entscheidungen betrafen zwar Fälle, in denen der gesundheitsgeschädigte Verfolgte schon vor dem Inkrafttreten des BEG-Schlußgesetzes, durch das § 189 b BEG eingefügt wurde, gestorben war. § 189 b BEG bestimmt aber nicht, daß die Vorschrift als eine Art Übergangsregelung nur dann gelten soll, wenn die ererbten Ansprüche bereits bei Inkrafttreten des BEG-Schlußgesetzes angemeldet waren oder durch Eintritt in die Rechtsposition des Verstorbenen von dem Erben geltend gemacht worden sind. Eine solche Rechtsfolge kann auch nicht aus § 189 b Abs. 2 BEG hergleitet werden, wonach Absatz 1 im Falle des § 189 a Abs. 1 BEG entsprechende Anwendung findet. Denn gerade diese Vorschrift zeigt, daß der Gesetzgeber in § 189 b BEG nicht nur bereits am 18. September 1965 angemeldete Ansprüche begünstigen wollte, sondern auch künftig anzumeldende, weil § 189 a Abs. 1 BEG die Möglichkeit einer Nachmeldung von Ansprüchen bis zum 31. Dezember 1965 vorsieht. Somit konnte auch noch durch Anmeldung ererbter Ansprüche nach dem Inkrafttreten des § 189 b BEG die Frist für die Geltendmachung von Hinterbliebenenansprüchen nach § 41 BEG gewahrt werden. Dann erscheint es aber sachlich nicht gerechtfertigt, die Anwendung des § 189 b Abs. 1 Satz 2 BEG nur auf Fälle des Todes bis zum 31. Dezember 1965 zu beschränken. § 189 b Abs. 2 BEG besagt daher nur, daß ein nach § 189 a Abs. 1 BEG nachgemeldeter Anspruch einem nach § 189 BEG rechtswirksam angemeldeten Anspruch gleichsteht. Ob das entgegen dem Wortlaut des § 189 b BEG auch für solche Ansprüche gilt, die gemäß § 189 a Abs. 2 BEG nach dem 31. Dezember 1965 nachgemeldet worden sind, bedarf hier keiner Entscheidung.
c)
Für die Aufnahme des Verfahrens wegen des ererbten Gesundheitsschadensanspruchs schreibt das Bundesentschädigungsgesetz keine Frist vor, auf deren Versäumung der Verlust dieses Anspruchs gestützt werden könnte. Im übrigen hatte die Klägerin hier bereits drei Monate nach dem Tod ihres Ehemannes durch Übersendung des Testaments und einer Vollmacht für dessen bisherige Bevollmächtigte zu erkennen gegeben, daß sie den Rechtsstreit als Erbin fortsetzen wolle.
Das Bundesentschädigungsgesetz bestimmt auch nicht, daß der Erbe eines Verfolgten, der gleichzeitig dessen rentenberechtigter Hinterbliebener ist, innerhalb einer bestimmten Frist zu erkennen geben muß, er mache nunmehr auch den Hinterbliebenenanspruch geltend, der nach § 189 b Abs. 1 Satz 2 BEG als fristgemäß angemeldet gilt. Insoweit hat der Senat bereits in RzW 1980, 100 Nr. 12 entschieden, daß die Geltendmachung des Hinterbliebenenanspruchs ohne Rücksicht auf ihren Zeitpunkt rechtzeitig ist.
d)
Auch die Substantiierungsfrist des § 190 a BEG hat die Klägerin nicht versäumt. Wenn der verfolgte Ehegatte erst nach dem 31. Dezember 1969 verstorben ist, gilt weder die Frist des § 190 a Abs. 1 BEG (31. März 1967) noch die Schlußfrist des 31. Dezember 1969 (vgl. Art. VIII Abs. 1 Satz 2 BEG-SchlußG). Fehlt aber eine bestimmte Frist für die Substantiierung des Anspruchs nach § 41 BEG, dann soll der Anspruch nicht an der Versäumung von Fristen scheitern, deren Ende sich nicht sicher aus dem Gesetz ergibt (BGH RzW aaO).
e)
Der Hinterbliebenenanspruch der Klägerin könnte daher nur dann entfallen, wenn seiner Geltendmachung und Substantiierung mit Erfolg der Einwand der Verwirkung gemäß § 242 BGB entgegengehalten werden könnte (vgl. auch BGH RzW 1977, 210). Abgesehen davon, daß das beklagte Land sich nicht auf Verwirkung des Klageanspruchs berufen hat, liegen auch die Voraussetzungen einer Verwirkung hier nicht vor. Die Klägerin hat den Anspruch nach § 41 BEG noch während des Prozesses über den Gesundheitsschaden des Ehemannes bei der Behörde geltend gemacht und gebeten, das Verfahren insoweit bis zum Abschluß dieses Prozesses auszusetzen; das war wegen der Bedeutung dieses Prozesses für den Anspruch nach § 41 BEG sachgerecht. Sie ist dann zwar erst 16 Monate nach Abschluß des Prozesses durch den Vergleich vom 17. Februar 1978, nämlich am 27. Juni 1979, gegenüber der Behörde auf den Antrag nach § 41 BEG zurückgekommen und hat ihn kurz begründet. Die Behörde hat daraufhin jedoch sachliche Ermittlungen wegen dieses Anspruchs eingeleitet, was zeigt, daß sie nicht von einer Verwirkung des Anspruchs ausgegangen ist. Auch war für die Behörde hier aufgrund des Prozesses über den ererbten Anspruch wegen Gesundheitsschadens von Anfang an klar, auf welchen Sachverhalt der Anspruch nach § 41 BEG gestützt würde und auf welche Beweismittel sich die Klägerin bezog (Gutachten der Universitätsklinik Ki. in diesem Prozeß). Über ihre wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse brauchte die Klägerin nichts vorzutragen, soweit nur die Mindestrente in Betracht kommt (BGH RzW 1978, 22).
3.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben und wird aufgehoben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), weil nach den getroffenen Feststellungen die Sache zur Endentscheidung reif ist. Nachdem das Landgericht den Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente in Höhe der Mindestrente verurteilt und in den Gründen seines Urteils ausgeführt hatte, die Voraussetzungen der §§ 150, 41 BEG seien unstreitig gegeben, hat sich der Beklagte mit seiner Berufung nur gegen die Annahme einer rechtswirksamen Geltendmachung des Anspruchs nach § 41 BEG gewandt. Es ist daher davon auszugehen, daß der Anspruch materiell-rechtlich nicht streitig ist. Da die Klägerin nur die Mindestrente begehrt, sind auch keine weiteren Feststellungen wegen der Höhe des Klageanspruchs erforderlich.
Unterschriften
Merz,
Zorn,
Fuchs,
Gärtner,
Graßhof
Fundstellen