Leitsatz (amtlich)
Der Berufungsanwalt verletzt die ihm obliegenden vertraglichen Pflichten, wenn er die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde als aussichtslos hinstellt, obwohl er deren Erfolgsaussichten nicht sorgfältig geprüft hat.
Normenkette
BGB §§ 276, 675; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 22.10.1999) |
LG Oldenburg (Urteil vom 04.03.1999) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts OIdenburg vom 22. Oktober 1999 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 4. März 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und seine Ehefrau erwarben im Jahre 1983 von dem Landwirt van B. eine Hofstelle in B.. Im Jahre 1988 übertrugen sie den landwirtschaftlichen Betrieb auf ihren Sohn. Der Kläger verlangt aus eigenem und abgetretenem Recht seines Sohnes und seiner Ehefrau von den beklagten Rechtsanwälten Schadensersatz, weil sie ihn in einem Rechtsstreit vor den Verwaltungsgerichten von der Einlegung einer erfolgversprechenden Nichtzulassungsbeschwerde abgehalten hätten.
In dem für die Berechnung der Abgabenzahlungen nach der Milch-Garantiemengen-Verordnung i.d.F. vom 18. Juli 1986 (BGBl. I 1227; fortan: MGV) maßgebenden Referenzzeitraum hatte der Kläger auf der Hofstelle neben van B. Milch erzeugt. Er ist der Auffassung, daß die von van B. erzeugte Milch-Referenzmenge auf ihn übergegangen sei. An der sich hieraus ergebenden Gesamtmenge hat der Kläger die Milchproduktion der Folgejahre ausgerichtet. Im Dezember 1988 stellte er bei der Landwirtschaftskammer W. (fortan: Landesstelle) den Antrag, ihm den Übergang der Milch-Referenzmenge förmlich zu bescheinigen. Seine Bemühungen blieben im Verwaltungswege erfolglos. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (fortan: OVG) wies seine hiergegen gerichtete Berufung durch Urteil vom 11. August 1994 zurück; die Revision wurde nicht zugelassen. Zur Begründung führte das OVG im Kern aus, die Milch-Referenzmenge sei nicht nach § 7 Abs. 1 MGV in der damals geltenden Fassung auf den Kläger übergegangen, weil diese Bestimmung einen Übergang nur unter Angehörigen regele, nicht aber den Erwerb eines Betriebes von dritten Personen. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob der nationale Verordnungsgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet gewesen sei, für Fälle der vorliegenden Art schlechthin eine § 7 Abs. 1 MGV entsprechende Regelung zu treffen. Selbst wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, könne der Kläger die streitige Bescheinigung von der beklagten Landesstelle nicht verlangen, weil diese für die Bescheinigung eines durch die MGV nicht geregelten Übergangs einer Referenzmenge sachlich nicht zuständig sei.
Die Beklagten haben den Kläger vor den Verwaltungsgerichten anwaltlich vertreten. Mit Begleitschreiben vom 29. September 1994 übersandte der Beklagte zu 3) dem Kläger eine Abschrift des Urteils des OVG und bemerkte dazu u.a.:
„Da inzwischen auch der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 10.1.1992 entschieden hat, daß die Regelung, wonach keine Referenzmenge auf den Betriebsübernehmer übergeht, wenn ein gesamter der Milcherzeugung dienender Betrieb zwischen dem 1.1.1983 und dem 2.4.1984 übergeben wird, nicht gegen Grundrechte verstößt, erscheinen weitere Rechtsmittel sinnlos.
Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen, so daß als weiteres Rechtsmittel ohnehin nur die sog. Nichtzulassungsbeschwerde in Betracht käme. Dafür bestehen jedoch keine Erfolgsaussichten, da die Revision nur zuzulassen ist, wenn
1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.) das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.) bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht.
Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor, so daß es wohl oder übel mit dem Berufungsurteil sein Bewenden haben muß. Aufgrund der am 27.9.1994 erfolgten Zustellung des Urteils haben wir zwar vorsorglich die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde auf den
27. Oktober 1994
notiert. Mangels Aussicht auf Erfolg werden wir diese Frist jedoch streichen.”
Der Kläger ließ das Urteil des OVG rechtskräftig werden. Im Jahre 1996 verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht in zwei vergleichbaren Verfahren, in denen das OVG zuvor ebenfalls gegen die jeweiligen Kläger entschieden hatte, die Landesstelle, den Übergang der Referenzmenge zu bescheinigen (BVerwG, Urt. v. 11. Oktober 1996 – 3 C 29.96 = BVerwGE 102, 113; Urt. v. 11. Oktober 1996 – 3 C 28.96, BayVBl. 1997, 475).
Der Kläger macht geltend, er habe alle Rechtsmittel ausschöpfen wollen und sei hiervon nur durch die ihm erteilte falsche Auskunft abgehalten worden. Nichtzulassungsbeschwerde und Revision hätten Erfolg gehabt. Sein im einzelnen bezifferter Schaden belaufe sich auf 244.723,44 DM. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die Beklagten hätten ihre Beratungspflichten nicht schuldhaft verletzt. Dem Schreiben des Beklagten zu 3) vom 29. September 1994 sei schon keine Pflichtverletzung zu entnehmen. Eine eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde habe dem Schreiben ersichtlich nicht zugrunde gelegen. Das OVG habe die Revision nicht zugelassen, weil es die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht für gegeben erachtet habe. Die Beschwerde hiergegen hätte nur darauf gestützt werden können, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Dafür hätten damals keine zureichenden Anhaltspunkte bestanden, weil das OVG seine Entscheidung darauf gestützt habe, die verklagte Landesstelle sei für die beantragte Bescheinigung nicht zuständig gewesen. Diese Ansicht möge für greifbar falsch gehalten werden. Die Klärung dieser Rechtsfrage habe aber nicht im allgemeinen Interesse gelegen. Anders habe es sich mit den in der Entscheidung erörterten Fragen zur Nichtigkeit des § 7 Abs. 1 MGV und der entsprechenden Anwendung dieser Bestimmung auf andere Personen als Familienangehörige verhalten. Die Beantwortung dieser Fragen sei für das OVG indes nicht tragend gewesen. Darüber hinaus fehle es an einem Verschulden des Beklagten zu 3), weil seine Beurteilung über die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde mit derjenigen des zuständigen Fachsenats des OVG übereingestimmt habe. Auf die weitere Frage, wie das Bundesverwaltungsgericht richtigerweise hätte entscheiden müssen, komme es demnach nicht an. Sie sei auch nicht zweifelsfrei zu beantworten.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Aus dem unstreitigen Vorbringen ergibt sich, daß die Beklagten ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag der Parteien verletzt haben, wie die Revision zu Recht geltend macht.
a) Es kann zu den Aufgaben des Berufungsanwalts gehören, den Mandanten über die Möglichkeit und die Aussicht einer Revision zu beraten (BGH, Urt. v. 6. Juli 1989 – IX ZR 75/88, WM 1989, 1826, 1827; s. ferner BVerfG NJW 2002, 2937, 2938). So ist anerkannt, daß insbesondere die Besprechung des Urteils mit dem Auftraggeber und die Belehrung über das zulässige Rechtsmittel noch dem abgeschlossenen Rechtszug zuzuordnen sind. Das gleiche gilt, wenn der Rechtsanwalt dem Mandanten – etwa in Form eines zusammenfassenden Prozeßberichts oder auch in einer Besprechung – seine Ansicht über die Richtigkeit der ergangenen Entscheidung und über die Aussichten eines Rechtsmittels mitteilt (BGH, Urt. v. 21. März 1991 – IX ZR 186/90, WM 1991, 1567, 1568). Demgegenüber gehört es ohne besonderen Auftrag nicht mehr zu dem Mandat eines Berufungsanwalts, die materiellen Gründe des Berufungsurteils einer eingehenden Prüfung auf ihre Richtigkeit zu unterziehen, erfolgversprechende Angriffspunkte herauszuarbeiten und sie auf ihre Revisibilität hin zu untersuchen.
