Leitsatz (amtlich)

›1. Kommt sowohl der Erlaß einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungszeit wie auch die Einbeziehung der Strafe in eine nachträglich zu bildende, nicht aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht, so hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, welchem Verfahren der Vorrang zukommt.

2. Führt eine falsche Voranmeldung der Umsatzsteuer nach § 18 Abs. 1 UStG zu einer Steuervergütung und ist weder die Jahressteueranmeldung beim Finanzamt eingegangen noch die Frist für die Jahresanmeldung abgelaufen, so ist die mit der Voranmeldung bezweckte Steuerverkürzung jedenfalls solange nicht beendet, wie die Steuervergütung dem Steuerpflichtigen weder ausgezahlt noch sonst gutgebracht worden ist.‹

 

Verfahrensgang

LG Hamburg

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen (Tatzeit der fortgesetzten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO: 1984/1985; Tatzeit der fortgesetzten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO: 1985/1986) zu Einzelstrafen von einem Jahr sowie einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Aus diesen Strafen hat es unter Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen von zwei Jahren aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 1986 wegen eines im Jahre 1977 begangenen Betrugs und von neun Monaten aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Lübeck vom 8. Dezember 1988 wegen eines im Jahre 1983 begangenen Betrugs eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet.

1. Die - unbeschränkt eingelegte - Revision des Angeklagten ist unzulässig, soweit sie die beiden Schuldsprüche wegen Steuerhinterziehung und die Höhe der beiden Einzelstrafen betrifft. Denn der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht nach Urteilsverkündung und nach Rücksprache mit seinem Verteidiger insoweit auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet, indem er zu Protokoll erklärt hat (Bl. 1256 VIII d.A.): "Ich nehme das Urteil an, mit Ausnahme der Gesamtstrafenbildung und der dazugehörigen Feststellungen." Gründe für eine Unwirksamkeit dieses grundsätzlich unwiderruflichen Rechtsmittelverzichts hat der Angeklagte nicht geltend gemacht.

2. Die Nachprüfung der Gesamtfreiheitsstrafe auf die Sachrüge hin hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die wegen Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten hätte zwar nicht in die Gesamtstrafe einbezogen werden dürfen. Dieser Rechtsfehler beschwert den Angeklagten aber nicht.

a) Die Gesamtstrafenbildung ist entgegen der Auffassung der Revision nicht deswegen falsch, weil das Landgericht die Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 1986 nicht hätte einbeziehen dürfen.

Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche

Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB vor. Denn die Taten, die der abgeurteilten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Lübeck zugrunde liegen, sind vor dem Urteil des Landgerichts Osnabrück begangen; die dafür verhängten Strafen sind noch nicht erledigt. Dies verkennt die Revision zwar nicht. Sie meint aber, daß die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück dennoch nicht in die Gesamtstrafe hätte einbezogen werden dürfen. Denn dem Erlaß dieser Strafe komme der Vorrang vor der Einbeziehung zu, weil die am 11. Februar 1986 gemäß § 56 a Abs. 2 Satz 1 StGB begonnene Bewährungszeit von drei Jahren bei Verkündung des angefochtenen Urteils am 18. Dezember 1989 längst abgelaufen gewesen sei. Dieser Auffassung stimmt der Senat nicht zu. Dem Strafgesetzbuch ist keine allgemeine Regel dafür zu entnehmen, welchem Verfahren der Vorrang gebührt, wenn sowohl der Erlaß einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe nach § 56 g Abs. 1 StGB wie auch deren Einbeziehung in eine nachträglich zu bildende, nicht aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 StGB in Betracht kommt. Das sich hierbei ergebende Spannungsverhältnis haben die Gerichte vielmehr unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall aufzulösen (vgl. BVerfG - Kammerbeschluß - wistra 1990, 262). Auch wenn das Landgericht bei der Urteilsfindung diesen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts noch nicht berücksichtigen konnte, so hat es gleichwohl der Sache nach die erforderliche Gesamtabwägung vorgenommen. Es hat erwogen, daß der Angeklagte jedenfalls seit Erlaß des Urteils des Landgerichts Lübeck vom 8. Dezember 1988, also schon vor Ablauf der Bewährungszeit aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück, damit rechnen mußte, daß die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren in eine nicht aussetzungsfähige neue Gesamtstrafe einbezogen werden würde. Dies mußte sich dem Angeklagten schon deswegen aufdrängen, weil das Landgericht Lübeck die Einbeziehung bereits in dem später wieder aufgehobenen Urteil vom 1. Dezember 1988 wegen falscher Versicherung an Eides Statt ausgesprochen hatte. Diese Einbeziehung ist dadurch gegenstandslos geworden, daß das Verfahren wegen falscher Versicherung an Eides Statt nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Der Angeklagte konnte somit nicht darauf vertrauen, daß ihm die Strafe nach erfolgreichem Bestehen der Bewährungszeit erlassen werden würde. Der Zeitraum zwischen Ablauf der Bewährungszeit und der Verkündung des angefochtenen Urteil ist auch nicht so lang, daß allein deswegen dem Straferlaß der Vorrang vor der Einbeziehung in die Gesamtstrafe zukäme.

b) Die Gesamtstrafe ist jedoch deshalb fehlerhaft, weil die durch das angefochtene Urteil wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten nicht in die Gesamtfreiheitsstrafe hätte einbezogen werden dürfen.

