Leitsatz (amtlich)
a) Die Vorschrift des § 580 ZPO ist nicht in dem Sinne "lex specialis" gegenüber § 826 BGB, daß ein unrichtiges, aber rechtskräftiges Urteil nur mit der Restitutionsklage angegriffen werden könnte.
b) Die Vorschriften über die Restitutionsklage gehen auch nicht in dem Sinne der Klage aus § 826 BGB vor, daß diese "subsidiär" wäre.
c) Die Vorschrift des § 581 ZPO kann auf eine Klage aus § 826 BGB auch dann nicht entsprechend angewendet werden, wenn die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe das unrichtige Urteil erschlichen, den Vorwurf einer strafbaren Handlung enthält (Abweichung von BGH LM BGB § 826 (Fa) Nr. 15 = NJW 1964, 1672).
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 26.04.1965) |
LG Hagen |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. April 1965 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger hatte am 10. März 1959 von dem Werkstattschreiber S. ein gebrauchtes Motorrad für 800 DM gekauft und 150 DM angezahlt. Zwei Tage später brachte er das Motorrad zurück und wollte den Kauf rückgängig machen. Er erhob verschiedene Vorwürfe gegen S., insbesondere machte er geltend, S. habe ihm versichert, die Maschine erreiche mit der Seitenwagen-Übersetzung, die zur Zeit noch eingebaut sei, eine Geschwindigkeit von ca. 120 km/st und mit der Solo-Übersetzung sogar ca, 140 km/st. Er habe aber nur gut 80 km/st erreichen können. Da S. dies bestritt und sich vor allem darauf berief, daß es in dem schriftlichen Kaufvertrag hieß: "Die Maschine wurde verkauft wie besehen und gefahren", erhoben die Rechtsanwälte F., denen der Kläger seinen angeblichen Anspruch auf Rückzahlung der 150 DM abgetreten hatte, vor dem Amtsgericht L. Klage gegen S. auf diesen Betrag. Sowohl das Amtsgericht wie das Landgericht hielten nicht für bewiesen, daß die von S. bei den Vorverhandlungen abgegebenen Erklärungen eine Zusicherung enthalten hätten, und wiesen die Klage ab.
Nunmehr erhob die beklagte Autovertriebsfirma, der S. beim Kauf eines Motors seinen Anspruch auf den Restkaufpreis von 650 DM und auf Erstattung der von ihm für das Motorrad vorgelegten Versicherungsprämie von 21,50 DM abgetreten hatte, gegen den Kläger vor dem Amtsgericht M. Klage auf Zahlung von 671,50 DM. Der Kläger wandte auch hier ein. S. habe ihm eine Geschwindigkeit des Motorrads von 120 bzw. 140 km/st zugesichert, S. bekundete als Zeuge, er habe bei den Kaufverhandlungen dem Kläger auf seine Fragen nach der Höchstgeschwindigkeit geantwortet, sie betrage ca. 120 km/st. Da aber damals in dem Motorrad die Seitenwagen-Übersetzung eingebaut gewesen sei, habe er ihm gesagt, er könne, wenn er die Solo-Übersetzung einbaue, vielleicht auf 140 km/st kommen. Daraufhin ließ das Amtsgericht durch den Technischen Überwachungsverein (TÜV) die Geschwindigkeit des Motorrades feststellen. Hierbei ergab sich, daß dieses 107,8 km/st erreichte. Durch Urteil vom 12. November 1962 wies das Amtsgericht die Klage der (jetzigen) Beklagten mit der Begründung ab, es handele sich bei den Erklärungen S. um vertragliche Zusicherungen und nicht "um unverbindliche Erklärungen, wie das Landgericht in dem Vorprozeß 1 S 444/59 ausgeführt hat." Diese Zusicherung sei nicht erfüllt, da das Motorrad weniger als 110 km/st laufe, also nicht 120 km/st - erst recht nicht 140 km/st bei Einbau der Solo-Übersetzung.
Das Landgericht Hagen gab jedoch der Klage durch das vom Kläger im vorliegenden Rechtsstreit angegriffene Urteil vom 18. März 1963 statt. Diese Entscheidung begründete es damit, S. Erklärungen, die Maschine erreiche mit der Beiwagen-Übersetzung ca. 120 km/st, abgelesen an dem ohnehin mit Toleranz anzeigenden Tachometer, weiche nur unerheblich von der vom TÜV ohne Toleranz gemessenen Geschwindigkeit von 107,8 km/st ab.