Der Beklagte zu 3) hat den Kläger mit Begleitschreiben vom 29. September 1994 unter Hinweis auf die Nichtzulassungsbeschwerde und die Benennung der Zulassungsgründe – zutreffend – über die gesetzlichen Voraussetzungen einer Revision beraten, sich indes nicht hierauf beschränkt. Seine weitergehenden Ausführungen beziehen sich auch auf die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels. Sie erwecken aus der Sicht des Empfängers des Begleitschreibens den Eindruck, der Beklagte zu 3) habe das Berufungsurteil einer umfassenden Prüfung unterzogen und er sei sich als Ergebnis dieser Prüfung sicher, die Entscheidung des OVG könne nicht mit Aussicht auf Erfolg angegriffen werden. Denn keiner der in den einschlägigen Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Zulassungsgründe sei gegeben; im übrigen verstoße, wie der Europäische Gerichtshof inzwischen entschieden habe, die von dem Kläger angegriffene Regelung der MGV „nicht gegen die Grundrechte”, so daß weitere Rechtsmittel sinnlos erschienen.
Durch diese mit verfahrens- und verfassungsrechtlichen Argumenten unterlegte Empfehlung verstieß der Beklagte zu 3) gegen die ihm obliegenden Pflichten. Angesichts der schwierigen und zumindest unklaren Rechtslage durfte er, wenn er sich zu den Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde äußerte, nicht den Eindruck erwecken, diese sei schlechthin aussichtslos, obwohl er die Erfolgsaussichten nicht sorgfältig geprüft hatte.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wies die Rechtssache schwierige Fragen auf, die von dem Revisionsgericht möglicherweise als grundsätzlich im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eingeschätzt werden konnten. Nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die weitere Entwicklung des Rechts zu fördern. Die aufgeworfene Rechtsfrage muß klärungsbedürftig sein; ihre Beantwortung muß verallgemeinert werden können, denn nur für diesen Fall kann die Rechtseinheit durch die Entscheidung über die Revision gewahrt oder das Recht fortgebildet werden (vgl. BVerwG Agrarrecht 1992, 233; Kopp aaO § 132 Rn. 9-13). Vor Erlaß der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 1996 aaO lag es zumindest nahe, daß das Klageverfahren des Klägers eine derartige Rechtsfrage betraf, die sich auch nicht auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation beantworten ließ (vgl. BVerwG NVwZ 1990, 556).
aa) Im Mittelpunkt des Vorprozesses stand die Frage, ob der Kläger auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 MGV in der rückwirkend zum 2. April 1984 geänderten Fassung durch die zweite Änderungsverordnung vom 27. November 1984 (BGBl. I 1434) die Milchreferenzmenge seines Rechtsvorgängers erworben hat, obwohl der Kläger zu dem Veräußerer nicht in einem verwandtschaftlichen Verhältnis stand und er die Hofstelle nicht im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge übernommen hatte, wie dies der Wortlaut des § 7 Abs. 1 MGV für den Übergang einer Milch-Referenzmenge voraussetzte. Diese Frage war zum damaligen Zeitpunkt höchstrichterlich noch nicht geklärt (vgl. BVerwGE 102, 113). Es verstand sich von selbst, daß der Kläger bei wörtlicher Anwendung des § 7 Abs. 1 MGV keinen Anspruch auf Bestätigung des Übergangs von Referenzmengen hatte, weil auf ihn keine Referenzmengen entsprechend dieser Vorschrift übergegangen waren. Fraglich konnte daher nur sein, ob sich für ihn kraft Verfassungsrechts ein Übergang der Referenzmengen – mit der Folge des Anspruchs auf eine entsprechende Bescheinigung – ergab. Allein dies hatte der von den Beklagten vertretene Kläger im Verwaltungsrechtsstreit von Anfang an geltend gemacht. Auch die Verwaltungsgerichte haben in ihren Entscheidungen nicht etwa untersucht, ob sich unmittelbar auf der Grundlage der MGV ein Referenzmengenübergang auf den Kläger ergab, sondern sie haben allein geprüft, ob ein solcher Übergang auf verfassungsrechtlichem Hintergrund erfolgt ist. Diese Frage ließ sich nicht ohne weiteres auf der Grundlage des positiven Rechts – also der Art. 3, 12 und 14 GG – beantworten. Sie hatte daher grundsätzliche Bedeutung. Davon ist mit Recht auch das Berufungsgericht ausgegangen.