Die dieser Strafe zugrunde liegende fortgesetzte Hinterziehung von Umsatzsteuer ist erst nach dem eine Zäsur bildenden Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 1986 beendet und daher nicht, wie es § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erfordert, vor der früheren Verurteilung durch das Landgericht Osnabrück begangen worden. Bei fortgesetzten Taten kommt es insoweit auf den letzten Teilakt an (BGHSt 9, 370, 383; BGH StV 1981, 621).

Der letzte Teilakt der abgeurteilten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO betraf die Umsatzsteuer-Voranmeldung der Firma M. für den Monat Dezember 1985, die der Angeklagte am 31. Januar 1986 beim Finanzamt einreichte und mit der er unberechtigt Vorsteuern in Höhe von mindestens 8.867 DM zur Erstattung anmeldete. Aufgrund der Täuschung zahlte das Finanzamt den Betrag am 26. Februar 1986 aus (UA S. 33). Da die Steueranmeldung vom 31. Januar 1986 zu einer Steuervergütung geführt hat, stand sie gemäß §§ 168, 370 Abs. 4 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung erst gleich, wenn das Finanzamt zustimmte (BGHR § 370 I Vollendung 2). Wann das Finanzamt die nach § 168 Satz 3 AO formfreie Zustimmung erteilt hat, ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen nicht. Da die Zustimmung schon in der Anordnung der Auszahlung liegen kann (vgl. Gribbohm/Utech NStZ 1990, 209, 211), ist es nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, daß sie schon vor dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 1986 erteilt worden ist. Aber selbst wenn dies der Fall wäre und daher von einer Vollendung der Steuerverkürzung vor dem 11. Februar 1986 auszugehen wäre, ist die Steuerverkürzung erst danach im Sinne des § 55 StGB begangen worden. Denn hierfür kommt es auf den Zeitpunkt der Beendigung der Tat an (BGHR StGB § 55 I Begehung 1; Lackner, StGB 18. Aufl. § 55 Bem. 1 c). Da der Angeklagte die Steuervergütung erst am 26. Februar 1986 erhalten hat, ist die Tat vor diesem Zeitpunkt nicht beendet worden. Das gilt jedenfalls dann, wenn wie hier - weder die zugehörige Jahresanmeldung beim Finanzamt eingegangen noch die Frist für die Jahresanmeldung abgelaufen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. Dezember 1990 5 StR 519/90, NStZ 1991, 137; Urteil vom 9. Januar 1991 3 StR 243/90).

c) Der Angeklagte ist jedoch nicht dadurch beschwert, daß die Strafe von einem Jahr und sechs Monaten rechtsfehlerhaft in die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren einbezogen worden ist.

Bei rechtsfehlerfreier Anwendung des § 55 StGB wäre aus der. vom Landgericht Osnabrück rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe von zwei Jahren, der vom Landgericht Lübeck rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe von neun Monaten sowie der im vorliegenden Verfahren erkannten Einzelstrafe von einem Jahr eine nicht mehr aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe von über zwei Jahren zu bilden gewesen. Die weitere im vorliegenden Verfahren verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten hätte gesondert als Einzelstrafe bestehen bleiben müssen. Die Summe der im angefochtenen Urteil insgesamt zu verhängenden Freiheitsstrafen hätte bei zutreffender Anwendung der §§ 55, 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 StGB daher zwischen drei Jahren und sieben Monaten (Gesamtstrafe von zwei Jahren und einem Monat zuzüglich der Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten) und fünf Jahren und zwei Monaten (Gesamtstrafe von drei Jahren und acht Monaten zuzüglich der Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten) liegen müssen, so daß der Angeklagte durch die Höhe der insgesamt verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren nicht beschwert sein kann. Auch der Umstand, daß er diese Strafe mindestens teilweise verbüßen muß, beschwert ihn nicht, weil auch eine rechtlich richtig gebildete Gesamtstrafe aus den Strafen von zwei Jahren, einem Jahr und neun Monaten die Aussetzungsgrenze von zwei Jahren deutlich überschritten hätte. Schließlich hat sich auch nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt, daß das Landgericht einen Ausgleich für die Zahlungen des Angeklagten auf die wegfallende Bewährungsauflage aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück entsprechend der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 33, 326) durch eine Milderung der Gesamtstrafe und nicht entsprechend der jetzigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 36, 378) durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung gewährt hat. Denn anderenfalls hätte es wegen des Wegfalls dieses Strafmilderungsgrunds eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe als drei Jahre verhängt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993078

NJW 1991, 2847

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