Der Kläger hält dieses Urteil für unrichtig, Dabei stützt er sich auf ein Schreiben des TÜV vom 5. Juni 1963, aus dem er entnimmt, daß in der Maschine nicht, wie von S. erklärt und vom Landgericht angenommen, eine Beiwagen-, sondern eine Solo-Übersetzung eingebaut war, mit der also eine Geschwindigkeit von "vielleicht 140 km/st" keinesfalls erreicht werden konnte. Die vom Kläger auf § 580 Nr. 7 b ZPO gestützte Restitutionsklage verwarf das Landgericht durch Urteil vom 18. November 1963, weil die "Urkunde" das Schreiben des TÜV, erst nach dem Urteil vom 18. März 1963 errichtet worden war.
Daraufhin erhob der Kläger vor dem Amtsgericht M. die vorliegende Klage mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 18. März 1963 für unzulässig zu erklären, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil zu unterlassen und den Titel herauszugeben Er behauptet, die Testfahrt sei offensichtlich deshalb mit der Solo-Übersetzung ausgeführt worden, weil S. vor Überstellung der Maschine an den TÜV die Seitenwagen-Übersetzung ausgebaut und durch die Solo-Übersetzung ersetzt habe. Da die Beklagte nur für Rechnung S. den unrichtigen Titel erstritten habe, müsse sie sich dessen Handeln anrechnen lassen.
Das Landgericht, an welches das Amtsgericht den Rechtsstreit verwiesen hatte, und das Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Hilfsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, daß S. die Übersetzung ausgewechselt und dadurch einen Betrug zum Nachteil des Klägers begangen habe. Es unterstellt ferner zu dessen Gunsten, daß die Beklagte die titulierte Forderung nur als Inkasso-Zessionar für S. eintreibe und sich daher dessen Prozeßbetrug, obwohl sie ihn nicht gekannt habe, anrechnen lassen müsse. Dennoch hält es eine Klage aus § 826 BGB im vorliegenden Fall nicht für gegeben. Denn auch für diese Klagen müsse der Rechtsgedanke des § 581 ZPO gelten, wonach ein Restitutionskläger, der einen Prozeßbetrug behauptet, erst das Ergebnis des Strafverfahrens abwarten müsse. Der Kläger habe zwar gegen Sigusch Strafanzeige erstattet, jedoch sei das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Werde Sigusch verurteilt, so könne der Kläger, da bei der gegebenen Sachlage die Vorschrift des § 580 Nr. 4 ZPO gegen die Beklagte entsprechend anzuwenden sei, Restitutionsklage erheben. Daher bestehe hier kein Bedürfnis, die Rechtskraft mittels Klage aus § 826 BGB zu durchbrechen. Aber auch dann, wenn man den Kläger nicht auf die Restitutionsklage verweisen könne, weil eine entsprechende Anwendung des § 580 Nr. 4 ZPO zu Lasten der Beklagten ausscheiden müsse, könne seine Klage keinen Erfolg haben. Denn der Kläger müsse auch dann, dem Rechtsgedanken des § 581 ZPO entsprechend, zunächst die Verurteilung S. oder die Einstellung des Strafverfahrens aus anderen als Beweisgründen abwarten. Nur im Strafverfahren könne er den Beweis erbringen, daß das Urteil erschlichen worden sei. Die Klage sei somit jedenfalls zur Zeit unbegründet und daher abzuweisen. Sollte, so fügt das Berufungsgericht hinzu, das Strafverfahren mit einem Freispruch enden oder schon vorher mangels Beweis eingestellt werden, so könne der Kläger mit einer Klage aus § 826 BGB ohnehin nicht durchdringen.
II.
Der Ansicht des Berufungsgerichts kann nicht gefolgt werden.
1.