Aus der zwischenzeitlich ergangenen und in dem Begleitschreiben vom 29. September 1994 auch zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urt. v. 10. Januar 1992 – Rs C 177/90; referiert von BVerwGE 102, 113, 116) ergibt sich nichts anderes, weil mit ihr nur entschieden worden ist, daß Personen in der Situation des Klägers unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf eine Referenzmenge nicht herleiten können (siehe hierzu BVerwGE 102, 113, 116). Dies schloß eine großzügigere Handhabung durch das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten nicht aus.
bb) Das OVG hat die Klage letztlich daran scheitern lassen, daß der Kläger, selbst wenn der nationale Verordnungsgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet gewesen wäre, für Fälle der vorliegenden Art schlechthin eine in § 7 Abs. 1 MGV entsprechende Regelung zu treffen, die streitige Bescheinigung von der beklagten Landesstelle nicht verlangen könnte, weil diese für die Bescheinigung eines durch die MGV nicht geregelten Übergangs einer Referenzmenge sachlich nicht zuständig sei. Diese zusätzlichen Erwägungen des OVG nehmen der Sache nicht von vornherein ihre Rechtsgrundsätzlichkeit.
(1) Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 MGV hatte der Milcherzeuger dem Käufer durch eine von der zuständigen Landesstelle ausgestellte, mit Gründen versehene Bescheinigung nachzuweisen, welche Referenzmengen zu welchem Zeitpunkt auf ihn übergegangen waren. Auf der Grundlage dieser Bescheinigung hatte der Käufer die dem Milcherzeuger zustehende Anlieferungs-Referenzmenge zu berechnen (§ 4 Abs. 1, § 9 Abs. 4 MGV). Allein diese Anlieferungs-Referenzmenge war nach § 3 MGV abgabenfrei. Aus dem Zusammenspiel dieser Bestimmungen ergab sich, daß ein Referenzmengenübergang auf den Kläger kraft Verfassungsrechts diesem allein nichts nutzte, wenn er ihn durch eine Bescheinigung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 MGV nicht nachweisen konnte. Wenn daher auf den Kläger entgegen dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 MGV Referenzmengen übergangen waren, dann mußte er diesen Referenzmengenübergang auch durch eine Bescheinigung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 MGV dokumentiert bekommen, weil er andernfalls der auf Milchverkäufe, die seine Anlieferungs-Referenzmenge überschritten, zu erhebenden Abgabe nicht entgehen konnte. Die Unrichtigkeit der Ausführungen des OVG zu der Zuständigkeitsproblematik lag deshalb auf der Hand. Hiervon ging auch das Bundesverwaltungsgericht in den Parallelfällen als selbstverständlich aus (vgl. BVerwGE 102, 113, 118 f; siehe ferner BVerwG, Beschl. v. 8. Juli 1993 – 3 B 116.92).
(2) Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts war es deshalb zumindest eine offene Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde an den Ausführungen des OVG zu der fehlenden Zuständigkeit der Landesstelle scheitern würde.
