Leitsatz (amtlich)
Die Ruhensbestimmung des § 64 Abs. 5 VAP-Satzung verstößt gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und ist daher unwirksam.
Normenkette
Satzung der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) vom 20. November 1969, § 64 Abs. 5
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 04.10.1982) |
LG Stuttgart (Urteil vom 18.08.1981) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Oktober 1982 aufgehoben und das Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 18. August 1981 geändert.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 1. September 1978 eine Versorgungsrente ohne Anwendung des § 64 Abs. 5 der Satzung der Beklagten in der Fassung vom 20. November 1969 zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gültigkeit der Ruhensvorschrift des § 64 Abs. 5 der Satzung der beklagten Versorgungsanstalt (VAP) in der Fassung vom 20. November 1969.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr eine Versorgungsrente ohne Anwendung der genannten Bestimmung zu gewähren. § 64 enthält unter der Überschrift „Ruhen der Rente” u.a. folgende Regelungen:
Abs. 4
„Die Versorgungsrente eines Versorgungsrentenberechtigtem, bei dem der Versicherungsfall nach § 36 Abs. 1 Buchs. a, b oder f eingetreten ist und die Versorgungsrente eines versorgungsrentenberechtigten Hinterbliebenen ruhen ferner, wenn er aus einem Beschäftigungsverhältnis bei
- der Deutschen Bundespost …
- einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts,
…
Arbeitsentgelt oder laufende Dienstbezüge erhält,
…”
Abs. 5
„Die Versorgungsrente ruht ferner insoweit, als der Berechtigte laufende oder kapitalisierte Versorgungs- oder versorgungsähnliche Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis bei einem in Absatz 4 genannten Arbeitgeber erhält. …”
Abs. 6
„In den Fällen der Absätze 3 bis 5 ist jedoch der Betrag der Versorgungsrente nach § 37 Abs. 3 und 4 oder § 46 Abs. 3 und 4 oder § 47 Abs. 5 und 6 zu zahlen.
…”
Die Klägerin bezieht als Hinterbliebene Witwenrente aus der gesetzlichen Versicherung ihres Ehemannes und ein Witwengeld nach dem „Gesetz über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg”(Ruhegeldgesetz – RGG) in der Fassung vom 1. Februar 1977 (GVBl. S. 15). Die Klägerin ist aus dem aktiven Dienst bei der Deutschen Bundespost ausgeschieden und bezieht Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Ferner erhält sie von der Beklagten eine Versorgungsrente, soweit diese nicht nach § 64 Abs. 5 VAP-Satzung mit Rücksicht auf das „Witwengeld” ruht. Nach dem Stand vom 1. September 1978 erhielt die Klägerin
a) Witwenrente |
896,40 DM |
b) Witwengeld |
310,40 DM |
c) Versichertenrente |
621,10 DM |
d) Versorgungsrente (445 DM ./. 310,40 DM) |
134,60 DM |
|
1.962,50 DM. |
Der Rentenanteil aus den Pflichtbeiträgen bei der Beklagten beträgt 74,41 DM, das Mindest-Witwengeld 20,40 DM.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, § 64 Abs. 5 VAP-Satzung verstoße gegen das Gebot der Gleichbehandlung. Als Witwe eines zusatzversorgungsberechtigten Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes mit eigenen Renten- und Zusatzversorgungsansprüchen müsse sie besser stehen als ein Arbeitnehmer, der Versorgungsrenten aus mehreren eigenen Arbeitsverhältnissen erworben habe. Tatsächlich stehe sie schlechter. Zudem sei die Beklagte satzungsgemäß verpflichtet, eine Versorgung zu gewähren, die der beamtenrechtlichen Regelung entspreche. § 64 Abs. 5 VAP-Satzung regele das Zusammentreffen abgeleiteter und selbst erdienter Versorgungsansprüche nicht nur in Ausnahmefällen ungünstiger als die vergleichbare Vorschrift des § 54 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG). Die Beklagte hält ihre Satzungsbestimmungen für wirksam.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
Die Ruhensbestimmung des § 64 Abs. 5 VAP-Satzung verstößt gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und ist daher unwirksam.
1. Die Vorschrift läßt die vom Ehegatten erdiente Hinterbliebenenversorgung bei der Zusatzversorgungseinrichtung, mit der die Beklagte kein Überleitungsabkommen abgeschlossen hat, zwar der Form nach unberührt. Nach § 64 Abs. 6 VAP-Satzung ist in den Fällen des § 64 Abs. 3–5 VAP-Satzung der Betrag der Versorgungsrente nach § 37 Abs. 3 oder § 46 Abs. 3 VAP-Satzung zu zahlen. Der Rentenanteil aus den Pflichtbeiträgen ist in solchen Fällen aber rechnerisch in dem auszuzahlenden Restbetrag der selbst erdienten Versorgungsbezüge mitenthalten und nicht gesondert zu zahlen (vgl. Berger/Kiefer: Das Versorgungsrecht für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, VBL-Satzung § 65 Rdn. 20). Die Versorgungsrente gemäß §§ 37 Abs. 3, 46 Abs. 3 VAP-Satzung ist ihrem Wesen nach ein Mindestversorgungsbezug. Sie wird neben der Versorgungsrente nur dann geleistet, wenn und soweit letztere hinter dem Betrag von 1,25 v.H. bzw. 0,75 v.H. der Summe der bis zur Gewährung der Versorgungsrente entrichteten Pflichtbeiträge zurückbleibt. Bei der Regelung in § 64 Abs. 5 VAP-Satzung verbleibt daher in einem wesentlichen Teil der Fälle kein Rest der von dem Ehegatten erdienten Zusatzversorgung. So verhält es sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch bei den Versorgungsbezügen der Klägerin.