Die Vorschrift des § 580 ZPO ist nicht in dem Sinne "lex specialis" gegenüber § 826 BGB, daß ein unrichtiges, aber rechtskräftiges Urteil nur mit der Restitutionsklage angegriffen werden könnte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts muß die Rechtskraft eines Urteils zurücktreten, wenn sie sittenwidrig herbeigeführt oder ausgenutzt wird. Dem hat sich der Bundesgerichtshof in mehreren Urteilen angeschlossen (BGH Urt. III ZR 210/50 vom 21. Juni 1951 = NJW 1951, 759; Urteile des IV. Zivilsenats in BGHZ 26, 391 und 40, 130 und des VII. Zivilsenats in BGHZ 34, 274, 280; II ZR 231/58 vom 25. Mai 1959 = LM § 826 (Fa) Nr. 9 = MDR 1959, 637; V ZR 108/59 vom 13. Juli 1960 = Betrieb 1960, 1334; III ZR 165/62 vom 27. Mai 1963 = LM § 826 (Fa) Nr. 12 = NJW 1963, 1606; VI ZR 105/61 vom 8. Mai 1962 = WM 1962, 906, 909; VI ZR 214/63 vom 15. Dezember 1964 = Betrieb 1965, 626 = WM 1965, 278). Diese Rechtsprechung wird zwar im Schrifttum bekämpft (Rosenberg, Zivilprozeßrecht 9. Aufl. § 157; Baumbach/Lauterbach, ZPO 29. Aufl. Einf. zu §§ 322 ff Anm. 6 C; Lent, Zivilprozeßrecht 5, Aufl., § 61; Nikisch, Zivilprozeßrecht 2. Aufl. § 131 III 2; Blomeyer, Zivilprozeßrecht 1963 § 107 II; Reinicke NJW 1952, 3 u.a.m.).
An der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist jedoch festzuhalten. Auch die in der letzten Zeit in der Rechtslehre erhobenen Angriffe (Gaul, Die Grundlagen des Wiederaufnahmerechts und die Ausdehnung der Wiederaufnahmegründe 1956 S. 99 ff; ferner JuS 1962, 12, JZ 1964, 515 sowie AcP 1968, 40; Thumm, Die Klage aus § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile, 1959; Bruns FamRZ 1957, 203; Jauernig ZZP 1953, 398 und NJW 1957, 403; Lukes ZZP 1959, 99) geben keinen Anlaß, davon abzugehen.
a)
Die Gegner sind der Meinung, diese Rechtsprechung umgehe die Sondervorschriften der §§ 578 ff ZPO. Zudem bestehe kein Bedürfnis für eine Klage aus § 826 BGB, weil in den Fällen, in denen wirklich eine nicht hinnehmbare Ungerechtigkeit vorliege, schon mittels richtiger und weitherziger Auslegung des § 580 ZPO geholfen werden könne, Diesem Gedankengang kann nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber hat in § 826 BGB die Ersatzpflicht des Schädigers nur von Vorsatz und Sittenwidrigkeit abhängig gemacht, nicht auch von Rechtswidrigkeit, Denn die Berufung auf die formelle Rechtsstellung sollte einem Schadensersatzanspruch nicht entgegenstehen" wenn der Schädiger vorsätzlich und, trotz seiner formalen Befugnis, sittenwidrig handelt (RGZ 155, 55, 58). Es besteht daher kein Grund, die bewußte Herbeiführung oder Ausnutzung eines unrichtigen Urteils vom Anwendungsbereich dieser grundlegenden Vorschrift des sachlichen Rechts auszunehmen (BGHZ 26, 391, 396). Zudem ist das Ziel der Klage aus § 826 BGB von dem der Restitutionsklage verschieden. Die sachlichrechtliche Klage stellt den Bestand des Urteils nicht in Frage. Sie geht, rechtlich gesehen, davon aus und ist nur darauf gerichtet, den durch diesen Bestand und seine Rechtsfolgen verursachten Schaden vermögensrechtlich auszugleichen (so schon RGZ 46, 79; 75, 216; 78, 393). Um dies auf sachlich-rechtlichem Wege zu erreichen, muß die Rechtskraft, die kein Recht schafft, sondern nur Prozeßrechtliche Wirkung hat, "zessieren" (so RGZ 61, 365). Die Restitutionsklage dagegen beseitigt das Urteil formell und materiell. Dieser Unterschied tritt vor allem dann hervor, wenn die Parteien des Schadensersatzprozesses um Wiederaufleben oder Wegfall der Unterhaltspflichten streiten, die an sich aus dem rechtskräftigen, aber unrichtigen Statusurteil folgen. In diesen Fällen (vgl. RGZ 75, 216) will daher auch Rosenberg (a.a.O. § 157 I 2) der herrschenden Rechtsprechung folgen.