2. Die Pflichtverletzung der Beklagten beruht auf Fahrlässigkeit (§ 276 BGB).
a) Hierbei ist auf das Maß an Fähigkeiten, Umsicht und Sorgfalt abzustellen, das von den Angehörigen der betreffenden Berufsgruppe bei der Erledigung des entsprechenden Geschäfts typischerweise verlangt werden kann. Die objektive Betrachtungsweise schließt eine Berufung auf individuell mangelnde Kenntnisse und fehlende Erfahrungen aus. Die Ausführungen des Beklagten zu 3) zu den fehlenden Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde beruhen schon deshalb auf Fahrlässigkeit, weil er sich nach seinen eigenen Angaben mit diesem Rechtsbehelf nicht auskannte. Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht am 1. Oktober 1999 hat er eingeräumt, daß die Sache für ihn „etwas heikel” gewesen sei, weil er eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht noch „nicht gemacht hatte”. Bei dieser Sachlage war es in hohem Maße sorgfaltswidrig, dem Mandanten in der gewählten strikten Form den Eindruck zu vermitteln, die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sei aussichtslos, obwohl er deren Erfolgsaussichten nicht sorgfältig geprüft hatte.
b) Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts, welche die Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufgegriffen hat, vermag es die Beklagten auch nicht zu entlasten, daß das u.a. mit drei Berufsrichtern besetzte OVG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verneint hat. Der Grundsatz, das Verschulden eines Notars scheide regelmäßig aus, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht dessen Verhalten als objektiv rechtmäßig gebilligt hat, ist nur eine allgemeine Richtlinie für die Beurteilung des im Einzelfall gegebenen Sachverhalts (BGHZ 134, 100, 111); sie kann auf die im Streitfall in Rede stehende Anwaltshaftung schon im Ansatz nicht übertragen werden. Sie ist hier auch in sachlicher Hinsicht nicht einschlägig, weil der Beklagte zu 3) gerade für sich in Anspruch genommen hat, zu den Erfolgsaussichten des gegen die Entscheidung des Kollegialgerichts gegebenen Rechtsmittels Stellung zu beziehen. Verneint er hierbei voreilig die Möglichkeit, eine Korrektur der für den Mandanten nachteiligen Entscheidung im Instanzenzug noch zu erreichen, kann er sich nicht im nachhinein darauf berufen, die Entscheidung sei von einem Kollegialgericht getroffen worden.
3. Durch das schuldhaft pflichtwidrige Verhalten des Beklagten zu 3) ist dem Kläger ein Schaden entstanden.
a) Die für eine Schadensersatzpflicht der Beklagten gemäß §§ 249 ff BGB bedeutsame Frage, was geschehen wäre, wenn die Beklagten sich vertragsgerecht verhalten hätten, ist im vorliegenden Fall nach dem Beweis des ersten Anscheins zugunsten des Klägers zu beantworten (vgl. BGHZ 123, 311, 315; Urt. v. 22. Februar 2001 – IX ZR 293/99, WM 2001, 741, 743; Urt. v. 8. November 2001 – IX ZR 64/01, WM 2001, 2455, 2458).
aa) Da sich der Beklagte zu 3) nach seinem eigenen Vorbringen für im Revisionsrecht nicht „versiert” genug hielt, den Kläger im Nichtzulassungsverfahren zu vertreten, hätte er diesem mit seinem Begleitschreiben vom 29. September 1994 anheimgeben müssen, einen mit den notwendigen Erfahrungen ausgestatteten Rechtsanwalt aufzusuchen, damit dieser innerhalb der laufenden Fristen von einem Monat für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 2 VwGO) sowie zwei Monaten für deren Begründung (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) das Notwendige veranlassen werde.