2. Dieser Sachverhalt ist mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG normierten Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Dem Gebot der Gleichbehandlung wird nicht dadurch genügt, daß der Klägerin die gesetzliche Hinterbliebenenrente und damit bei dem vorliegenden Sachverhalt mehr als 70 % der von ihrem Ehemann abgeleiteten Versorgung verbleibt. Die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst dient satzungsgemäß der Aufgabe, eine zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Dies geschieht durch Aufstockung der Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf den Betrag von 75 % des durchschnittlichen Bruttoentgelts während der letzten drei Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalls (§ 35 Abs. 1, § 38 Abs. 2 VAP-Satzung). Witwen erhalten 60 % dieser zusätzlichen Versorgung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 VAP-Satzung). Damit ist die Zusatzversorgung abhängig von der Höhe der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Abhängigkeit geht aber weder bei der Versorgung des Versicherten noch bei den Ansprüchen der Witwen und Waisen so weit, daß Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung Ansprüche aus der Zusatzversorgung voll zum Erliegen bringen. Erreicht die gesetzliche Rente die Gesamtversorgung des Versicherten (§ 38 VAP-Satzung), so behält dieser seinen Anspruch auf die Versorgungsrente nach § 37 Abs. 3 VAP-Satzung. Gleiches gilt für die Versorgung der Witwen und Waisen (§§ 46 Abs. 3, 47 Abs. 5 VAP-Satzung).
Die Ruhensvorschriften, die das Zusammentreffen mehrerer von zwei Personen erdienter Versorgungsansprüche regeln müssen daher nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 46, 97) aus Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätzen unabhängig von der Höhe der gesetzlichen Witwenrente sich daran messen lassen, inwieweit ein Restbestand des vom Ehegatten erdienten Zusatzversorgungsanspruchs der Witwe erhalten bleibt (a.A. wohl Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, VBL-Satzung § 55 Anm. 3). § 64 Abs. 5 VAP-Satzung genügt diesen Mindestanforderungen nicht. Die vom Ehemann erdiente Mindestwitwenversorgung (Mindestwitwengeld) bleibt nur scheinbar erhalten, tatsächlich- und das zeigen auch die Vergleichsberechnungen der Beklagten – fließen der Klägerin aus der Witwenversorgung nach dem RGG keine Mittel zu, die ihre eigenen Ansprüche um einen Rest der abgeleiteten Versorgung ergänzen.
3. § 64 Abs. 5 VAP-Satzung ist auch deshalb keine wirksame Regelung des Zusammentreffens von Witwenversorgung und eigener Zusatzversorgung, weil die Fälle, in denen die Witwenversorgung von Zusatzversicherungseinrichtungen geleistet wird, mit denen die Beklagte kein Überleitungsabkommen verbindet, anders geregelt sind als die sachlich gleichgelagerten Fälle, in denen abgeleitete und eigene Ansprüche sich gegen die Beklagte richten oder gegen Einrichtungen, die mit ihr ein Überleitungsabkommen geschlossen haben. Nach § 53 Abs. 2 VAP-Satzung ruht in den letztgenannten Sachverhalten die niedrigere Versorgungsrente. Demnach erhält der Hinterbliebene neben der Witwenrente und der eigenen Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung die höhere der beiden in Frage stehenden Zusatzversorgungen und immer auch die Versorgungsrente nach § 37 Abs. 3 oder § 46 Abs. 3 VAP-Satzung aus der von der Ruhensvorschrift erfaßten Versorgung.
Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Überleitungsabkommens gibt aber keinen berechtigten Grund zu einer unterschiedlichen Handhabung. Das Schwergewicht bei der Rechtfertigung des Anrechnungsprinzips liegt in der Frage der Herkunft der Mittel. Damit soll verhindert werden, daß der Rentenberechtigte aus „öffentlichen Mitteln” Bezüge erhält, die insgesamt das angemessene und sozialpolitische gewünschte Maß übersteigen (BGHZ 69, 171, 180). Bezüge, die aus anderen Mitteln gespeist werden, bleiben dagegen weitgehend außer Ansatz. Ob sich daraus der zusatzversorgungsrechtliche Grundsatz herleiten läßt, daß Bezüge um so weniger der Anrechnung unterliegen, je ferner ihre Quelle dem Versorgungsträger oder dem beitragspflichtigen Arbeitgeber steht, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls sind keine Umstände ersichtlich, die eine Schlechterstellung des von § 64 Abs. 5 betroffenen Personenkreises rechtfertigten könnten.
4. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 64 Abs. 5 VAP-Satzung ist dem Senat nicht möglich. Er muß es vielmehr dem Satzungsgeber überlassen, eine neue Regelung zu treffen (vgl. BAG AP Nr. 178 § 242 BGB – – Ruhegehalt –). Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verurteilen, ab 1. September 1978 eine Versorgungsrente ohne Anwendung des § 64 Abs. 5 ihrer Satzung zu gewähren.
Unterschriften
Dr. Hoegen, Rottmüller, Dehner, Richter am BGH Dr. Schmidt-Kessel kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Dr. Hoegen, Dr. Ritter
Fundstellen
Haufe-Index 1237668 |
Nachschlagewerk BGH |