Die auf eine strafbare Handlung gestützte Restitutionsklage (§ 580 Nr. 1-5 ZPO) hat schon Erfolg, wenn die Straftat erwiesen ist (RGZ 137, 90, 94; OGHZ 3, 35 = NJW 1950, 105): das Urteil ist zunächst aufzuheben ("judicium rescindens"). Denn es genügt die Möglichkeit, daß das Urteil unrichtig ist (BGHZ 46, 300, 302). Ob es trotz der Straftat bei den Urteil bleibt, ist erst anschließend zu entscheiden ("judicium rescissorium"). In diesen Fällen erweist sich somit § 581 ZPO als Vorteil für den Restitutionskläger: das Prozeßgericht muß das Strafurteil hinnehmen und die Wiederaufnahme für zulässig erklären, ohne nachprüfen zu dürfen, ob auch nach seiner Auffassung die in § 580 ZPO vorausgesetzte Straftat vorgelegen hat (RGZ 73, 150, 152). Insofern kommt dem Strafurteil Tatbestandewirkung zu (Rosenberg a.a.O. § 12 II 2 b). Andererseits muß das Proseßgericht die Restitutionsklage verwerfen, wenn das Strafurteil auf Freispruch lautet - dies selbst dann, wenn der Freispruch lediglich wegen Unzurechnungsfähigkeit des eines Meineids Beschuldigten oder aus einem ähnlichen Grunde erfolgt ist, der äußere Tatbestand des Meineids usw. jedoch als bewiesen angesehen wird (RGZ 139, 44). Das zeigt, daß der Gesetzgeber sich bei der Restitutionsklage nicht so sehr von der Sorge hat leiten lassen, das Urteil sei sachlich unrichtig, sondern von dem Gedanken, ein auf eine Straftat gegründetes Urteil solle schon allein aus diesem Grunde nicht als Wahrspruch eines Gerichts bei Bestand bleiben, sondern der Rechtsstreit müsse nochmals verhandelt werden, auch wenn dabei das Gericht zum selben Ergebnis kommen sollte.
b)
Diese sich aus dem Gesetz ergebende Regelung gilt nicht für die auf § 826 BGB gestützten Schadensersatzklagen. Ihr Ziel ist nicht die Aufhebung des Urteils und dessen Ersetzung durch ein neues, also die Wiedereröffnung des Rechtsstreits, sondern sogleich und unmittelbar die Herstellung des vermögensrechtlichen Zustandes, wie er bei richtiger Entscheidung entstanden wäre (RGZ 78, 393). Die strafbare Handlung ist nicht unabdingbare Voraussetzung der Klage. Es ist auch nicht richtig, daß sich sämtliche Fälle der Urteilserschleichung, in denen die Rechtsprechung mit der Klage aus § 826 BGB zu helfen sucht, schon mittels Restitutionsklage lösen ließen. Das zeigt schon der Fall, daß das Strafurteil nur wegen Schuldunfähigkeit auf Freispruch gelautet hatte. Außerdem sind Fälle denkbar, in denen ein unrichtiges Urteil in sittenwidriger, aber nicht auch strafbarer Weise erwirkt wurde. Von dem zu Unrecht Verurteilten zu verlangen, er solle sich im Interesse des Rechtsfriedens damit abfinden, ist unvertretbar, wenn der Gegner die Rechtskraft als "justizförmiges Unrecht" herbeigeführt hat, "um dem, was nicht recht ist, den Stempel des Rechts zu geben" (BGHZ 40, 130, 133).
Einer umfassenderen Erörterung der gegen die erwähnte Rechtsprechung vorgebrachten Bedenken, die, wie der Senat nicht verkennt, der Sorge um das hohe Gut der Rechtskraft entspringen, bedarf es hier nicht. Schon die obigen Überlegungen bestätigen, daß in den Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens kein Hindernis dafür zu sehen ist, mittels § 826 BGB die Gerechtigkeit gegenüber ungerechten Urteilen durchzusetzen (vgl. BGHZ 40, 133).
2.