(1) Ein drohender Fristablauf stand dieser Verfahrensweise nicht entgegen. Nach dem Inhalt des Begleitschreibens war das Urteil dem Beklagten erst kurz zuvor, nämlich am 27. September 1994, zugestellt worden. Die einem neuen Prozeßbevollmächtigten zur Verfügung stehende Zeit reichte sonach ohne weiteres aus, um den Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Erfahrung zu bringen und dem Kläger rechtzeitig vor Fristablauf zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu raten.
(2) Es ist auch davon auszugehen, daß der Kläger einen im Revisionsrecht erfahrenen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Erfolgsaussichten weiterer Rechtsmittel beauftragt und nach Information darüber, daß die Sache durchaus ihre Chancen beim Bundesverwaltungsgericht hatte, einen weitergehenden Auftrag zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde erteilt hätte. Dies war nämlich die einzige Möglichkeit, das Klagebegehren einer sinnvollen abschließenden Entscheidung zuzuführen.
(3) Die Beklagten haben zwar allgemein behauptet, die Familie des Klägers habe sich nach Zugang des Schreibens vom 29. September 1994 über den Ausgang des Prozesses enttäuscht gezeigt, den Eindruck vermittelt, sich mit dem Urteil des OVG abgefunden zu haben, und nicht darauf gedrungen, weiterzumachen und alle Rechtsmittel auszuschöpfen. Damit haben sie aber den gegen sie sprechenden Anschein nicht erschüttert; sie haben keine Tatsachen vorgebracht, die den Schluß zulassen, der Kläger hätte sich über den begründeten Rat eines Fachmanns zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hinweggesetzt (vgl. BGH, Urt. v. 18. Dezember 1997 – IX ZR 153/96, WM 1998, 301, 303). Denn die Resignation des Klägers, von der dem Beklagten zu 3) nach seinem Vorbringen von dem Sohn des Klägers berichtet worden sein soll, geht gerade auf die niederschmetternden Formulierungen in dem Schreiben vom 29. September 1994 zurück, von denen die Beklagten nach ihrem eigenen Vortrag in dem anschließenden Telefonat mit dem Sohn des Klägers auch nicht abgerückt sind. Nach dem durch das Schreiben erweckten – irreführenden – Eindruck erschien die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur wegen der aufgezeigten verfahrensrechtlichen Hürden aussichtslos, sondern auch deshalb, weil die von dem Beklagten zu 3) angeführte, aber nicht maßgebende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes der verfassungsrechtlichen Argumentation des Klägers in dem Verwaltungsprozeß den Boden entzogen zu haben schien.
bb) Entsprechendes würde gelten, wenn die Beklagten sich selbst sachkundig gemacht und aufgrund ihrer Prüfung selbst zu dem Ergebnis gelangt wären, daß die Nichtzulassungsbeschwerde mangels einer einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem mit der Klage aufgeworfenen Fragenkreis durchaus seine Chancen hatte.
b) Eine rechtzeitig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wäre erfolgversprechend gewesen, das Beschwerdeverfahren wäre dann als Revisionsverfahren fortgesetzt worden (§ 139 Abs. 2 VwGO) und hätte dazu geführt, daß die Landesstelle verpflichtet worden wäre, dem Kläger die begehrte Bescheinigung über den Übergang der Referenzmenge zu erteilen.
aa) Der Regreßrichter hat bei der Prüfung der Frage, ob dem Kläger ein Schaden entstanden ist, die Rechtslage zugrunde zu legen, die zum Zeitpunkt der hypothetischen Entscheidung im Ausgangsverfahren bestand. Er hat zu prüfen, wie nach seiner Auffassung der Vorprozeß richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Hierbei hat er für seine eigene Beurteilung von dem Sachverhalt auszugehen, der dem Gericht bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts unterbreitet worden wäre. Die jeweils geltende Rechtslage muß grundsätzlich unter Einbeziehung der im maßgebenden Zeitpunkt geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beurteilt werden, unabhängig davon, ob der über den Schadensersatz entscheidende Richter deren damalige Rechtsauffassung für zutreffend hält (BGHZ 145, 256, 262 f).