Der Kläger kann die Klage aus § 826 BGB auch dann erheben, wenn ihm die Restitutionsklage aus § 580 ZPO zur Verfügung stünde. Mag auch die Klage aus § 826 BGB als "Notbehelf" gegenüber dem als zu eng angesehenen § 580 ZPO entwickelt worden sein, so ist sie dennoch nicht subsidiär gegenüber der Restitutionsklage (Haager in BGB RGRK 11, Aufl. § 826 Anm. 32; Erman/Drees EGB 4. Aufl. § 826 Anm. 6 a gg). Die gegenteilige Ansicht (Wieczorek ZPO § 322 Bein, C III b 2; schon immer Palandt BGB 27. Aufl. § 826 Anm. 8 o ee, der sich indes zu Unrecht auf RGZ 78, 389 beruft; Bernhardt ZZP 1953, 77, 92) kann nicht gebilligt werden.
a)
Das gilt zunächst für den Fall, daß zwar die Voraussetzungen der §§ 580, 581 ZPO erfüllt waren, der Kläger die Restitutionsklage aber nicht mehr erheben konnte, weil die Fristen des § 586 ZPO verstrichen waren. Diesen Standpunkt hat das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten (RGZ 46, 75, 79; 61, 365; 75, 216; 78, 394; zustimmend Stein/Jonas/Schönke ZPO 180 Aufl. § 322 Anm. X 2). Dem ist sicherlich für den Fall zu folgen, daß eine Restitutionsklage an der fünfjährigen Ausschlußfrist des § 586 Abs. 2 ZPO scheitert ("verjährter Restitutionsgrund"). Denn diese Frist kann ohne jedes Verschulden des Klägers verstrichen sein, weil die Straftat oft zu spät entdeckt wird. Vor allem aber ist zu bedenken, daß er es nicht in der Hand hat, das rechtzeitig in Gang gesetzte Strafverfahren vor Fristablauf zum rechtskräftigen Abschluß zu bringen (§ 581 ZPO).
Der Ansicht des Reichsgerichts ist aber auch dann zu folgen, wenn der Kläger die Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO schuldhaft (vgl. § 232 ZPO) hat verstreichen lassen (so RGZ 78, 394; insoweit auch Palandt a.a.O.; unrichtig OLG Bamberg NJW 1960, 1062). Denn er hat, wie sich aus folgendem ergibt, ohnehin die Wahl zwischen beiden Wegen.
b)
Das hat der Bundesgerichtshof zunächst für den Fall ausgesprochen, daß das erschlichene Urteil ein Ehescheidungsurteil ist, das den Unterhaltsanspruch beeinträchtigt (Urteil vom 20. März 1957 - IV ZR 235/56 = LM § 826 (Fa) Nr. 7 = FamRZ 1957, 210). Der Kläger kann aber auch in anderen Fällen aus § 826 BGB klagen, gleich ob er auch die Restitutionsklage erheben könnte.
Der aus § 826 BGB klagende Kläger ist nicht darauf beschränkt, dem Gegner ein eine strafbare Handlung enthaltendes sittenwidriges Erwirken des Urteils vorzuwerfen. Er kann auch - zusätzlich oder allein - geltend machen, der Beklagte handele jetzt sittenwidrig, weil er das von ihm als unrichtig erkannte Urteil vollstrecke (BGHZ 26, 396; 40, 132). In den Fällen dieser Gruppe wird die Klage aus § 826 BGB in aller Regel mit einer Restitutionsklage nicht konkurrieren. Es leuchtet jedoch nicht ein, weshalb die Klage aus § 826 BGB bei dieser Fallgruppe zulässig sein soll, bei den Fällen der anderen Gruppe aber nicht, weil sie hier subsidiär sei. Stützt sich der Kläger sowohl auf Erschleichung wie auf Ausnutzung, so würde es bei der Frage, ob er auf die Restitutionsklage zu verweisen ist, zu Schwierigkeiten kommen. Denn die Fälle der beiden Gruppen werden oft derart miteinander verknüpft sein, daß es nicht angeht, die vom Kläger erhobenen Vorwürfe in nebeneinander laufenden Prozessen aus § 826 BGB und aus § 590 ZPO, möglicherweise gar vor verschiedenen Gerichten (§ 584 ZPO), zu prüfen.