bb) Danach hätte das Bundesverwaltungsgericht der Nichtzulassungsbeschwerde im Streitfall ebenso stattgeben müssen wie in dem Verfahren, welches letztlich zu der Entscheidung BVerwGE 102, 113 geführt hat. In jenem Verfahren hatte das Bundesverwaltungsgericht der Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß vom 8. Juli 1993 – 3 B 116.92 – teilweise stattgegeben. Die Zulassung beschränkte sich zwar auf den Hilfsantrag. Dieser entspricht aber dem Begehren des Klägers im vorliegenden Fall, ihm den Übergang der Milch-Referenzmenge zu bescheinigen (vgl. BVerwGE 102, 113, 115).
(1) In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1994 war die maßgebende Grundsatzfrage auch noch nicht geklärt, weil das Bundesverwaltungsgericht über sie erst im Jahre 1996 entschieden hat (BVerwGE 102, 113; BVerwG BayVBl. 1997, 475).
(2) In der Sache hat das zuständige Bundesverwaltungsgericht aaO entschieden, daß die Begünstigung des von § 7 Abs. 1 MGV erfaßten Personenkreises gegenüber Verpächtern und gegenüber dem Hoferwerber, der den Hof von einem Dritten erworben hat, verfassungswidrig sei, wobei es nicht darauf ankomme, ob der Erwerber schon Milcherzeuger sei oder erst werden wolle. Schließlich könne die Verfassungswidrigkeit des Begünstigungsausschlusses trotz Fehlens einer entsprechenden Rechtsvorschrift schon im Blick auf den Zeitablauf nur noch durch die Einbeziehung der nichtbegünstigten Personen in die Regelung des § 7 Abs. 1 MGV beseitigt werden. Diese Rechtsprechung ist auf den Streitfall zu übertragen.
Der Senat zweifelt auch deshalb nicht an der Einbeziehung des Klägers in das Übertragungsverfahren, weil diese dem Verwaltungshandeln im Streitfall entspricht. Unstreitig ist dem Kläger mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 7 Abs. 1 MGV die begehrte Referenzmenge nachträglich zugesprochen (vgl. Erlaß des BMF vom 23. Oktober 1997 zu III B 3 – M 700 – 49/97; Bescheid des Hauptzollamtes Emden vom 18. November 1997 zu M 7000 B – B 1) und der Differenzbetrag von 96.787,23 DM, der sich aus der danach zunächst zu hoch festgesetzten abgabepflichtigen Überlieferung für den Zwölfmonatszeitraum 1988/89 ergab, erstattet worden (vgl. Bescheid des Hauptzollamtes Emden vom 18. November 1997 zu M 7000 B – B 1).
4. Für den Erlaß eines Grundurteils reicht es aus, daß die Klageforderung wegen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (vgl. BGHZ 111, 125, 133; BGH, Urt. v. 18. Dezember 1997 aaO S. 303). Dies ist zumindest hinsichtlich des Zinsverlustes bezüglich der erst im Jahre 1997 rückabgewickelten Milch-Garantiemengenabgabe für den Zwölfmonatszeitraum 1988/89 der Fall.
III.
Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Die Sache ist im Sinn des landgerichtlichen Urteils zur Endentscheidung reif, so daß die Berufung gegen dieses Urteil zurückzuweisen ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.).
Unterschriften
Kreft, Fischer, Kayser, Bergmann, Nešković
Fundstellen
Haufe-Index 932363 |
BB 2003, 1147 |
NJW 2003, 2022 |
BGHR 2003, 774 |
FamRZ 2003, 921 |
JurBüro 2003, 560 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 1146 |
MDR 2003, 897 |
VersR 2003, 1042 |
ArbRB 2003, 195 |
BRAK-Mitt. 2003, 165 |
KammerForum 2003, 282 |