Eine Restitutionsklage muß, wenn das Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist, als unzulässig abgewiesen werden (RGZ 8, 394, 395). Sie kann nicht gemäß § 149 ZPO ausgesetzt werden (unveröffentlichtes BGH Urt. v. 6. Februar 1968 - VI ZR 96/66). In dieser "Wartezeit" droht also dem Kläger die Vollstreckung aus dem Urteil. Gerade hier muß die Klage aus § 826 BGB möglich sein, aufgrund deren er die Vollstreckung mittels einstweiliger Verfügung verhindern kann (RGZ 61, 359; Stein/Jonas/Schönke a.a.O. § 322 Anm. X 2 a.E.). Auch das zeigt, daß ein Bedürfnis besteht, dem, der von seinem früheren Prozeßgegner vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt worden ist, sofort mittels der Klage aus § 826 BGB zu helfen.
3.
Das Berufungsgericht meint nun hilfsweise, bei Klagen, bei denen eine strafbare Handlung, vor allem zwecks Erschleichung des Urteils behauptet werde, sei selbst dann, wenn die Klage aus § 826 BGB nicht mit der Restitutionsklage aus Nr. 1-5 des § 580 ZPO konkurriere, "entsprechend dem Rechtsgedanken des § 581 ZPO" die vorgängige Entscheidung des Strafrichters zu verlangen. Diesem, inzwischen auch vom Oberlandesgericht Celle (NJW 1966, 2020) vertretenen Standpunkt vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nicht zu folgen ist auch der Meinung des Berufungsgerichts, es werde die Klage aus § 826 BGB ohne weiteres abweisen müssen, wenn es mangels Tatverdachts nicht zu einer Anklage komme oder ein freisprechendes Urteil ergehe.
a)
Zuzugeben ist allerdings, daß, wenn das in § 581 ZPO für die Restitutionsklage vorgeschriebene "Vorverfahren" (vgl. den ähnlichen § 364 StPO) auch auf die Klage aus § 826 BGB übertragen würde, dies dem Bestreben, den von der Rechtsprechung eröffneten Weg zu beschränken, dienen würde. Diese Rechtsprechung bringt nicht zu unterschätzende Gefahren für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden mit sich und verursacht, wie die Erfahrung lehrt, oft nur nutzlose Belastungen der Gerichte und nicht zuletzt auch der Partei, die sich auf das rechtskräftige Urteil verläßt. Der Bundesgerichtshof hat daher mehrfach Wege gewiesen, wie unbegründeten Klagen aus § 826 BGB vorzubeugen ist. So hat er wiederholt betont, daß an den Nachweis der Klagevoraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen sind und daß der Klage nur in besonders schwerwiegenden Fällen und unter eng zu begrenzenden Voraussetzungen stattgegeben werden dürfe (BGHZ 26, 396; BGH NJW 1951, 759). Sie ist von vornherein abzuweisen, wenn der Kläger im Grunde nur dasselbe vorbringt, was er schon im Vorprozeß vorgetragen hat (BGHZ 40, 130; BGH LM § 826 (Fa) Nr. 15 = NJW 1964, 1672).
b)
Der vom Berufungsgericht beschrittene Weg ist jedoch nicht begehbar.
Bei § 581 ZPO handelt es sich um eine singuläre Regelung, durch die einem Strafurteil ausnahmsweise (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO) bindende Kraft beigelegt wird. Grundsätzlich ist der Zivilrichter nicht an die Entscheidungen und Feststellungen der Strafgerichte, erst recht nicht an die Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft gebunden. Schon das spricht gegen eine entsprechende Anwendung des § 581 ZPO. Zwar hat der Bundesgerichtshof diese Vorschrift auch dann für anwendbar erklärt, wenn die Revision sich auf einen Restitutionsgrund beruft (BGHZ 3, 65; 5, 299, 302; 12, 284). Die hier in Rede stehende Klage stützt sich aber auf § 826 BGB und nicht auf einen Restitutionsgrund, mag dieser oft auch zugleich vorliegen. Es muß daher bei dem Grundsatz bleiben, daß der Zivilrichter in eigener Zuständigkeit zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen des § 826 BGB nachgewiesen sind. Vor allem spricht gegen eine Heranziehung des § 581 ZPO, daß die Klage aus § 826 BGB in ihren Voraussetzungen von der Restitutionsklage rechtlich verschieden ist. Nach § 580 ZPO ist der Restitutionskläger, wenn er die Zulässigkeit seiner Klage dartun will, gezwungen, eine strafbare Handlung zu behaupten. Mehr, aber auch nicht weniger, wird von ihm für diesen Verfahrensabschnitt nicht verlangt. Hieran knüpft die Vorschrift des § 581 ZPO an: sie nimmt dem Zivilrichter die Prüfung der strafbaren Handlung in vollem Umfang ab und überträgt sie den Gerichten und Behörden der Strafrechtspflege. Das ist bei der hier in Rede stehenden Klage aus § 826 BGB anders. Sie setzt eine vorsätzliche und sittenwidrige Handlung voraus, die in der Einwirkung, vor allem der Erschleichung des unrichtigen Urteils, aber auch in der Ausnutzung des als unrichtig erkannten Urteils bestehen kann. Zu diesen Anspruchsvoraussetzungen gehört der Nachweis einer strafbaren Handlung nicht. Nach sachlichem Recht ist also der Richter nicht gehalten, eine strafbare Handlung festzustellen, Dann aber besteht kein Grund, ihm aufzugeben, das Vorliegen einer strafbaren Handlung deshalb nachzuprüfen, um entscheiden zu können, ob er die Klage nicht von vornherein abweisen muß. Überdies würde der Kläger einer so begründeten Klageabweisung oft dadurch vorbeugen können, daß er die Behauptung, das Urteil sei durch eine strafbare Handlung erschlichen, vermeidet und nur geltend nacht, es sei sittenwidrig erwirkt, oder lediglich vorträgt, der Beklagte nutze das Urteil sittenwidrig aus.
Nach alledem kann die in § 581 ZPO für die Restitutionsklage enthaltene Regelung nicht auf die hier vorliegende Klage aus § 826 BGB übertragen werden, Auch das Reichsgericht hat darin, daß der Kläger mit einer Strafanzeige keinen Erfolg gehabt hatte, kein Hindernis gesehen, die Klage sachlich zu prüfen (vgl. die in RGZ 155, 55 und RGZ 163, 293 entschiedenen Fälle). Davon geht auch das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 17. Dezember 1955 (IV ZR 219/55 = LM § 826 [Fa] Nr. 6 = NJW 1956, 505) aus: obschon die Zeugin, die falsch ausgesagt haben sollte, freigesprochen war, hat der Bundesgerichtshof die Klage aus § 826 BGB sachlich geprüft und dabei sogar unterstellt, daß die Zeugin vorsätzlich die Unwahrheit gesagt habe.
Das Berufungsgericht hat sich auf die Entscheidung des V. Zivilsenats vom 19. Juni 1964 (V ZR 37/63 = LM BGB § 826 [Fa] Nr. 15 = NJW 1964, 1672 = MDR 1964, 836) berufen. Diesem Urteil vermag sich jedoch der Senat insoweit, als es seiner soeben dargelegten Rechtsauffassung widerspricht, nicht anzuschließen. Einer Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen bedarf es schon deshalb nicht, weil die in jenem Urteil enthaltenen Ausführungen zu § 581 ZPO nur Hilfserwägungen sind, auf denen die Entscheidung nicht beruht. Das hat der V. Zivilsenat auf Rückfrage bestätigt.
III.
Das angefochtene Urteil wird daher von der Begründung, die das Berufungsgericht gegeben hat, nicht getragen. Dieses wird zu prüfen und zu entscheiden haben, ob der Kläger die Voraussetzungen nachweisen kann, von denen eine gegen ein unrichtiges Urteil gerichtete Schadensersatzklage aus § 826 BGB abhängig ist. Dabei wird vor allem zu prüfen sein, ob S. und die Beklagte das vom Kläger angegriffene Urteil erschlichen haben. Auch wird das Berufungsgericht an Hand der Grundsätze, die der Bundesgerichtshof in dem schon erwähnten Urteil vom 17. Dezember 1955 (NJW 1956, 505) aufgestellt hat, zu entscheiden haben, ob das angegriffene Urteil in der Tat unrichtig gewesen ist, Das kann möglicherweise davon abhängen, ob S. Erklärungen als vertragliche Zusicherungen anzusehen sind.
Zur Nachholung dieser Feststellungen war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018639 |
BGHZ 50, 115 - 124 |
BGHZ, 115 |
NJW 1968, 1275-1277 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1968, 661 |
MDR 1968, 661-662 (Volltext mit amtl. LS) |